Udo Wolter:
Das obskure Subjekt der BegierdeFrantz Fanon und die Fallstricke des Subjekts der Befreiung
Unrast: 2001, 236 S., ISBN: 3-89771-005-6
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Udo Wolter selbst ist das beste Beispiel dafür, wie sich zumindest
Teile der Antiimp-Szene inzwischen kritisch mit ihrer Vergangenheit
auseinandersetzen, ohne in Irrationalismus zu verfallen oder dem Renegatentum
zu frönen. Er kommt aus der Internationalismusbewegung, kritisierte den
positiven Bezug der Kurdistan-Solidarität auf den
Nationalitätsbegriff, die wiederum konterte als
Letztbegründung mit Frantz Fanon. Und so nahm sich Wolter den
Fanon vor. Inzwischen ist Wolter regelmäßiger Autor von iz3w und
jungle World und hebt sich in der Auseinandersetzung um Zivilisation vs.
Barbarei wohltuend von den Djihads des Werts (Robert Kurz
über die Teile der Wertkritik-Fraktion) ab.
Auch Fanon konnte sehr wohl zwischen Zivilisation und Barbarei
unterscheiden. Im zweiten Weltkrieg kämpfte der aus der Karibik stammende
Psychiater freiwillig mit der französischen Armee zur Verteidigung
der humanistischen Werte der französischen Zivilisation (...) gegen die
deutsche nationalsozialistische Barbarei. In seinem ersten Buch,
Schwarze Haut, Weiße Masken, schrieb er dazu: Was soll
dieses Gerede von einem schwarzen Volk, einer Negernationalität? Ich bin
Franzose. (...) Mein Platz (war) nicht neben dem Problem, sondern mitten in dem
Problem. (S. 22) und das, obwohl er schon damals reflektierte,
welche Rolle den Schwarzen in der französischen Armee zugewiesen war.
Während des Algerienkrieges verkörperte Frankreich für Fanon
jedoch nicht mehr die humanistischen Werte. Der Vorsitzende der Kommunistischen
Partei Frankreichs, der Fanon sich bis dato sehr verbunden fühlte,
trommelte für den Krieg gegen die Befreiungsbewegungen: Kommunisten
müssen an jedem Krieg teilnehmen, egal wie reaktionär er auch sein
möge. (S. 141)
Fanon verschreibt sich dem antikolonialem Befreiungskampf in Theorie (seine
zwei Bücher gelten als Standardwerke) und Praxis (er wird Politiker der
sozialistischen FLN in Algerien). Während sein erstes Buch Schwarze
Haut, Weiße Masken eher der Rassismusanalyse und
Kolonialgeschichtsschreibung zuzuordnen ist, beschäftigt sich Die
Verdammten dieser Erde mit dem antikolonialen Befreiungskampf, seinen
Voraussetzungen und Problemen. Schwarze Haut, Weiße Masken
ist teils autobiographisch angelegt und untersucht die kulturellen
Erscheinungsformen des Rassismus: z.B. Sprache, Sehen, Sexualität. Dabei
bezieht Fanon sich zwar positiv auf marxistische Vorstellungen, vom
Kapitalismus ist bei ihm allerdings kaum die Rede, sondern von Kultur,
Identität, von Herrschaft, Widerstand und Gewalt. (S. 128) Das ist
zwar nicht unbedingt falsch, aber immerhin verkürzt. Lediglich bei der
Begründung für die prognostizierte Ablösung des biologistischen
durch einen kulturalistischen Rassismus beruft er sich auf ökonomische
Prozesse: Die Perfektion der Produktionsmittel würde auch eine subtilere
Verschleierung der Techniken der Ausbeutung nach sich ziehen. (S. 42) Peter
Schmitt-Egner kritisiert, daß die Theoretiker des
Kolonialismus das koloniale Gewaltverhältnis nicht richtig fassen
konnten, da die Form der Herrschaft (die Gewalt, der Rassismus)
den Inhalt (das Wertgesetz) fast verschwinden
ließ. (S. 108) Wolter warnt allerdings davor, Rassismus allein aus
ökomomischen Entwicklungen ableiten zu wollen.
