home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[40][<<][>>]

Spätpubertierender Haufen.

Die Studentenproteste zeigen deutlich, was gesellschaftskritisch so los ist. Von Ralf

Studenten sind gute Menschen. Vor einger Zeit erst hat „ihr Schirmherr“ (Die Zeit) Roman Herzog die Order ausgegeben, daß es so mit der Bildung der vaterländischen Studis nicht weiter gehen kann und prompt, einige Wochen später, stehen die Hoffnungsträger des Bildungsstandortes hinter fiktiven Barrikaden – danach rufend, der Staat möge ihnen diese mittels Geldsäcke real errichten. Und sie haben herzerweichend geflennt, als sie merkten, wie statt der Geldsäcke die Politiker mit leeren Händen an ihrer Seite standen und unisono rumjammerten.
leere, 12.6k
„kein Zentimeter Platz, eine auch nur im Ansatz vernünftige Frage zu stellen“
„Die größte soziale Bewegung seit der Friedensbewegung“, konstatiert die Gießener Philosophiestudentin Claudia Wiesner begeistert.(1) Sie trifft damit ungewollt ins Schwarze. Denn auch zur Hoch-Zeit der Angst vor dem „atomaren Holocaust“ waren sich fast alle einig, wie schicksalhaft „eine deutsche Stunde der Wahrheit“ zu sein hat.(2) Ging es damals um den Verzicht auf den Atom-Raketenstandort Deutschland, so geht es heute um die absolute Affirmation des Wirtschaftstandortes, in dessen Grenzen noch nie wirklicher Klassenkampf stattfand. Dafür aber schon desöfteren ein „Hauen und Stechen“ (Klaus Bittermann), das der für die Gießener Uni zuständige Landes-Finanzminister Starzacher anläßlich des dortigeen Uni-Streiks ganz richtig „Verteilungskampf“ nennt.(3)
An der „gesichtslosen“ (Frankfurter Rundschau) Universität Gießen hatte der sich ausbreitende Spaß angefangen, als zu einer Vorlesung, die für dreißig Studenten vorgesehen war, knapp 600 Studis erschienen und ersteinmal pauschal nach Erscheinen die Erstsemestler weggeschickt wurden, weil die ja wohl noch am meisten Zeit zum Studieren hätten. Das hatte die so Gemaßregelten ziemlich erbost und sie kümmerten sich darum, daß eine beachtliche Zahl der Gießener Studenten die Vorlesungen für eine bemessene Zeit boykottiert. Das fanden die Uni-Profs dann auch toll. Sie schlossen sich kurzerhand dem Boykott an. Dieses Szenario wiederholte sich dann dutzende Male an anderen Orten des bejammerten Bildungsnotstand-Ortes Deutschland, so daß die „Einheitsfront von Studenten und Professoren“ (Der Spiegel) kaum noch wirkliche Kritiker in ihren Reihen fand – bis auf einige wenige Aussätzige, deren Vergangenheit den Studenten von heute „am unangenehmsten ist, weil die nämlich dasitzen und die Studenten ungefragt duzen“(4), zu denen auch der APO-Typ Bernd Rabehl gehört, dem Die Woche auch schon mal „den Lenin-Orden in Marzipan“ für sein „spätpubertäres Krippenspiel“ im Stern verleiht. Rabehl hatte in einem Streitgespräch das ausgesprochen, was für einen Linken heutzutage usus sein sollte, wenn die Realität des berechtigterweise abhanden gekommenen revolutionären Subjektes nicht mittels Hilfskrücken – egal welcher Bauart – aus Bequemlichkeit verstellt werden soll. Gewandt zu seinen studentischen Mitdiskutanten sagte Rabehl zum Studenten-Streik: „Ihr laßt euch vollsabbern von den Staatssekretären und den Professoren. Ihr habt nicht mal ein Bewußtsein davon, daß ihr nützliche Idioten für andere seid“.(5)
Anmerkungen:

