Andrea Woeldike/Holger Schatz:
Freiheit und Wahn deutscher Arbeit
Zur historischen Aktualität einer folgenreichen antisemitischen
Projektion.
Reihe antifaschistischer Texte. unrast-Verlag: 2000, 29,80 DM
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Die bisher nicht beantwortete Frage lautet: Wie kann die von Marx
begonnene Kritik der politischen Ökonomie mit der von Goldhagen
gelieferten Empirie synthetisiert werden, ohne daß die Kritische Theorie
der Empirie in den Rücken fällt?(1)
Diese von Matthias Küntzel formulierte Frage war es, die als eine
entscheidende (unter weiteren anderen) nach der Antisemitismusdebatte innerhalb
der radikalen Linken unbeantwortet offenblieb, an deren Beantwortung allerdings
gerade für eine Linke in Deutschland kein Weg vorbeigehen darf.
Die Diskussion, aus der heraus diese Frage entstand, war ausgelöst durch
die Veröffentlichung des Buches Hitlers willige Vollstrecker
Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust von Daniel Jonah
Goldhagen.
In diesem Buch ging es Goldhagen bekanntlich darum, die Behauptung, die
Deutschen hätten mehrheitlich das nationale Projekt der Verfolgung und
Ausrottung der Juden >>teilnahmlos<<
verfolgt(2) zu widerlegen und vielmehr zu zeigen, mit
wieviel Eigenmotivation und mörderischem Willen die Deutschen den
Holocaust durchführten. Die Ausrottung der Juden galt als ein
nationales Projekt, damit das Volk gerettet würde.(3)
Der Antisemitismus war das zentrale Motiv für den Nationalsozialismus.
Die Ursache dafür sah er in der Tradition des Antisemitismus in
Deutschland, den er bis auf Martin Luther zurückführte und den er als
eliminatorischen Antisemitismus bezeichnete. Juden galten als
Gegenprinzip zur deutschen völkischen Identität, und erst
durch deren Vernichtung wäre gemäß dieser
Wahnvorstellung eine wirkliche deutsche Gemeinschaft möglich.
Jenes Zentrum der antisemitischen Weltanschauung, das den ideologischen
Gegensatz von Juden und Deutschen zum Inhalt hat, hatte mehrere Jahre vorher
schon Moishe Postone zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zum modernen
Antisemitismus gemacht. In seinem Aufsatz Nationalsozialismus und
Antisemitismus(4) bestimmte Postone den modernen
Antisemitismus als eine Ideologie, eine Denkform (..), die in Europa im
späten 19. Jahrhundert auftrat.(5) Auf diese
Denkform, die mit dem Kapitalismus auftritt, ging Postone in seinem Aufsatz nun
näher ein, und griff dabei auf den Begriff des Fetischs zurück, wie
ihn Marx im Kapital in der Wertformanlayse und im Abschnitt über den
Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis bestimmt hatte. Ausgehend
vom Doppelcharakter der Ware sie enthält in sich den inneren
Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert, als Produkt warenproduzierender
Arbeit erklärt Postone, wie sich dieser innere Widerspruch der Ware
entäußert, und nicht mehr als innerer, sondern als
äußerer in Erscheinung tritt. Aufgrund dieser notwendigen
Verlagerung des inneren Widerspruchs nach außen, erscheint nun die Ware
nicht mehr als in sich widersprüchlich, sondern als Gebrauchswert
rein stofflich und >>dinglich<< und findet ihr
entäussertes Gegenüber im Geld als handgreiflicher Abstraktion
und als scheinbar einzigem Ort des Werts. Das entscheidende dabei ist,
daß sich das Wesen kapitalistischer Gesellschaft ausgehend von diesem
scheinbaren Antagonismus von Ware und Geld jedweder Erkenntnis entzieht. Jeder
Blick auf kapitalistische Gesellschaft, der nicht deren Wesen zu ergründen
versucht, bleibt im Bann des Fetischs gefangen. Der Fetisch verweist nun
auf die Denkweisen, die auf Wahrnehmungen und Erkenntnissen basieren, die in
den Erscheinungsformen gesellschaftlicher Verhältnisse befangen
bleiben.(6) In dem diese Erscheinungen nun zu ihrem höchst
eigenen Wesen verklärt werden ist der Kreislauf der Ideologie-Produktion
in Gang gesetzt, von dem an alle Kritik am Kapitalismus (als Prinzip
ungerechter Verteilung) nur noch als Kritik des Geldes als scheinbarer
Ort allen Übels auftritt. Geld so wurde behauptet sei
widernatürlich und der Produktion widerstrebend, da es entgegen seine
eigentlichen Funktion als bloßes Tauschmittel in der Lage sei sich
selbst zu vermehren (als Zins).
