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Tomorrow-Café, 1.5k

Horkheimer, Adorno & Co


Ein Seminar zum Thema: Was ist kritische Theorie der Gesellschaft?


Um 1920 gab es im Wesentlichen nur zwei Hautrichtungen marxistischer Theoriebildung. Einmal den reformistischen und staatsfixierten der Soziademokratie und auf der anderen Seite die sehr bald straff organisierte Kaderpartei KPD, die für eine proletarische Diktatur und einer Industrie nach militärischem Vorbild eintrat.
Die große Leistung eines Umfeldes von Intellektuellen, die in dieser Zeit zu einer „Ersten marxistischen Arbeitswoche“ zusammenkamen, bestand darin, darauf rekurriert zu haben, dass eine Anknüpfung an Marx was anderes bedeuten muss – nämlich das Konzept einer kommunistische Gesellschaft anti-autoritär zu interpretieren.
Genau an diesen Ausgangspunkt soll sich in den Vorträgen der kritischen Theorie genähert werden. Dabei soll nicht „Kritische Theorie“ – als Label, unter welches bestimmte Artikel subsumiert werden - sondern vielmehr als „kritische Theorie“ betrachtet werden. Der Unterschied scheint banal, ist es aber nicht. In einem Falle haben wir unter einem Eigennamen einen Markenartikel gefasst (DIE Frankfurter Schule, DIE Kritische Theorie), im anderen eine Sammelbezeichnung für neue Formen von Theorie, die im Sinne von Marx kritisch sind – also die Perspektive einer Überwindung des Kapitalismus und den Beginn kommunistischer Kritik aufweisen. Das Problem ist folgendes. Als sich in den 20ern jene Gruppe bildete, die die marxistische Kritik weiter entwicklelte – also jene um Horkheimer – sprachen deren Begründer in Bezug auf die Marxsche Theorie von einer kritischen in Abgrenzung zu einer traditionellen Theorie. Also das, was Marx gemacht hatte und was sie fortführten (Radikalkritik des Bestehenden mit dem Ziel seiner Auflösung, Überwindung und Stillegung), nannten sie eine kritische Theorie. Der Ausdruck „Kritische Theorie“ (also mit grossem K, also als EIGENNAME) geht zurück auf die Habermas-Clique. Indem sie ihre Lehre als „Schule“ mit einem Eigennamen verkaufte, grenzten sie sie auch ausdrücklich von der marxschen Kritik ab. Will man heute wieder an eine tatsächlich kritische Theorie im Sinne „von Marx bis Horkheimer“ (Bolte) anschließen, so muss man darauf hinweisen, dass es sich dabei nicht um eine „Schule“ sondern um radikale Gesellschaftskritik handelt. (also kritisch als Adjektiv, also jene Theorie näher beschreibend als eine, die dem Bestehenden ans Leder will) Es geht also um eine kritische Theorie, die sich in Abgrenzung zu aller vorherigen Theorie, nicht damit beschäftigt, neutral die Gesellschaft zu analysieren, sondern an den untersuchten Gegenstand mit dem Interesse seiner Überwindung desselben herantritt. Das ist in den Grundzügen das Programm, welches Karl Marx im Kapital entfaltet (sozusagen die erste kritische Theorie) und welches für die spätere kritische Theorie zum zentralen Ausgangspunkt wurde.
Die Leistung dieser „zweiten Welle“ kritischer Theorie (also die erste nach Marx) bestand darin, die Kritik der Politischen Ökonomie in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu entfalten – auf dem Boden der marxschen Ökonomiekritik – namentlich in Bereich der Herausbildung des bürgerlichen Subjekts. Dazu wurden Äußerungen der Literatur, Musik und selbstverständlich die Psychologie in einer an Marx orientierten Darstellungsweise angeeignet.
Rosa Luxemburg sprach nach dem ersten Weltkrieg – also 1917 – davon, dass die Menschheit jetzt vor der Alternative zwischen „Sozialismus“ oder „Barbarei“ stünden. Also entweder, es gelingt, die kapitalistische Herrschaft zu beseitigen oder sie wird die Menschheit in den Untergang reißen. Damit rekurrierte sie auf Marx, der einer Überlieferung von Karl Kautsky gemäß mal beiläufig sinngemäß gesagt haben soll: Als Wissenschaftler kann ich analysieren, dass die Menschheit vor der Alternative zwischen Kommunismus oder ihrem selbst geschaffenen Untergang steht. Als Revolutionär gehe ich davon aus, dass der Kommunismus sich durchsetzen wird.
Soviel Optimismus war unter den Teilnehmenden der ersten marxistischen Arbeitswoche bald nicht mehr angesagt. Hier kommt der viel beschworene „Pessimismus der kritischen Theorie“ zur Betrachtung. Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus und Auschwitz sah die kritische Theorie Horkheimers und Adorno immer mehr von einer revolutionären Überwindung des Kapitalismus ab. Stattdessen wurde ein Festhalten an der bürgerlichen Ordnung propagiert, die sich bis zur Legitimierung des Vietnamkriegs steigerte. Dieser Pessimismus wird oft unzureichend auf die „großen Enttäuschungen“ zurückgeführt, die die Autoren der kritischen Theorie in ihrem Leben erfahren mussten – beispielsweise die Niederlage der Revolution 1918 in Deutschland, die Entwicklung des revolutionären Prozesses in Sowjet-Russland zum Stalin-Terror, die Kapitulation der deutschen Linken vor dem Nationalsozialismus und schließlich das Grauen der Shoah.
Knapp gesagt: sie wären also so enttäuscht gewesen und entwickelten daher eine Theorie der Aussichtslosigkeit. In unserer Veranstaltung soll hingegen der „Pessimismus der kritischen Theorie“ als bis heute bestehendes linkes Phänomen ernst genommen werden. Daher soll diesem Pessimismus innerhalb der kritischen Theorie nachgespürt und seine Richtigkeit überprüft werden. Er soll nicht als persönliche Marotte der Autoren, sondern aus dem theoretischen Ansatz der kritischen Theorie Horkheimers und Adornos – die sich in vielen Punkten als ein psychoanalytisch reflektierter Marxismus-Leninismus mit einem gehörigem Schluck Pessimismus erweist – selbst erklärt werden. Dabei geht es darum, auf die Schwachpunkte in der kritischen Theorie selbst hinzuweisen.

Sylvia und Martin

Vorgehensweise:
1) das Marxsche Kritikprogramm und die „zweite Welle“ einer kritischen Theorie in den 20er/ 30er Jahren
2) die Konzeption einer kritischen Gesellschaftstheorie
3) ML, Pessimismus oder (?) Bejahung des Bestehenden – die Schwankungen der kritischen Theorie

Literaturhinweise:
• Gerhard Bolte: Von Marx bis Horkheimer
• Norbert Trenkle: Gebrochene Negativität (in: Krisis 25)
• Institut für Sozialforschung: Soziologische Exkurse
• Th. W. Adorno: Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?
• Ders.: Marginalien zu Theorie und Praxis
• Max Horkheimer: Der Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie
• Leo Löwenthal: Mitmachen wollte ich nie – autobiographische Notizen

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last modified: 28.3.2007