(1) Die Woche Nr. 50 vom 5.12.97

(2) Die Zeit Nr 49 vom 28.11.97

(3) Die Woche Nr. 50 vom 5.12.97

(4) Stern Nr. 50/97. Dort sagt der Student Florian von Aleman: „Die 68er sind heute die Generation, die mir am unangenehmsten ist. Weil die nämlich dasitzen und die Studenten ungefragt duzen. In Wirklichkeit sind es die, die es sich am gemütlichsten gemacht haben. Und am wenigsten bereit sind, in der Uni mal wirklich was zu ändern. Da sind mir die konservativen Professoren, die ich noch angehen kann, lieber.“

(5) ebenda

(6) Freitag vom 12.12.97

(7) Frankfurter Rundschau vom 13.12.97

(8) Die Zeit Nr. 49 vom 28.11.97

(9) junge Welt vom 22.11.97

(10) Frankfurter Rundschau vom 13.12.97

(11) Neues Deutschland vom 2.12.97

(12) taz vom 29.11.97

(13) taz vom 28.11.97

(14) Tagesspiegel vom 5.12.97

(15) FAZ vom 29.11.97

(16) FAZ vom 28.11.97

(17) Focus Nr. 50/97

(18) Leipziger Volkszeitung vom 11.12.97

(19) Jungle World Nr. 50 vom 11.12.97

(20) Frankfurter Rundschau vom 4.12.97

(21) Tagesspiegel vom 5.12.97

(22) Neues Deutschland vom 6.12.97

(23) ebenda

(24) Frankfurter Rundschau vom 4.12.97

(25) Focus Nr. 50/97

(26) Die Welt vom 28.11.97

(27) Jungle World Nr. 49 vom 4.12.97

(28) Die Woche vom 28.11.97

(29) vergleiche die zusammengestellten Interviewpassagen in: Widerspruch – Beiträge zur sozialistischen Politik, Heft 15 – Juni 1988

(30) Bekanntermaßen fordert ja derzeit Richard Rorty in seinen Veröffentlichungen dazu auf, von diesem revolutionären Minoritätenglauben wieder Abstand zu nehmen. Dafür wird er allenthalben im bürgerlichen Feuilleton gelobt und ihm attestiert, er reiße die Mauern zwischen der bürgerlichen Rechten und der Neuen Linken ein.

(31) Max Horkheimer, Erich Fromm, Herbert Marcuse et. al.: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung, Dietrich zu Klampen Verlag, Lüneburg 1987

(32) Original in: diskus Heft 4/1953; hier aus: diskus – Texte der Neuen Linken, Küss den Boden der Freiheit, Edition ID-Archiv 1992

(33) Reinhard Mohr, Zerschlagt die Universität!, Original in: diskus Heft 1/1978; hier aus: diskus – Texte der Neuen Linken, Küss den Boden der Freiheit, Edition ID-Archiv 1992

(34) Karl Heinz Roth, Pfeif’ auf die Karriere!, Original in: diskus Heft 5/1975; hier aus: diskus – Texte der Neuen Linken, Küss den Boden der Freiheit, Edition ID-Archiv 1992

(35) Alex, Hauts die Uni zamm, Original in: diskus Heft 1/1978; hier aus: diskus – Texte der Neuen Linken, Küss den Boden der Freiheit, Edition ID-Archiv 1992

