Nach dem im letzten Cee Ieh der erste Teil die
Thesen zur Kritik der Antifa enthielt, geht es im folgenden um das Fundament
dieser Kritik. Teil zwei und Schluß der Dokumentation der Referate auf
der Veranstaltung der Antinationalen Gruppe Leipzig (ANG) mitte Mai dieses
Jahres.
Die Linke am Ende
Schaut man sich die linke Theoriebildung der letzten Zeit an, so kann man
völlig wirre und abstruse Vorstellungen von Gesellschaft und daraus
folgender Praxiskonzepte erkennen.
Am Schlimmsten ist dabei, daß die Linke in ihrer Mehrheit kein
Verständnis von der prinzipiellen Endlichkeit des Kapitalismus hat. Im
Gegenteil: gerade mit Globalisierung und Neoliberalismus sieht sie den
Kapitalismus auch noch erstarken.
Zunächst ist entscheidend, daß ein angemessener Begriff von
Gesellschaft nicht existiert. So werden allerhand Widersprüchlichkeiten in
derselben gesehen. Zum Beispiel »Rassismus«,
»Sexismus« und »Kapitalismus«, wie die
unerträglich dumpfe und gefährliche triple-oppression-Theorie es
weißzumachen versucht. Sie versucht alles zu denken und denkt in Wahrheit
gar nicht.
Der Begriff von Gesellschaft
Überhaupt von GESELLSCHAFT zu reden ist sinnvoll erst im
Kapitalismus. Vorher wäre niemand auf die Idee gekommen, das soziale
Gebilde in dem er oder sie lebt als eine Gesellschaft zu bezeichnen. Nicht
umsonst waren die ersten Gesellschaftstheorien Vetragstheorien, nicht umsonst
mahnt der Begriff an das gegenseitige Abschließen von bürgerlichen
Verträgen, nicht umsonst die inhaltliche Nähe zu
»Aktiengesellschaften« etc..
Man kann zwar in vorkapitalistischen Zeiten davon reden, daß es so
etwas wie Gesellschaften oder besser: Gemeinwesen gab. Aber eine
Weltgesellschaft, eine Gesellschaft, die weltweit zusammengeschweißt ist
und in der sich alle Menschen aufeinander beziehen, hat es vormals nicht
gegeben. Gesellschaft entsteht also erst mit dem Aufkeimen und Durchsetzen des
Kapitalismus. Das heißt, daß Menschen in dieser Gesellschaft
ersteinmal dadurch in Kontakt kamen, daß sie anfingen, Waren zu
produzieren und zu tauschen sie kamen erstmals einzig und allein
durch den Austausch vermittelt als reine Warenbesitzer zusammen. Das ist
das absolut Grundlegende. Und daran ist unseres Erachtens hinsichtlich einer
materialistischen Gesellschaftskritik auch unbedingt festzuhalten.
Es schließt sich die Frage an, was in solch einer warenproduzierenden
Tauschgesellschaft passiert, in der sich Menschen in solch einer Weise
begegnen: sie geraten unter den Zwang von Verhältnissen, die sie selbst
schaffen.
Was ist der Wert?
Klären wir zunächst die Frage, worauf dieser Tausch, den die Menschen
selbst vollziehen, beruht. Grundlegend dafür ist der Wert. Dieser Wert
als Grundmoment des Tausches ist das Vermittelnde des
Warentausches.
Der Austausch zwischen verschiedenen Waren muß in einer warentauschenden
Gesellschaft erst möglich gemacht werden (da er im Gegensatz zu
Behauptungen des gesunden Menschenverstandes und bürgerlicher
Theorien nicht natürlich ist). Es muß also ein
Maßstab gesucht werden, an dem sich die zu tauschenden Waren messen
lassen. Es muß eine Größe geben, die zwischen den Waren steht
ein ausgeschlossenes Drittes den Wert. Nun wurde diese
Größe nicht zielstrebig von Menschen gesucht, die sich vorher
sagten: Ach wie schön wäre es doch, Waren zu tauschen!
sondern: der Warentausch entstand historisch und in seiner Entstehung
setzte sich dann diese Größe historisch durch.
