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Die Malaussenes sind besser als Fernsehen

Daniel Pennac ist ein Superstar des europäischen Kriminalromans, nur bis Deutschland ist das noch nicht durchgedrungen...
Cover, 19.7k
Romane in deutscher Sprache:

- Machtspiele
- Im Paradies der Ungeheuer
- Wenn nette alte Damen schießen
- Königin Zabos Sündenbock
- Monsieur Malaussene
- Adel verpflichtet

, 0.0k

Allen Freundinnen und Freunden des Kriminalromans dürfte es nicht entgangen sein, daß besonders die französischen Kriminalschriftsteller auf diesem Gebiet viel zu bieten haben. Wer sich bis heute gescheut hat, Krimis zu lesen, weil sie scheinbar erstens meist gewalttätig, zweitens zu trivial und drittens unter Umständen langweilig (der Mörder ist eh immer der Gärtner) seien, dem sei an dieser Stelle Daniel Pennac ans Herz gelegt.
Bekannt geworden ist Daniel Pennac als Kinderbuchautor, mittlerweile hat er sich jedoch gänzlich dem Kriminalroman verschrieben. Sein Held heißt Benjamin Malaussene, der eine Horde jüngerer Geschwister, eine ewig schwangere Mutter, vier alte Rentner und einen epileptischen Hund versorgen muß. Sie alle leben in Belville.
Belville, dieser vor Leben sprühende, im Chaos versinkende Stadtteil im Norden von Paris, in dem Araber, Chinesen, Afrikaner und Franzosen auf engstem Raum zusammenleben, ist der eigentliche Held der Kriminalromane von Daniel Pennac. Als Chronist der kleinen Leute gruppiert er um Benjamin Malaussane eine Gesellschaft skurriler, aber glaubhaft gezeichneter Personen. Bedroht von geldgierigen Immobilienspekulanten, unverbesserlichen Nazis, korrupten Politikern und skrupellosen Medienschaffenden, wachsen die Heimatlosen und Modernisierungsverlierer zu einer großen Familie zusammen. Das Milieu ist anheimelnd, die Protagonisten sind sympathisch. Mit enormem Wortwitz und viel Gefühl für Dialoge läßt er die lakonisch resümierende Erzählerstimme in einen Wettstreit geraten mit dem Gossen-, Gauner-, Jugend-, Einwanderer- und Familienslang des Quartiers. Seine Romane sind derart schnell, kurvenreich und hintersinnig geplottet, daß man die Handlung einer Achterbahnfahrt gleich durchmißt. Mittendrin steht Ben Malaussane, der Pechvogel vom Dienst, ein Lückenbüßer und Sündenbock: wann immer sich irgendwo ein Verbrechen ereignet, sprechen alle Indizien gegen ihn. Die Idee, mit dem Phänomen des Sündenbocks zu spielen, kam Pennac nach der Lektüre des französischen Historikers René Girard. Ihm zufolge liegt jeder Kultur ein Konzept des Ausschlusses zugrunde, und das Vehikel der Ablehnung ist der Sündenbock. Er wird zur lebendigen Erklärung für ein Geschehen, das einen Schuldigen braucht. „Wir sind alle irgend jemandes Sündenbock, sobald wir in hierarchischen Verhältnissen arbeiten“, sagt Pennac, „und dieses Jemanden-zum-Sündenbock-Machen erfüllt eine sehr weit verbreitete soziale Funktion.“ In insgesamt vier Romanen schickt Pennac Malaussane als professionellen Sündenbock in private und staatliche Institutionen: in einen Kaufhauskonzern, einen Buchverlag, die Polizeibehörde sowie die Massenmedien.
Pennacs Romane besitzen eine antirassistische, antitotalitäre Dimension, wobei er sich jedoch nicht als militanten Fürsprecher für irgend etwas versteht.
Pennac schreibt keine Krimis, in denen der Detektiv letzendlich das große Glück findet, sondern setzt seinen Romanen ein offenes Ende. Man hat keine Vorstellung davon, wie das Leben seiner Protagonisten weitergeht. Den Hintergrund für die kriminellen Aktionen seiner Romane bilden meist „große“ Themen. In seinen ersten Büchern war es die Aufteilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg (Les enfants de Yalte) oder die weltweite Legende vom Weihnachtsmann (Pere Noel).
In seinem Buch „Wenn nette alte Damen schießen“ ist bereits die Anfangsszene Ausdruck seiner antirassistischen Haltung. Subtil dargestellt wird das Denken und Verhalten des „frontal national“ eingestellten Polizeiinspektors Vanini. Seine Haare so blond wie die von Le Pen, Leitfigur der rechtsextremen „Front National“, die gerade in Belville viele Wähler fand. Zwar klagt Pennac Rassismus nicht offen an, sondern ihm gelingt es, Humor und Ironie als politische Waffe einzusetzen. Naturalistischen Gewaltdarstellungen hat Pennac weitgehend abgeschworen. Infernalische Blowups mit viel Blut sind eben kaum geeignet, herrschende Gewalt zu desavouieren.
Anfang der neunziger Jahre wurden Pennacs Romane beim rowohlt-Verlag in deutscher Sprache veröffentlicht. Diese Auflagen sind jedoch schon lange vergriffen. Derzeit bemüht sich Kiepenheuer und Witsch um eine Neuauflage in neuer Übersetzung. Leider bietet diese nicht annähernd den Lesegenuß der alten Übersetzungen. Wer also Lust auf Pennac hat, dem sei ein Gang ins Antiquariat angeraten.
Anne


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last modified: 28.3.2007