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review-corner, 2.7k

Brot und Schimmelpilze

Im Kino gibt es immer ein Happy End. Das Buch zum neuen Kultfilm „Bread and Roses“ - „América“ von T.C. Boyle kann aufgrund der Nähe des Themas zurecht als solches bezeichnet werden - verbreitet nicht so viel Euphorie. Hier gibt es maximal Schimmelpilze auf dem Brot. Von Rosen und Klassenkampf ist nicht viel zu sehen. Was realistischer ist (der Film beruht auf wahren Gegebenheiten, das Buch nicht) oder realistischer erscheint (das katastrophische Buch kommt unserem nihilistischen Zeitgeist eindeutig näher, der Film gilt als kitschig) soll hier nicht geklärt werden. Vielmehr eine Rezeption beider Werke empfohlen. Im folgenden geht es allerdings nur um das Buch. Über den Film war in letzter Zeit schon genug zu lesen.
Cover, 14.2k

T.C. Boyle:

América

dtv: 1998, 389 S. ISBN: 3-423-12519-5, EUR 10,-

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    „Du täuschst dich in mir, Benjamin. ... du glaubst, ich sei ein guter Kerl. Du räumst den Arabern und Intellektuellen unbegrenzten Kredit ein, Ben? Warum nicht den Schweizern, den Kfz-Mechanikern oder den Untersuchungsrichtern? Du bist ein Gefühlsdussel, mein Bruder. Sieh dich vor, daran stirbt man.“
    Worte des geldgierigen Hadouch zu seinem p.c.-Freund Benjamin Malaussène(1)
Was die Schweizer von den Arabern unterscheidet, oder: in diesem Fall von den Mexikanern, beschreibt T.C. Boyle recht gut. Während erstere so viel Geld haben, daß sie es sich leisten können, political correct zu sein, müssen letztere sich unkorrekt verhalten, um wenigstens an ein bißchen Geld zu gelangen. Ein Antirassismus, der dies beachtet (und nicht nach Multikulti-Gefühlen Kredit einräumt und entzieht) ist so notwendig, wie die Verteidigung der Intellektuellen gegenüber den Untersuchungsrichtern.
Der eine Hauptheld von „América“, der weiße, reiche, liberale, fremdenfreundliche, umweltbewußte und feministische Mann Delaney Mossbacher ist auch ein Gefühlsdussel. Er stirbt leider nicht daran. Obwohl die Chancen gar nicht so schlecht stehen. Doch der letzte Satz des Romans macht alle Hoffnungen zunichte. „Aber als er aus dem schwarzen Strudel der Strömung das weiße Gesicht auftauchen sah und die weiße Hand sich an die Dachschindeln klammerte, da streckte er den Arm aus und ergriff die Hand.“.
Das „Er“ im letzten Satz ist der andere Hauptheld des Romans. Der mexikanische, bettelarme, verbohrte, Amis-hassende, umweltzerstörende und seine Frau schlagende Mann Cándido wäre gern ein Gefühlsdussel. Doch Gefühle kann er sich nicht leisten. Er stirbt in dem Buch tausend Tode. Ein kurzer schmerzloser Tod wird ihm auf dieser Welt nicht gegönnt. Und am Ende muß er auch noch den Fehler begehen, seinen größten Widersacher, Delaney, vor dem Tod in den Fluten der Schlammlawine zu bewahren. Nur fünf Minuten, nachdem der weiße Mann den Mexikaner endgültig töten wollte. Der Weiße ist zwar Antirassist. Aber er ist eben auch Umweltschützer. Und was zu weit geht, geht zu weit. Der Bogen ist eindeutig überspannt, als er vermutet, der illegal im Cañon campierende Mexikaner wäre für den Buschbrand verantwortlich.
Beide Männer sind liiert. Die Frau des ersten, Kyra, arbeitet als Immobilienmaklerin. Der Name des Wohnviertels ist Programm: Arroyo Blanco. Deswegen will sie, daß die Gegend rentabel, sprich: anständig, sprich: weiß, bleibt. Um ihr eigenes Haus und Kind kümmert sich ihr Mann.
Die Frau des zweiten Mannes ist schwanger. Sie trägt den Traum aller Mexikaner schon im Namen: América. Sie geht aber als Putze arbeiten, obwohl es ihr Mann mit aller Gewalt verbietet. Schließlich ist sie die Hausfrau. Sie muß aber arbeiten gehen, weil er von Delaney ausversehen angefahren wurde und schwer verletzt ist. Zum Arzt kann er nicht gehen, er ist ja illegal in den USA. Er erhält aber als Wiedergutmachung $20 vom erschrockenen Delaney. (Seine Frau erstaunt: „Zwanzig...?“ „Ich sage dir doch - es war ein Mexikaner.“)
Die erste Frau liebt uneingeschränkt ihre Hunde, ihr Kind Jordan, wenn es lieb war, d.h. Hausaufgaben gemacht hat, und ihren Mann nur, wenn sie Streß auf Arbeit hatte - nur dann hat sie Lust auf Sex. Ihr Mann liebt die Natur, sein Auto und die Ideale der Aufklärung. Er haßt deswegen die Mauer, die seine Mitbewohner im Nobelviertel außerhalb der Stadt errichten wollen, um sich gegen Kriminelle und Ausländer (aber das ist ja ein und dasselbe!) zu wehren. Als jedoch die Natur in die Familienidylle hereinbricht, die Coyoten reißen die beiden Hunde der Mossbachers, sieht auch Delaney ein, daß die Mauer ihre Berechtigung hat. Was den einen die Mexikaner, sind den anderen die Coyoten. Die nehmen sich ja auch nicht viel. Beides sind unberechenbare Raubtiere, die die amerikanische Zivilisation bedrohen. Als die Hunde sterben, ist er noch recht emotionslos. Er legt sich nur so für die Coyoten-Bekämpfung ins Zeug, weil er es mit seiner Frau nicht verscherzen will. Als aber sein Auto (von Mexikanern natürlich, wer sollte sowas sonst tun) geklaut wird, ist er am Ende. Er würde am liebsten weinen. Aber dazu ist er dann doch noch zu sehr Mann.
