home | aktuell | archiv | newsflyer | kontakt
[93][<<][>>]

Kultur-Report, 1.7k

Das Ende der Rebellion


Conne Island – rollende Bässe und groovige Beats


Wie werden Veranstaltungen, die im Conne Island stattfinden, angekündigt? Es kommen „unentdeckte Perlen“, welche „direkten Sound“ machen und als „herausragende Undergroundacts“ gerühmt werden. Was das alles bewirken soll – direkter Sound – und was daran so wichtig ist – Underground – bleibt undurchsichtig. Bei anderen Bands wiederum kann man „vergnügt die Tanzbeine schwingen“, sich die Musik „um die Ohren blasen lassen“, der „Eigenständigkeit und Originalität des Arrangements“ lauschen, die „stilistische Bandbreite“ genießen, „groovigen“ Beats folgen, sich „knalligen Uptempo-Ska“ reinziehen und so weiter. Aha. Bei der nächsten Band kann man schon wieder „Tanzbeine schwingen“. Oder wie wär es mit einer „Soundwalze, die sich euch in die Birne frisst“? „Kompromisslos“! Nein, kein Seminar für durchgeknallte Manager, das ist die Ankündigung für ein Konzert im Conne Island. Auch das: „Gute Mucke, nette Texte, bühnenreif“. Oder kommt einfach zu dem Konzert mit „donnerndem Output“ und „Mitgrölhits“. Doch man könnte auch „Flächenklänge“ plus „eine gewisse Reinheit“ geboten bekommen – hoffentlich mit „emanzipatorischem Anspruch“. Für die Unüberzeugten: Es gibt noch einen Act, bei dem der „Turbo gezündet“ wird, den natürlich nur „wirkliche Fans“ und keine falschen richtig mitbekommen können. Am besten sind natürlich die Ankündigungen elektronischer Veranstaltungen. Würde euch dazu was einfallen? Ganz einfach: man mixt die Wörter wie Beats zusammen: „Floor rocken“, „bebender Dancefloor“, „souliger und funky Mix“ und „abgefahrene Beats“. Wie schön. Haben die Veranstaltungsankündigungen sonst noch was zu sagen? Kaum.
Hier wurden allein Zitate aus dem Cee Ieh Nr. 92 gedroschen, weswegen wahrscheinlich noch skurrilere Stilblüten der Werbesprache des Showbiz unzitiert bleiben. Es soll hier keinem Autoren der Ankündigungstexte fehlende analytische Schärfe unterstellt werden. Wahrscheinlich merken die Autoren beim Schreiben am besten, dass der Gegenstand, über den man schreibt, nichts hergibt. Man könnte sich als Autor zwar ständig ermutigen, zu schreiben, dass es über die Bands und Acts nichts zu schreiben gibt; doch dies würde dem Conne Island nicht gerade gut zu Gesicht stehen. Also schreibt man über die letzten Auftritte der Bands, mit wem sie schon zusammen gespielt haben, welche Produzenten dahinter stehen, welche Produkte schon auf dem Markt sind und andere Referenzen. Und wenn eine taufrische Band spielt, schreibt man halt von hoffnungsvollen Newcomern. Immer muss aber klar sein: Dieser Act fetzt – kommt in Scharen. Dazu denkt man sich dann gut klingende Begriffe aus: Rollende Bässe, groovige Beats, tanzende Beine bla, bla, bla. Am witzigsten sind eigentlich die Abgrenzungsgebärden der Subkulturen untereinander. Während die Autoren in ihren Texten bei der Beschreibung ihrer favorisierten Subkulturen auf extrem ähnliche Werbesprache zurückgreifen müssen, bleibt auf den Konzerten zumindest noch ein kleiner Gestus, der die Unverkennbarkeit der eigenen subkulturellen Identität ausdrücken soll. Die Skins trinken Bier, haben Glatzen und machen manchmal Angst, die Raggaefluffen kiffen und üben sich in ihrem internen Wettbewerb, wer am jamaikanischsten rüber kommt, die D’n’Baser zappeln und tanzen völlig stur alle mit dem Gesicht in Richtung DJ, die Hip Hopper üben sich im coolen Slang und die Punks haben bunte Haare (wie heute viele Jugendliche). Mehr fällt leider zu den einzelnen Subkulturen nicht ein.
Nun soll dieser Text nicht denjenigen Underground-Krusties den Rücken stärken, die sich im Showbiz sonnen, indem sie ihre Produkte mit Etiketten á la „unkommerziell“, „subversiv“ oder gar „revolutionär“ auf die Bühne hieven. Bezüglich dieser Begrifflichkeiten ist der Conne-Island-Kulturpolitik beizupflichten, die ahnt, dass man nicht außerhalb, sondern innerhalb der Kulturindustrie sein Dasein fristet, sei es als Punk- oder Mainstreamangebot. Die kulturpolitische Abgrenzung des Conne Island gegenüber den bekannten „subversiven“ Projekten (Zoro, Gießerstr. 16 etc.) hat etwas zwiespältiges. Einerseits erliegt man nicht dem Etikettenschwindel, außerhalb der Kulturindustrie zu wirken, andererseits führt dass zu einer kühlen Abgeklärtheit im Bestehenden und schlägt punktuell in Überaffirmation um, welche im Artikel „Schneckchen, Zecken, Technoschwuchteln“ von Mausebär im letzten Cee Ieh schon auf die Schippe genommen wurde.
Unser Artikel soll das Wissen kritischer Theorie über Kultur auffrischen, erklären, warum Subkultur nicht außerhalb der Kulturindustrie steht, sondern erst durch diese möglich wurde und schlussendlich thematisieren, warum nun auch die Jugendrebellion, deren Kommunikationsmedien immer die Produkte der Kulturindustrie waren, auf der großen Müllhalde der warenproduzierenden Gesellschaft gelandet ist.

