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Utopie

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Eine Veranstaltungsreihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema „Utopie“ setzt sich mit linken und rechten Utopievorstellungen auseinander und liefert Witze, über die nur PDS-Opas und -Omas lachen können.

Derzeit finden in unregelmäßigen Abständen Veranstaltungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der naTO zum Thema Utopie statt, bei der leider so gut wie keine BesucherInnen unter 40 Jahren zu sehen waren, obwohl die Veranstaltungen gut gefüllt waren. Das ließe vermuten, dass nur noch ältere Menschen emanzipatorische Ideale, die über diese beschissene kapitalistische Gesellschaft hinausweisen, gut heißen. Da es aber in Leipzig mittlerweile auch unter Jüngeren wieder den Drang gibt, Kapitalismus emanzipatorisch aufheben zu wollen, könnte die Meidung dieser Veranstaltungsreihe entweder daran liegen, dass der kapitalismuskritische Teil der @-Generation hinter der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Haufen verbohrter TraditionsmarxistInnen vermutet, oder daran, dass unter dem Begriff Utopie eine Konkretisierung und positive Bestimmung befreiter Verhältnisse verstanden wird, die abzulehnen sei. Dass die Meidung der Veranstaltungsreihe mit einem

Ernst Bloch

Ernst Bloch, 5.8k

Geb. 1885 Ludwigshafen, 1917-1919 Exil in der Schweiz aus pazifistischer Überzeugung, 1918 erstes philosophisches Hauptwerk, „Geist der Utopie“, 1919/20 Rückkehr nach Deutschland, Er wird Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). 1933 Emigration in die Schweiz, Tschechoslowakei, Paris und schließlich 1938 New York, 1944 Er gründet gemeinsam mit Alfred Döblin, Berthold Brecht, Lion Feuchtwanger, John Heartfield und Heinrich Mann den Aurora-Verlag in New York, 1948 Bloch nimmt die Professur für Philosophie an der Universität Leipzig an, 1951 Veröffentlichung von „Subjekt-Objekt“, 1953-1956 Herausgeber der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“, 1954-1959 Publikation von „Das Prinzip Hoffnung“, 1957 wird wegen seiner offenen Kritik an der doktrinären Erstarrung des Marxismus in der DDR und wegen seiner kritischen Beurteilung der Niederschlagung des Ungarnaufstandes zwangsemeritiert, 1961 Während einer Vortragsreise in die Bundesrepublik Deutschland nimmt er eine Professur für Philosophie an der Universität Tübingen an, 1966 Bloch protestiert öffentlich gegen die amerikanische Intervention in Vietnam und wird auch wegen seiner philosophischen Grundhaltung zu einer der Leitfiguren der StudentInnenbewegung, 1972 Publikation von „Das Materialismusproblem“, 1975 Publikation seiner Kategorienlehre „Experimentum Mundi“, 1977 Ernst Bloch stirbt in Tübingen.
begrenzten Kiezhorizont zusammenhängt oder damit zu tun hat, dass ein wertkritisches und antideutsches ‘sehen und gesehen werden’ nicht gegeben ist, sei hier nur am Rande gemutmaßt.
Das Wort Utopie, so wurde in der Veranstaltungsreihe gesagt, stammt aus dem Griechischen und bedeutet ‘Nirgendwo’. Dies zeigt auf, dass Utopie nicht meint, einen Ort befreiter Gesellschaft zu konstruieren. Auf beiden Veranstaltungen ist dem auch gerecht geworden.
Prof. Dr. Helmut Seidel, der in Leipzig zu DDR-Zeiten Philosophie gelehrt hat, stellte in der ersten Veranstaltung das Utopieverständnis von Ernst Bloch in einer hervorragenden Vortragsweise vor, das ich hier ansatzweise wiedergeben will. Ernst Bloch setzt dort an, wo die Psychoanalyse aufgezeigt hat, dass das seelische Leben nicht deckungsgleich mit dem bewussten Leben ist. Bloch jedoch kritisiert, dass die Psychoanalyse das Unterbewusste nur in der Vergangenheit des Lebensvollzugs der Menschen betrachtet und die Perspektive der Menschen ausblendet. ‘Das Unsere liegt vorwärts’ meint Bloch und behauptet, dass das Vorwärtstreibende die in der Gegenwart nicht eingelösten Triebe sind. Bloch geht von einem Grundtrieb aus, dem Trieb zur Selbsterhaltung, aus dem sich die anderen Triebe, wie zum Beispiel dem nach Nahrung, herleiten. Er wirft der Philosophie (insbesondere Hegel) vor, immer nur das ‘Was’ und nicht das ‘Das’ betrachtet zu haben. Das ‘Was’ ist die Logik des und der Schlüssel zum Bestehenden, das ‘Das’ der Antrieb des Lebens. Das ‘Was’ stellt die Vernunft in den Mittelpunkt. Doch setzt diese Analyse des menschlichen Lebens zu spät ein. Denn das ‘Das’, der Wille zum Leben, ist schon Grundlage für das ‘Was’. Der Wille zum Leben, der Trieb zur Selbsterhaltung, macht aus dem ‘Was’ einen Prozess, den Bloch dialektisch begreift.