Beim Tausch zweier Waren springt diese Größe förmlich von der
einen zur anderen Ware. Der Wert befindet sich sowohl in der einen als auch in
der anderen und auch in beiden nicht. Je nachdem, welche ihren Wert
ausdrückt oder in welcher der Wert ausgedrückt
wird.
Die Waren spiegeln sich im Tausch ineinander. Die eine jeweils in der anderen.
Dabei ist jeweils die eine das Original, die andere der Spiegel, in welchem
sich das Original selbst betrachtet. Einzig und allein im Spiegelbild der
anderen Ware entdeckt die eine ihre Identität, ihre Warenidentität.
Nennen wir sie A und B. A bezieht sich auf B, spiegelt seinen Wert, indem es
mit B in ein Tauschverhältnis tritt und entdeckt dabei seine eigene
Identität als Ware. Aber auch B bezieht sich in der selben Weise auf A. Je
nachdem, vom Standpunkt welcher Ware aus der Prozeß betrachtet wird,
springt der Wert von A nach B.
Gleichzeitig ist er die unabhängige vermittelnde Größe und ist
doch nicht zu fassen. Dieser Wert hat die Funktion, die Waren, die ja
völlig unterschiedliche Sachen sind und die man direkt nicht miteinander
vergleichen könnte, zurechtzustutzen. In der griechischen Mythologie gibt
es eine Sagengestalt: den Riesen Prokrustes. Er nimmt Wandersleute in seiner
Herberge auf, legt sie in ein zu kurzes und zu schmales Bett und schneidet des
Nachts die überragenden Glieder einfach ab. Dieses
»Prokrustesbett« ist das perfekte Bild für den
kapitalistischen Warentausch. Die Waren werden reduziert auf ihren Wert,
der sich als die Arbeitskraft bestimmt, die in ihnen steckt. Einzig und
allein anhand dieses bornierten Merkmals erfolgt im Tausch der Vergleich:
Wieviel gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in den Waren sich befindet.
Diesem Wert werden alle Dinge in der kapitalistischen Gesellschaft
untergeordnet. Ihre Besonderheit, ihre Verschiedenheit voneinander, wird
vollkommen egal.
Der Wert ist also das grundlegende und vermittelnde Prinzip der
kapitalistischen Gesellschaft(1). Aller gesellschaftlicher Austausch
regelt sich vermittelt über dieses eigenartige Ding.
Das Geld
Ein entscheidender Aspekt für die Charakterisierung der kapitalistischen
Gesellschaft ist die Form der Vermittlung dieser Waren. Zentral dafür ist
im Kapitalismus das Geld als konkrete Erscheinungsform des Wertes. Wichtig
dabei: Geld resultiert zwar aus dem Wert, ist aber nicht der Wert. Denn der
Wert steht zwar hinter dem Geld, ist aber selbst niemals dinghaft (also auch
nicht in irgendwelchen Zahlen ausdrückbar) er erscheint im
Geld. Das Geld als die konkrete Erscheinung des Wertes bringt die Waren
in der kapitalistischen Gesellschaft zueinander, ist also auch das
Zirkulationsmittel. Dieses ist es aber nur dank seiner Funktion als
Wertaufbewahrungsmittel. Im Geld wird also der Wert ausgedrückt und
aufbewahrt.
Um den gesellschaftlichen Austausch von Waren zu ermöglichen, tritt das
Geld als gesellschaftliches Schmiermittel auf.
Das Kapital
Der entscheidendste Begriff des Kapitalismus, wie der Name dieser
Gesellschaftsformation schon sagt, ist der des Kapitals. Jenes ist
wertheckender Wert. Das heißt, das Wert aus sich heraus mehr Wert
wird. Zur Veranschaulichung: Menschen betätigen sich als Unternehmer,
verfügen über eine bestimmte Menge Geld. Dieses Geld wird in die
Zirkulationssphäre investiert, indem Waren aufgekauft werden. Eigenartiger
Weise vermehrt sich dieses Geld. Es entsteht ein Gewinn dabei. Eine ziemlich
mystische Angelegenheit, wie man meinen könnte.