Kultur – der Himmel auf Erden

Kultur war der Bereich der Gesellschaft, in dem die Chance genutzt wurde, uneingelöste Ideen und Ideale aufzubewahren, Kritik und Protest zu formulieren und die gesellschaftliche Praxis zu reflektieren. Sie stand seit jeher in einer Relation zur alltäglichen Praxis und hat trotzdem, indem in ihr der Geist einen Ausdruck fand, eine Autonomie in Anspruch genommen. Insofern war sie immer Teil einer falschen Welt, in der körperliche und geistige Arbeit getrennt waren. Die Kultur hat als solch geistiger Elfenbeinturm immer die Gefahr in sich getragen, die Ideale menschlichen Lebens als unerreichbare Güter des Geistes in sich einzusperren oder die Freiheit der Seele als Entschuldigung für die leibliche Knechtigung im Bestehenden zu benutzen. Insofern war ihre Autonomie auch immer eine falsche, da Teil eines entfremdeten Zustands, in dem sich Emanzipation in einer gesonderten Sphäre artikulieren mußte. Trotz dieser scheinheiligen Position diente Kultur dem Aufbrechen verhärteter Zustände und der Reflexion der Menschen auf ihr unvollkommenes Dasein, indem überhaupt – wenn auch nur als geistiger Obolus – menschlichere Verhältnisse im Gespräch blieben. Als solche Aufklärung über den gesellschaftlichen Zustand transportierte Kultur ein Bildungsideal mit sich, welches intendierte, über die gegenwärtige Praxis hinauszudenken, ob unter Zuhilfenahme der Tradition oder Elementen der Gegenwart. Doch sicherlich hat Kultur nicht nur daran erinnert, was in der Praxis noch nicht ist und sein könnte, sondern in bestimmten Ausprägungen auch beruhigt, indem sie das Bestehende bejahte. Doch ob sie Kritik oder Bestätigung des Bestehenden war, der Mensch und seine Probleme waren in ihr immer wichtig, während in der Praxis die Notwendigkeit der bestehenden Ordnung vom Menschen Tribut zollte und nicht umgekehrt. „Der Idealismus“ der bürgerlichen Kultur „hat immerhin daran festgehalten, dass der Materialismus der bürgerlichen Praxis nicht das letzte Wort ist. [...] Den Menschen auf den Genuss irdischen Glücks verweisen, das bedeutet, ihn jedenfalls nicht auf die Erwerbsarbeit, nicht auf den Profit, nicht auf die Autorität jener ökonomischen Mächte verweisen, die dieses Ganze am Leben erhalten“ (Marcuse(1)).

