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Der Antiimperialistische Kampf der Neuen Linken

Neben der grundlegenden Imperialismustheorie Lenins („Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“), an Hand derer Lenin das Recht der Völker auf „nationale Selbstbestimmung“ gegen „nationale Unterdrückung“ ableitete, hat sich die sogenannte Neue Linke ergänzender Theoriebezüge bedient.
Cee Ieh dokumentiert in Auszügen einen Exkurs von Peter Brückner und Barbara Sichtermann. Er ist dem in den 80er Jahren erschienenen Buch „Zur Ermordung Ulrich Schmückers durch Genossen: Dokumente und Analysen“, erschienen im damaligen Internationalismus Verlag, entnommen.

„ Was den Menschen, die untergegangen sind, geschehen ist, heilt keine Zukunft mehr. Sie werden niemals aufgerufen, um in der Ewigkeit beglückt zu werden. Natur und Gesellschaft haben ihr Werk an ihnen getan, und die Vorstellung des jüngsten Gerichts, in welche die unendliche Sehnsucht von Bedrückten und Sterbenden eingegangen ist, bildet bloß einen Überrest des primitiven Denkens, das die nichtige Rolle des Menschen in der Naturgeschichte verkennt und das Universum vermenschlicht. Inmitten dieser unermeßlichen Gleichgültigkeit kann allein das Bewußtsein die Stätte bilden, bei der erduldetes Unrecht aufgehoben ist, die einzige Instanz, die sich nicht damit zufrieden gibt.“
Max Horkheimer
Die Idee und die Formel des antiimperialistischen Kampfs, wie ihn Gruppierungen der westdeutschen Linken seit 1966/67 führen, stammen im wesentlichen aus Lateinamerika: „Der Imperialismus arbeitet auf internationaler Ebene (...). Die soziale Revolution muß internationalen Charakter tragen“, so die peruanische MIR schon 1960. „Unsere Grenzen sind ideologische Grenzen. Wir interpretieren internationale Solidarität auf eine wahrhaft revolutionäre Weise und sind daher verpflichtet, gegen den Imperialismus zu kämpfen, bis er nicht mehr existiert (...)“. (Fidel Castro in der „Zweiten Deklaration von Havanna“)
Che Guevaras Brief an das Exekutivsekretariat von OSPAAL, „Schaffen wir zwei, drei viele Vietnam“, 1967 in Berlin von Rudi Dutschke und Gaston Salvatore herausgegeben und eingeleitet, enthielt die emphatische Verkündigung eines „wahren proletarischen Internationalismus“, „mit internationelen proletarischen Armeen, in denen unter der Fahne der heiligen Sache der Erlösung der Menschheit gekämpft wird.“ Die Führungsgruppen, Strategen und Ideologen dieser universalen Kampfbewegung rechneten in ihren Äußerungen nicht nur mit einer additiven Wirkung der Kriege und Aufstände, von denen erwartet wird, daß sie die ökonomische und militärische Kraft des Imperialismus (und vor allem der ‘Metropole’ des Imperialismus, der USA) schwächen werden.
Dieser Strategie lag die Theorie der strukturellen Verschränkung der innerkapitalistischen Konflikte und der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt zugrunde. Schließlich finde sich der Gegensatz „entwickelt/unterentwickelt“ (privilegiert/unterprivilegiert) in jedem Land, auch in dem der Kolonisatoren(1); ökonomische Ursache sei hier wie da das Profitinteresse der Privateigentümer an den Produktionsmitteln bzw. des Finanzkapitals; das (freilich in der Theorie umstrittene) Primat der (Außen-)Politik in der Abwehr von Befreiungsbewegungen (so der Krieg gegen das vietnamesische Volk) habe seine Parallele im (innenpolitischen) Staatssicherheitsdenken in den Metropolen. Das Herrschaftsinteresse bestimme immer deutlicher das Profitinteresse; das Primat der Politik werde ”integraler Bestandteil der Globalstrategie der Konterrevolution”. Ho Chi Mins Aufforderung: ”Errichtet die Revolution im eigenen Land!”, beschrieb daher bündig den einen Aspekt der transkontinentalen Verknüpfung der Revolution.