Dialektisch nicht im Sinne der jüdisch-christlichen Denktradition, in der die Entwicklung immer die Wiedererinnerung eines Ersten impliziert (z.B.: „Das Ganze ist ein Kreis sich verschlingender Kreise“, Hegel), sondern im Gegenteil, Dialektik im Sinne von Aufhebung des alten Zyklus. Nicht das Erste, sondern das Neueste ist dem dialektischen Prozess inne. Möglichkeit statt Rückkehr. Dieser Vollzug geht auch nicht logisch vor sich, sondern wird durch Bloch als ein intensives Treiben begriffen. Den Stoffwechselprozess des Mensch mit seiner äußeren Natur begreift Bloch ähnlich Marx als den Prozess, in dem der Mensch seine Geschichte gemäß seinen Bedürfnissen gestaltet. Bloß dass Bloch hier dem Unterbewussten die entscheidende Rolle zukommen lässt, welches sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt versucht zu verwirklichen. Der Mensch, den es durch seine unterbewussten Triebe in die Zukunft (Perspektive) treibt, verwirklicht im Stoffwechselprozess (Produktion, Tätigkeit etc.) seine Perspektive. Das Ziel der Geschichte, die im Wechselprozess innerer und äußerer Natur des Menschen ihren Lauf nimmt, ist die Heimat, in der noch niemand war, die aber in allen Menschen in den Kinderschuhen steckt. So hat es Seidel Bloch in den Mund gelegt.
Bloch kritisiert an diesem Punkt Hegel und die positivistische Philosophie, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Bestehende zu erkennen. Bloch verlangt von der Philosophie, das zu erkennen, was noch nicht ist, und dies zu fordern. Positivismus hingegen kennt keine Perspektive. Bloch fordert daher eine „Spurensuche“, die anhand der Geschichte und des Bestehenden die Grenzen des „Gewordensein“ überschreitet und schaut, was in ihm schon angelegt ist. Das antizipierende Bewusstsein muss daher einen „Vorschein“ ausfindig machen. Hieraus ergibt sich auch Bloch seine Kritik am Marxismus-Leninismus. Dieser verbreitet keine „Wärmeströme“ mehr, wenn er, anstatt die Perspektive zur Emanzipation aus dem Bestehenden zu denken und zu fordern, Zehnjahresprogramme entwirft und ein Ende des Stadiums der Diktatur des Proletariats nicht mehr abzusehen ist. Dies lehnt Bloch als ideologische Verhärtung, antiutopisches Denken und bloßen Ökonomismus ab.
Doch genau aus diesem Denkschema heraus lehnte Bloch auch eine ins Blaue hinein schießende Phantastik ab. So vermute ich, dass die späte Kritische Theorie mit ihrem Hoffen auf das ganz andere sicherlich befremdend auf ihn wirkte.
Nimmt man den Kapitalismus als eine Totalität und zugleich als einen Verblendungszusammenhang wahr, dann bleibt einem nur das Hoffen auf etwas ganz anderes.
Und hier hätte Seidel vielleicht mehr auf Blochs Rezeption der „Kritik der politischen Ökonomie“ (Marx) eingehen müssen. Denn erstens stellt sich die Frage, was Bloch überhaupt von dem Begriff der Totalität hielt, wenn er das Mögliche als das immer im Gegenwärtigen schon Angelegte begriff. Und zweitens stellt sich die Frage, was Bloch von der politischen Ökonomie des Sozialismus hielt. War es für ihn eine kapitalistische oder eine, die außerhalb der Wertvergesellschaftung funktionierte? (Mir sind diese Fragen leider erst nach der Diskussion eingefallen.)
Auf jeden Fall musste Bloch feststellen, dass sein „Prinzip Hoffnung“ auch durch die DDR enttäuscht wurde.
