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Die Legionärskrankheit

Die Fans von Feyenoord Rotterdam – daheim zärtlich „die Legion“ genannt – sehen nicht aus wie andere Holländer. Meistens sind sie fetter, tragen Tattoos, langes oder besonders kurzes Haar und Schnauzbärte. Besonders für Deutsche sind sie gefährlich. Eigentlich bilden sie die einzige ethnische Gruppe, die in ihrer Einschätzung noch unter den Deutschen rangiert, die Juden. So repräsentiert „die Legion“ eine Seite des holländischen Lebens, über die Niederländer im Ausland am liebsten nicht sprechen würden.

„Wer nicht hüpft, der ist ein Jude.“
Jean-Paul van Gastel, 21.2k Jean-Paul van Gastel

Ulrich van Gobbel, 24.5k Ulrich van Gobbel

„Die Legion“ würde sagen, dass ihr Problem mit den Deutschen am 14. Mai 1940 begann, jenem Tag, an den die Luftwaffe das Zentrum von Rotterdam zerstörte und dabei 900 Menschen tötete. Allerdings wartete die Hooligan-Gruppe mit einer Reaktion auf diesen Umstand bis ins Jahr 1994, als 500 Fans von Feyenoord bei einem Spiel in Bremen verhaftet wurden. In der Folge gab es stets Probleme bei Partien gegen deutsche Teams, die spektakulärsten im Januar 1999 bei einem Freundschaftsspiel in Leverkusen. Damals beschimpfte „die Legion“ das einheimische Publikum und die Polizei bizarrer Weise als „Juden“. Ansonsten warfen sie Steine und zertrümmerten mit Eisenstangen Autos, sie steckten ein Kassenhäuschen in Brand und beschäftigten am Ende fast die gesamten Polizei-Einsatzkräfte von Nordrhein-Westfalen. Im holländischen Fernsehen zeigten ehemalige populäre Spieler des Vereins Verständnis für die Ausschreitungen. Die UEFA teilte dem Klub mit, dass weitere Vorfälle für einen Ausschluss aus der Champions League sorgen würde. Der Vereinspräsident schloss daraufhin die eigenen Fans von allen Auswärtsspielen im Europapokal bis 2001 aus – sogar die Sponsoren mussten zu Hause bleiben. Seitdem hat es keine Vorfälle mehr gegeben und der Bann wurde gelockert.
In mancherlei Hinsicht ist die Haltung „der Legion“ den Deutschen gegenüber typisch holländisch. Besonders seit der Europameisterschaft 1988 ist es ein charakteristisches Merkmal des holländischen Machismo, den Deutschen jenen Widerstand entgegenzusetzen, den das Land während des Krieges vernachlässigte. Auf der anderen Seite ist die Gefühlslage der Anhänger von Feyenoord aber auch einzigartig. Teilweise hat sie damit zu tun, dass Feyenoord totale Hingabe anbietet: ein Stadion, das bebt, weil die Zuschauer auf den Bänken trampeln. Das macht „die Legion“ britischen Fans ähnlicher als ihren Feinden von Ajax. Ad Melkert, ein Feyenoord-Fan, der wahrscheinlich Wim Kok als niederländischen Premier ablösen wird, sagte dazu: „Das Stadion und die fanatische Atmosphäre gefallen mir, allerdings minus der Exzesse.“
Nur sind diese Exzesse Teil des Fanatismus, und der wird traditionell durch Wut und Frustration gefüttert. So geht es schließlich um „Feyenoord gegen den Rest der Welt“, wie ein Buchtitel über den Klub sagt. Schon als Stadt fühlt sich Rotterdam nämlich nicht ausreichend akzeptiert. Viele Einwohner haben früher im Hafen harte Arbeit geleistet („Feijenoord“ war der Name eines Docks) und hielten Amsterdam für die Heimat verweichlichter Bohemiens. Rotterdams weißes, urbanes Proletariat – eine soziale Klasse, die es sonst in Holland kaum gibt – mag daher Macho-Spieler.
Die Frustration der Fans rührt aus einer endlosen Serie von Niederlagen. Der Verein mit den vielleicht meisten Anhängern in Holland hat in den letzten 17 Jahren nur zwei Meistertitel gewonnen (den Europapokal der Landesmeister einmal: 1970). Feyenoord hat daher nach vielen die Identität eines Verlierers. Außerdem glaubt „die Legion“, dass die holländische Presse Ajax bevorzuge. Weil Amsterdam historisch gesehen eine jüdische Stadt ist, nennt sie die Fans von Ajax „Juden“. Wer immer sich auf die Seite von Ajax stellt, ist „Jude“. Eigentlich ist aber jeder, der nicht für Feyenoord ist – selbst ein deutscher Fußballspieler – ein „Jude“.
Im Ausland gilt Holland als tolerant. Das hat damit zu tun, dass die Holländer der Welt gesagt haben, sie würden in einem toleranten Land leben. Außerdem kann die Welt zu wenig Holländisch, um das zu überprüfen. Wenn Feyenoord gegen Ajax spielt, singen Tausende und nicht etwa eine kleine Minderheit: „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ Oder sie zischen, um das Geräusch von entweichendem Gas zu imitieren. Als Feyenoord 1999 holländischer Meister wurde, stimmten die beiden Spieler Jean-Paul van Gastel und Ulrich van Gobbel bei der Siegesfeier vor dem Rathaus in Rotterdam an: „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude.“ Beide spielen noch bei Feyenoord.

Het Bombardement
Es würde zu lange dauern, die Widersprüche in der Geschichtsbetrachtung der Legion aufzulisten. Bei Spielen gegen Ajax singen sie über Züge nach Auschwitz, ansonsten beschuldigen sie Fans anderer Klubs, im Krieg Mitglieder der holländischen Nazi-Partei gewesen zu sein. Sie hassen Deutsche und romantisieren einen Hafen, von dem aus die meisten Waren nach Deutschland gehen. Sie hassen Juden und beklagen „het Bombardement“, obwohl ungleich mehr Rotterdamer Juden in Konzentrationslagern umkamen, als Einwohner beim Luftangriff am 14. Mai 1940 starben.
teekalt



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last modified: 28.3.2007