Gewalt. Hannah Arendt warf Fanon vor, die antikoloniale Gewalt zu
verherrlichen. Er wäre dabei von der futuristisch-faschistischen
Gewaltfaszination (z.B. eines Sorels) beeinflußt. Sartre dagegen lobt
Fanons Beharren darauf, daß der Kolonialismus nur überwunden werden
könne, wenn die Gegenwalt größer wäre als die koloniale
Gewalt. Fanon habe so Sartre in seinem Vorwort zu den Verdammten
dieser Erde die Geburtshelferin der Geschichte
wieder ins rechte Licht gerückt. (S. 77)
Wie berechtigt der Vorwurf von Arendt ist, wird im Buch nicht weiter
erörtert. Interessant ist allerdings, daß Arendt sich bei ihrer
Argumentation selbst rassistischer Klischees bedient. So sei der
europäische Rassismus im 19. Jahrhundert eine Folge (und nicht Ursache)
der Erfahrungen der Kolonialisatoren mit dem ins Tierhafte, nämlich
wirklich ins Rassisch degenerierte Volk, (...den) wilden barbarischen
Stämmen in Afrika gewesen. (S. 82) Dies ist umso verwunderlicher, da
Hannah Arendt bei ihrer Antisemitismusanalyse den Arbeits-Ethos
(schaffendes/raffendes Kapital) als zentrales Moment einer falschen
Kapitalismuskritik benennt, gleichzeitig als Beweis für die
Unterlegenheit (und) Weltlosigkeit (...) der
Eingeborenenstämme anführt, daß diese nicht in der Lage
seien, produktive Arbeit zu leisten und somit der Natur zugehörig seien.
Aber auch Fanon bedient sich des Mythos der Arbeit. Er bezieht sich
positiv auf einen Begriff der Arbeit, in der der Kolonialisierte seiner selbst
bewußt wird. Die antikoloniale Gewalt ist für Fanon sinnstiftende
Arbeit: Arbeit heißt, am Tod des Kolonialherren zu arbeiten. (...)
Auf der individuellen Ebene wirkt die Gewalt entgiftend. Sie befreit den
Kolonialisierten von seinem Minderwertigkeitskomplex. (S. 77, S. 91)
Fanon warnt in seinen Schriften ausdrücklich vor den Gefahren einer
nationalen, identitätsfixierten Fehlentwicklung innerhalb der
Befreiungsbewegungen. Das Konzept der nationalen
Befreiungsbewegungen stellt er als solches aber nicht in Frage. Die
Herausbildung von unabhängigen Nationalstaaten hält er für einen
notwendigen Zwischenschritt der historischen Entwicklung. So lassen sich bei
Fanon extrem nationalistische Passagen finden: In der Phase des
nationalen Aufbaus (muß) jeder Staatbürger in seiner konkreten
täglichen Aktion fortfahren, sich der Gesamtheit der Nation
anzuschließen, die dialektische Wahrheit der Nation zu verkörpern,
hier und jetzt den Sieg des totalen Menschen zu wollen. (S. 159) Auf der
anderen Seite kritisiert Fanon vehement den umgekehrten Rassismus
gegenüber den Weißen, den Regionalismus, das Stammesdenken, den
Rassismus innerhalb der afrikanischen Gesellschaften (wobei er von einem
Bündnis aus Eliten und Mob ausgeht, d.h. auch sein
revolutionäres Subjekt, die Bauern und die marginalisierten
Proletarier, nicht verschont). An anderer Stelle rehabilitiert er
ungerechtfertigerweise wieder die Angegriffenen: dem Regionalismus bescheinigt
er eine höhere Demokratiefähigkeit, das unter
Kolonalisiertenmentalität schlummernde Stammesdenken sei Garant für
die Hinüberrettung von vermeintlich progressiven Traditionen in die
Zukunft und die Bauern sind eh das non-puls-ultra: Ein nationaler
Militant, der beschließt, anstatt in den Stadtvierteln mit der Polizei
Versteck zu spielen, sein Schicksal in die Hände der bäuerlichen
Massen zu legen, verliert niemals. (S. 146)
In seinen Analysen geht Fanon auf den Unterschied zwischen Rassismus und
Antisemitismus ein. Der Neger stellt die biologische Gefahr dar. Der Jude
die Intellektuelle. In Anlehnung an Sartre beschreibt er, wie der
Antisemitismus die Personifikation des Abstrakten im Juden ausmacht,
während der Rassismus sich der Personifikation des Konkreten bedient.
Diese oberflächliche Unterscheidung wird allerdings nicht weiter vertieft.
Die Erwähnung des Antisemitismus geschieht weniger aufgrund einer
analytischen Durchdringung, sondern mehr aufgrund der eigenen Betroffenheit: in
Algerien galt Fanon als israelischer Agent aufgrund seiner
Äußerungen gegen Antisemitismus und seiner Freundschaft zu
jüdischen Ärzten. (S. 41, S. 142). Deswegen ist das Werk von Fanon
auch nicht frei von antisemitischen Codes. Er beklagt den kosmopolitischen
Geist der Bourgeoisie, neigt dazu, die Zirkulationssphäre zu
dämonisieren, bezieht sich positiv auf den Arbeitsbegriff und hat ein
taktisches Verhältnis zum Nationalismus. Seine Kapitalismuskritik
beschränkt sich auf Konzernmacht und Ausbeutung. Den fortschrittlichen
Intellektuellen empfiehlt er, sich mit der angestammten Kultur der
zu befreienden Gesellschaften zu beschäftigen, sonst kommt es zu
schwerwiegenden psychoaffektiven Verstümmlungen. Menschen ohne Ufer, ohne
Grenzen, ohne Farbe, Heimatlose, Nicht-Verwurzelte, Engel. (S. 156)
Festzuhalten bleibt aber, daß sich Fanon nie antizionistisch
geäußert hat und aufgrund seiner Vorstellung von der
Ähnlichkeit des Rassismus und Antisemitismus eine Empathie gegenüber
den Juden empfand. Dies muß aber für Fanon schon deswegen kein
Widerspruch sein, weil er andere Objekte für seinen latenten
Antisemitismus hat: die Intellektuellen, die Kolonialmächte, die
Kapitalisten und die Frauen.