Kulturindustrie – The Show must go on

Eigentlich bedeutet Kulturindustrie auch Massenkultur. Horkheimer und Adorno wollten diese Bezeichnung jedoch vermeiden, damit nicht der falsche Eindruck entsteht, es würde sich dabei um etwas handeln, was im Dienste der Menschheit stehe oder spontan aus den Massen erzeugt würde. Kulturindustrie steht nämlich mitten im Dienste kapitalistischer Logik und ist damit Teil des Verblendungszusammenhangs, welcher den Menschen ein besseres Leben verstellt. Nun könnte das Wort Kulturindustrie allerdings auch missverstanden werden(2). Dieser Begriff meint keine bösen Industriemonopole, die sich die gute Kultur einverleiben, sondern: Kultur wird als Ware produziert. Die Kulturindustrie stellt planvoll Waren her, die auf den Konsum von Massen zugeschnitten werden. Ob die Kulturindustrie im besonderen Fall nun Conne Island oder Sony heißt, bleibt sich gleich. Vorraussetzung von Kulturindustrie war, dass überhaupt Kultur massenhaft vertickt werden kann, es also so etwas wie Vervielfältigungstechniken, Tonträger, Fotokopie etc. gibt. Die Massen dienen dabei als Käufer und sind somit nichts Primäres, sondern etwas Sekundäres. Es geht nicht in erster Linie darum, Menschen zu beglücken, anzuregen oder aufzurütteln, sondern mit dem Verkauf von Kulturgütern Profit zu erwirtschaften. Sicherlich bot sich durch den Verkauf von Kunst einigen Menschen immer die Möglichkeit, zu überleben. Doch mittlerweile ist Kultur nicht mehr auch Ware, sondern Ware durch und durch. Derzeit ist der Mensch nicht Subjekt, sondern Objekt der Kultur. Dieses Verhältnis ist nicht nur deswegen ein Problem, weil die Beziehung zwischen Machern und Käufern ein zutiefst kapitalistisches ist, sondern auch, weil die Kultur selber einen völlig neuen Charakter bekommt. Indem die Produkte zwecks ihrer Verkaufbarkeit nach Marktkriterien durchkalkuliert werden, wird das Profitprinzip auf den Geist übertragen und zentraler Moment des Kunstwerkes selber. Damit verliert das Kunstwerk jene Autonomie, welche es noch hatte, als Kultur ein Widerpart der „irdischen“ Praxis war. Indem die Kultur erzeugt wird, um gekauft zu werden, muss sie sich den Menschen in die Arme werfen; sie baut nicht mehr darauf, dass sich die Menschen ihre Botschaft erst erschließen müssen, sondern appelliert direkt an bestehende Momente im Menschen und damit an die bestehenden sozialen Verhältnisse. Sie erstrebt nicht mehr eine Aussage, welche mitgeteilt werden soll, sondern den eigenen Verkauf. Die Großzahl der Menschen – auch die Autoren dieses Textes – können mit Kunst, die außerhalb der Kulturindustrie erstellt wurde, überhaupt nicht mehr anfangen. Es erscheint unsinnig, klassischer Musik und bildender Kunst, die sich einem nicht sofort erschließt, Aufmerksamkeit zu schenken. Man ist gewohnt, von Kulturwaren direkt angesprochen zu werden und nicht erst deren Sinn in tieferer Auseinandersetzung zu erfassen. Kulturprodukte sollen uns das Leben erleichtern, uns die Freizeit versüßen, indem sie uns Befriedigung verschaffen – als Hilfe zum Aggressionsabbau, zur Beruhigung oder sonst was. Somit hat Kultur ihren Zweck, gesellschaftliche Praxis zu reflektieren, eingebüßt, und macht statt dessen den Menschen die Praxis leichter – wie erbärmlich die herrschende Praxis auch sein mag. Die Menschen werden nicht mehr nachdenklich gemacht und das oben erwähnte Bildungsideal ist als Ballast längst über Bord geworfen worden. An die Stelle von Inhalt ist das reine Angebot zur Identifikation getreten(3). Indem sie sich den Menschen so ähnlich wie möglich macht, affirmiert Kultur die bestehenden Verhältnisse und entwürdigt die Menschen so in ihrer Freizeit noch einmal. Selbst in dieser werden jene Momente getilgt, welche den Menschen dazu anstießen, zu reflektieren, dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Adorno versucht diese Fortsetzung erbärmlicher Zustände in die Kultur hinein beispielsweise in seinem Text „Zeitlos Mode – Zum Jazz“ auch musiktheoretisch darzustellen. So weit wir das nachvollziehen konnten, geht es unter anderem darum, dass in der sturen Durchhaltung des Grundrhythmus sich die gesellschaftliche Tendenz der Standardisierung und Erstarrung wiederfindet, die Phantasie abstirbt und Schemata des Verhaltens der Musiker und Zuhörer erfordert werden, zu denen die Menschen gesellschaftlich ohnehin genötigt sind. „Man braucht Menschen, ‘des stéréotypés’, das heißt Menschen ohne geistige Spontanität“ (Horkheimer(4)). Adorno nennt das Schemata der Kulturindustrie „Immergleichheit“ und sieht in dieser das Wesen der Kulturindustrie. Einerseits muss die Kulturindustrie zwar permanent Neues auf den Markt werfen, um ein bestimmtes Level an Verkaufzahlen zu halten, andererseits passiert nichts wirklich neues. Das Neue selbst verstärkt die Ideologie, heutige Kultur sei nicht Teil des Ganzen. Die Seh- und Hörreflexe der Kunden sind längst konditioniert, keiner wird sich mehr anstrengen wollen, sich in Kunst reinzudenken. Das Immergleiche – auf das die Menschen anspringen – in den Kulturprodukten ist das Prinzip Kapitalismus selber, gegen welches Kultur doch hätte ankämpfen wollen müssen.
Das was in der Massenkultur als Gestus der Rebellion verspürbar war, hat sich immer schon, so analysiert Adorno anhand der musikalischen Technik „moderner“ Musik, mit der Bereitschaft zu parieren zusammengefunden, was sich in dem Genuss zur Unterordnung in tobende Massen und monotone Rhythmen zeigt.