(36) ebenda

Was die Traditionsmarxisten vulgär immer noch falsches Bewußtsein nennen, ist nun wirklich unbestreitbar konsequent zur Götzenanbetung des Geldes als Elle des gesellschaftlichen Seins transformiert. Die unbestreitbar gelungene Nutzung des Internets zur internen Koordination des Studentenprotestes ist das einzig Positive, das ein vollends partikulares Interesse in diesem Falle abzuwerfen in der Lage ist. „Wir wollen nur keinen kompletten Umbau der Gesellschaft“, gibt dann auch der zum „Internet-Beauftragten des bundesweiten Unistreiks“ avancierte Manuel Heinrich brav zu Protokoll.(6) Als gäbe es auch nur irgendeinen Anhaltspunkt, daran zu zweifeln, daß die Unis und Hochschulen nicht ebenfalls gesellschaftlich vollends durchdrungen sind und deshalb einfach mal alles mit allem zusammenhängt. „Der Streik ist ein Streik für Mittel, nicht für Ziele.“(7) Wäre das anders, so müßte logischerweise aus der Tatsache, das dieser Protest keine wahrhaftig Schuldigen kennen will, der Schluß gezogen werden, daß alle schuld sind und deshalb auch alle angegangen gehören. Mitnichten aber kann das so kommen. Die Freude darüber, daß es doch „total schön“ ist, „wenn alle mitmachen“(8), läßt keinen Zentimeter Platz, auch nur eine im Ansatz vernünftige Frage zu stellen. Aus dieser und keiner anderen Logik folgt auch der Schluß, Bildung sei, wie einst in den Siebzigern postuliert, für alle da. Ein Marxismus-Prof. wie der Marburger Reinhard Kühnl kann so eine Lesart natürlich nicht gelten lassen. Mit den Protesten, so meint er, „kommt etwas ins Gespräch, das in den 70er Jahren eine Selbstverständlichkeit war, nämlich daß Bildung ein Bürgerrecht ist, auf das jeder einen Anspruch hat. Das Recht, seine Fähigkeiten zu entfalten, das ist die Alternative zu der Position, daß Bildung nur ein Standortfaktor im Konkurrenzkampf der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt ist“.(9)
Wer den Charakter der Studentenproteste als Ausdruck eines auf null Konfrontation setzenden, spätpubertierenden Haufens karrieregeiler Selbstverwirklicher begreift, erkennt unter Umständen auch den zum Patriotismus gewendeten Gehalt einer „nationalen kollektiven Identität – im Gegensatz zum eigenen Selbstverständnis“.(10) Derart getrieben, teilt der eifrige Leser des Neuen Deutschlands, der Student Alexander Hempel aus Woltersdorf, seinem Leib- und Magenblatt bezüglich der Studiproteste freundlichst mit: „Für mich stellt sich nur eine Frage: Wie soll eine Jugend dieses Landes, die mit so miserablen Zuständen konfrontiert wird, später einmal gern in diesem Land leben?“(11)
Diese „ganz normalen jungen Leute“ (Helmut Kohl) haben mehr miteinander gemein, als sie zu erahnen vermögen. Es gebe „keine Ideale mehr, die eine Generation verbinden“, jammert die Studentin Ulrike Bahr in der taz.(12) Und weil das so ist, brauchen sich auch die nicht zu wundern, die das nicht für bare Münze nehmen: Ein „internationaler Block“ Autonomer und Antifas versuchte eine zeitlang, die Spitze der 40.000-Leute-Demo in Bonn zu bilden „und forderte in Sprechchören ‘internationale Solidarität’. Studenten mit Ordnerbinden haben die Straße blockiert, um zu verhindern, daß der schwarze Block vorneweg marschiert und so das Bild der Demo prägt. Stockend geht es voran. Nach und nach bringen die Ordner Studenten nach vorn, die Parolen wie ‘Ausbildung statt Bildungsaus’ und ‘Bildung light – nicht gescheit’ auf ihre Transparente gemalt haben. Nach und Nach verschwinden die drei großen schwarz-roten Fahnen hinter den Spruchbändern. Schließlich gelingt es, ein straßenbreites Laken an die Spitze des Zuges zu setzen: ‘Bildung ist die Zukunft unserer Gesellschaft’ steht darauf“.(13)