Ausgehend von seinen Überlegungen zum Fetischismus und der Feststellungen,
daß es sich bei den besonderen Charakteristika der Macht, die der
moderne Antisemitismus den Juden zuordnet nämlich Abstraktheit,
Unfassbarkeit, Universalität, Mobilität [...] um
Charakteristika der Wertdimension handelt fragt Postone nun nach der
Genese des modernen Antisemitismus.
Er stellt fest, wie sich mit dem Durchbruch des Kapitalismus und der
Entwicklung der Kapitalform der Form die sich zum automatischen
Subjekt (Marx) aufschwingt und deren Sinn einzig darin besteht, immer
mehr Mehrwert abzuschöpfen - die Gesellschaft weiterentwickelt und
der moderne Antisemitismus entsteht. Mit dieser Entwicklung nämlich
entwickelt sich ein System in dem der verdinglichte Widerspruch von Ware und
Geld auf neuer Ebene als Widerspruch von Arbeitsprozess (konkret) und
Verwertungsprozess (abstrakt) erscheint. Es ist der innere Widerspruch der
Ware, der hier auf der Ebene der Kapitalform entäußert erscheint und
sich der bürgerlichen Subjektivität / dem Bewußtsein als
Gegensatz darstellt.
Im modernen Antisemitismus werden nun diese beiden Seiten der Erscheinungsform
des Kapitalismus zunehmend verdinglicht und personifiziert wahrgenommen. So
tritt die industrielle Produktion und Arbeit schlechthin als
ausschließlich materielle[r] schoepferische[r] Prozess,
ablösbar vom Kapital in Erscheinung und das Kapital (...)
oder das, was als negativer Aspekt des Kapitalismus verstanden wird
wird lediglich in der Erscheinungsform seiner abstrakten Dimension
verstanden: als Finanz- und zinstragendes Kapital.(7)
Es ist nun kennzeichnend, daß diese verdinglichte Erscheinungsform
kapitalistischer Vergesellschaftung in ihrem Gegenüber von abstrakter
Sphäre des Kapitals und konkreter Sphäre der Produktion im modernen
Antisemitismus zusehends naturalisiert und personifiziert werden. Wurde die
Sphäre der Arbeit und Produktion als natürlich, ursprünglich und
überhistorisch verstanden so stellte man dieser verdinglicht die
Sphäre des Geld- und Finanzkapitals gegenüber, die
verantwortlich für die Krisen des Kapitalismus, gar für den
Kapitalismus selbst seien. Der Wandel vom Feudalismus zum Kapitalismus wurde
verstanden, als die Durchsetzung der Interessen einer Gruppe von Menschen
Kapitalisten, Spekulaten usw. sich die Welt unter den Nagel zu
reißen.
Der Kapitalismus erschien nur noch als das Abstrakte, das wiederum
für die ganze Reihe konkreter gesellschaftlicher Bestimmungen und
Veränderungen, die mit der schnellen Industrialisierung verbunden sind,
verantwortlich gemacht wurden.(8)
Das Wesen des modernen Antisemitismus war (und ist) es, die Entwicklung des
Kapitalismus und mit ihm die sozialen Krisen, mit den Juden zu identifizieren.
Das Judentum galt als die Personifizierung der abstrakt erscheinenden
Sphäre des Kapitalismus, der Sphäre des Geldes und des Kapitals,
durch die die Geschicke der Welt gelenkt würden. Es war nun das typisch
deutsche des Antisemitismus, dieser Sphäre ein scheinbar deutsches Wesen
entgegenzusetzen, daß mit der scheinbar ursprünglichen
Arbeitssphäre wesensgleich sei und hier seine wahre Bestimmung hat.
So wird der Gegensatz von stofflich Konkretem und Abstraktem zum
rassischen Gegensatz von Arier und Jude.