Der gute Marx hat sich überlegt, woran das liegen könnte und ist
dabei auf den Gedanken gekommen, daß auf dem Warenmarkt mittels des
Geldes eine ganz bestimmte Ware aufgefunden wird. Also daß es neben
Blechbüchsen, Tonnen Eisen oder sonst etwas noch die ominöse Ware
Arbeitskraft gibt.
Viele Menschen entgegnen an dieser Stelle, Wertschöpfung geschehe gar
nicht ausschließlich durch die Ware Arbeitskraft. Man könne sich ja
auch Maschinen kaufen, die dann anstelle der Menschen die Arbeit verrichten und
dann die Waren verkaufen und hat als Kapitalist trotzdem noch einen tollen
Profit. Aber diese Rechnung geht nicht auf. Menschen haben zur Erleichterung
des Stoffwechselprozesses mit der Natur stets Maschinen eingesetzt. Auch Marx
kannte diese Entwicklung und beschrieb sie im genialen 13. Kapitel des Kapitals
(1. Band). Also: die Maschine gibt stets nur den Wert weiter, der zu ihrer
Herstellung verwandt wurde. Wird sie ausgeschaltet, unterbricht sich dieser
Prozeß. Weder Maschinen, noch gezüchtete, genetisch veränderte
Arbeitssklaven, noch überhaupt irgendwelche unbezahlten Arbeitskräfte
schöpfen Wert.
Als Kapitalist kann ich also neben anderen Waren auch die Ware Arbeitskraft
aufkaufen und damit Wert schöpfen kann aus Geld mehr Geld machen.
Ich stelle mir Menschen ein, kaufe neben der Ware Arbeitskraft noch andere
Waren auf und kann so Wert schöpfen, in dem ich die Arbeitsprodukte wieder
verkaufe. Dieser Prozeß der Wertschöpfung ist das grundlegende
Moment in einer kapitalistischen Gesellschaft. Er erzeugt den Wert also
die Substanz des Kapitalismus.
Zwischen den ursprünglichen Austauschprozeß zwischen Mensch und
Natur, den Stoffwechselprozeß des Menschen mit der Natur
(Marx) ist im Kapitalismus also jener Wertschöpfungsprozeß getreten.
Menschlicher Austausch mit der Natur (also jegliche Produktion) ist von nun an
nur noch in wertförmiger, also letztlich gewinnbringender Gestalt
möglich. Bedürfnisse der Menschen werden für die Produktion
unwichtig. Brot wird nicht mehr gebacken, weil Menschen Hunger oder Appetit
darauf haben, sondern weil es verkauft werden, etwas einbringen soll. Das
Resultat: Millionen hungernder Menschen trotz immenser Güterproduktion,
krankmachende Lebensmittel, sinnlose Produkte, für deren Verpulverung
wiederum eine noch sinnlosere Werbeindustrie aus dem Boden gestampft wird.
Nicht nur das eigentliche Subjekt der Bedürfnisbefriedigung, der Mensch,
wurde unwichtig, sondern auch das Objekt dieser Befriedigung. Kapitalistische
Produktion nimmt keine Rücksicht auf den Stoff, mit dem sie sich
vollzieht. Eine irrsinnige Ressourcenverschwendung und Zerstörung der
natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen sind die unvermeidliche Folge.
Das automatische Subjekt
Als nächstes ist zu fragen, warum das Kapital zum automatischen Subjekt
wird. Das Kapitalverhältnis bezeichnet einen Prozess, der sich
wesensgemäß immer weiter fortpflanzen muß. Er spielt sich
immer und immer wieder von neuem ab. Daraus resultiert ein unentwegtes
Fortschreiten auf stets höherer Stufe, in dessen Folge sich das Kapital
immer mehr Arbeit einverleibt also lebendige in tote Arbeit verwandelt.
Das zeigt sich in der Erzeugung einer immer größer werdenden
Gütermasse. In allen Gütern, v.a. auch in Produktionsmitteln
(Maschinen, Fabrikanlagen, Computern) ist derartige tote Arbeit kristallisiert.