In Berlin demonstrierten am vierten Dezember rund 30.000 Studis. „Während die meisten Demonstranten eine Verbesserung ihrer studentischen Situation forderten, ging es einer kleineren Gruppe auch um gesellschaftliche Veränderungen. Diese Gruppe war ebenfalls mit einem Lautsprecherwagen unterwegs und konnte so das Ende des kapitalistischen Systems ankündigen. Im Zug flatterten Fahnen mit dem Gesicht Che’ Guevaras. Als skandiert wurde: ‘Genossen, es lebe die Revolution’, antwortete ein lauter Buh-Chor“.(14)
„Der Apell der orhodoxen Linken“, so meint die FAZ, „scheint keine Tatkraft mehr zu wecken“(15), obschon für die „Zeitung für Deutschland“ nach wie vor die Welt in Ordnung ist: „Den Protest wollen nur diejenigen über das ganze Semester ausdehnen, denen es nicht um eine andere Universität geht, sondern um einen anderen Staat: Solche Drahtzieher machen sich schon wieder in Frankfurt und Berlin, Marburg und Bonn bemerkbar“.(16) Nach dem beliebten Motto „viel Feind – viel Ehr“ ignoriert das Blatt geflissentlich die tatsächliche Einflußlosigkeit der nimmermüden linken Agitatoren.
Insgesamt fährt die studentische Jugend in ihrem Protest auf den medial-fixierten Aktionismus ab, der an Kitsch kaum zu überbieten ist. Im Focus nennt sich das „Kreativität statt Konfrontation“.(17) „Keine Totalverweigerer“ seien da „am Werk, sondern junge Leute mit kreativen Ideen“, ergänzt die Leipziger Volkszeitung.(18) Und so steht sich die studentische Jugend nicht die Beine in den Bauch, sondern macht toll was los: „In Trier wienern sie Autofenster und verursachen einen ‘Bildungsstau’“.(19) „In Weimar halfen Studenten Autofahrern beim Eiskratzen unter dem Motto: ‘Die Bildung wird auf Eis gelegt. Wir kratzen’“.(20) In Berlin werden „unter dem Motto: ‘Durchblick durch Bildung’ (...) an Ampeln des Ernst-Reuter-Platzes Autoscheiben geputzt“.(21) Ebenfalls in Berlin „begehen künftige Japanologen Harakiri. Ihr inszenierter ritueller Selbstmord soll Passanten daran erinnern, daß die Universitäten keine ‘symmetrischen Objekte’ sind, die aus der Roßkur anhaltenden Sparens unverändert hervorgehen“.(22) „Nikolausstiefel stellten (...) Studenten der Fachhochschule Erfurt vor dem Thüringer Landtag auf. In über 100 Paar Schuhe verpackt konfrontierten sie die Abgeordneten mit ihren Forderungen zur Hochschulpolitik“.(23) „In Wuppertal demonstrierten 600 Studierende mit einer ‘Open-Air-Disco’ vor dem Haus des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau“.(24) „Tausende Studenten mit Kerzen in der Hand“ reihten sich „zur Lichterkette“ in München auf.(25) Und so weiter und so fort. Grenzen des schlechten Geschmacks gibt es dabei kaum. So gröhlen voller Inbrunst auf der Straßenbahnfahrt zur bundesweiten Demo in Bonn dutzende Studenten: „Zehn kleine Studilein gehen in den Hörsaal rein, den einen ha’m se plattgequetscht, da waren’s nur noch neun“.(26)
Von den Transparenten und Sprüchen ganz zu schweigen, kann man sich nur angewidert abwenden, ob so viel „studentischer Einheit, die sich mit allen möglichen Kräften dieser Gesellschaft verbündet“.(27) „Das deutsche Bürgertüm“ – wenn es das denn je gegeben haben soll – „ist solide, arbeitsam und rechtschaffen; politisch ist es nicht. Diese alte Erkenntnis findet gerade wieder ihre Bestätigung – pikanterweise bei ‘Streiks’ von Studierenden“, fohlockt Peter Glotz in Die Woche(28) und gibt damit eigentlich das Feindbild vor, über dessen Ermangelung reflektierende Linke sich nicht beklagen müssen.