Der moderne Antisemitismus ist somit die Personifikation einer
Verdinglichung(9), daß heißt, die ohnehin
verzerrte Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität des
Fetischdenkens wird noch einmal verzerrt(10) in dem
die abstrakt erscheinende Sphäre des Kapitals mit den Juden
identifiziert wird.
In ihrem gerade neu erschienenem Buch Freiheit und Wahn deutscher Arbeit
Zur historischen Aktualität einer folgenreichen antisemitischen
Projektion greifen Andrea Woeldike und Holger Schatz die Diskussion um
jene Denkform des modernen Antisemitismus wieder auf. Ausgehend von der These,
daß wer sich zur >nationalen, deutschen Arbeit< bekannte, ..
auch in den Antisemitismus (8)(11) einwilligte, wollen sie
einerseits darstellen, welch hohen Stellenwert die Ideologisierung der
Arbeit als >deutscher< beziehungsweise >nationaler Arbeit<
bezüglich der Ausbildung einer deutschen nationalen Identität
(8) beikam und das dieser Arbeitsbegriff fast untrennbar mit einer
antisemitischen Weltanschauung zusammenhing.
Ausgangspunkt dafür sind für Woeldike und Schatz einerseits Postones
Thesen zu Nationalsozialismus und Antisemitismus und andererseits der
Terminus von jüdischer Nicht-Arbeit (8) wie ihn Goldhagen als
ein zentrales Element deutscher Ideologie herausstellte.
Obwohl nicht explizit erwähnt, kann dabei implizit davon ausgegangen
werden, daß die Beantwortung der eingangs zitierten Frage von Matthias
Küntzel das zentrale Motiv des Buches ist. Es geht um das allgemeine
Verhältnis von Ideologie, wie sie auf der Basis der marxschen
Fetischismuskritik als quasi-Normalform des Denkens beschrieben werden kann und
deren spezifisch deutscher Ausprägung.
So ist das Buch von Woeldike und Schatz dann auch im wesentlichen ein Ritt
durch die Geschichte des deutschen Arbeitsbegriffs um die
Zentralität der Arbeit im deutschen Diskurs (9)
herauszustellen. Ziel dieses Vorgehens ist es, zu zeigen, wie dieser
Arbeitsbegriff zwar einerseits nur durch den Ausschluß der in den Juden
personifzierten abstrakten Erscheinungsseite des Kapitalismus existieren
konnte, aber ihm andererseits genau deshalb immer eine spezifisch deutsche
Utopie von Sozialismus innewohnte. Ehrliche Arbeit als Dienst an der deutschen
Volksgemeinschaft.
Folgt man nun dem Ritt durch die Geschichte des deutschen Arbeitsbegriffs, so
beginnt dieser nach einigen kurzen Einführungen bei Martin Luther, dem
wohl ersten Nennenswerten Fürsprecher einer Arbeit, die er als
deutsche ehrliche Arbeit definierte und dem
jüdischen Schmarotzertum und Wucher gegenüber
stellte. (16) Arbeit galt ihm als Einfügung in eine objektive von
Gott gewollte Ordnung. Luther war damit einer der ersten, der einen
Arbeitsbegriff formulierte, welcher einerseits jenseits des Inhalts der
Bedürfnisbefriedigung angesiedelt war, sondern eher durch die Einordnung
in die arbeitende Gemeinschaft und die Hörigkeit gegenüber der
göttlichen Autorität geprägt und diesem andererseits eine
jüdische Nicht-Arbeit, ein jüdisches
Schmarotzertum (16) entgegensetzte. Seine Äußerungen sind
deshalb schon als Ankündigungen des modernen Kapitalismus zu sehen. Denn
schon bei Luther läßt sich nach Meinung der AutorInnen der Versuch
feststellen, die abstrakter werdende Vergesellschaftung zu
konkretisieren, um sie dadurch bannen zu können. (16)
Die Weiterentwicklung dieses Arbeitsbegriffs wird im Buch nun weiter über
die Reformation bis hin zur Aufklärung des 18. Jahrhunderts verfolgt, in
deren Zentrum bezüglich des deutschen Arbeitsethos eine Verinnerlichung
der Normen der sich entwickelnden Arbeitsgesellschaft des Kapitalismus stand.