Subkultur – „Yeah“, „Oi“ und „Bum, Bum, Bum“

Nun ist Kultur von dem Vorwurf, Teil der Kulturindustrie zu sein, auch dann nicht frei, wenn deren Macher behaupten, nicht auf Geld aus zu sein: „Schließlich braucht die Kulturindustrie gar nicht mehr überall die Profitinteressen direkt zu verfolgen, von denen sie ausging. Sie haben in ihrer Ideologie sich verselbstständigt, zuweilen sich unabhängig gemacht vom Zwang, die Kulturwaren zu verkaufen, die ohnehin geschluckt werden müssen“ (Adorno(5)). Will heißen: In dem Moment, in dem ein Produkt darauf aus ist, Werbung für sich selbst oder den Künstler zu sein – erinnert sei an die Werbetexte im Newsflyer – es darauf anlegt, Menschen unmittelbar anzusprechen, ist es schon zutiefst Teil der Kulturindustrie. Subkultur selber war schon immer Teil der Kulturindustrie, weil sie darauf angewiesen war, sich über Tonträger und andere Medien zu verbreiten und weil das Selbstverständnis von Subkultur schon immer darauf zielte, Sprachrohr vieler Mensch gleichzeitig und Musik für jedermann zu sein. Sprachrohr konnte sie nur werden, weil es Massenmedien, Vertriebstrukturen und andere Produktionsmittel der Kulturindustrie gab. Historisch gesehen hat das Modell Pop richtig losgelegt, als die fordistische Produktion durchstartete und Produkte am Fließband produziert werden konnten. Pop und mit ihm sogenannte Subkulturen konnten neue Bedürfnisse hervorbringen und befriedigen und waren somit entscheidende Träger der Durchsetzungsgeschichte der Kulturindustrie. Gleichzeitig konnten Pop- und Subkulturen innerhalb des Fordismus in einer zunehmend gleichförmiger werdenden Gesellschaft(6) die Möglichkeit zur Identifikation bieten. Das Subjekt der Subkultur war immer zentral als Konsument oder Produzent von Waren subversiv und rebellierte somit nicht gegen sondern auf dem Markt der kapitalistischen Möglichkeiten. Nicht Krieg, Religion, Arbeit oder Politik, sondern die verschiedenen Möglichkeiten des Pops, der schon immer als Rebellion gegen die Tradition seinen Marktwert erhielt, wurden zu Identifikationsmomenten. Und da diese Identifikationsmomente käuflich erworben wurden, war die Rebellion im Pop schon immer eine durch Konsum. Diese Rebellion, die sich auf den Markt austobte, blieb immer eine, die sich im Livestyle, also im Privaten probierte. Zentrales Moment von Subkultur war immer, einfach zu sein und die Menschen dort abzuholen, wo sie eh schon sind. Indem im Showbiz der Kulturindustrie das ständig Neue gefordert ist, um die Produkte an den Konsumenten zu bringen, ist auch Subkultur immer schon zur Mode verteufelt gewesen, konnte also nie den Anspruch von Gesellschaftskritik gerecht werden, auf die zentralen gleichbleibenden Momente einer kapitalistischen Gesellschaft kontinuierlich kritisch abzuzielen. Das einzigste, auf das Subkultur abzielte, war Kritik innerhalb der Sphäre der Kultur selber und nicht die Kritik an jenen objektiven gesellschaftlichen Verhältnissen, auf denen sie selber fußt. Insofern war sie eben nicht radikaler Widerpart der Verhältnisse, sondern ein idealer kritischer und damit innovativer Motor innerhalb der Kulturindustrie selber. Würde eine Subkultur die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal in Frage stellen, wäre sie keine Subkultur mehr, da sie sich dann nicht mehr schick zurecht gemacht den Menschen in die Arme werfen könnte, sondern fern jener Massen hoffen müsste, Aufmerksamkeit zu bekommen. Mindestens müsste sie die eigene Aufhebung herbeisehnen. Mittlerweile ist der Begriff „Underground“ ein Mythos, in den die Kulturindustrie von selber nachhaltig investiert, da sie das inovative Potential, was letztendlich schon ein unbewusster oder ungeliebter Teil von ihr war, in diesem Mythos erkannt hat.