Über eine blödsinnige Medienkonstruktion wie „Patchwork-Jugend“, „Patchwork-Biografien“, „Patchwork-Generation“ oder „Patchwork-Verhalten“, die laut Spiegel das Charakteristische an heutigen Studenten seien, brauchen wir an dieser Stelle nicht zu reden. Darüber können sich meinetwegen Journalistik-Studenten mit dem Karriere-Traum vom Spiegel-Redakteur die nötigen Scheine erpuckeln.
Worum es – wennschon – gehen muß, verrät uns leider auch der alte Jean Paul Sartre nicht mehr, der einstmals „der herrschenden Macht eine Gegenmacht engegensetzen“ wollte, wenn „die Revolution eine Chance“ haben soll.(29) Sartre verstand sich damals als Widerpart zu Herbert Marcuse, den er ob seines „revolutionären Pessimismus den Boden“ entziehen wollte. Denn Marcuse galt damals als Vorreiter neu entdeckter revolutionärer Subjekte – von Studenten, Arbeitslosen und anderen sozialen Minderheiten.(30) Aus der „bequemen Knechtschaft“, der vollendeten Einbindung der Arbeiterklasse in die „Konsumgesellschaften“, leitete Marcuse die Unmöglichkeit ab, daß das traditionelle Arbeiter-Subjekt die Revolution herbeiführen würde. Er sprach davon, daß es „in diesen (Konsum)-Gesellschaften nie mehr eine Revolution geben wird“ (Sartre), ohne sich gleichzeitig vom Festhalten am Antagonismus von Kapital und Arbeit zu verabschieden.
Interessant ist die Frage, inwieweit sich aus dieser theoretischen Vorarbeit heute ablesen läßt, wie die neue Subjektkonstitution dem Einfordern von Partikularinteressen Vorschub geleistet hat – durchaus gipfelnd in praktizierter pc – jenseits des europäischen Kontinentes, in den Staaten. Zieht man einen der 68er Schlüsseltexte hinzu, den Max Horkheimer, Erich Fromm und Herbert Marcuse in ihre „Studien über Autorität und Familie“(31) veröffentlichten und der bereits 1935 in Paris entstand, ergibt sich ein durchaus interessantes Charakerstikum der Studentenproteste von 1997 in Deutschland. „Die unerlässliche Voraussetzung der Autorität“, so schreiben sie, „ist die Macht ihrer Träger. Das Individuum muß sich von ihnen Schutz und Sicherheit versprechen können, gleichzeitig sie aber so fürchten, daß es jeden Widerstand vergißt. Eine primitive Logik zwingt den kleinen Mann zu dem Schluß, daß die Autorität, wenn sie ihm ähnlich wäre, unmöglich die Stärke und Sicherheit aufweisen könnte, die ihm so sehr imponiert. So muß die Autorität für natürlich und deshalb für notwendig gehalten werden“. Keinen Moment kann es Zweifel daran geben, daß der Studentenprotest sich auch nur im kleinsten von einer Obrigkeitsgläubigkeit lösen konnte. Vielmehr trifft genau das zu, was Horkheimer, Fromm und Marcuse als Fall karrieristischer Leiterbesteigung so formulieren: „Die Bewunderung und Verehrung für die Autorität steht im Dienste der Aufgabe, der verehrten Autorität immer ähnlicher zu werden. Die Autorität tendiert hier dazu, sich selbst aufzuheben“.
Halten wir also fest: Die gegenseitige Umarmung von Studis, Profs und Politikern ist der Ausdruck davon, daß alle in einem hierarchisierten devoten Verständnis von Protest die „da oben“ als Adressaten anerkennen, ohne auch nur im geringsten etwas in Frage zu stellen.
studenten mit banner, 9.0k
„karrieregeile Selbstverwirklicher“
