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"Ein Überlebender aus Warschau" in Deutschland | |
Im Programm des Gewandhauses wird eine Aufführung von Arnold Schönbergs A Survivor from Warsaw durch das MDR-Sinfonieorchester angekündigt. Etwas stutzig macht die Zusammenstellung des Konzertabends; Beethovens 8. Sinfonie in F-Dur, A Survivor from Warsaw und die Messe in C-Dur von Beethoven. Am Abend der Aufführung wird bekannt, dass die Pause nach der Sinfonie angesetzt ist, so soll dem Überlebenden direkt die Messe folgen. Die 8. Sinfonie Beethovens wird als heiter und humorvoll(1) beschrieben, vielleicht kann man sie in gewisser Form auch als erhaben bezeichnen. Genießen kann ich sie allerdings nicht, da in mir, völlig unabhängig von der Frage, ob es angebracht ist, so etwas vor dem Werk von Schönberg zu spielen, der Ärger darüber brodelt, was unmittelbar im Anschluss daran folgen soll. Arnold Schönbergs A Survivor from Warsaw stellt nicht dar, spielt nicht eine Szene, denn die Darstellung läuft immer Gefahr, zu relativieren; die Darstellung wird dem wirklichen Geschehen nie gerecht und ist hier auch wenig sinnvoll. Es wäre wirklich unerträglich sich vorzustellen, auf der Bühne würde ein SS-Mann singen(2). Es gibt stattdessen einen Sprecher, der berichtet. Von einem Appell im Warschauer Ghetto zum Abtransport in die Vernichtungslager nach der Niederschlagung des Aufstandes. Es wird nicht in knappen Worten der typische Morgenappell in einem Nazideutschen Konzentrationslager geschildert (Zitat Programmheft). Ganz so beliebig ist der Text nicht, er berichtet von einem bestimmten Ereignis, wie es passiert sein könnte. Dieses kann eine Ahnung davon geben, welches der Umgang der Deutschen mit ihren Opfern war. Die Gefangenen werden geschlagen, weil sie den Befehlen der Soldaten nicht entsprechen können. Der Erzähler überlebt nur, weil er für tot gehalten wird. Die Männerstimme spricht Englisch, nur Befehle der Wehrmachtssoldaten werden teilweise auf deutsch gebrüllt; Deutsch als Originalsprache der Täter. Allein durch die Konfrontation der beiden Sprachen entsteht allerdings eine Dramatik ganz eigener Art und niemals klang in einem Musikstück die deutsche Sprache abstoßender als hier.(3) Die Musik ist erschütternd. Bedrohlich kommt sie daher, hektisch und beängstigend. In dem Moment, wo die Soldaten ihre Opfer für den Transport zur Gaskammer abzählen, erhebt sich der Gesang des Schma Jisrael, ein wichtiges jüdisches Gebet, gesungen von einem Männerchor. Die Vereinzelung im Abzählen wird aufgehoben, die Opfer erscheinen als Kollektiv, in einer gewissen Form von Widerstand; sie wehren sich dagegen, anonym vernichtet zu werden. Im Gebet erhalten sie ihre Identität zurück. Das Stück endet laut. Der Schock sitzt tief. So wahr hat nie Grauen in der Musik geklungen, und indem es laut wird, findet sie ihre lösende Kaft wieder vermöge der Negation. Der jüdische Gesang, mit dem der Überlebende von Warschau schließt, ist Musik als Einspruch gegen den Mythos(4). In gerade mal acht Minuten schafft die Komposition es, jeden zu erschüttern, auch den, der weder den englischen Text, noch das hebräische Gebet versteht. Es folgt die Besinnung, in der Messe in C-Dur; Zeit, sich zu sammeln und den Schrecken zu verarbeiten. Dem Christen wird Sicherheit vermittelt, Sicherheit, dass ihm seine Sünden vergeben werden, denn dafür sei Christus gestorben. Ein christliches Werk, und das, wo nicht zuletzt der christliche Antijudaismus Nährboden für den Antisemitismus war, der zu dem deutschen Massenmord an den europäischen Juden geführt hat. Ein paar verlassen den Konzertsaal vor Beginn. Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt, erbarm dich unser. Gib uns Frieden. (Zitat: Agnus Dei der Messe) Wird nach vorangegangenen Taten um Vergebung der Sünden gebeten? Vom Gestus des Stückes her wird sie jedenfalls gewährt. Es wird um Frieden gebeten. Der Frieden des Hörers mit der eben noch quälenden Geschichte wird wieder hergestellt, die Konzertbesucher können beruhigt nach Hause gehen und beim Hinausgehen noch ihr geschmäcklerisches Urteil fällen, dass ihnen der Beethoven ja doch irgendwie mehr liege. Wer stellt ein solches Abendprogramm zusammen? Und vor allem warum? Jemand, der dem Schönbergschen Werk gerecht werden wollte, würde es nicht in einen solchen Kontext setzen, und ich befürchte, dass ich von einer sehr bewussten Entscheidung ausgehen kann, den Überlebenden von Warschau so und nicht anders zu spielen. Es ist zum einen das übliche Verfahren, dem noch so uninteressierten Abokäufer mal ein Stück neuer Musik unterzujubeln. Es wird halt mal gespielt und erscheint in der Kombination auch nicht bemerkenswerter, als die Sinfonie von Beethoven. Man kann sich an den Hut stecken, sich beschäftigt zu haben und das Thema abhaken. Es ist so auch ein exemplarisches Stück deutscher Vergangenheitsbewältigung. Die Thematik des Nationalsozialismus wird eingeschoben und abgehandelt. Die Katastrophe wird nicht hervorgehoben, sondern in den ganz normalen Ablauf aufgenommen, das Besondere wird relativiert. Eine wirkliche Auseinandersetzung findet nicht statt, der Gestus der Beschäftigung fragt nicht mehr, warum es geschehen ist, sondern nimmt bloß wahr, dass es geschehen ist und das inzwischen immer weniger mit Entsetzten. Lisa Fußnoten: (1) Zitate aus dem Programmheft (2) Gerhard Scheit, Verborgener Staat, lebendiges Geld: zur Dramaturgie des Antisemitismus, Freiburg 1999, S. 492 (3) Ebd. (4) Theodor W. Adorno, Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft., 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1992, S.176 |