Fanon verdinglicht als patriarchalischer Autor nicht nur die Frauen, sondern
sieht in ihnen Agentinnen des Tauschwertes. Die Tatsache, daß die
französische Kolonialverwaltung die Anti-Schleierpolitik als
fortschrittlich und frauenfreundlich zu verkaufen versucht, verleitet Fanon
dazu, den algerischen Frauen das Recht abzusprechen, eigene, sehr wohl
fortschrittliche und nicht kulturimperialistische Gründe zu haben, ihren
Schleier abzulegen. Fanon lamentiert: Diese Musterfrauen laufen nun mit
nacktem Gesicht und freiem Körper als Münzgeld in der
europäischen Gesellschaft Algeriens herum. (S. 172) Ähnlich
argumentiert Fanon bei seinen Untersuchungen über die Auswirkungen des
kolonialistischen und rassistischen Blickes auf Sexualität und
Partnerschaften: Schwarze Frauen, die sich mit weißen Männern
einlassen, gelten als Verräterinnen, die ihre Rasse weiß
machen und ihre Aufstiegschancen verbessern wollen schwarze Männer
mit weißen Frauen dagegen trifft dieser Vorwurf nicht. Die Vergewaltigung
von schwarzen Frauen durch die Kolonialherren ist für Fanon nur eine
Schande für die Ehre der jeweiligen Ehemänner, was es für die
Frauen selbst bedeutet, interessiert Fanon nicht weiter. Schlimmer noch: Die
weiße Angst vor dem schwarzen Vergewaltiger entlarvt er nicht nur als
rassistisch, sondern er unterstellt den weißen Frauen im gleichen
Atemzug, vom masochistischen Wunsch nach Vergewaltigung getrieben zu sein:
Könnte es so, wie es Gesichter zum Ohrfeigen gibt, nicht auch Frauen
zum Vergewaltigen geben? (S. 55)
Dagegen wirken seine homophoben Ausfälle noch recht harmlos:
Homosexualität, welche er als anormales Geschlechtsleben bezeichnet, sei
nur eine Spielart des Rassismus und umgekehrt. Der Rassist sei ein
verdrängter Homosexueller und deswegen sei unter den Schwarzen
diese weißen Krankheit auch nicht verbreitet. (S. 57)
Das Buch von Udo Wolter ist eine kompakte und zum Teil schwer zu lesende
Abhandlung nicht nur über Fanon, sondern gleichzeitig über alle jene,
auf die er sich bezogen hat oder die sich auf ihn bezogen haben: Hegel, Lacan,
Ahrendt, Sartre, Lukács, Benjamin, Said, Bhabha und viele andere. Mit
den cultural-studies- und den marxistischen Apologeten Fanons geht Wolter
schärfer ins Gericht als mit Fanon selbst: Während die einen
(den) Tatbestand nämlich das Scheitern der
emanzipatorischen Impulse der Dekolonisation an der Realität der
Zwangsvergesellschaftung ihrer Akteure zu identischen Staatssubjekten als
Ergebnis der totalen Durchsetzung warenkapitalistischer Verhältnisse
weiträumig umgehen, um in den Ambivalenzen und an den
Rändern (...) dekonstruktiv subversive Potentiale machtaneignenden
Handelns zu entdecken, versuchen die anderen mit Klauen und Zähnen
Fanons revolutionäre Emphase zu verteidigen und merken kaum, dass sie
damit auch getreulich dessen falschen Kategorien des Bildes von Kapitalismus
und Imperialismus wiederkäuen. (S. 190)
Der Ritt durch die Philosophiegeschichte sollte nur mit einem Wörterbuch
(Zitate englischer AutorInnen bleiben unübersetzt) und einem
Fremdwörterbuch angetreten werden. All jene, die schon immer wissen
wollten, was uns Ralf vermitteln wollte, aber nie so genau zu formulieren
wagte, sei die Lektüre des Buches empfohlen. Und es bleibt zu hoffen,
daß der unrastsame Ralf, befreit von der ständigen Textproduktion
fürs CEE IEH, sich auch demnächst im UNRAST-Verlag
überzeugender produzieren kann.
Anmerkung: Alle Seitenangaben beziehen sich auf das besprochene Buch von
Wolter, nicht auf die Primärquellen von Fanon. Das besprochene Buch und
weitere Bücher von und über Fanon gibt es im Infoladen Leipzig.
Carlos
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