Rebellion – ist gerechtfertigt

Ein positives Moment von Subkultur war immer, Rebellion zu fordern und damit Massen zu erwecken. Diese Rebellion hat zwar nie über das schlechte Bestehende hinausgewiesen, bot aber zumindest die Chance, dass durch sie Leute ermuntert wurden, Gesellschaftskritik zu wollen, um die Intension von Rebellion – dagegen zu sein – zu vertiefen. Rebellion von Massen ist nicht unbedingt die Eigenart von Subkulturen, haben in dem Medium der Subkultur aber immer einen besonderen, nämlich einen konsumistischen Ausdruck erfahren. Die 68’er-Rebellion kann man zum Beispiel nicht allein politisch erfassen, da sie sich stark über Musik und andere Kunst artikulierte(7). Danach waren z.B. die Hardcore- und Punkbewegungen fast rein sich kulturell artikulierende Bewegungen, in denen sich Rebellion ausdrückte. Scheinbar ist die Rebellion heutigen Subkulturen abhanden gekommen. Dies mag viel Gründe haben. Sicherlich lässt die immer schneller funktionierende Kulturindustrie die Grenzen zwischen Underground und Mainstream immer schneller zerfließen. Außerdem dürfte das Verschwinden der Jugend aufgrund von immer stärkerer kulturindustrieller Angleichung von Erwachsenen- und Jugendkultur ihren Beitrag dazu leisten, dass immer weniger Jugendliche auf die Idee kommen, gegen ihre Eltern zu protestieren. So hat die neueste Shell-Jugendstudie resigniert feststellen müssen, dass besondere Umfragen unter Jugendlichen gar keinen Sinn mehr machen, weil das Wertesystem und damit auch das Konsumverhalten überhaupt nicht mehr so stark aus dem gesellschaftlichen Rahmen fallen. Ein anderer Ansatz, die langweilige Jugend zu erklären, könnten psychologische Anpassungsvorgänge an eine immer erschlagender werdende rasende kapitalistische Gesellschaft sein, welche NEIN-Sager nicht mehr hervorbringt. Damit könnte sich nicht nur erklären, warum heutige Subkulturen so artig sind, sondern auch, warum politische Bewegungen, wie die der Globalisierungsgegner, so fürchterlich schnell bürokratische und konforme Ungetüme werden.