Auf Grund eigener Gesetzmäßigkeiten setzt sich dieser Prozess immer
weiter fort. Er schraubt sich aus eigener Kraft immer weiter. Und kauft darin
immer mehr Menschen in Form von Ware Arbeitskraft auf.
Akkumulation des Kapitals
Der kapitalistische Prozeß muß dabei stets auf höherer
Stufenleiter weitergehen. Bei Strafe des eigenen Untergangs ist der einzelne
Kapitalist gezwungen, stets seine Produktionsmittel zu vervollkommnen. Er
muß also immer bessere Maschinen kaufen und immer mehr Arbeitskräfte
einsparen, damit er im Konkurrenzprozeß nicht zurückbleibt.
Herrschaft und Knechtschaft
Es hat sich durch die Ausführungen eröffnet, daß der Mensch
selbst die grundlegende Ware im Kapitalismus ist.
Kapitalismus ist ein gesellschaftlicher Zustand, der Menschen unentwegt in
Waren, in Dinge, in Objekte verwandelt, die gesamtgesellschaftlich gesehen
nichts zu melden haben. Diese zu Dingen herabgewürdigten Menschen laufen
genauso wie andere Waren durch das Prokrustesbett der Verwertung. Sie werden
bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, der Verwertungslogik
angepaßt.
Die Menschen machen sich dabei selbst zu Dingen, zu Objekten, zu Waren. Sie
produzieren genau die Verhältnisse, von denen sie beherrscht werden. Sie
schaffen die herrschenden Strukturen des Kapitalismus, von denen sie dann
wiederum geknechtet werden.
Produktion im Kapitalismus hat in keinster Weise zum Ziel, jemanden zu
befriedigen, satt oder glücklich zu machen. Es geht immer
ausschließlich darum, daß sich das Kapital selbst vermehrt,
daß der Prozess des automatischen Subjekts immer weiter angeheizt wird.
Das Triebwerk Kapitalismus soll sich immer weiter entwickeln, immer schneller
und weiter rasen.
Fetisch
Ein Fetisch ist eigentlich ein religiöses Ding, ein selbstgefertigtes
Objekt, das man anbetet und das Macht über einen gewinnt.
Bezüglich des Kapitalismus kann man von einer fetischistischen
Gesellschaft sprechen. Eine Gesellschaft, die zwar irgendwann einmal von
Menschen hervorgebracht wurde, die aber heute Menschen beherrscht und
Menschen zu Objekten niederdrückt zu Objekten eines Subjekts,
das nicht, wie man denken könnte, ein Mensch ist, sondern eben das Kapital
als Verhältnis. Alle Menschen, die in der kapitalistischen Gesellschaft
leben, egal, ob sie sich nun unternehmerisch betätigen oder auf der
Gegenseite ihr Dasein fristen müssen, stehen unter der Herrschaft dieses
Kapitals. Jegliche Art zu personalisieren (also sich zu fragen, wer denn nun am
Kapitalismus schuld ist, wer denn nun das Kapital ist und
nicht was es ist nämlich ein Verhältnis), endet
in wüsten und gruseligen Theorien. Einzelne werden verantwortlich gemacht
für ein gesellschaftliches Verhältnis. »Bonzen« und
»Spekulanten« würden angeblich den Kapitalismus steuern und
Geld haben und sichs gut gehen lassen, während andere für sie
arbeiten müßten. Den Haß auf »Sozialschmarotzer«
gibts zu dieser Ideologie gratis. Denn diese »schaffen«
schließlich auch nichts.
Kritik und Anti-Politik
Die oben genannten objektiven Bedingungen offenbaren die Gründe, warum ein
politisches Agieren mit dem Ziel der Abschaffung des Kapitalismus letztendlich
zum Scheitern verurteilt ist. Jegliche Beeinflussung dieses
Kapitalverhältnisses in bezug auf seine Entwicklung ist blanke
Selbstüberschätzung und läßt sich nicht auf der Grundlage
einer materialistischen Gesellschaftskritik rechtfertigen. Der einzige
Standpunkt der möglich ist, ist der Standpunkt einer kritischen Theorie,
welche die Bewegung des Kapitals nachvollzieht und daran immer und immer wieder
radikale Kritik äußert.
