home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[77][<<][>>]

review-corner, 3.7k

Keine Experimente!

Der antikommunistische Wahlkampfslogan taugt auch für den Film „Das Experiment“. Er erklärt uns nicht nur, warum Menschen von Natur aus böse sind und deswegen gezähmt gehören, sondern auch wie der Nationalsozialismus funktionierte - besser gesagt: wie sich Deutsche wünschen, daß er funktioniert hätte.
, 0.0k
Filmszene, 5.0k

[„Das Experiment“, Regie: Oliver Hirschbiegel, BRD: 2001 ]

, 0.0k

„Irgendetwas geschieht mit den Menschen auf dem Weg zur Macht: Egal, mit welchen Idealen sie einmal angefangen haben, im Machtrausch kommen sie an den Punkt, an dem keine Inhalte mehr zählen. Dann ziehen sie in Kriege, die sie nie gewinnen können, erproben ihre Kräfte und wissen gar nicht mehr, wofür. Sie legen zur Not alles in Schutt und Asche – nur für den Kick, den man bekommt, wenn man die totale Kontrolle hat über jemand anders.“
(Süddeutsche Zeitung vom 07.03.2001 über den Film „Das Experiment“)

Der Film: Per Zeitungsannonce werden Männer für ein wissenschaftliches, sozial-psychologisches Experiment gesucht. Es bewerben sich 20 ganz normale Männer. Ganz normale Deutsche. Um das zu belegen, werden alle Männer am Anfang mit Hilfe von kurzen Einzelinterviews vorgestellt. Als Motivation, sich am Experiment zu beteiligen, geben sie an: Geldsorgen, Langweile, Interesse etc.
Die Versuchsanordnung: Der leitende Wissenschaftler (die böse, hinterlistige Macht, die böse Spielchen mit den Deutschen treibt) erklärt den Männern, daß sie eine Gefängnissituation nachspielen sollen. 8 Wärter, 12 Gefangene. Wer was wird, ist dem Zufall überlassen (Herrschaft wird also als zufällige Rollenverteilung charakterisiert). Im Keller des Forschungsinstituts wurde ein Gefängnis nachgebaut. Alles videoüberwacht. Es ergeht die Anweisung, sich korrekt zu verhalten und keine Gewalt auszuüben.
Der Versuchsablauf: Die Wärter werden zwangsläufig (ganz Opfer der äußeren Umstände, des Experiments – so wird suggeriert) zu Tätern, die Gefallen daran finden, die Gefangen zu demütigen, zu quälen, zu foltern, Widerstand mit brutalen Vergeltungsaktionen zu beantworten und im „Blutrausch“ zu morden – es trifft selbst die WissenschaftlerInnen, die am Ende des Films die Kontrolle über das Experiment verlieren. Dabei bleiben die Täter doch Menschen. Es wird gezeigt, was sie umtreibt, sie erzählen von ihren Familien und Hobbys – und wir erfahren auch, warum sie so ausrasten: Weil sie von den Gefangenen (z.B. als schwul) beleidigt werden. Es gibt den autoritären Charakter, der schon am Anfang deutsche Tugenden hochhält und dann zum Obernazi avanciert. Es gibt aber auch den schüchternen Bedenkenträger, der dann selbst Opfer wird (nationalkonservativer Widerstand?). Es gibt die, die einfach so mitmachen und dann doch begeistert sind.
Das Ergebnis: Die filmische Antwort auf die Wehrmachtsausstellung kommt so plausibel daher, da sie sich vermeintlich gesellschaftskritisch gibt.(1) Die Verlockung der Macht soll analysiert werden. In Wirklichkeit wird aber nur affirmiert: Es geht nicht um Ideologien und Herrschaftsverhältnisse, es geht nur um Psychologie, die Rollen sind austauschbar, das Leben ist ein grausames, unaufhaltsames Spiel, alle sind Täter und Opfer, Gewalt entwickelt sich als Selbstläufer, Widerstand macht alles nur schlimmer.

Natürlich kann mensch den Film auch ganz anders sehen:
Da hat sich also einer getraut, es mit dem US-Kino aufzunehmen(2), hat einen deutschen Psychothriller gedreht, und er ist spannend, gut gespielt und die Ästhetik des Films hat wirklich etwas mit der Geschichte zu tun, die er erzählt.“ (ebd.)
Aber solche Filme laufen täglich im Capitol. Geklatscht wird dagegen am Filmende nur ganz selten - wie in diesem Fall.

sandra

P.S. Die Rollenbesetzung ist natürlich perfekt: Justus von Dohnànyi spielt den Obernazi. Sollte die Vermutung stimmen, daß er irgendwie zum Klaus von Dohnànyi-Clan gehört, dem Goerdeler-Schläger von Leipzig, dann paßt das irgendwie. Andere schwärmen eher von Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle.

(1) Ein weiterer Grund für die vermeintliche gesellschaftserklärende Plausibilität ist, daß sich der Film auf den Roman „Black Box“ von Mario Giordano bezieht, der wiederum auf wirkliche Begebenheiten bei einem US-amerikanischem Experiment im Jahr 1971 basiert.
(2) Bislang traut sich sowas nur die Filmbranche. Die Bundeswehr, die im Film als Auftraggeber für das Experiment fungiert, ist auch bald soweit. Sie übt erfolgreich – medial & praktisch!



home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[77][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007