Der psychische Apparat nach Freud

Um zu begreifen, warum Menschen in verschiedenen spezifischen Kulturen auf Ereignisse oder in speziellen Situationen verschieden reagieren, muss man die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Individuum analysieren. Wir haben es mit einer bürgerlichen Gesellschaft und deswegen mit bürgerlichen Subjekten zu tun. Im bürgerlichen Subjekt interagieren verschiedene psychische Instanzen. Es gibt den Raum des Unbewussten, des Vorbewussten und des Bewussten. Inhalte des Unbewussten können jederzeit über das Vorbewusste ins Bewusstsein treten. Auf Inhalte des Vorbewussten kann vom Bewusstsein prinzipiell Rückgriff genommen werden. Dabei nimmt das Unbewusste den größten Raum ein, das Vorbewusste hat schon weniger Inhalte und das Bewusstsein ist der kleinste Bereich der Psyche.
Quer dazu liegen die drei psychischen Instanzen ES, ICH und ÜBER-ICH: Das ES befindet sich vollkommen im Raum des Unbewussten, hier entspringen emotionale Impulse, die Triebe. Deren Befriedigung geschieht zunächst durch das Lustprinzip. Das ÜBER-ICH repräsentiert Werte und Normen der Gesellschaft, welche durch Bezugspersonen, meist den Eltern, ans Kind vermittelt werden. Die Funktion des ICH’s ist es zwischen ES und ÜBER-ICH einerseits und zwischen ES, ÜBER-ICH und der Realität andererseits zu vermitteln. Da diese eine sofortige Triebbefriedigung einschränkt wird das Lustprinzip nach und nach vom Realitätsprinzip verdrängt.
Sowohl im ICH als auch im ÜBER-ICH befinden sich unbewusste, vorbewusste und bewusste Inhalte. Je stärker das ICH ist, desto besser kommt es seiner Vermittlungsfunktion nach; je schwächer es allerdings ist, desto mehr bedient es sich gewisser Abwehrmechanismen um sich zu stabilisieren, bspw. Verdrängung, Projektion oder Sublimierung. Der Verdrängungsvorgang geschieht meist unbewusst. Dabei werden die aus dem unbewussten ES ins Bewusstsein drängenden Triebbedürfnisse, welche nicht mit dem ÜBER-ICH und der Realität vereinbar sind, wieder ins Unbewusste zurückbefördert. Verdrängte Bewusstseinsinhalte drohen jedoch in abgeänderter Form, z.B. als Projektion, wieder ins Bewusstsein zu treten, was wiederum das ICH schwächt.
Im Laufe der Entwicklung bildet das ICH ein ICH-IDEAL nach dem es strebt und an welchem es sich misst. Vom ICH wird das ÜBER-ICH internalisiert und das Gewissen entsteht.

Gesellschaftlicher Alltag und sein Einfluss auf das bürgerliche Subjekt

Wie oben bereits angedeutet, ist die Entwicklung des ICH’s von seiner Umwelt bestimmt. Schon im Kindesalter vollzieht sich die grundlegende ICH- und ÜBER-ICH-Bildung, laut Freud bildet die Familie dafür das Kernstück. Inwieweit dies heute noch zutrifft und welche Einflüsse dieser Gesellschaft auf das Kind einwirken, soll nun näher betrachtet werden.
Während die Eltern arbeiten, treten für diesen Zeitraum weitere Bezugspersonen an ihre Stelle, das kann die Erzieherin im Kindergarten sein, ein Babysitter, die Großeltern oder Freunde. Das Kind sieht seine Eltern also während eines Großteils seiner Entwicklung nur morgens und abends. Doch wohin es auch schaut, es erlebt keine Einheit, keine Stringenz. Sowohl seine Eltern als auch andere Personen sind gezwungen zur Flexibilität, denn es gibt keine Wahl: Jeder ist gezwungen seine Ware Arbeitskraft zu verkaufen und zwar so gut es geht.
Um das (Über)Leben zu sichern, braucht man Geld, und das wird nun mal durch Arbeit verdient. Unter dem Druck der Austauschbarkeit der Arbeitskraft (denn es kommt nicht auf das Individuum mit seinen Gedanken und Gefühlen an, sondern allein auf seine Verwertbarkeit) und mit dem Wegbrechen der Arbeit im Zuge der mikroelektronischen Revolution, sind Konkurrenzfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Flexibilität zu existentiellen Kriterien geworden. Diese avancieren zu Idealen und bringen soziales Ansehen. Wer dies in der Ellenbogengesellschaft nicht schafft, zieht den Kürzeren, denn bekanntlich – so die Volksweisheit – überlebt in der „Natur“ nur der Stärkere.
Dem gegenüber stehen moralische Werte, etwa die der Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft, die zwar in der gesellschaftlichen Praxis kaum wiederzufinden sind, aber eigentlich ja zu vertreten seien. Weiterhin verlangen die verschiedenen Situationen des Alltags vom bürgerlichen Subjekt verschiedene Reaktionen und Handlungsweisen. Je nachdem, ob zu Hause, auf der Straße, im Theater, im Geschäft, am Arbeitsplatz, wird ein bestimmtes Benehmen erwartet, der Wandel vom liebevollem zum unnahbaren, oder zum intelektuell-ernsten, dann wieder zum kämpferischen Typ usw. usf. bringt ein situationsbedingte Charaktermasken hervor.
Durch die Massenmedien, hauptsächlich das Fernsehen als das bequemste und meistgenutzte Medium, wird dieser Alltag wiedergespiegelt und affirmiert.
Vor der Bildröhre ist es wunderbar möglich seine Zeit sinnentleert und flexibel zu verbringen; Geist abschalten und sich wahlweise wissenschaftlichen Sendungen, Soap-Operas, Quiz-Shows, Gerichtsprozessen und zahlreichen Informationen, seien sie nun für Verbraucher oder über das Weltgeschehen, berieseln lassen. Je nach Befinden und Bedürfnis kann eine Person im Fernsehen ihrer Stärke wegen bewundert oder sich mit superschlauen Quiz-Kandidaten verglichen werden, der liebenswerte aber unbedarfte Bekannte von Nebenan wird plötzlich zum Star.
Die Auswahl der Charaktere ist groß und mit allen kann man sich identifizieren, wenn man möchte oder sich danach fühlt. Diese flexiblen Identitäten des Alltags wirken auch auf das Kind ein und es eignet sich die Fähigkeit an, mit ihnen umzugehen.