Das besondere an der spezifisch deutschen Ausprägung eines
Arbeitsverständnisses sei dabei gewesen, daß man sich weniger am
Ergebnis orientierte, sondern Arbeit als Selbstzweck, als Prinzip, im Zentrum
des Arbeitsethos stand: In England standen in der Tradition der
Puritaner das Produkt, in dem die Arbeit verkörpert schien, sowie
der Tausch dieses Produktes im Mittelpunkt. Dagegen wurden in Deutschland
beziehungsweise in den deutschen Teilstaaten die Verausgabung der
Arbeit um ihrer Selbst willen, also die Arbeitstätigkeit, und die
Autorität der Vorgesetzten und Unternehmer als zentrale Kategorien
wahrgenommen. (23)
Eine Zuspitzung erfuhr dieser Ethos von Arbeit in der deutschen Romantik. Ein
Gefühl von Ganzheitlichkeit und Natürlichkeit, das für die
Romantik wesentlich war, barg in dem Verlangen nach der Verinnerlichung eines
asthetisch-religiöse[n] Arbeitsethos (24) die Hoffnung,
daß der Mensch tatsächlich zu sich selbst komme. Durch diese
Verinnerlichung von Werten erhoffte man sich, daß dies die
seelisch-geistigen Kräfte des Gemeinschaftsgeistes eines
Volkes (24) stärken würde und entwickelte das Ideal der
>Gemeinschaft der fröhlich Schaffenden< (25).
Am Beispiel der Romane Soll und Haben von Gustav Freytag und
Der Hungerpastor von Wilhelm Raabe zeigen sie weiter, wie eng
deutsches Gemeinschaftsideal und deutscher Arbeitsethos miteinander verwachsen
waren. So lautet das Vorhaben von Freytags Roman: Der Roman soll das
deutsche Volk da suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist,
nämlich bei seiner Arbeit. (43) Und obwohl Freytag selbst Liberaler
und entschiedener Gegner des politischen Antisemitismus war, beschrieb er in
seinem Buch ein Bild von deutscher Arbeit, dass deren antisemitischen Kern
nicht verbergen konnte. Dargestellt wird ein junger deutscher Arbeiter namens
Anton Wohlfahrt, der in einem kleinen Betrieb arbeitet, in dem er sich
stets dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt und keinen
Egoismus kennt. (43) Der Blick in den Betrieb von Anton Wohlfahrt ist ein
Blick auf eben jene >Gemeinschaft der fröhlich Schaffenden< (25).
Ihren ideologisierten Gegenpart finden sie in der Figur des Juden Itzig Veitel,
einem Juden, der als kriecherisch beschrieben wird, der keine
Pflicht gegenüber einem >höheren Ganzen< (44) kennt und
der den Feind von Außen, als Gegner der deutschen Arbeit darstellen
soll.
Profitdenken, Gaunerei, Kriecherei, kein Interesse am
großen Ganzen, Egoismus etc. All jenes sind die Eigenschaften, mit denen
Juden beschrieben wurden. Und schon im Kaiserreich, so stellen die Autoren
fest, war die Dichotomie von >jüdischer Nicht-Arbeit< und
deutscher >deutscher Arbeit< ... zum allgemeinen kulturellen Code
geworden. (55)
Auch für die deutsche Nationalökonomie war ein solches
Verständnis von deutscher Arbeit wesentlich, wobei deren
Hauptmerkmal jedoch eine autoritäre und organische Staatsauffassung
war. (57) Der Staat sollte sowohl bei dem - in der Tradition der Romantik
stehenden - Wirtschaftstheoretiker Adam Müller, als auch bei dem
Nationalökonom Friedrich List zum Garanten einer eigenen deutschen
Volkswirtschaft werden. Besonders für die Kathedersozialisten war es der
Staat, der die Leistung der Versöhnung von Arbeit und Kapital erbringen
sollte.
Wenn der Staat also bei Adam Müller ein ewig währender
lebendiger Organismus (57) war, so galt Teilen der Kathedersozialisten
als Ort der Befriedung sozialer Kämpfe zwecks Schaffung einer
deutschen Volksgemeinschaft. (59)
Der Ökonom Werner Sombart war es dann schließlich, der in seinen
Schriften für die echten deutschen Ideale (59) warb und diese
vom Kapitalismus abgrenzte, den er mit dem Judentum personifizierte.
