home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[77][<<][>>]

The International Noise Conspiracy + Rocket from the Crypt, 3.7k

Der Schwanz der Resistenz

TINC 1, 19.3k

TINC 2, 6.3k

TINC 3, 17.4k

Es liegt in der zwangsweisen Logik der bürgerlichen Gesellschaft, daß man vermeintliche Mißstände, derer man gewahr wird, praktisch und aktiv bekämpft, in dem man ihre Veränderung hin zum besseren bewirken möchte. Dadurch können alle Rebellen und Dissidenten den Kapitalismus nicht nur nicht überwinden, sondern fangen sich selbst für den Kapitalismus wieder ein. Eingebürgert hat sich dafür der Begriff des Sachzwanges.
Dennis Lyxzen, ehemals Sänger von Refused, stand im oben beschriebenen Sinne einer Band vor, die dem Irrglaube verfallen war, daß Tierrecht und Veganismus die systemüberwindende Verbindung von Revolution und richtiger Lebensweise sei. Im Gegensatz aber zu so vielen jugendlichen Straight Edge-Rebellen begriff er mit der Zeit, daß die Tiervernutzung und Massenhaltung ein Problem der objektiv unveränderbaren kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist und daß die Rettung der Erde nur die Befreiung des Menschen vom Kapitalismus sein kann, welche unwiderruflich die Harmonie von Mensch und Natur bewirkt. Lyxzen hat also ein Bewußtsein dafür entwickelt, daß der Mensch als Wesen sich über die Natur im Stoffwechsel mit ihr erheben kann und genau das ihn auch vom tierischen Dasein unterscheidet.
Das folgerichtige und symbolträchtige Ende von Refused als Vorzeigeband der Tierrechts- und Veganszene kann also gar nicht hoch genug bewertet werden. Es drückt die antikapitalistische Besinnung aus, zu der Lyxzen gekommen ist – von der Menschenverachtung des Veganismus und der Tierrechtlerei ist er zum radikalen Linken geworden.
Diesen Weg gehen nicht viele, weil sie an den kapitalistischen Verhältnissen verzweifeln, sich ihnen ohnmächtig ausgeliefert sehen, ihre eigene Widerständigkeit für aussichtslos halten.
The (International) Noise Conspiracy, bei denen Lyxzen als Sänger gelandet ist, möchten dagegen die „universelle Idee des Widerstandes“, den „subversiven Sound im Unterschied zu gewöhnlichen Pop-Gruppen“ aufleben lassen.
Als „eine Geheimgesellschaft, als Untergrund, als eine Gruppe von urbanen Terroristen“ treten sie seit 1998 dagegen an, die „Funktion von Musik als Spektakel“ zu attackieren.
Den Begriff des Spektakels haben sie dafür der Situationistischen Internationale (SI) entlehnt, die von 1957 bis zu ihrem Ende 1972 bestand und spätestens ab 1962 ihre „Berührungspunkte mit der Kunst (...) endgültig und unwiderruflich“ aufgekündigt hatte (R. Ohrt). Die Schlüsselfigur der SI war zeitlebens Guy Debord, der die kleine internationale Gruppe von „Künstler-Revolutionären“ (S. Hastings-King) zusammenhielt. Allesamt mehr oder weniger aus dem Umfeld des Neo-Dadaismus und Surrealismus kommend, ging es den Vertretern der SI darum, „die Beschränkung künstlerischer Produktion zu überwinden und ihre Anerkennung als Revolutionäre zu erlangen“ (S. Hastings-King).
In dem von Debord 1967 verfaßten halboffiziellen Manifest der SI, „Die Gesellschaft des Spektakels“, stellt er zuvorderst fest: „Das gesamte Leben der Gesellschaften, in denen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Ansammlung von Spektakeln. Alles, was unmittelbar erlebt wurde, hat sich in einer Repräsentation entfernt. (...) Das Spektakel ist (...) ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.“
Die Warengesellschaft als eine „ungeheure Warensammlung“ (Karl Marx) wird hier bei Debord zum syonym von Spektakel. Da heißt, Ware und Spektakel wurden der SI zusehends eins. „Sie legte so viel in diesen Begriff (des Spektakels – R.) hinein, daß sie die gesamte revolutionäre Theorie um das Spektakel herum neu aufbaute (und so) hinter das zurück(fiel), was Marx und Engels unter dem Begriff der Ideologie verstanden“ (G. Dauve‘).(1)
