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review corner Film, 1.4k

Der Pianist.

Der Pianist, 29.6k
Der Pianist, Roman Polanski, 2002
„Dies ist ein sehr wahrhaftiger Film (...) das Ghetto wirkt, als wäre es lebendig, als würde man heute durch seine Straßen gehen.“ (Marek Edelmann, letzter noch lebender Anführer des Warschauer Ghettoaufstandes)

Der neue Polanski ist ein Meisterwerk. Dieser Satz reicht aus, um die vorangegangenen zweieinhalb Stunden zu präzisieren. Doch er ist vielmehr als das, dieser bewegende Film. Er ist ein Teil der eigenen Geschichte des Regisseurs, an den er sich bisher nicht heranwagte. „Während der gesamten Dreharbeiten sprach er nie über seine eigene Vergangenheit, doch oft sah ich ihn weinen“, so eine der Schauspielerinnen. Er selbst erlebte als Kind das nahezu unbeschreibliche Grauen im Krakauer Ghetto, von dem aus seine Mutter nach Auschwitz deportiert und dort vernichtet wurde. Ein Ort, an welchem jenes verachtenswerte Denken sich in all seiner sinnlosen Grausamkeit manifestierte, das die Zirkulationssphäre für die Ausbeutung verantwortlich zeichnet und diese in den Juden verdinglicht glaubt. An dieser Stelle Parallelen zu Denkmustern der traditionellen linken Bewegung zu ziehen soll hier nicht meine Aufgabe sein, da das die Genossen der AKG in ihren Veröffentlichungen sehr gut ohne die Unterstützung der Filmabteilung zu leisten vermögen.
Der Film hält sich größtenteils an seine Vorlage, die Autobiographie des Komponisten und Pianisten Wladyslaw Szpilman, hervorragend dargestellt von Adrien Brody. 1939 setzt die Handlung ein, jenes Jahr, in welchem die Deutschen Polen besetzten. Der Antisemitismus beginnt immer offener sich abzuzeichnen, „Kein Spaziergang im Park für Juden“, „Kein Zutritt für Juden in diesem Café“. Zu letzterem Schild bemerkt der polnische Jude trocken: „Die wollen noch deutscher sein als Hitler.“ Schließlich werden die Juden im Warschauer Ghetto zusammengepfercht und eine Mauer darum errichtet. Diese Stelle markiert den Beginn eines leidvollen Kampfes ums nackte Überleben...
Der Pianist, 10.2k In beunruhigend ruhigen Bildern wird diese Geschichte erzählt, ohne Hollywood-Pathos a la „Schindlers Liste“ oder sozialistischem Heldentum wie etwa in „Nackt unter Wölfen“, letztgenannter übrigens eine sehr gute Buchverfilmung. Anfangs noch teilnahmslos nimmt Wladyslaw die Geschehnisse wahr, doch die anfänglichen Probleme, z.B. wo das übriggebliebene wenige Geld versteckt werden soll, weichen immer mehr der Angst. Der Film verzichtet auf Schwarz-Weiß-Malerei und zeichnet die realen Zustände des Ghettos nach. Von den Deutschen gleichgemacht, bildet man noch untereinander Hierarchien, es gibt den „nobleren“ Teil des Ghettos und den „ärmlicheren“. Die ansässige Schutzpolizei, komplett rekrutiert aus Juden, drangsaliert im Dienste der eigenen Auslöschung die Bewohner. Die unfassbarste Szene des gesamten Films war jene, in der, während ein großer Teil in die Deportationszüge nach Treblinka gezwungen wird, ein jüdischer Polizist zu einem deutschen Soldaten sagt: „Ab geht’s in den Schmelzofen.“
Der Film vermittelt sehr gut, was es bedeutet, in dieser aussichtslosen Situation zu stecken und bei aller Verzweiflung doch nicht sich zu wehren. Selbst als die wie Tiere zusammengetriebenen Juden auf ihre Deportation warten, geben viele die Hoffnung nicht auf. „Die Deutschen werden schon nicht so viel Arbeitskräfte sinnlos vernichten.“ Worauf der Bruder Wladyslaws nur lakonisch antwortet, „Sieh dich doch mal um. Kinder, alte Menschen, Frauen. Und du, willst du etwa Stahlträger schleppen?“ Mehr und mehr wird Wladyslaw klar, dass, würde es nach den Deutschen gehen, kein einziger Jude dieses Fanal der Unvernunft überleben wird. Die Erschießungen beginnen, das Ghetto wird „gesäubert“. Er flüchtet und findet Hilfe bei polnischen Widerstandskämpfern, von denen auch nicht gerade ein jeder sich der humanen Sache verschrieben hat. Schließlich kommt es zum Aufstand der im Ghetto verbliebenen Juden, der den Startschuss für den polnischen Widerstand markiert, um endlich den Krautfressern den Arsch aufzureißen. Im Zuge der Gefechte muss Wladyslaw aus einer relativ sicheren Unterkunft flüchten und sich erneut in das Ghetto begeben, von welchem er hoffte, es endgültig hinter sich gelassen zu haben. Dort rettet ihm schließlich ein deutscher Hauptmann das Leben. Das ist mal wieder ein gefundenes Fressen für deutsche Filmkritiker. „Ja, ein deutscher Hauptmann, waren ja doch nicht alle Soldaten böse.“, vom jubelnden Rest der deutschen Bevölkerung gar nicht zu reden. Doch weit gefehlt. Entgegen der Darstellung vieler deutscher Filmrezensionen ist diese Drecksau kein Oskar Schindler, durch welchen Spielberg einst, mehr oder weniger unfreiwillig, die Ehrenrettung der Deutschen vollzog. Als Hauptmann, und somit wahrscheinlich begnadeter Taktiker, weiß er, dass der Krieg verloren ist und man kann sich anhand einer der letzten Szenen des Gefühls nicht verwehren, dass er nur half, um seinen deutschen Naziarsch zu retten. Na gut, Chopin-Fan war er vielleicht auch noch und es erschien ihm wohl schade, einen begnadeten Juden in der Stunde der Niederlage zu erschießen. Wie dem auch sei, ein echt guter Film ohne aufgesetzte Tränendrüsenbelastung. Die emotional aufwühlendste Stelle ist wohl das Wiedersehen der beiden Musiker, nach ihrer Befreiung durch die Rote Armee. Der Part des Films, bei dem man wirklich zum Weinen angehalten ist. Tränen der Erleichterung darüber, dass der bedingungslose Vernichtungswille letztendlich gestoppt werden konnte und einige Juden überlebten. Doch ist es wirklich vorbei? Man sollte sich fragen, wo Juden heute noch, nur deshalb weil sie eben Juden sind, gezielt vernichtet werden oder sollen.

Schlaubi


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last modified: 28.3.2007