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Quo vadis,
Conne Island?


Das Conne Island in Klausur – der obligatorische Kretzschau Bericht

Und wo geht's hier nach Kretzschau?, 57.1k Unter den Vorzeichen einer krisengeschüttelte Saison – das Finanzamtsproblem um die Gemeinnützigkeit strapazierte nicht nur unsere und eure Nerven, sondern belastete neben einigen hausgemachten Problemen auch die ökonomische Standfestigkeit des Ladens – war die Zeit wohl nie reifer für das jährliche Arbeits- und Diskussionswochenende im idyllischen Örtchen zwischen Naumburg und Zeitz als Mitte Juli diesen Jahres.
Die Zeichen standen nicht besonders gut, am Ende lief natürlich alles friedlich ab, geklärt wurde einiges, klar ausgesprochen vielleicht zu wenig. „Hat sich das Conne Island in den Verhältnissen eingerichtet oder ist gerade nichts zu holen“ – das war die Frage, die sich der Laden ein Jahr zuvor stellte. Doppelt „Ja“ möchte man meinen. Noch nie war der Projekt Verein e.V. stärker von ökonomischen Entwicklungen und den Realitäten, die ein kommunal gefördertes soziokulturelles Zentrum so mit sich bringt, abhängig. Gleichzeitig scheint das Label Conne Island Garant zu sein, um auch über coole Konzerte und Veranstaltungen hinaus im Gespräch, Diskurs und Streit zu bleiben. Die politischen Entwicklungen seit dem 11. September und dem Irak-Krieg fanden sich in ihren Reaktionen auch in der Kulturlandschaft wieder, bisweilen allerdings so krude und regressiv, dass wir förmlich – nicht zu jedermanns Freude – zu Erwiderungen und bisweilen Intervention gedrängt wurden. Angesichts unserer kulturpolitischen Artikulation kann von Sprachlosigkeit und einen bequemen „Platz nehmen in den Verhältnissen“ daher eigentlich keine Rede sein.

Popkulturelle Ohnmacht

Die Bilanzierung der kulturellen Entwicklung seitens des Ladens steht seit jeher unter einem ungünstigen Stern. Da gibt es auf der einen Seite die Überreste einer desillusionierten „Poplinken“ und deren Versuche, ästhetische Produktion, linke Bandkonzepte, im- und explicite Lyrics in eine spezifische gesellschafts-kritisierende Praxis zu verpacken. „Subversionsmodell Pop“ nannte man dies einst stolz. Dass dieses Anliegen innerhalb einer kulturindustriellen Dynamik mitsamt seinen endkonsequenten Darstellungen – Stichwort „Mainstream der Minderheiten“ – nicht mehr über Distinktionsgewinn oder bloße Affirmation hinauskommt, hat eine Lücke entstehen lassen, die es zu füllen gilt. Die Frage ist: Wie? Abgrenzung, Aufgabe, Weitermachen? Die Versuche, popkulturelle Diskurse wieder anzuschieben, gelangen nur halbherzig. Einer Beteiligung an der Leipziger Musikmesse PopUp verwehrten wir uns mit der Begründung, nicht das kritische Feigenblatt eines neuen, völlig verrückten Independentansatzes sein zu wollen. Interventionspotential gäbe es genug: Die Deutschpop-Fraktion gehört genauso aufgemischt wie die immer populärer werdende Battlerap-HipHop-Szenerie, die an sexistischer und homophober Artikulation momentan nicht zu überbieten ist und dieses Jahr den Titel „Regressivste Jugendkultur“ erhält.
Auf der anderen Seite gab und gibt es, natürlich immer in einer der Situation angepassten Form, ein sub- und popkulturellen Impuls, sei er von Spaß- oder Kulturbegeisterung geleitet. Da wurden Projekte und Veranstaltungen aus dem Boden gestampft, neue Leute eingebunden und Lieblingsbands rangekarrt. Manchmal zugegebenermaßen unter Ausblendung ökonomischer Gesichtspunkte. Die subkulturelle Szeneanbindung litt trotzdem an einigen Stellen. Der de-facto Wegfall von Ska-Konzerten im Conne Island hat den Skinheads lange Haare wachsen lassen.
Die an die anfängliche Analyse anschließende Feststellung, dass wir unsere lange innegehabte kulturelle Hegemonie in einigen Sparten, teilweise unbemerkt, verloren geben mussten, ist deshalb nur logisch. Wo die Energie und den Enthusiasmus hernehmen, wenn die einstigen „Ideale“ im Schwinden begriffen sind? Neidlos ist deshalb zu konstatieren, dass manch anderer Laden mittlerweile bezogen auf einzelne Sparten profilierter und exklusiver da steht.

