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Kultur-Report, 1.7k

Die studentische
Protestkultur


Kritische Studie, warum ‘kritische’ StudentInnen, die für mehr Bildung und Heizkosten auf die Straße gehen, das Bestehende – den Standort Deutschland und ihre eigene unkritische Fachidiotie – nur affirmieren.

Unter der Headline „Bildung lässt sich nicht verkaufen“ fanden nach Kürzungsabsichten des Landes Sachsen auch in diesem Semester wieder politische Zuckungen der Studentenschaft statt. Das Motto ist nicht neu und drückt die übliche Selbstblendung studierender Menschen aus, die es nicht hinbekommen, so zynisch zu sein, im Wissen um die kapitalistischen Verhältnisse einfach ehrlich ihren Stand als Student zu verteidigen. Lebt es sich als Student doch eine Zeit lang halbwegs angenehm. Nein, es wird im Sinne etwas Höheren, nämlich der Bildung, argumentiert. Diese sei keine Ware und läge am Boden. Dass bestimmte Bildung als Ware am Boden liegt, wäre richtiger: die Geisteswissenschaftler, in deren Instituten gekürzt wird, interessieren höchstens noch als sogenannte ‘Soft - Skills’.
Selbstverblendung ist der gängige Protest, weil sich entgegen der gesellschaftlichen Verhältnisse vorgegaukelt wird, es gäbe Bereiche, die vom Lauf der Tauschgesellschaft verschont geblieben sind. Dabei liegt es doch gerade für den Bereich der Bildung auf der Hand, dass sich dort der Student zu einem Lohnarbeiter und Wissen zu einem Produktionsmittel mausern soll. Wie man darauf kommt, dass gerade im Bereich des Geistes kapitalistische Praxis keine Wirkung hätte, ist wohl Idealismus in zweifacher Bedeutung: Einmal als Wunschtraum und zum Zweiten als Einbildung einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der sich der Geist von der Praxis gelöst zu haben glaubt. Hier hilft dann wohl immer noch am Besten die Marxsche Kritik der deutschen Ideologie, wo klarer wird, dass das Denken der Praxis und nichts anderem entspringt.
Schlimmer noch ist, wenn die Studenten dann so gefährlich werden, anstatt für sich, für den Standort zu demonstrieren. Dieser benötige ihr Der bewaffnete Arm der studentischen Protestkultur, 12.8k Wissen. Erstens überschätzt man sich stark, wenn man glaubt, man wisse es besser als die Logik des Standortes selber, zweitens stellt man sich mit dieser Argumentation selber ein Bein, und drittens heißt dieser Standort Deutschland und meint dieses auch. Die Standortlogik zu gebrauchen, heißt nichts anderes, als sich in den Dienste Deutschlands – für Volk und Vaterland – zu stellen.
Während das Allgemeine – der Kapitalismus – mit der Mär, Bildung sei keine Ware, verleugnet wird, wird dem Besonderen – Deutschland – mit der Standortlogik der Rücken gestärkt.
Anstatt Deutschland und den Kapitalismus zu denunzieren und zu negieren, identifiziert man sich mit der zugewiesenen Rolle im ganzen, protestiert für die Universität, was somit zur puren gesellschaftlichen Affirmation wird; selbst dann, wenn es aus Unwissenheit nicht so gemeint sein will. Diese Affirmation wird im Wissenschaftsbetrieb eingeübt. Denn dort geht es um objektive Wahrheit. Es geht nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, sondern um die Möglichkeit, über sie Aussagen zu machen. Eine Wirklichkeit, die in ihrer negativen Totalität gegen den Menschen steht, obwohl sie Produkt des Menschen ist, wird, indem sie begriffen werden soll, als logisch und somit einwandfrei dargestellt. Der ganze beschissene Widerspruch, dass die Geschichte, obwohl sie vom Menschen gemacht wird, die Menschen zugleich von einem Elend in das nächste Elend treibt, wird legitimiert, in dem jeder Student Experte für einen kleinen Bereich wird, wo er Quellenforschung und Experimente durchführt und somit als Fachidiot zumindest eins darf: Wahre Aussagen machen und Wissen anhäufen. Zwar werden bestimmte