Die zweite Frau liebt ihren Mann, obwohl sie ihm nicht sagen kann, daß sie von anderen illegalen Mexikanern vergewaltigt wurde, weil sie ahnt, daß er die Kränkung seiner männlichen Ehre an ihr auslassen würde. Das Kind verliert sie zu zeitig, um es lieben zu können. Tiere liebt sie auch, weil man sie essen kann. So z.B. die Katze der Mossbachers.... Sie haßt die Amis, für die sie arbeiten muß: sie belästigen sie sexuell, bezahlen wenig und achten nicht auf den Arbeitsschutz. Wegen der giftigen Dämpfe schälen sich ihre Fingernägel von der Hand und ihr Kind kommt blind zu Welt. Der Vater will das aber nicht wahrhaben. Er könnte einen Arzt sowieso nicht bezahlen. Er liebt die Amis, schließlich geben sie ihm Arbeit. So darf er z.B. nach dem Tod des ersten Hundes den Zaun gegen die Coyoten im Garten der Familie Mossbacher mitbauen. Der Zaun, der die Coyoten aber erstens nicht abhält (der andere Hund stirbt kurz darauf) und zweitens mit dem Bau der Mauer gegen die Mexikaner sowieso überflüssig wird. Aber Cándido wundert sich nur. Geld ist Geld. Alles andere ist egal.
Dumm nur, daß er sein Erspartes in den Katastrophen des Lebens immer wieder verliert. Das erste Mal wird es ihm von seiner Ex-Frau, die in Mexiko nicht etwa treu auf ihn wartet, sondern mit einem anderen durchbrennt, entwendet. Das zweite Mal, er ist inzwischen mit der minderjähirgen Schwester seiner Ex, América, in Amerika, wird es ihm von anderen Mexis abgenommen. Denn Mexikaner sind nicht nur in der Wahrnehmung der liberalen Mossbacher kriminell, die deswegen glauben, auf ihre Liberalität verzichten zu müssen. Sie sind es wirklich, weil sie keine humanistische Bildung genossen haben und weil sie keine andere Wahl haben. Wenn sie nicht so elendig scheitern wollen, wie Cándido und América, denen schon ein kleiner Kaufhausdiebstahl Gewissensbisse bereitet. Und die letztendlich das viel größere Verbrechen begehen - und dabei das dritte Mal all ihr Erspartes verlieren. Sie setzen mit ihrem Lagerfeuer, mit dem die Essensreste vom Müll aufgewärmt werden, den Cañon in Brand. Der Brand, wegen dem ganz Arroyo Blanco evakuiert werden muß, wegen dem der Rechtsterrorist, der mit einer elektronischen Fußfessel an sein Haus gebunden ist, fliehen kann, wegen dem Kyras Mutter nicht mit dem Rechtsterroristen weiter schäkern kann, wegen dem Thanksgiving ausfällt und der Truthahn im Ofen anbrennt, wegen dem auch das dritte Haustier der Mossbachers stirbt, wegen dem Kyra ihre Lieblingsimmobilie verliert (keine Ahnung, was sie härter trifft) und wegen dem die Schlammlawine Arroyo Blanco überrollt und alle in den Tod reißt außer Delaney.
Bis auf den letzten Satz, in dem sich die Kulturen die Hand reichen und gemeinsam aus dem Schlammassel ziehen, obwohl sie sich noch eine Minute vorher den Tod an den Hals gewünscht haben (mit dem Unterschied, daß der Pazifist Delaney das Geld hat, sich eine Waffe zu kaufen, und aufgrund seiner Naturverbundenheit die Fähigkeit, den Spuren von Cándido zu folgen, um ihn umzulegen, während Cándido für das Geld schuftet, daß den anderen die Liebe zu Waffen und Natur ermöglicht) eine meisterhafte Studie über die Dekadenz des westlichen Lebens, den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Illegalisierten, den materiellen und ideologischen Grundlagen von Toleranz und Zivilisation und der Brüchigkeit derselben angesicht der Versuche, der davon Ausgeschlossenen daran teilhaben zu wollen. Besser wurde die Geistesverwandtschaft von rechten und linken Wohlstandsbürgern, die angesicht der „mexikanischen Bedrohung“ ihre Konflikte beilegen, um sich erst abzuschotten, dann eine Bürgerwehr zu bilden und schließlich zum Pogrom zu schreiten, noch nicht beschrieben. Kein Wunder, daß die taz auf dem Klappentext dem Buch eine „bittere Situationskomik, die noch im Moment der Katastrophe zum Lachen reizt“ schreibt. Voller Bitternis und Katastrophen (die sind allerdings menschliche und keine natürlichen, wie Delaney meint) steckt das Buch wahrlich. Komik ist allerdings nirgendwo zu finden und zum Lachen reizt es wohl nur den taz-Autoren, der damit verbergen will, wie die Beschreibung von Delaney auf ihn selbst zutrifft.
Gabacho

(1)aus: Daniel Pennac: Adel vernichtet. Siehe Besprechung im CEE IEH #81

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last modified: 28.3.2007