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Hoch-Kultur, 1.6k

Disposable Teens


Schmunzelnd wie sonst nie nach einem Besuch in der Hauptstadt der Verrückten fuhr ich aus Berlin ab, Grund war ein Flyer.



    „Raus aus der Scheiße und rein in den Rock.“
    (AAB – Antifaschistische Aktion Berlin, Motto des Konzertes am Vorabend des 1.Mai)

    „rock is deader than dead“
    (Brian Warner, Rockstar)

Erster Mai, Berlin-Kreuzberg: Der Geruch von Freiheit liegt schwer in der Luft inmitten dieser unwirklichen Geräuschkulisse. Brennende Autos, geplünderte Läden und jede Menge Alkohol. Rock eben, Protest und viel Spaß. Klingt wie eine gute Party, soll aber eigentlich keine sein (Wenn man denn den verschiedenen Aufrufen zu diesen alljährlichen Festspielen der KrawalltouristInnen Glauben schenken möchte.), sondern eher Revolte und so. Junge Menschen kommen zusammen, lernen sich kennen, schmeißen ein paar Steine und fahren wieder nach Hause. Diese Prozession erfreut sich seit einigen Jahren großer Beliebtheit bei Jugendlichen aus dem gesamten Bundesgebiet, so auch bei mir. Doch dieses Jahr sollte etwas außergewöhnliches geschehen. Der Tag neigte sich seinem Ende zu, es war auf dem geschichtsträchtigen Rosa-Luxemburg-Platz, und die „Revolutionäre 1. Mai Demo“ (die Anführungstriche sind nicht im Sinne eines Zitats zu verstehen) setzte sich langsam in Bewegung. Plötzlich haftete mein Blick auf dem Asphalt. Ansprechende Farben, schickes Layout und im Pop-Stil gehalten. Dieser Flyer konnte unmöglich von irgendeiner linken Gruppe stammen. Nachdem ich ihn aufhob und gelesen hatte wußte ich, dass nichts anderes was ich an diesem Abend noch erleben würde dies übertreffen könnte. Zum besseren Verständnis und weil sich Gefühle so schwer in Worte fassen lassen, soll im folgenden der Flyer zitiert werden. Zentrum des Blickes jeweils eine weibliche und männliche Figur mit Stein in der Hand im Pop-Stil gezeichnet. Die einzelnen Überschriften sind auch im Original vorhanden.

innovate, 27.1k fight for your right to innovate!
eine Initiative der mediaXwork.net
Come to where the Flavor is...
mediaXwork.net unterstützt den anarchischen Spaß am 1.Mai in Berlin!

Kreuzberg-Friedrichshain – The Wild Thing
Ganz bewußt hat sich unser Team für den Standort Kreuzberg-Friedrichshain entschieden. MediaXwork.net will dort sein, wo noch Freiräume erkämpft werden können, wo der kreative Underground des Westens mit dem neuen Osten zusammenwächst. Uns reizen die Ausnahmezustände und die Brüche, wir wollen Querdenker, deshalb sind wir dabei, am 1.Mai in Berlin!

May 1 – Festival of Radical Ideas
Berlin-Kreuzberg ist weltweit Sinnbild für positive Energien. Uns zieht es dahin, wo Szenen noch eigene Räume erobern, wo noch nicht alles durchgeplant und ausgebaut ist. Wir brauchen local heroes für die globale Herausforderung. Ohne die Schule der Straße stünde Deutschland nicht da, wo es heute steht.

Young Urbans for a New Economy
Wir stehen auf Individualisten, auf Typen mit Ecken und Kanten, die authentisch sind und nicht jedes Wort abwägen. Wir sind an Leuten interessiert, die aktiv und selbstbewußt ihr Leben in die Hand nehmen und für eine gemeinsame Sache, ein gemeinsames Ziel einstehen können.

Street Fight – Assessment for Flexibility
Wir suchen den Bezug zur Straße, die Verbindung zum Underground – positive Aggression ist das Schlüsselwort. Es geht um die Umsetzung natürlicher Energien in wirtschaftliche und kulturelle Leistung. Wer das Risiko liebt, ist vor allem wild auf’s Glück. Street-smartness ist gefragt: Wer die Nase vorn hat, kann den Ball flach halten.

Feel the Pain – Work it out!
Wir brauchen toughe Jungs und Mädchen, die fit sind, die sich wohl fühlen in ihrer Haut und die auch mal mit dem Kopf durch die Wand wollen, wenn’s drauf ankommt. Nur mit euch können wir den Mainstream verändern. Wir wollen clevere Teamdenker, die ihr aggressives Potential positiv zu nutzen wissen und mit Köpfchen kombinieren. Leute, die Muskeln spielen lassen, die aber auch kapieren, wann es genug ist, wann man stop sagen muß.