Der antiimperialistische Kampf umschloß also den inneren, antikapitalistischen Konflikt in der Theorie wie in der Strategie. Gerade die Länder der Dritten Welt hofften gleichsam auf die Schwächung, die der Klassenkampf im eigenen Land für den imperialistischen Aggressor bedeuten müsse. Die Stützung der Befreiungsbewegungen in Vietnam, Cuba, im Nahen Osten usw. durch den innerkapitalistischen Konflikt (Klassenkampf) wäre freilich eine indirekte; sie sollte durch direkte Interventionen im Lande der Imperialisten ergänzt werden.(2)
Im Frühjahr 1967 schrieb Herbert Marcuse im KURSBUCH 9 Sätze von einer für die Diskussion in der studentischen Linken programmatischen Bedeutung (und damit für die Rezeption der Strategie des antiimperialistischen Kampfs): ”Der Imperialismus, die Konterrevolution könne gebrochen werden, wenn der Widerstand der Opfer des Neokolonialismus eine Stütze finde in der ‘Gesellschaft im Überfluß’ selbst, in der Metropole des Spätkapitalismus (=USA, Ref.) und in den von der Metropole in ihrer Selbständigkeit bedrohten schwächeren kapitalistischen Ländern”. Er fügte hinzu, daß in den kapitalistischen Staaten des europäischen Kontinents die ”politische Reaktivierung der Arbeiterbewegung” Voraussetzung für die Stützung der Befreiungskämpfe in der Dritten Welt bleibe. Diese Strategie, die aus der ”strukturellen Verschränkung” aller sozialrevolutionären Bewegungen sich herleitet und noch die Mobilisierung der Gettos im Kapitalismus umfassen will (siehe oben), umschloß auch das Interesse der Linken in den Metropolen: Einmal werde, wie schon erwähnt, die hegemoniale Macht auf die Dauer von den Aufwendungen geschwächt, die imperialistische Kriege und Interventionen verlangen. Dies könne, zumindest längerfristig, die Chance der Linken, gerade der europäischen, für Umwälzungen im eigenen Land erhöhen. Zum anderen aber werde angesichts der ”universalen Kampfbewegungen” – in Lateinamerika, Asien, Afrika – die soziale Umwälzung, die aus dem Klassenkampf in den Industriegesellschaften hervorgehen soll, endlich die nationale Hülle der Revolution sprengen können; jene nationale Hülle, in der die Oktoberrevolution in Rußland nach 1919/20 ihren Thermidor erlebt hat.
Daß die – zunächst doch nationalen – Befreiungskämpfe der Dritten Welt sozialistische sein würden, ”Revolution in der Revolution” (Regis Debray), wurde namentlich in der Protestbewegung nach 1966 kaum bezweifelt. Herbert Marcuse hatte auf dem Vietnam-Kongreß in Frankfurt, 1966, eine damals viel beachtete Begründung gegeben: In den Entwicklungsländern seien objektiv die klassischen Bedingungen für den Übergang zum Sozialismus vorhanden, nämlich (1) das Elend der unmittelbaren Produzenten, d.h. der bäuerlichen Bevölkerung (von H.M. bezeichnet als ”agrarisches Proletariat”), (2) das vitale Bedürfnis nach radikaler Veränderung der unzumutbaren Lebensbedingungen, (3) die Unfähigkeit der herrschenden Oligarchien, die Produktivkräfte zu entwickeln, und (4) die militante Organisation der nationalen Befreiungsfronten, die eine Einheit von nationaler und sozialer Revolution darstelle. – Die Entwicklung in Algerien oder im Libyen Ghadaffi’s, Führer wie Numeiri, hätten diesen Optimismus schon damals dämpfen können.
Der Internationale Vietnam-Kongreß in Westberlin, 1968, läßt den Stand der Rezeption dieser Strategie erkennen. R. Dutschke formuliert die beiden strategischen Aspekte des antiimperialistischen Kampfs für die Metropolen (vgl. oben); die direkte Unterstützung (a) kann er indikativisch ausdrücken, die indirekte (b) muß er problematisieren:
(a) Direkte Unterstützung: Die NATO sei die organisierte Zentrale des Imperialismus in Westeuropa; zu diskutieren seien subversive Aktionen gegen Kriegsmaterial der Imperialisten (”Vernichtung von Kriegsmaschinerie”); systematische Kampagnen für die Desertation von Soldaten (u.a. erwähnt er die Fortsetzung der – damals bereits angelaufenen – Desertationskampagne in der US-Besatzungsarmee, die sich weniger gegen die NATO als vielmehr gegen den potentiellen Nachschub für Vietnam richtete.) Dutschke bezeichnet die NATO allerdings (auch) als Zentrale des Imperialismus für ”Verhinderung der Emanzipation der Massen” in Westeuropa. Dagegen akzentuierte Hans-Jürgen Krahl, als er eine Kampagne ”Zerschlagt die Nato!” als praktische Konsequenz des Kongresses ankündigte, eindeutig den direkten Aspekt: Die NATO sei verstrickt in die ”Internationale des Verbrechens” im Sinne Che Guevaras.