Es ging der SI um eine wirkliche revolutionäre Gemeinschaft, einer Kollektivität, die sich dem Spektakel zu entziehen vermag. Genau hier knüpfen The (International) Noise Conspiracy (TINC) an: „Weil der Individualismus der größte kapitalistische Mythos“ sei, ist „The Conspiracy ein Kollektiv, eine Band der fünf gleichen, keine Stars, keine leaders.“ Um diesem symbolisch Ausdruck zu verleihen, trägt die Band „Uniformen“, verschreibt sich eine gleiche Kleiderordnung zwischen kulturrevolutionärem Mao Style bis zum Mod-Chic von The Who. TINC ist nicht, wie behauptet wird, die Symbiose aus „Elvis und Che Guevara“. TINC ist die Verbindung von kommunistischen und anarchistischen Idealen: „Something like a symbiosis of The Who and Guy Debord. Or The Jam and Noam Chomsky(2).“ Wenn es der Band gelänge, so ihr illusionsloser Anspruch als zweifellos unwiderruflich kulturindustrieelle Ware, „die kulturelle Tradition des Konsum-Kapitalismus ein bißchen zu unterwandern“, so wäre nach ihrer Meinung der Zweck des Band-Kollektivs und ihrer Musik vollauf erfüllt. Damit unterscheidet sich die Gruppe recht angenehm von Hirngespinsten, denen einst die Miglieder der stadtflüchtigen Anarcho-Kommune Crass aufsaßen, in deren Tadition später Chumbawamba als marktwertiges Kulturprodukt folgerichtig nur ernüchtern konnten. TINC sind auch gegen die politische Diffusität von Rage Against The Machine in Stellung zu bringen, die sich doch immer mehr als humanistische Menschenrechtler denn als Antikapitalisten entpuppen.
„Capitalism is a organized crime“ lautet entsprechend das Leitmotiv von TINC, das sie und ihre Hörer eben nicht in dem Irrglauben läßt, sie wären nicht selbst mit Haut und Haaren Teil dieser Verbrecherorganisation. Ein außen gibt es nicht, das wissen TINC genau.
Die Pop-Ikonisierung ist pure Warenästhetik. Und Warenästhetik ist im Kapitalismus immer und überall bürgerliche Ideologie (Marx/Engels). Das heißt, in der Popularisierung selbst produziert(!) gerade die Agit-Prop schon ihren eigenen Untergang als revolutionär, denn ein Landen auf dem Markt zerstört unwiderruflich jeglichen auch nur ansatzweisen subversiven Gehalt. Daß es dazu keine Alternative gibt, darf nicht das Aussprechen dieser Wahrheit verhindern. Die Ignoranz dieser aber ist bewußte Enscheidung für den Kapitalismus!
Weil sich TINC gegen ihn entschieden haben, glauben sie auch nicht an die Macht der Bilder – also auch nicht an ihre eigene Musik. Sie wissen, daß Musik und Kultur Widerstand nicht ersetzen und schon gar nicht sein können. Deshalb ist ihr Ziel auch die Zerstörung der Bilder-Ästhetik als der Lüge über Individuation im Kapitalismus. Die Mittel zu dieser, und das macht die linke Verzweifelung perfekt – auch dem sind sich TINC bewußt – sind immer die falschen, weil es praktisch keine richtigen gibt. Genau hier, an der Entscheidung für die Mittel zum Zweck der Revolution, beißt sich in der Totalität der bürgerlichen Gesellschaft praktisch immer und immer wieder die Katze in den eigenen Schwanz der Resistenz.
(Da diese Band von mir als so herausragend angesehen wird, habe ich mich in diesem Artikel dafür entschieden, nichts über die andere Band des Abends – über Rocket From The Crypt – neben den Zeilen über TINC zu dulden. Ich bitte um außerordentliche Nachsicht.)
Ralf

(1) Über die Situationisten sei das Buch von Roberto Ohrt (Hg.), „Das große Spiel – Die Situationisten zwischen Politik und Kunst“, Hamburg 1999, empfohlen.
(2) Chomsky, amerikanischer linksradikaler Syndikalist, der sich erst jüngst als Mentor des unsäglichen Finkelstein-Buches „Holocaust Industrie“ selbst disqualifiziert hat.


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[77][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007