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Die großen Welterklärungen
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Das Buch Linux & Co von Stefan Meretz, will laut Vorwort einen
Einblick in die Geschichte Freier Software geben, den Widerspruch zwischen
wertfreier Software und der Markwirtschaft, die keine verwertungsfreien
Räume dulde, klären, die Produktivkraftentwicklung der gesamten
Menschheitsgeschichte erklären und aufzeigen, daß die Freie
Softwarebewegung Keimformen einer neuen Gesellschaft jenseits des
Kapitalismus darstelle (S. 7). Das alles gelingt dem Autor allerdings
nicht sonderlich gut, und mensch merkt dem Buch von der ersten Seite an,
daß da ein Hobbymarxist und Freizeithacker versucht, seine beiden
Vorlieben zu verschmelzen ohne sich dabei entscheiden zu können, ob
er jetzt seinen TheoriefreundInnen mit Hegel und abstrusen philosophischen
Ausschweifungen imponieren oder in der Hacker-Szene politische
Aufklärungsarbeit gemäß dem Ansatz Die Massen da abholen,
wo sie stehen leisten soll. | |||
PKE = Produktivkraftentwicklung. Bitte ausmalen! |
Sinkende Wachstumsraten in der selbstgeplanten Globalgesellschaft wegen schlechter Lektüre? | ||
Und obwohl Meretz richtigerweise die verkürzte Kapitalismuskritik (... Comic-Vorstellung vom Kapitalismus: Oben gibt es die mit den schwarzen Zylindern... Unten gibt es die mit den blauen Overalls) kritisiert, bedient er ihr sich selber, wenn er den BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel als obersten Exekutor des Wertgesetzes tituliert. Daß er ihn dann zu allem Überduß auch noch zustimmend zitiert: Herrscher über die neue Welt ist nicht ein Mensch, sondern der Markt. ... Wer seine Gesetze nicht befolgt, wird vernichtet (S. 27) macht die Sache nicht besser. Denn Henkel wollte damit nur in das Gezetere über die angeblich unausweichliche Globalisierung einstimmen, die den Standort Deutschland gefährden würde und deswegen müßte das nationale Kollektiv enger zusammenrücken, härter arbeiten und den Gürtel enger schnallen. Das sich nun wieder offen nennende marxistische Kritiker aus diesem Argumentationsfundus bedienen und damit suggerieren, daß es keine Menschen, sondern nur noch Sachzwänge gibt, die irgendwann den Kommunismus ganz zwangsläufig aber bis dahin noch viel Elend hervorbringen, ist schon fatal. Die Hacker brauchen sich allerdings keine Gedanken machen, wenn sie nicht verstehen, was ihr oberster Exekutor sagt, denn Meretz übersetzt es ihnen in ihren Slang: Wer sich bedroht fühlt, arbeitet nicht gern und schlecht. Zuckerbrot und Peitsche, die Methoden des alten Roms. Und Rom ist untergegangen. (S. 31) Rom, so erklärt uns das Glossar, steht für Microsoft und Microsoft (ein Link verweist uns dahin) steht für den bösen Kapitalismus. Das wäre wenigstens Humor. Nein: Das Glossar informiert uns darüber, das Python eine Programmiersprache ist, die nach Monty Python (engl. Komiker) benannt wurde (S. 76) allerdings taucht Python im ganzen Text nicht auf und steht somit völlig zusammhangslos neben anderen sinnlosen Begriffen wie Samba, Plug-In und Hurd für die MarxistInnen unter uns rum, die HackerInnen werden wollen, um der Geschichte doch mal unter die Arme zu greifen. Doch diese seien gewarnt: Die straffe Organisation der kommunistischen Parteien in den 20er Jahren leitet sich nämlich direkt aus der fordistischen Arbeitsweise ab: Die einzelnen Menschen waren in der Arbeit und der politischen Organisation lediglich Rädchen im Getriebe. (S. 48) D.h. doch, daß die anarchistischen Umtriebe der Freien Software-Bewegung eine direkte Folge der verlotterten Arbeitsmoral im Toyotismus sind? | |||
Coole Hacker, weil sie mit einem viel kürzeren Virus die Hamburger Sparkasse überfielen und dabei eine größere Gewinnspanne erreichten (Chaos Computer Club) |
Uncoole Hacker, weil sie die längsten Virusfamilien der Welt, Windows und Office genannt, entwickelten (Entwicklungsteam von Microsoft, 1978) | ||
