[Das Experiment, Regie: Oliver Hirschbiegel, BRD: 2001 ] |
Irgendetwas geschieht mit den Menschen auf dem Weg zur Macht: Egal,
mit welchen Idealen sie einmal angefangen haben, im Machtrausch kommen sie an
den Punkt, an dem keine Inhalte mehr zählen. Dann ziehen sie in Kriege,
die sie nie gewinnen können, erproben ihre Kräfte und wissen gar
nicht mehr, wofür. Sie legen zur Not alles in Schutt und Asche nur
für den Kick, den man bekommt, wenn man die totale Kontrolle hat über
jemand anders.
(Süddeutsche Zeitung vom 07.03.2001 über den Film Das
Experiment)
Der Film: Per Zeitungsannonce werden Männer für ein
wissenschaftliches, sozial-psychologisches Experiment gesucht. Es bewerben sich
20 ganz normale Männer. Ganz normale Deutsche. Um das zu belegen, werden
alle Männer am Anfang mit Hilfe von kurzen Einzelinterviews vorgestellt.
Als Motivation, sich am Experiment zu beteiligen, geben sie an: Geldsorgen,
Langweile, Interesse etc.
Die Versuchsanordnung: Der leitende Wissenschaftler (die böse,
hinterlistige Macht, die böse Spielchen mit den Deutschen treibt)
erklärt den Männern, daß sie eine Gefängnissituation
nachspielen sollen. 8 Wärter, 12 Gefangene. Wer was wird, ist dem Zufall
überlassen (Herrschaft wird also als zufällige Rollenverteilung
charakterisiert). Im Keller des Forschungsinstituts wurde ein Gefängnis
nachgebaut. Alles videoüberwacht. Es ergeht die Anweisung, sich korrekt zu
verhalten und keine Gewalt auszuüben.
Der Versuchsablauf: Die Wärter werden zwangsläufig (ganz Opfer der
äußeren Umstände, des Experiments so wird suggeriert) zu
Tätern, die Gefallen daran finden, die Gefangen zu demütigen, zu
quälen, zu foltern, Widerstand mit brutalen Vergeltungsaktionen zu
beantworten und im Blutrausch zu morden es trifft selbst die
WissenschaftlerInnen, die am Ende des Films die Kontrolle über das
Experiment verlieren. Dabei bleiben die Täter doch Menschen. Es wird
gezeigt, was sie umtreibt, sie erzählen von ihren Familien und Hobbys
und wir erfahren auch, warum sie so ausrasten: Weil sie von den
Gefangenen (z.B. als schwul) beleidigt werden. Es gibt den autoritären
Charakter, der schon am Anfang deutsche Tugenden hochhält und dann zum
Obernazi avanciert. Es gibt aber auch den schüchternen
Bedenkenträger, der dann selbst Opfer wird (nationalkonservativer
Widerstand?). Es gibt die, die einfach so mitmachen und dann doch begeistert
sind.
Das Ergebnis: Die filmische Antwort auf die Wehrmachtsausstellung kommt so
plausibel daher, da sie sich vermeintlich gesellschaftskritisch
gibt.(1) Die Verlockung der Macht soll analysiert werden. In
Wirklichkeit wird aber nur affirmiert: Es geht nicht um Ideologien und
Herrschaftsverhältnisse, es geht nur um Psychologie, die Rollen sind
austauschbar, das Leben ist ein grausames, unaufhaltsames Spiel, alle sind
Täter und Opfer, Gewalt entwickelt sich als Selbstläufer, Widerstand
macht alles nur schlimmer.
Natürlich kann mensch den Film auch ganz anders sehen: Da hat
sich also einer getraut, es mit dem US-Kino aufzunehmen(2), hat einen
deutschen Psychothriller gedreht, und er ist spannend, gut gespielt und die
Ästhetik des Films hat wirklich etwas mit der Geschichte zu tun, die er
erzählt. (ebd.) Aber solche Filme laufen täglich im
Capitol. Geklatscht wird dagegen am Filmende nur ganz selten - wie in diesem
Fall.
sandra
P.S. Die Rollenbesetzung ist natürlich perfekt: Justus von Dohnànyi
spielt den Obernazi. Sollte die Vermutung stimmen, daß er irgendwie zum
Klaus von Dohnànyi-Clan gehört, dem Goerdeler-Schläger von
Leipzig, dann paßt das irgendwie. Andere schwärmen eher von Moritz
Bleibtreu in der Hauptrolle.
(1) Ein weiterer Grund für die vermeintliche
gesellschaftserklärende Plausibilität ist, daß sich der Film
auf den Roman Black Box von Mario Giordano bezieht, der wiederum
auf wirkliche Begebenheiten bei einem US-amerikanischem Experiment im Jahr 1971
basiert.
(2) Bislang traut sich sowas nur die Filmbranche. Die Bundeswehr, die
im Film als Auftraggeber für das Experiment fungiert, ist auch bald
soweit. Sie übt erfolgreich medial & praktisch!
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