Direkte Unterstützung der Befreiungsbewegungen durch Druck auf die ”Öffentliche Meinung”: Dutschke schlägt die Bildung einer Dokumentationszentrale vor, die sich dem Mißbrauch der Wissenschaften zu Kriegs- und Unterdrückungszwecken widmen soll (so war z.B. Bayer-Leverkusen schon 1966 in den begründeten Verdacht geraten, Herbizide für die amerikanische Kriegsführung in Vietnam zu produzieren; Forschungsergebnisse der Psychologen an der TH Darmstadt trugen zur Entwicklung eines Detektors bei, der es der amerikanischen Armee ermöglichte, unter Wäldern usw. verborgene Personen am Geruch von Buttersäure vom Flugzeug aus zu enttarnen, u.a.m.) Wissenschaftliche Institute sollten die imperialistische Zusammenarbeit untersuchen und darüber publizieren (das INFI).
(b) Indirekte Unterstützung, Klassenkampf: Rudi Dutschke erklärt, eine ”ungelöste Frage” für den antiimperialistischen Kampf der Linken in der BRD (und, natürlich, in Westberlin) sei die ”Verbreiterung des antiautoritären Lagers in die Richtung der die materielle Produktion tragenden Schichten”, die Frage nach der ”Revolutionierbarkeit” ”der Gruppen, Schichten, Abteilungen, Fraktionen und Elemente” der lohnabhängigen Massen.
An anderer, einschlägiger Stelle, nämlich in der Einleitung zum Guevara-Brief ”Schafft zwei, drei viele Vietnam” hatten Dutschke und Salvatore erklärt, die ”politische Machtergreifung” einer Gruppe, Clique oder auch einer spezifischen Klasse scheine gegenwärtig keine Möglichkeit der Revolution mehr zu sein.
Im KURSBUCH 14, 1968, hat Dutschke wenig später erklärt, die Systemopposition könne im Spätkapitalismus unendlich viele Formen haben, sie sei ”nicht mehr gebunden an eine spezifische Stellung im Produktionsprozeß”; und: wir müßten in der BRD davon ausgehen, daß ein ”Arbeitermilieu als bestimmte Negation des bestehenden Systems” (im Unterschied zu Frankreich und Italien, Ref.) hier nicht mehr bestehe.
Sprecher der ‘Neuen Linken’ formulierten hier (und anderswo) ein Resultat ihrer Erfahrungen und ihrer Analysen, das die Strategie des antiimperialistischen Kampfs an einem wesentlichen Punkte kompliziert: Von einem Klassensubjekt der Revolution kann in Westeuropa nicht die Rede sein, und: die ”Gruppen, Schichten, Abteilungen, Fraktionen, Elemente” der lohnabhängigen Massen in der BRD waren ‘unerweckt’, nur schwer zu mobilisieren. Daß aber die ”Bildung einer zweiten Front gegen den Imperialismus” eine Verbreiterung der Massenbasis voraussetzt, hat nicht nur sozusagen quantitative Gründe, es müssen viele sich auflehnen, wenn der Kapitalismus geschwächt (oder gar gestürzt) werden soll. Es gibt auch ”qualitative” Gründe. Dieses qualitativ bedarf der Interpretation.
1. Peter Weiss nannte auf dem Vietnam-Kongreß eine erste Konsequenz beim Namen, die der antiimperialistische Kampf für die Linke haben würde: ”Unsere Ansichten müssen praktisch werden, unser Handeln wirksam. Dieses Handeln muß zur Sabotage führen, wo immer dies möglich ist. Dies fordert persönliche Entscheidungen. Dies verändert unser privates, individuelles Leben”.