Kulturpolitische Grenzerfahrungen

Scheinbar noch nie zuvor äußerte sich das Conne Island dermaßen explizit politisch wie in den vergangenen anderthalb Jahren. Selten war parallel zur kulturpolitischen Artikulation die Ablehnung und das Unverständnis eines nicht unerheblichen Teiles unseres Publikums und Umfeldes größer. Ein Szenario, das zumindest in seiner zuletzt genannten Konsequenz den Laden vor ein wirtschaftliches Problem stellte: „Ändert erst mal eure Außenwirkung“ war der wohl meist gehörte, wenn auch noch recht harmlose Satz an den Tresen der Südmeile, wenn es um die schwindende Resonanz beim Publikum ging. Gemeint waren damit in der Regel unsere formulierten Standpunkte zum kulturellen Antiamerikanismus, zu antisemitischen Codes und Symbolen sowie unsere vermuteten Meinungen zum Irak-Krieg und Nahost-Konflikt.(1) Ein körperlicher Angriff samt Boykottaufruf gegenüber den Anhängern des Roten Stern Leipzig bei der Antira-WM in Italien mit dem Verweis auf deren Umfeld im Conne Island oder der Farbbeutelbeschuss des Conne Island-Graffitis im Anschluss an eine Friedensdemonstration zeigen andere – für uns nicht-akzeptable Seiten – Seiten dieses „Unverständnisses“. Dass solche forschen Reaktionen nicht ganz ungeschoren an den Betreiberinnen und Betreibern vorübergehen, blieb nicht aus, äußerte sich allerdings zunehmend diffus – von „Zurücknehmen“ über „Weitermachen“ bis „besser vermitteln“ reichten die Umgangsvarianten.
In Kretzschau wurde das Thema differenziert angegangen. Die Frage, inwiefern die politische Wahrnehmung des Ladens über seiner kulturellen steht, wurde klar beantwortet. Der Umgang einer politischen Bestimmung des Kulturellen hat nach wie vor Bestand und steht nicht zur Debatte. Dass dieser Umgang gelegentlich vage und inkonsequent wirkt und in der Regel am jeweils besonderen Fall „ausgehandelt“ wird, ist ebenso nichts neues.
Es kann keinem verborgen geblieben sein, dass sich die politische Situation in der Leipziger „Szene“ – und nicht nur da – seit dem Aufstand der Anständigen verändert hat. Nach dem Ende der Antifabewegung, über die sich das Conne Island sowohl nach außen als nach Innen definierte, brach ein enormer Integrationsmoment weg. Der Wegfall einer aktionistischen Plattform voller „unity“, an dessen Stelle berechtigterweise, für manche dennoch unverständlich, die Kritik der Politik und politischen Ökonomie, die Beschäftigung mit Antisemitismus oder den modernen Formen deutscher Geschichts- und Vergangenheitspolitik einen festen Platz einnahm, hat mehr Spaltprodukte hinterlassen, als man zählen kann. Die mit Vehemenz ausgetragenen Debatten hinterlassen dabei notwendigerweise ihre Spuren.
Vor diesem Hintergrund und dem Fakt, dass die Gruppen, mit denen das Conne Island seit Jahren zusammenarbeitet, innerhalb des Ladens auch einen inhaltlichen Input hinterließen, sind die kulturpolitischen „Brennpunkte“, denen sich das Conne Island widmete, nicht ungewöhnlich. Dass das sog. Palituch, so es tatsächlich aus inhaltlicher Überzeugung getragen wird, ein Symbol für antisemitischen Gesinnung ist und vermutlich niemals etwas mit „emanzipatorischen“ Werten zu tun hatte, haben mittlerweile die meisten unsere Gäste, wenn auch mit dem Hinweis auf fehlende Toleranz, akzeptiert. Dass Mia’s deutschtümelnder Backlash und die vom Laden initiierte Debatte samt Konzertabsage kein Strohfeuer war, sondern „richtungsweisend“, zeigen nicht nur Heppner und van Dijk, sondern eine ganze Generation deutscher Popsternchen voller volksdeutscher Naivität. Weder die „Frankfurter Rundschau“ noch die wichtigsten Bands, Agenturen und Labels kamen an der Position des Conne Islands vorbei. Unser Publikum fand es letztlich auch okay. Der aktuelle verbale Arschtritt Blumfelds an die Virginia Jetzts dieser Welt erfreut und bestärkt daher auch uns.
Prekär und übrig bleibt also das „Antiamerikanismus-Papier“ des Ladens zuzüglich Absage der Uraltpunks von RubberSlime, die, anstatt des Revivals willen nur ihre in die Jahre gekommenen Hits zu spielen, im einzig neuen Text in den USA die neuen Nazis verorten („USA-SS-SA“). In diesem Papier stand, dass wir die antiamerikanischen Ressentiments seitens einiger Bands nicht mehr ertragen können, dass wir den deutschen Friedenambitionen nicht glauben und das wir die Schuldzuweisung, Amerika sei für das Übel der Welt verantwortlich, als strukturell antisemitisch betrachten. Als Aufhänger diente der seit über zehn Jahren existierende positive Bezug auf das angloamerikanische popculture-Modell. Gelesen wurde der Text in der Regel anders, meistens falsch, im schlimmsten Falle verschwörungstheoretisch.
Auch wenn wir am Einzelfall – so zumindest der Tenor in Kretzschau – unser Anliegen nicht immer so vermitteln konnten, wie wir es gerne wollten, sind wir von der Richtigkeit einer klaren anti-antiamerikanischen Positionierung, die bisweilen die engen Grenzen des Mikrokosmos Pop durchbricht, überzeugt. Die teilweise negativen und unverständlichen Reaktionen, ein unausgesprochener Boykot gegenüber der „Ladenpolitik“ sowie der dumm-dreiste Aufschrei nach „Zensur“ in „Kreuzer“ und „LVZ“ lassen uns eher bestärkt heraustreten. Die Realität, in der uns anstelle von guten Gegenargumenten in der Mehrzahl das pure Ressentiment und ein tobender Wutausbruch gegen das „amerikanische System“ entgegen kam, deutet zusätzlich darauf hin, dass es sich nicht um ein reines Vermittlungs- und/oder Formproblem handelte. Traurig müssen wir diesbezüglich als Laden konstatieren, dass eine gegenseitige Annäherung insofern nicht möglich ist, dass in vielen Fällen das Ressentiment gegen Amerika eben dieser im Wege steht.
Die „Rolle“ und Entwicklung des CEE IEHs wurde im Kontext der Außenwirkungsdiskussion mehrfach angesprochen, konnte jedoch noch nicht mit einem Ergebnis zuende diskutiert werden. Dass das CEE IEH als Conne Island-Zentralorgan wahrgenommen wird, dessen Inhalte jedoch weitaus vielfältigere Meinungsspektren aus dem kompletten Umfeld des Ladens abdecken – dies jedoch zu einseitig – war einer von mehreren Kritikpunkten an Laden und Redaktion, die vielen komplizierten Nebensätze sowie die schwindende Anbindung an die kulturelle Leserschaft ein anderes. Die Diskussion um mögliche konzeptionelle Änderungen konnte im beschaulichen Kretschau jedoch nicht zu Ende geführt werden, wir bleiben dran.