Es ist wichtig, auf die tendenziell mögliche und notwendige Endlichkeit
des Kapitalismus zu verweisen, zu sagen, daß also das Kapitalgesetz kein
ewig laufender Kreislauf sein kann und daß sich genau jene Krisentendenz
in der bestehenden Gesellschaft auch ankündigt.
Genau in jener Krise stellt sich die Frage, was mit dem bürgerlichen
Subjekt passiert, das bisher weitgehend reibungslos funktionierte. Es besteht
dabei jederzeit die Möglichkeit, daß es einem kollektiven Wahn
verfällt und bestialische Gesellschaftszustände errichten
möchte.
In einer solchen Krise besteht die Gefahr, daß das sich als rational
begründende bürgerliche, männliche Subjekt aus den Fugen kracht.
Die Idee eines vernünftig handelnden, seine Zwecke und Interessen rational
vertretenden, sich permanent beherrschenden und zusammenreißenden
Menschen formierte sich erst im Zusammenhang mit der Entstehung des
Kapitalismus und des Siegezuges der Arbeit. Seine Identität fand der
rationale Mensch stets in der Abgrenzung vom Wahnsinn. Menschen, die sich der
Verwertungslogik nicht unterziehen konnten oder wollten, die die
unsägliche psychische Zurichtung und Zumutung nicht mitmachen konnten oder
wollten, wurden seit Beginn der kapitalistischen Zeit in Irrenhäuser,
sogenannte »Psychiatrien« gesperrt. Als Spiegelbild der
rationalen Welt dienten sie zu ihrer Rechtfertigung und
Identitätsbegründung.
Genau dieses Aus-den-Fugen-Krachen kann aber auch eine neue Verhandlungsbasis
darstellen, aufgrund derer die Verfaßtheit der Gesellschaft neu
ausgehandelt werden könnte. In der Krise werden die Karten neu gemischt.
Gleichzeitig aber besteht in einer derartigen Krise die Gefahr einer
schrecklichen Rückentwicklung des menschlichen Bewußtseins.
Anzeichen einer solchen stellen die Tendenz zu einer Zunahme sexistischer,
sozial-darwinistischer, esoterischer, antisemitischer, rechtsextremer oder
extrem-religiöser Positionen dar.
Genau solchen Tendenzen gilt es, mit dem Bewußtsein von einer
Krisenhaftigkeit des Kapitalismus entgegenzutreten. Diese Aufgabenstellung ist
allemal wichtiger, als sich in den Irrglauben zu versteigen, mit konkreter
Politik diese Gesellschaft entscheidend beeinflussen zu können.
Daß dem Kapitalismus die Krise wesenhaft ist, liegt darin begründet,
daß er von Anbeginn ein selbstwidersprüchliches Verhältnis ist.
Krise wurde in den bisherigen marxistischen Krisentheorien falsch gedacht. Man
redete nur von »Überproduktionskrisen«. Das heißt, es
würde zuviel produziert, zuwenig verkauft und die Waren müßten
aus der Zirkulation geschleudert werden. Diese Entwicklung würde
schließlich zum »großen Kladderadatsch« führen,
wie August Bebel es formulierte. Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus aber
liegt schon in seiner Produktionsweise selbst begründet.