Cooperate – Enjoy Yourself!
Mit verkrusteten Strukturen haben auch wir nichts am Hut – wir setzen auf Flexibilität, Weltoffenheit und Risikobereitschaft. [Achtung, jetzt kommt das Sahnehäubchen. – S.] Das Leben fängt nicht erst nach der Arbeit an. Work is pleasure – Work is living your life in a creative way. Der Schlüssel dazu: Mut zum Extrem und Empowerment. Die Perspektiven liegen auf der Straße – bedient euch!

Cross the Border – Feel your Neighbour!
In Kreuzberg am 1. Mai beweist die Jugend dieses Landes, dass sie vorwärts schaut, dass sie mithalten kann und schon weiß, wo ihre Grenzen sind. Positive Aggressivität, Risikobereitschaft und Kampfgeist, aber auch der verinnerlichte Respekt vor dem Eigentum zeichnet sie aus. Zerbrochene Scheiben, aber keine Bereicherung auf Kosten anderer. Sie nimmt sich nicht blindlings, was sie kriegen kann.
Uns beflügelt euer Einsatz.

Füll den Fragebogen aus!
Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Ausbildung, Herkunft – das interessiert uns alles nicht. Bist du ein Winner-Typ? – das ist das Entscheidende!

Warst du beim Schulfest einer der Hauptorganisatoren oder hast du dir einen ruhigen Job im Hintergrund gesucht?
a.) Ich war immer vorne mit dabei
b.) Ich war für die Finanzen zuständig und habe die Fäden gezogen
c.) In sowas Unwichtiges habe ich nie Zeit investiert

Bist du in der Lage dich sowohl auf einem crusty-Punk-Konzert als auch in einem schicken Club wohlzufühlen?
a.) Man muss immer up to date sein
b.) Ich lasse mich nicht in Schubladen packen
d.) Ich geh’ nie weg – zuviel zu tun

Kannst du dein Bier mit dem Feuerzeug öffnen oder mixt du dir lieber einen Mojito?
a.) Was ist ein Mojito?
b.) Was für ein Bier?
c.) Ich bin Nichtraucher

Respektierst du das Eigentum anderer Menschen und Völker?
a.) Auf jeden Fall
b.) Kommt drauf an
c.) Mir egal

Hast du schon mal gegen das System rebelliert?
a.) Schon immer
b.) Manchmal
c.) Wieso?

Bist du gern mit deinesgleichen zusammen?
a.) Eigentlich schon
b.) Gemischt
c.) Find ich langweilig

Trägst du Hosen der Marke Carharrt? [Ist im Original auch falsch geschrieben. – S.]
a.) Klar
b.) Ich trage Röcke
c.) Ich bin Individualist

Deine E-Mail:
Gib den ausgefüllten Fragebogen bei unseren Assessment-Managern ab. Du wirst demnächst von uns hören. Lukrative Quereinsteiger-Jobs in Berlins neuem Media Network warten auf dich!

Was soll dazu noch gesagt werden, was nicht schon im Flyer selbst steht. Hätte die Antifa früher mal so coole Flyer gemacht, dann wäre sie den Idealen der Aufklärung schon ein Stück näher gerückt oder auch nicht, aber das ist eh nicht so einfach wie es scheint. Letztendlich jedoch können hier alle verzweifelten und „trotz alledem“ noch motivierten Bewegungslinken, zum Glück, eine neue Heimat finden.
Leute, der Mainstream, hier könnt ihr den Mainstream verändern und das wollt ihr doch eigentlich. Also los, Rucksack geschnürt und auf nach Berlin, die Welt verändern oder auch erstmal nur Deutschland. In jedem Falle können dort wahrlich neue Erfahrungen gesammelt werden, was Populärkultur anbelangt, von der die Linke soviel Ahnung hat, wie die Assassment-Manager vom Mollibau. Wenn man dann erst mal neue Denkanstöße bekommen und Gemeinsmkeiten gefunden hat, kann man sich ja abwechseln.
Die New Economy Genies übernehmen mal für ein paar Monate die ganzen Anti-Fa/Ra/Atom/Sexismus, etc. -Gruppen und die erfahrenen Linken können sich in der „Neuen Marktwirtschaft“ (Gerhard Schröder) mal so richtig austoben. Das wäre für beide Seiten ein unglaublicher Selbsterfahrungstrip und Gewinn. Wie dem auch sei, bis zum nächsten ersten Mai, wenn es wieder heißt:

Randalieren ist kreativ!
Wir sind ökonomisch wie kulturell unverzichtbar!
Gegen die Kriminalisierung des Hooliganismus am 1. Mai!

Das wäre mal was.
Schlaubi

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last modified: 28.3.2007