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Fünf für Leipzig!

… oder warum Kulturleute nicht streiken können

Die Leipziger „Freie Szene“ – der lose Zusammenschluss von Soziokultur, Theater, Literatur und Musikprojekten und Häusern ohne klassisch kommunale Trägerschaft – will mehr Geld. Ein durchaus berechtigtes Anliegen. Seit fast einem Jahr haben sich die Kulturniks der Stadt zwischen die Mühlen der Kommunalpolitik- und Stadtverwaltung begeben, machen Lobbyarbeit für die Aufstockung des Kulturetats, empörten sich über den laxen Umgang mit der Knete der Oper und setzten Gott und die Welt in Bewegung, um Leipzig als attraktiven Kulturstandort on top zu halten.
Selbst der Zieher des „Weißen Januars“ – die „Initiative Leipzig Plus Kultur“ – wurde wieder ins Leben gerufen. Zur Erinnerung: Im Januar 2002 drohte ebenfalls eine rabiate Kürzung des Kulturetats, damals schlossen sich an die vierzig Institutionen der Leipziger Kulturszene – von der naTo und der Akademie der Künste über die Schaubühne Lindenfels und die Leipziger Cammerspiele bis zum Conne Island und der Moritzbastei – obwohl teilweise spinnefeind, zusammen, um zum einen für mehr Geld und einen stabilem Fördergrundsockel zu protestieren, zum anderen, um die Förderstrukturen an sich zu reformieren. Mit viel Wut im Bauch einigte man sich kulturintern immerhin auf einen Streik. Selbst im Conne Island konnte man, wenn auch schmunzelnd, der sozialrevolutionären Arbeiterkampfromantik etwas abgewinnen. Was anfangs auch wirklich durchgezogen wurde – die Freie Szene spielte im kompletten Januar nicht mit im Leipziger Kulturleben und gewann damit durchaus einiges an Aufmerksamkeit – wurde letztlich durch falsch verstandene Demokratiepartizipation totgeredet. Die Gesprächsangebote der Politik, die unsägliche, weil weniger als nichts-bedeutende Kultur der „Runden Tische“ und ein Haufen Naivität seitens der Kulturschaffenden ließen jede kämpferische Attitüde ins Leere laufen. Am Ende blieben leere Versprechungen, haufenweise.
Die Situation heute ist mit der Anfang 2002 nicht zu vergleichen. Sie ist 2008 um einiges prekärer. Jenseits absoluter Zahlen betrug damals der Anteil der Förderung für die „Freien“ immerhin an die drei Prozent, heute gerade mal 1,8 von den Hundert des Gesamtetats im Kulturbereich. Das wenige Geld, was da ist, wird in die Existenzsicherung bestehender Initiativen und Häuser gesteckt, für temporäre Projektförderung sind unter diesen Umständen keine Finanzmittel zu bekommen. Auf den darüber hinaus bestehenden Zustand des ständigen Improvisierens im Kulturalltag, der Selbstausbeutung der Beteiligten und des immer eleganteren Kaschierens der wachsenden Finanzlöcher sei hier nur nebenbei verwiesen. Selbst die LVZ ließ sich unter diesen widrigen Umständen bereitwillig vor den Argumentationskarren der Initiative spannen und berichtet mittlerweile unaufgefordert und wöchentlich, fast ambitioniert.
Wenngleich es so aussieht, als hätte die Kommunalpolitik die Zeichen der Zeit erkannt – Mitte Januar wird ein interfraktioneller Antrag die schrittweise Erhöhung des Etats für die „Freie Szene“ von anfangs 2,5 bis später immerhin 5 Prozent einbringen – so kann jetzt schon getrost gesagt werden, das eine prinzipielle Umstrukturierung der Kulturförderpolitik auch dieses Mal gescheitert ist. Die Gründe dafür sind hausgemacht. Sie liegen zum einen im obrigkeitsstattlichen und unkritischen Denken und Handeln der KulturmacherInnen, das sich am augenscheinlichsten in neidvollen Vergleichen der Etats von Oper, Gewandhaus und Schauspiel manifestiert, zum anderen im Unvermögen, Protest, der diesen Namen auch verdient, zu organisieren. Es ist bitter, wenngleich bezeichnend, wenn ein „Kulturfriedhof“, der von Rathaussitzung zu Rathaussitzung kreuzzugmäßig geschleppt wird und in dem teilweise „ungeborene Kinder“ die noch zu erwartenden Kulturstilllegungen symbolisieren sollen, das who is who des Protestes ist. Hier vermischt sich gewollte, nicht gekonnte symbolische Politik mit hyperkreativem Aktionismus und einem Schuss Zonenkomplex. Am Ende wenig Gutes.
Als viel problematischer erweist sich aber das Ausblenden des gesellschaftlichen Kontexts. Ohne Diskussion begeben sich die „Kulturkämpfer“ von vornherein auf die Ebene der Realpolitik. Lassen sich bereits in ihrem selbstgewählten Slogan „Fünf für Leipzig“ – gemeint und gefordert sind die besagten fünf Prozent des Kulturetats – auf der Ebene der Werbestrategen denn auf der der Kulturrevolutionäre nieder. Barg der „Weiße Januar“ noch leichte Querverweise zur GDL – immerhin wurde Leipzig symbolisch bestreikt – so schielt man heute eher auf den Posten des demnächst zu vergebenden Kulturdezernenten. Nicht genug, dass man selbst immer und immer wieder betont, wie wichtig – als weicher Standortfaktor – die freie Kulturszene sei und damit gnadenlos vom eigenen inhaltlichen Tun und Schaffen, somit der eigentlichen Stärke, ablenkt. Im Namen der derzeitigen Kampagne bedeutet das Kulturbündnis vor allem eines: Identitätsstiftung für eine Stadt zu sein. Kein Ökonom oder Kommunikationsspezialist hätte hier mehr Punkte für die Kommune sammeln können. Mit „Fünf für Leipzig“ aber symbolisiert man vielleicht auch das, was man gerne selber sein möchte: „Der kreative Ausgangshumus“ und das „innovative Milieu“, welches das Image und Klima des urbanen Raumes mindestens so entscheidend prägt wie die Ansiedlung von Großkonzernen auf den grünen Wiesen vor Leipzig.
Es bleibt abzuwarten, wie das Rennen ausgeht. Das Conne Island wird auch weiterhin die Forderung nach mehr Geld für die „Freie Szene“ mit Nachdruck unterstützen, sich an den Aktionen, Gesprächen und Diskussionen der „Initiative Leipzig Plus Kultur“ beteiligen. Selbst für notorische Hasser von Lokalpolitik liegt hier einiges an Spannung in der Luft.
Und spannend werden die kommenden Kulturförderrunden allemal: Das Ariowitsch-Haus und die neue Begegnungsstätte der Jüdischen Gemeinde partizipieren demnächst auch – und endlich – vom Kulturtopf. Bereits jetzt regt sich leiser Unmut über etwaige „unproportionale Verteilungsschlüssel“.

Lars


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last modified: 22.1.2008