Auswirkungen einer solchen Gesellschaft auf die Psyche des bürgerlichen Subjekts

Es wurde bereits erläutert, dass die kapitalistische Gesellschaft widersprüchlich ist. Moral und gesellschaftliche Praxis können nicht miteinander vereinbart werden und dieser Zwiespalt stellt das bürgerliche Subjekt vor ein Problem. Wie es damit umgeht, hängt von der Stärke des ICH’s ab.
Nun kommt es darauf an, wie weit das ÜBER-ICH ins ICH integriert wurde und somit dessen Entscheidungen eine bestimmte Einschränkung erfahren oder nicht. Wenn das ÜBER-ICH abgesondert vom ICH besteht und das ICH deshalb uneingeschränkt vom Gewissen handelt, vermittelt es nunmehr nur zwischen seinen Trieben und der Realität. Außerdem wacht das Gewissen über das ICH-IDEAL und sorgt dafür, dass dieses „das aktuelle ICH unausgesetzt beobachtet und am Ideal misst“ (S. Freud(8)).
Da die Moral in der heutigen Gesellschaft schwindet, weil sie in der Praxis sich nicht durchsetzen kann, nimmt die ÜBER-ICH-Internalisierung tendenziell ab und mit ihr die Anforderungen des Gewissens ans ICH. Gleichzeitig führen die flexiblen Identitäten des bürgerlichen ICHs dazu, dass kaum ein einheitliches ICH-IDEAL gebildet wird(9).
Ohne die Verinnerlichung des ÜBER-ICHs und ohne ein einheitliches ICH-IDEAL aber reflektiert das ICH sich selbst nicht und auch nicht den gesellschaftlichen Widerspruch. Beängstigendes und Unangenehmes werden nicht bewältigt, sondern verdrängt. Ein solches schwaches ICH neigt zu Rationalisierung der irrationalen Empfindungen und Projektion, und übernimmt oder baut sich dadurch Stereotypen, mit deren Hilfe es die Welt erklärt und sich orientiert.
Dass ein starkes bürgerliches ICH, welches also ein ICH-IDEAL und ein integriertes ÜBER-ICH hat, unter der Übermacht der gesellschaftlichen Zwänge seine moralischen Prinzipien immer wieder über Bord werfen muss, ist ihm nicht gleichgültig. Vielmehr erkennt ein starkes ICH heutige Verhältnisse als ein widersprüchliches Nebeneinanderexistieren von Moral, gesellschaftlichen Idealen und reellen Anforderungen des Alltagsleben und kann sich nur mit Unbehagen arrangieren. Es wird daran scheitern diesen Widerspruch aufzulösen, wie es in der Gesellschaft überhaupt versucht Widersprüche in eine Richtung aufzulösen. Denn er bedingt das Fortdauern des Status quo und bestätigt damit die Subjekte auf einem Umweg in ihrem Identifikationsmodell – der bürgerlichen Gesellschaft.

Kritisches Verhalten?