Das Problem des Kapitalismus ist, daß er seit seiner Existenz auf
Selbstwidersprüchen beruht. Einerseits gründet er auf der
Anhäufung von toter Arbeit (siehe oben) anderseits muß er infolge
der Akkumulation des Kapitals ständig Arbeitskräfte einsparen. Ebenso
benötigt er zu seiner eigenen Existenz einen nicht-betriebswirtschaftlich
funktionierenden Bereich: eine Armee, Polizei, Justiz, Straßenbau,
Energieversorgung, Verwaltung, Wissenschaft, Müllabfuhr, etc.. Wenn diese
Bereiche nicht funktionieren, ist ein Verwertungsprozeß nicht
möglich. Es ist aber wiederum genau die Tendenz des Kapitalismus, sich
alle gesellschaftlichen Bereiche unterzuordnen und sie somit der
betriebswirtschaftlichen Rationalität auszusetzen. In diesem Prozeß
gräbt sich der Kapitalismus selbst das Wasser ab (vgl. hierzu
ausführlich: R. Kurz, Schwarzbuch Kapitalismus). Das Kapital benötigt
zu seiner Existenz eben z.B. eine unabhängige Wissenschaft. Dazu
bedarf es staatlicher Finanzierung. Ist diese angesichts staatlicher
Finanzprobleme nicht mehr zu haben, so wird der universitäre Bereich eben
privatisiert die Unis einer betriebswirtschaftlichen Logik ausgesetzt.
Aus Kostengründen aber wird kein Unternehmen dauerhaft den Unibetrieb
fördern. Die Wissenschaft geht demzufolge krachen. Das wiederum zeitigt
negative Folgen für die kapitalistische Produktion, die schließlich
auf wissenschaftliche Neuerungen angewiesen ist ja überhaupt keine
kapitalistische Akkumulation ohne sie betreiben kann.
Gesetzmäßigkeit und Befreiung
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Wir behaupten nicht, daß es
Gesetzmäßigkeiten gibt, die zwingend aus dem Kapitalismus
herausführen.
Die Philosophie hat lange Zeit propagiert Hegel zum Beispiel ,
daß sich die Welt angeblich logischen und vernünftigen Gesetzen
gemäß entwickelt und am Ende etwas Gutes steht. Diesen positiven
Fortschrittsglauben lehnen wir ab.
Die kapitalistische Gesellschaft aber, die Art und Weise wie sie funktioniert,
unterliegt sehr wohl Gesetzmäßigkeiten. Wie der Kapitalismus sich
entwickelt, warum aus einer warentauschenden Gesellschaft eine verkehrte
Gesellschaft hervorgehen muß, die von den Menschen nicht bewußt
beeinflußt werden kann, warum das Kapital sich immer weiter selbst
verwerten muß, innerhalb seiner Logik sich in einem Kreislauf bewegt,
warum Kapital immer weiter akkumulieren muß, sich immer weiter
anhäufen, der Zwang zu immer weiterer Entwicklung da sein muß, das
sind immanente Gesetzmäßigkeiten. Es gibt also keine
Gesetzmäßigkeit, die aus dem Kapitalismus herausführt, aber
Gesetzmäßigkeiten innerhalb desselben. Walter Benjamin hat dies
im Nachwort zu seinen Thesen zum Begriff Geschichte mal so beschrieben,
daß Revolutionen vielleicht nicht die Marxschen Lokomotiven der
Weltgeschichte sind, sondern der Griff des reisenden Menschengeschlechtes nach
der Notbremse. Mit dieser Metapher läßt sich der Unterschied
hinsichtlich der Gesetzmäßigkeiten scharf fassen. Geschichte an
sich ist in keiner Weise determiniert. Es ist nicht vorweg klar, in welche
Richtung sie sich bewegt, aber es gab einen Punkt innerhalb der Geschichte, an
dem sich das Kapital als automatisches Subjekt durchsetzte. Und von dem
Zeitpunkt an wurde das menschliche Denken und Handeln ganz speziellen
Kapitalismus-immanenten Gesetzen unterworfen der Bewegung des
Kapitalismus.
Gegen die Postmodernen!
Marx konnte das Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis des Kapitalismus
im Kapital nur deshalb so minutiös darstellen, weil er selbst
materialistisch geerdet war. Es ging ihm gerade nicht darum, die
kapitalistische Gesellschaft als eine Gesellschaft von persönlichen
Herr-Knecht-Verhältnissen darzustellen.
Postmoderne und v.a. poststrukturalistische Argumentationsweisen haben eine
scheinbare Ähnlichkeit mit der marxschen Position. Das darf aber nicht
darüber hinwegtäuschen, daß diese Denkweisen im strikten
Gegensatz zu einer kritischen Gesellschaftstheorie stehen.