Die zweite Veranstaltung im Dezember fand unter der Headline „Das Wesen des Menschen und die angebliche Unmöglichkeit von Utopie“ statt. Dieser Vortrag von Prof. Horst Pickart, der zu DDR-Zeiten an der HGB Leipzig gelehrt hat, war gespickt mit Anekdoten und hat sich dem Thema negativ angenähert, in dem die konservative Anthropologie Arnold Gehlens, der im Nationalsozialismus der NSDAP beigetreten ist und sein Hauptwerk „Der Mensch – Seine Natur und seine Stellung in der Welt“ 1940 publiziert hat, kritisiert wurde. Arnold Gehlen, der bis heute im Wissenschaftsbetrieb ein oft zitierter Mann geblieben ist, hatte eine Grundthese, die da lautet: „Der Mensch ist ein Mängelwesen“. Und zwar mangelt es dem Menschen an Instinkten, wie sie das Tier besitzt. Der Mensch lebt nicht einfach wie ein Tier, sondern muss sein Leben führen. Er besitzt neben der Instinktlosigkeit auch keine von der Natur gegebenen passiven und aktiven Waffen, was gewissermaßen lebensgefährlich ist. Deswegen sind Menschen darauf angewiesen, gemeinsam zu handeln. In diesem Handeln bilden sich Regeln heraus, die sich institutionalisieren. Diese Institutionen haben Entlastungsfunktion, in dem sie für Zucht und Ordnung sorgen und die lebensgefährlichen Mängel ersetzen. Diese Institutionen sind bei Gehlen notwendige Subjekte der Weltgeschichte. Während Engels behauptet, dass die Freiheit des Heraustreten der Menschen aus dem Reich der Notwendigkeiten ist, sagt Gehlen: „Wenn man sagt, der Dienst an den Institutionen ist die Entfremdung, so ist dies ganz richtig. Aber die Entfremdung ist die Freiheit, nämlich die Distanz zu sich selbst.“ Der Mensch muss also als Mängelwesen auf Distanz zu sich selbst gehen, weil er sonst nicht leben könnte. Dann stellte Pickert fest, dass Gehlen der Gewährsmann für die Postmoderne sei. Denn diese löst das Subjekt auch in Institutionen wie Sprache, Funktionen, Macht etc. auf. Leider, so schwant mir trotz meines Nichtwissen über die Postmoderne, hat Pickert dabei einen entscheidenden Unterschied des konservativen Gehlens zu emanzipatorischen postmodernen Philosophen unterschlagen. Das ist die feste Setzung der Institutionen. Denn diese sollten in der Postmoderne ja gerade immer wieder neu kaputtgetextet werden („Das Bestechendste dieser kritischen Erforschung eines neuen Status des Diskurses ist der erklärte Verzicht jeglicher Bezugnahme auf ein Zentrum, auf ein Subjekt, auf eine privilegierte Referenz, auf einen Ursprung oder auf eine absolute arche.“ – Derrida: Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen).
Dann wurde von Pickert aufgezeigt, dass die Konstatierung eines Zustandes ohne menschliche Subjekte das Aufzeigen eines kapitalistischen Zustandes ist, dem es gerade zu entrinnen gilt. Gehlen ahistorisiert diesen Zustand einerseits anthropologisch, indem er die Menschen als Mängelwesen unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen denkt, andererseits realpolitisch, indem er die Institutionen stärkt, die im Kapitalismus als Subjekte erscheinen. Dann wurde Marx sein Entfremdungsbegriff stark gemacht. Und zwar nicht traditionsmarxistisch (Arbeiter entfremdet sich vom Produkt, weil er es nicht mehr selber besitzt)!, sondern als Entfremdung der Menschen von der Produktion ihres Lebensvollzugs und damit die Entfremdung (Versachlichung) der Menschen untereinander. Unter diesen Bedingung ist dann die Verwirklichung von Utopie zwar schwer möglich, aber um so dringender.
Danach haben dann die Realpolitiker die Diskussion an sich gerissen, indem sie die These in den Raum warfen, die PDS müsse trotzdem die Institutionen nutzen. Das war dann etwas albern. Und die Harmonie des Alters (oder die alte Schule der Solidarität) hat dann eine konfrontative Diskussion zwischen den PDSler-Opis und den Rosa-Luxemburg-Professoren verhindert. Da wurde dann lieber ein Philosophen-Witz auf dem Podium erzählt: Drinken drei Philosophen Bier. Sagt der eine: „Ich möchte eine Krähe sein, dann könnte ich fliegen.“ Sagt der zweite: „Ich möchte zwei Krähen sein, dann könnt ich mir hinterher fliegen.“ Sagt der dritte: „Ich möchte drei Krähen sein, dann könnte ich mir beim hinterher fliegen zusehen“.
Auf jeden Fall waren es sehr gute Referate zum Thema Utopie, welches im Februar oder März seine Fortsetzung mit der Headline „Utopie und Gewalt“ findet. Und vielleicht werden die Diskussionen mit erweiterter Publikumsbesetzung besser. Hannes


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last modified: 28.3.2007