„Das liebe Geld“

Die meistens wissen es: auch das Conne Island ist an ökonomische Realitäten gebunden. Die Kürzungen und Einfrierungen kultureller Bezuschussung sind auch hier nicht spurlos vorbeigegangen. Der Stress mit dem Finanzamt um den Status der Antifa-Mark und, damit verbunden, der Gemeinnützigkeit des Ladens, lässt noch viele finanzielle Ungewissheiten offen.
Der Abbau sozialstaatlicher Standards, der Zwang zur Arbeit und die Kürzungen sozialstaatlicher Leistungen haben auch unser Publikum gewissermaßen „eingeschränkt“. Ganz im Sinne der Bundesregierung könnte man das Dilemma mit der drohenden und wenig analytischen Floskel „wir leben über unsere Verhältnisse“ umschreiben.
Der „soziale Anspruch“ im Sinne einer fairen Preisgestaltung kennzeichnet seit Jahren das Profil des Ladens. Nur der Versuch, über die Erhöhung der Bierpreise zu reden, kam in der Regel einer „Konterrevolution“ gleich und wurde mit sofortiger Kündigung geahndet. Diese Zeiten sind vorbei: Wir müssen die auf allen Ebenen gestiegenen Kosten an unser Publikum weitergeben. Bier und einige andere Getränke werden demnach in der kommenden Saison zwanzig Prozent mehr kosten.
Ebenso heruntergeschraubt wird der „ideelle Faktor" in der Kostenplanung für Konzertveranstaltungen. Mach- und Durchführbar sind somit nur noch Konzerte, die zumindest eine wirtschaftliche Sinnhaftigkeit versprechen – so etwas wie ein einkalkuliertes Minus aufgrund kultureller Einzigartig- und Hochwertigkeit wird es in dieser Form nur noch in Ausnahmefällen geben.

Alles beim alten?

Mitnichten. Der Generationskonflikt brach zwar das ein oder andere mal zuwenig aus, der diesbezügliche Stellenwechsel wird perspektivisch trotzdem weiter voranschreiten. Mittelfristig ist der Posten der Buchhaltung neu zu vergeben. Unsere langjährige und verdiente Finanzchefin hat es aufgegeben, das Conne Island in eine Goldgrube zu verwandeln. Die Linken haben eben keine Ahnung von Geld.
Was sonst? Fehlender Präsenz festangestellter Mitarbeiter und mangelndes Engagement bezüglich ihrer Arbeitspraxen wird demnächst mit autoritären Maßnahmen begegnet. Das Pop-Booking hat Großes vor und wird verlorengeglaubtes Terrain wieder holen. Der dialektisch anmutende Satz eines langjährigen Mitarbeiters „es geht nicht nach vorne, es geht nicht zurück, aber stehengeblieben sind wir auch nicht“ vermittelt dahingehend vermutlich das authentischste Bild des diesjährigen Rückblicks.

Fußnoten

(1) Zu eben diesen Themen hat sich das Conne Island niemals explizit positioniert. Hierfür ist das BetreiberInnenplenum viel zu heterogen zusammengesetzt.


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last modified: 28.3.2007