Noch 1953 glaubte Max Horkheimer im Gegensatz zu der von ihm vertretenen Kritischen Theorie und der dort analysierten Totalität der Verhältnisse an eine Form von Freiheit, die an den Universitäten möglich sei. Auf der Immatrikulationsfeier der Frankfurter Uni am 11. Mai sagte er: „Die Universität ist einer der wenigen Orte in der heutigen Gesellschaft, in der, wenn sie sich ihrer Aufgaben recht bewußt ist, Freiheit eingeübt werden kann“.(32) Er verband damit das Stückchen Hoffnung auf eine nichtdurchdrungene Institution der bürgerlichen Gesellschaft, die die Revolte von ‘68 ebensowenig durchsetzen konnte wie die Proteste in den Siebzigern. Zumindest in der letzgenannten Zeit jedoch setzte sich in einigen linken Kreisen endlich durch, was zum Allgemeinplatz einer Linken gehören sollte: „Der politische Charakter von Wissenschaft und Ausbildung in den Hochschulen war durch die kapitalistische Gesellschaft schon immer ebenso bestimmt wie konkrete Studieninhalte, deren universitäre Vermittlungsformen und ihre einzelnen repressiven Ausformungen.“(33) (Der gesamte Text ist im Anschluß hier im Heft nachgedruckt.) Bereits 1975 schrieb die Ikone der Autonomen, Karl Heinz Roth: „Die Faulenzerei, das Geldschmarotzen – freilich nicht von anderen, sondern von der Staatskasse, möglichst geräuschvoll – und überhaupt die Verweigerung jeglicher Art von Disziplin und Arbeitsmoral werden endlich auch für die Studenten zu Erweisen besonders gediegenen revolutionären Verhaltens, wenn nicht gar zur Pflicht.“(34) Daran hat sich bis heute nichts geändert, außer, daß diese Position heute noch viel isolierter als damals ist. Die Universität zu zerstören, sie als „Großbetriebe“ (Der Spiegel) völlig unbrauchbar zu machen, und somit die Vernutzung des dort verbildeten Menschenmaterials zu verhindern, das und nichts anderes kann die Minmalforderung eines linken Standpunktes nur sein. „Die Zeiten, in denen bürgerliche Wissenschaft – oder auch die ‘linke’, die nach derselben Methode verfuhr – noch positive Perspektiven (in Form von Utopien o.ä.) bereitstellen konnte, sind wohl endgültig vorbei. Dennoch kann das Wissen eine gewisse Subversivkraft entwickeln, aber nur, wenn es der Ordnung des Diskurses entrissen wird. Dies ist zunächst nur als Destruktion vorstellbar. Der gesamte Wissenschaftsbetrieb muß durcheinandergerüttelt und in Unordnung gebracht werden!“(35) Das wurde so 1978 zu Papier gebracht und hat nichts an verweifelter Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil. Die Pächter der Subversion als Vertragspartner der Warengesellschaft, die Macher der Zeitung „für Popkultur“ namens SPEX, boten ihren Jüngern vor einiger Zeit in einem Sonderteil die Hilfskrücke, ihr Studium doch als Studium „gegen die Uni“ zu verstehen. Mit Sicherheit haben dies viele aus der Leserschaft für ernst befunden und sich ebenso begeistert wie auf die SPEX in die „kreativen“ Proteste für mehr Geld im Herbst diesen Jahres gestürzt. Das Protestpotential gibt sich dabei gerechterweise unbewußt die Blöße unbegrenzter Dummheit. Denn schon vor der Gründung der SPEX, nämlich 1978, stand fest: „In Zukunft sind die Analytiker auf der Straße. Ihr klarer Verstand ist nicht ihre einzige Waffe. Ihr Denken läuft nicht mehr Gefahr, von der falschen Wirklichkeit der Götter oder der falschen Wirklichkeit der Technokraten eingefangen zu werden.“(36) Deshalb: Um jede Uni eine Bannmeile für Linke! Solange, bis wir den Großangriff starten und die Unis unter uns begraben!


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[40][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007