Wem Revolution zu anstregend ist, kann sich aber auch getrost zurücklehnen und ab und zu ein paar Programmzeilen tippen ob kommerziell oder frei, spielt eigentlich auch keine Rolle, denn: Das alte System erzeugt selbst die Widersprüche, die es auf vorhandenem Entwicklungsniveau nicht mehr integrieren kann... In einer solchen Situation befinden wir uns gegenwärtig, und von hier aus kann man auch die Integrationsversuche der Widersprüche im Rahmen der alten Systemlogik bewerten. (S. 49). Als Widersprüche hat Meretz die Existenz verwertungsfreier Software herausgearbeitet und als Integrationsversuche die Partizipation der großen Softwarehäuser am Linux-Boom. Was wird uns erwarten? Auch das wird im Buch verraten: Dem Kapitalismus folgt die Selbstgeplante Globalgesellschaft die sich auf die Hauptproduktivkraft Mensch an und für sich besinnt. Das mit dem Menschen an und für sich hat Meretz selbst nicht so richtig verstanden, da es von Hegel kommt, aber Annette Schlemm hat es ihm erklärt, verrät er uns in einer Fußnote. In der selbstgeplanten Globalgesellschaft werden aber nicht nur Brötchen gebacken (ja, ja, damit niemand sagt, das klinge ihr/ihm zu utopisch), sondern jedes menschliche Bedürfnis findet seine Realisierung (S. 64). Hoffentlich auch das Bedürfnis nach besseren Büchern. Allerdings ahne ich da schlimmes: Denn wenn am Ende nochmals betont wird, daß Linux und Freie Software den Keim des Neuen in den Nischen des Alten darstelle ohne daß im Buch eine Verbindung zwischen der Freien Software und der Weltformel über die Entwicklung kybernetischer Menschenmaschinen gezogen wird und ich mir mein Linux so ansehen, und dann noch dem Buch entnehme, daß es sich selbst unter die Freie Software-Lizenz gestellt hat... Dann befriedige ich meine Bedürfnisse nach schönen Bildern, guten Informationen und spannender Unterhaltung lieber mithilfe der kapitalistischen Zeitgeist-Reihe Rotbuch 3000. Dort nähert sich Boris Gröndahl den Hackern eher aus einer politischen, historischen und soziologischen Sicht. Während die ersten Kapitel seines Buches eher dem welterklärenden Ansatz der ganzen Buchreihe verhaftet bleiben (Ziele des Hackens: Technikvergnügen, Zugang, Respekt, Politik, Geld, Objekte und Techniken des Hackens: Programmieren, Cracken I Netze und Computer, Cracken II Software und Spiele ..., Die Feinde der Hacker: Die Industrie, Justiz und Staat) und die Themen auf jeweils einer Seite abhandeln, was dann ein bißchen lexikonhaft daherkommt, beschäftigt sich das vermeintlich kürzeste Kapitel (Kurze Geschichte der Hacker) am umfangreichsten mit der Geschichte des Telefonnetzknacker, der ersten Hacker-Gruppen bis hin zu Firmengründungen durch Hacker (z.B. Apple). Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Hacken in Deutschland, was eng mit dem Chaos Computer Club verbunden ist. Diesem Club kann mensch leider nicht nur nachsagen, daß sie auf ihrem letzten Kongreß im Dezember 2000 in Berlin den Buchautor Meretz zu ihren ReferentInnen zählten, nein, mit ihrem Banküberfall auf die Hamburger Sparkasse fanden sie nicht einmal Eingang in unser Lieblingsbuch Va Banque (siehe letzte Buchbesprechung). Sie erbeuteten zwar mit einem BASIC-Programm, welches mit den Zeilen 10 REM bankraub.ba/20 REM Version 1.00/30 REM (c) 1984 by Wau begann, 135.000,- DM, gaben die Beute jedoch öffentlichkeitswirksam zurück und wollten eigentlich nur auf eine Sicherheitslücke aufmerksam machen (S. 67). Was lernen wir daraus. Erstens: Bankraub-Programme waren keine Freie Software. Zweitens: Wir haben in der DDR doch was nützliches gelernt, zwar nicht im Staatsbürgerkunde-Unterricht, wie uns Meretz weiß machen will, aber in Informatik. Und hätten wir nur gedurft, hätten wir das ganze Geld aus Hamburg und anderswo in unsere Intershops transferiert, wir wären die Sieger der Geschichte und die Software-Firma Intershop hätte den Technologie-Index nie runterziehen können. Drittens zeigt sich das Dilemma der Hacker in voller Pracht. Sie wollen nichts substantielles kritisieren oder gar ändern, sondern geben dem Kapitalismus kostenlose
Anmerkungen nach Redaktionsschluß:
Martin
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