Erscheinungen, die augenscheinlich dem Menschen Schaden zuführen, kritisiert, Verbesserungsvorschläge, die diese Leiden lindern sollen, bleiben aber Stückwerk und damit kapitalismusimmanent. Spätestens dann, wenn die kritischen Studenten an Sachzwänge stoßen, denen man sich beugen müsse, unterlaufen die kapitalistischen Verhältnisse die gut gemeinten Ideen der Studenten, welche dann aber, anstatt die eigene Ohnmacht zu thematisieren, die Verhältnisse noch besser verstehen wollen, um in ihnen wirken zu können. In den Protesten versammeln sich dann die Fachidioten. Der Politikwissenschaftler fachsimpelt dort über internationale Beziehungen, der Volkswirtschaftler über die Tobinsteuer und der Philosoph über die ethische Norm der Gewaltfreiheit.
Schon dass man als Studentengemeinde meist universitätsinterne Studentengruppen gründet, zeugt vom Selbstverständnis, innerhalb der zugewiesenen Rolle auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Und natürlich schwappt da noch eine ganze Menge Sozialkitsch der 68er in den Köpfen mit. Das zeigt sich nicht nur im Kleidungsstil der Vorkämpfer, sondern ganz offenkundig in der Protestpraxis. Originell und kreativ. Weil man nichts zu sagen hat, wird der Verkauf der Position zum Impetus und zum Versuch, das eigene Anliegen gemäß der Gesellschaft der Waren in den buntesten Formen anzubiedern. Es ist echt verrückt, wenn in „progressiver“ Manier das vorgespielt wird, was später im Berufsleben das A und O sein wird: Möglichst schillernd verkaufen, das Angebot zum Spektakel machen. Was dabei raus kommt, kennt man dann nicht mehr nur aus der Werbung: Bunte Packung, nichts dahinter. Da wird, weil die Bildung baden geht, in Springbrunnen öffentlichkeitswirksam geplanscht, sich analog der Bildung auf den Boden gelegt, wenn Schröder auf dem Leipziger Marktplatz redet oder im Winter um warme Decken in der Innenstadt gebettelt, weil der Universität droht, das Heizsystem nicht mehr betreiben zu können.
Nun soll sich hier nicht über die schrecklich frierenden Studenten lustig gemacht werden, sondern über Jugendliche, die, anstatt sich dem Ganzen so gut wie möglich zu verweigern, dieses verinnerlichen, ihre zugewiesene gesellschaftliche Stellung angenommen haben und sich diesen Opportunismus, was ja schön umgänglich wäre, nicht eingestehen.
„Nach derselben Logik eines untergeordneten Kindes hat er (der Student) an allen Werten und Mystifikationen des Systems teil und konzentriert sie in sich. [...] Der moderne Kapitalismus bewirkt zwangsläufig, dass der größte Teil der Studenten ganz einfach zu kleinen Kadern wird. Gegenüber dem elenden, leicht vorauszuahnenden Charakter dieser mehr oder weniger nahen Zukunft, die ihn für das schmachvolle ‘Elend der Gegenwart’ entschädigen soll, zieht der Student es vor, sich seiner Gegenwart zuzuwenden und sie mit illusorischem Prestige auszuschmücken. [...] Der Student als solcher maßt sich einen Pseudowert an, der ihm verbietet, sich seiner wirklichen Enteignung bewusst zu werden, und er bleibt damit auf dem Gipfel des falschen Bewusstseins.“ (Situationistische Internationale, 1969)
Die wirkliche Enteignung ist nicht der Klau der Bildung, sondern, was alle und nicht nur die Studenten betrifft, die jämmerliche Existenz innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft, in der alles Ware ist, in der Menschen nichts anderes sind als Arbeitstiere und dem Prozess der Geschichte gegenüberstehen, wie Schweine dem Uhrwerk.

Hannes

  • Spätpubertierender Haufen. Die Studentenproteste zeigen deutlich, was gesellschaftskritisch so los ist, aus CEE IEH #40
  • kultur-report: Wertfreiheit galore. Mit „Student!“, der neuen Campus-Postille der Leipziger Uni, erhält Belanglosigkeit einen neuen Namen, aus CEE IEH #73

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last modified: 28.3.2007