Beschreibt Marx die Gesellschaft als eine Vermittlung der Natur mit sich
selbst, in der diese sich selbst als ihr eigener Gegensatz entgegentritt, so
lösen die Pomos und Struckis dieses dialektische Verhältnis von
Gesellschaft und Natur in sogenannte »Diskurse« auf.
Demgegenüber sind jene, also die sprachliche Kommunikation selbst als ein
Moment der gesellschaftlichen Vermittlung der Natur und der naturhaften
Vermittlung der Gesellschaft zu begreifen. Da Pomos und Struckis in aller
Entschlossenheit darauf beharren, daß es keine Wahrheit keine
Natur unabhängig des Mal-Drüber-Redens gibt, sind sie zu einer
kritischen Auffassung der Gesellschaft nicht in der Lage.
martin d.
(1)Anmerkung: Dieser Text ist die überarbeitete Form des
Referats welches ich für die ANG Mitte Mai 2001 hielt. Ich habe es
lediglich sprachlich und rechtschreiblich überarbeitet, sowie
Ergänzungen durchgeführt, die das Verständnis erleichtern. Das
heißt: es gab keine inhaltliche Neufassung. Damit ist der Text Dokument
einer eigenen Entwicklung. Aus heutiger Sicht, denke ich, daß
materialistische Gesellschaftskritik und eine Kritik des dualen
Geschlechterverhältnisses zusammengehören (ansatzweise von mir
dargestellt in Sexismus und Sexualität in CEE IEH #74 aber
bisher nicht weiter ausgeführt).
Dem im obigen Text vertretenen Anspruch, eine Theorie zu entwickeln, die die
gesamte Gesellschaft als Totalität umfaßt tut dies hingegen keinen
Abbruch. Im Gegenteil: erst durch Abschied von einer ableitungstheoretischen
Vorgehensweise kann eine solche entfaltet werden. Der Wert ist dann nicht mehr
als oberste gesellschaftliche Kategorie zu denken, sondern stets mit seinem
Gegenstück: dem abgespaltenen weiblichen Bereich, dem Schatten, den
der Wert wirft (R. Scholz, Wert und Geschlechterverhätnis). Um
überhaupt bestehen zu können, ist die wertförmige
Vergesellschaftung auf einen prinzipiell nicht der Wertlogik unterworfenen aber
auf sie bezogenen Bereich verwiesen. Ohne Kindererziehung, Gewährung von
Liebe und Zuwendung ist Kapitalismus nicht möglich. Die Tatsache,
daß gerade dieser Bereich im aktuellen Endzeitkapitalismus wegbricht, ist
kein Argument gegen das Wertabspaltungstheorem (Scholz), sondern
weiteres Indiz für das sich Anbahnen einer finalen Krise
(Kurz): der Kapitalismus benötigt zu seinem Bestehen nicht nur einen der
betriebswirtschaftlichen Logik nicht unterworfenen Bereich (z.B. die Armee),
sondern auch einen nicht-wertförmig organisierten (z.B. Kinderaufzucht),
in dem nicht die Zeitsparlogik, sondern eine
Zeitverausgabungslogik (Frigga Haug) zählt. Es kommt nicht
darauf an, ein Kind mit möglichst geringem, sondern mit möglichst
großem Aufwand zu erziehen. Beide Bereiche unterminiert der aktuelle
Krisen- bzw. Endzeitkapitalismus. Anstelle von Armee und Polizei treten private
Sicherheitstrupps, jederzeit bereit zum Austicken. Anstelle des abgespaltenen
weiblichen Bereiches, in dem einst Kinderaufzucht, Zuneigung,
Emotionalität, Sexualität, Liebe und Sinnlichkeit eingesperrt waren,
tritt das verwilderte Patriarchat (Scholz). Tradierte Strukturen
wie Familien zerfallen, machen aber nicht zumindest nicht per se
emanzipatorischen Formen des Zusammenlebens Platz, sondern stellen das
Weiterbestehen des Verwertungsprinzips in Frage.
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