Die direkte Unterstützung des antiimperialistischen Kampfs wird die Grenzen der Legalität überschreiten. Für die Genossen, die auf diese Weise die Sache der Befreiungsbewegungen zu der ihren machen, mußte sich – u.U. mit einem Schlage – ihr gesamtes Lebensverhältnis ändern. Sie bedurften dabei (und daher), so jedenfalls die These der antiautoritären Linken, dringlich eines revolutionären Gegenmilieus, d.h. eines Kollektivs, das ganz neue Formen zwischenmenschlichen Verkehrs, ausbilden, ”antizipieren” kann. Es muß ihm die Verankerung im ‘Volk’ ersetzen: denn wenn auch die Arbeiterklasse vielfach beschworen wird, wenn auch die Rede immer wieder auf das Volk kommt, um dessen Befreiung es schließlich geht: in der BRD, so viel ist sicher, wird der Illegale nicht im Volk wie der Fisch im Wasser schwimmen können.
2. Doch das Gegenmilieu gibt nur auf einige der Probleme Antwort, die der illegale (und bewaffnete) Kampf stellen würde. Die ”zweite Front”, die das imperialistische System schwächen soll, die die Befreiungsbewegungen, deren Verbreiterung man erhofft (”Zwei, drei, viele Vietnams”), im Inneren der kapitalistischen Staaten reproduziert, wurde von Hans-Jürgen Krahl auf dem Vietnam-Kongreß als ”organisierte Selbsttätigkeit des politischen Widerstands” definiert – eine Sprache, in der eine sehr spezifische Gestalt der Hoffnung auf sozialrevolutionäre Massenbewegungen mitschwingt. Die ”direkte Unterstützung” der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt muß zugleich die Massen, d.h. die Bevölkerung des eigenen Landes für die ”organisierte Selbsttätigkeit” gewinnen (vgl. weiter unten, ”Propaganda der Aktion”), und zwar nicht nur im Interesse der Sicherheit der illegal Operierenden und der Effektivität einer zweiten Front, sondern substantieller: im Interesse der (innerkapitalistischen) Revolution, d.h. der Befreiung, exakter: der Selbstbefreiung der Lohnabhängigen in den Metropolen.
3. Der antiimperialistische Kampf wurde als militanter Humanismus verstanden, als der unversöhnliche Friede. Auch die ”politische Moral der Kompromißlosigkeit” (Krahl) blieb noch der Schaffung alternativer Formen von Subjektivität – des neuen Menschen Che Guevaras und Frantz Fanons, der neuen Identität des revolutionären Gegenmilieus – verpflichtet, und war mit der ”Bildung selbsttätiger Organisationsformen der Bevölkerung” verknüpft (Krahl). Nun war der antiimperialistische Kampf in den Metropolen nicht anders denn als (auch) gewaltförmig zu führen: das lag einerseits in der Natur des Kommando-Unternehmens gegen die Kriegsmaschinerie der imperialistischen Nation, hing aber andererseits mit der wachsenden Gewaltförmigkeit des Imperialismus im Inneren der eigenen Nationen zusammen, d.h. letzten Endes mit dem Primat der Politik und des Staatssicherheitsdenkens. Diese Gewaltförmigkeit der direkten Aktion bzw. des politischen Widerstands gegen die Machtapparate des Staats bedurfte der kollektiven Steuerung und Beherrschung, sie durfte sich nicht gegenüber den komplexen Zielen des antiimperialistischen Kampfs verselbständigen (vgl. weiter unten: ”Kontrolle der Gewalt”).
Zu ”Propaganda der Aktion”. Die verbreitete Annahme, man könne ‘das Volk’ durch die Propaganda der Schüsse stufenweise aufklären, wird auf dem Vietnam-Kongreß von Gaston Salvatore kritisiert – sogar für Lateinamerika (Kongreßbericht, S. 55). Der Wert direkter Aktionen für das ”Gewinnen der Bevölkerung” war schon für einige Staaten dieses Kontinents umstritten. Rudi Dutschke warnt vor einer ”abstrakten Negation der verschiedenen Widerspruchsebenen” (im Globalsystem des Imperialismus), und damit auch vor einem Import der Guerilla-Strategie. Sobald es um Aktionen geht, die sich nicht mehr gegen die NATO richten, sondern gegen die Verhältnisse in der BRD, verweist er auf den Beispielscharakter studentischer Aktionen für die Bevölkerung (die für ”organisierte Selbsttätigkeit” ja gewonnen werden muß) und auf die ”noch unerkannten und noch nicht politisierten Widersprüche” in Betrieb, Verwaltung, Kirche und Wohnblock (Kongreß-Bericht S. 116, 117). Daß er im gleichen Zusammenhang von ”militanten Aktionen gegen die Manipulationszentren” spricht, ”z.B. gegen die unmenschliche Maschinerie des Springer-Konzerns”, legt die Vermutung nahe, daß er in der Verfügung des Kapitals über Bewußtsein eine der Quellen für das Ausbleiben einer Massenbewegung in der BRD, für die Verbreiterung der ”organisierten Selbsttätigkeit” des politischen Widerstands (und damit für die Errichtung der zweiten Front sah.) Das Vorwort des Kongreßberichts (S. 6) warnt daher nicht nur vor der Übernahme theoretischer wie praktischer Traditionen der Arbeiterbewegung, von der ein Organisationstypus ”auf der Grundlage autonomer Initiativgruppen in den (...) Betrieben” (Krahl, a.a.o.) nicht zu erwarten war – im Gegenteil, obwohl einige Vertreter des sog. traditionalistischen Flügels im SDS in der Partei (‘leninistischen Typus’) die Lösung der Probleme des antiimperialistischen Kampfes sahen; es warnt auch vor der (”verzweifelten”) Identifizierung mit dem Guerillero Lateinamerikas.