Die Hoffnung auf ein ICH, welches es mit der Gesellschaft kritisch aufnehmen kann, wird um so schwächer, je mehr jene Gesellschaft tatsächliche ICH’s nicht mehr braucht und stattdessen von flexiblen Arbeitskräften und konsumgeilen Kaufkräften getragen wird. Auch der Charakter der Subkulturen wird durch jene Arbeitskräfte und Konsumenten bestimmt. Mit der Veränderung der Charaktere der gesellschaftlichen Individuen verändert sich auch der Charakter von Subkultur und Rebellion. Insofern ist daraus zu schließen, dass zukünftige Rebellionen jeglichen politischen Charakter verlieren und höchstens noch als Waren die Konsumenten erreichen. Durch die Subkulturen wurde Rebellion mehr und mehr zum marktfähigem Segment, während die Art und Weise subkultureller Kunst die gängigen standardisierten Schematas gesellschaftlicher Verhältnisse dem Individuum nochmals einprägt. Weder dieser Gang von Kultur noch die Entwicklung heutiger Subjekte lassen eine Hoffnung auf Rebellion im gesellschaftskritischen Sinne hoffen. „Wenn unser kulturelles Klima unter dem Druck der sozialen Kontrolle und der technologischen Konzentration in einem bisher unbekannten Ausmaß standardisiert worden ist, müssen wir annehmen, dass die Denkgewohnheiten der Individuen diese Standardisierungen wiederspiegeln“ (Adorno(10)).

Laila und Hannes

Fußnoten:
(1) Über den affirmativen Charakter der Kultur, in: Marcuse, Kultur und Gesellschaft 1, Suhrkamp, S.67-68
(2) Noch fataler ist die antiamerikanische Adaption der Kulturindustriekritik, die glaubt, an die kritische Theorie anzuknüpfen, anstatt dessen aber kein bisschen an der marxschen Kritik der politischen Ökonomie geschult ist und eher rechten romantischen Kulturpessimismus mit sich schleppt, indem sie die „Heimat des Mehrwerts“ (so H. M. Enzenberger) – die USA – anklagt. Diesem rechten Scheiß muss man entgegenwerfen: Das Kapital kennt keine Heimat; oder, wie es die ökonomische Binsenweisheit auf den Punkt bringt: Das Kapital ist ein scheues Reh.
(3) „Ehedem waren alle Kunstwerke an der großen Feststraße der Menschheit aufgestellt, als Erinnerungszeichen und Denkmäler hoher und seliger Momente. Jetzt will man mit den Kunstwerken die armen Erschöpften und Kranken von der großen Leidensstraße der Menschheit beiseite locken, für ein lüsternes Augenblickchen; man bietet ihnen einen kleinen Rausch und Wahnsinn an.“ (Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Frankfurt am Main, 1982, S. 106.)
(4) Invarianz und Dynamik in der Lehre von der Gesellschaft, 1951
(5) Résumé über Kulturindustrie, in: GS, Bd.10.1, S.339
(6) kaum noch Klassen-, Milleu-, religiöse und regionale Identitäten
(7) „Von der ‘Gegenkultur’ der sechziger Jahre hat bereits kein Geringerer als Frank Zappa behauptet, sie sei bloß eine Erfindung der Medien gewesen […] Die Erinnerung an den Widerstand gegen die Kulturindustrie wird jedenfalls inzwischen von dem Verdacht zersetzt, womöglich nur an einer ihrer ersten Massenveranstaltungen teilgenommen zu haben.“ (Grasskamp, Der lange Marsch durch die Illusionen, München 1995., S. 12ff.)
(8) Zur Einführung des Narzissmus; GW X, S.162
(9) „Das feste ICH und ÜBER-ICH, die wesentliche Züge der traditionellen bürgerlichen Idee des Individuums, werden in der modernen Gesellschaft notwendig unterminiert. [...] Abgesehen der verschwindenden ökonomischen Basis des verhältnismäßig unabhängigen Individuum, behindern Faktoren wie die Massenproduktion der verschiedenen Vergnügungsindustrien die Entwicklung einer autonomen Persönlichkeit. Die überwältigende Anzahl von Fernseh- und Radiosendungen, Filmen, Comics und Reklamen zwingt das Kind, sich mit beständig wechselnden Charakteren zu identifizieren, während nur wenige abstrakte, veräußerlichte Ideen wie Erfolg oder Stärke oder Ehe diesselben bleiben. Kurzlebige und widerspruchsvolle Modelle und Ideen erlauben es dem jungen Menschen nicht, die Einwirkung weniger, konkreter Imagines so tief und anhaltend zu erfahren, dass sie das Rückrat seines Erwachsenenlebens werden können. [...] Deshalb werden Handlungen einer Person immer weniger deren eigener Ausdruck, sondern zu bloßen Funktionen wechselnder Situationen, gesellschaftlicher und politischer Manipulationen.“ (Horkheimer, Lehren aus dem Faschismus, 1950)
(10) Studien zum autoritären Charakter


home | aktuell | archiv | newsflyer | kontakt |
[93][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007