Diese Basis eines Verständnisses von deutscher Arbeit und
jüdischem Schmarotzertum war es, die dazu führte,
daß die nationalsozialistische Propaganda von der deutschen
schaffenden Arbeit und dem jüdischen raffenden
Kapital keineswegs über die Deutschen hereinbrach, sondern wie eine
schon lange bekannte Melodie erklang. So schreiben Woeldike und Schatz
schließlich auch: Es geht uns darum zu zeigen, wie vorherrschende
Bewußtseinsformen gewöhnlicher Deutscher strukturell mit der
Nationalsozialismus-Ideologie kompatibel waren, ohne dass sich dies in einer
manifesten Unterstützung beispielsweise anhand von Wählerstimmen
niederschlagen mußte. (77)
An weiteren Beispielen zeigen sie auf, welche Zuspitzungen der Arbeitsbegriff
im Nationalsozialismus erhielt und wie er mit der Zuspitzung des Antisemitismus
zusammenhing. Das Verständnis von Arbeit im Dienste der Volksgemeinschaft
wurde zum obersten Prinzip der deutschen Gesellschaft. Arbeit wurde als Kampf
definiert und völlig ihrer sozio-ökonomischen Bedeutung entkleidet.
Dies hatte zur Folge, daß die ideologischen Gegensätze von deutscher
schaffender Arbeit und jüdischem raffenden Kapital
vollends biologisch und natürlich verstanden wurden. In letzter Konsequenz
gipfelte dies schließlich in einem Kampfaufruf gegen die
jüdische Nicht-Arbeit zur Bewahrung der deutschen
Volksgemeinschaft als Arbeitsgemeinschaft.
Mit dem Nationalsozialismus kam schließlich die antisemitische Ideologie
zur Entfesselung. Durch die traditionelle Bindung an Autorität und
Obrigkeit konnte der antisemitische Wahn nun entladen werden, da die
Lösung der Judenfrage nun offizieller Staatsauftrag war.
Es war also eine spezifische Rezeption des Kapitalismus in Deutschland, die
dazu führte, daß der ohnehin ideologisch-fetischisierte Blick auf
den Kapitalismus in Deutschland noch einmal verzerrt (Detlev
Claussen) wurde. Die Bildung einer spezifischen deutschen Identität am
Begriff der schaffenden Arbeit, die sich ihren Gegenpart im
jüdischen raffenden Kapital geschaffen hat, so könnte man
das Buch von Woeldike und Schatz zusammenfassen, war Grundlage dafür, dass
die von Marx beschriebenen objektiven Gedankenformen in Deutschland
mit antisemitischem Inhalt gefüllt worden.
So bietet das Buch von Andrea Woeldike und Holger Schatz allemal einen guten
einführenden Überblick über die Geschichte des Antisemitismus in
Deutschland. Nicht zuletzt deshalb, weil sie versuchen, eine Synthese von
marxscher Ideologiekritik sehr stark an Postone orientiert und
der Spezifik des deutschen Antisemitismus herzustellen. Und obwohl dies nicht
ganz gelungen scheint, da man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß
das Buch tatsächlich bloß das Ergebnis der Gleichung Postone +
Geschichte des Antisemitismus ist, eignet es sich doch hervorragend als
Einstieg in die Auseinandersetzung über Antisemitismus in Deutschland.
Jochen
Fußnoten:
(1) Matthias Küntzel: >>Keineswegs ein spezifisch deutsches
Problem <<? Goldhagen und das Defizit der Kritischen Theorie, S. 157, in:
Die Fratze der eigenen Geschichte, Markovits, Andrei S.; Elsässer,
Jürgen (Hrsg.), Berlin, 1999
(2) Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker - Ganz
gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, S. 513, Berlin, 1996
(3) ebd. S. 474
(4) Der Aufsatz von Postone ist in verschiedenen Sammelbänden zum
Thema Antisemitismus veröffentlicht worden und liegt auch im Internet
unter www.punkerfrank.de oder www.netzmuetze.de vor.
(5) ebd.
(6) ebd.
(7) Ebd.
(8) ebd.
(9) Scheit, Gerhard: Verborgener Staat, Lebendiges Geld, S. 49,
Freiburg,1999
(10) Detlev Claussen, hier zitiert nach: Scheit, Gerhard, S.50)
(11) Die Angaben in Klammer bezeichnen die Seitenangaben des Buches von
Andrea Woeldike und Holger Schatz
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