Zur Kontrolle der Gewalt. Zu diesem Problem, für das es im Bewußtsein der ‘Antiautoritären’ keine einfachen Lösungen gab, finden wir Diskussionen, die sich auf die Moral der Gewalt (1), auf ihren Typus (2) und auf ihre Organisation bezogen (3).
1. Moral: Rudi Dutschke und andere warnten vor der ungebrochenen Übernahme des Hasses – ein ”Faktor des Kampfs” bei Che Guevara, gerade er, der Haß, enthalte immer die Gefahr, daß der militante Humanismus des antiimperialistischen Kampfs in den Metropolen umschlage in ”verselbständigten Terror”. Den Aufruf zu Mord und Totschlag in den hochentwickelten Industrieländern hielt Dutschke für eher konterrevolutionär (z.B. im SPIEGEL-Gespräch, Der Spiegel 29, 1967).: die Tötungshemmung des Sozialisten, aber auch ein durchaus realpolitisch fundiertes Bedenken. Diese Warnungen schienen umso angebrachter zu sein, als auf dem Vietnam-Kongreß auch ganz andere Auffassungen von Gewalt vertreten wurden. Dale A. Smith: ”Solange Eltern in Vietnam um ihre Kinder weinen, sollen auch Eltern in den USA um ihre Kinder weinen. Wenn das vietnamesische Volk nicht seine Ernte einbringen kann, ohne daß der Schatten des Todes darauf fällt, soll auch kein Amerikaner seine Ernte einbringen und kein Amerikaner leben können außerhalb des Schattens des Todes” (Kongreßbericht S. 140 f.).
2. Typus der Gewalt: Die 1967/68er Losung von der Gewalt gegen Sachen enthielt nicht nur, auf sozusagen theoretischem Niveau, eine Anspielung auf die Versachlichung von zwischenmenschlichen Beziehungen im Kapitalismus (Gewalt richtet sich dem Prinzip nach gegen ein Produktionsverhältnis, nicht gegen einen Eigentümer), sondern hatte auch eine ‘taktische’ Dimension, im Kontext der Kontrolle von Gewalt.
3. Organisation der Gewalt: Ein allgemeines organisatorisches Prinzip lag im ständigen Bezug der ”direkten Unterstützung” – durch Sabotage, Vernichtung von Maschinerie, usw. – auf die Bildung der zweiten Front im eigenen Land (s.o.). Wir können, in Anlehnung an bewaffnete Gruppierungen in Frankreich oder Italien auch sagen: als integraler Bestandteil der Kämpfe des ‘Volks’ unterliegen Kommando-Unternehmen u. dgl. der organisierten Kontrolle derer, die legal an der Basis kämpfen. Dies muß auch für jene Unternehmen gelten, die in ihrer Akzentuierung dafür gedacht sind, die Selbstbefreiung der Lohnabhängigen zu unterstützen und fortzuführen. Als der SDS die aus Italien stammende Parole ”Die NATO ist unser Vietnam!” übernahm (vgl. die XXIII. ordentl. DK des SDS, Frankfurt, 1968), war er weit davon entfernt, die Besatzungsmacht, d.h. die deutsche Armee im Europa des II. Weltkriegs, oder die Soldaten der US-Interventionsarmee in Vietnam mit der Exekutive in der BRD gleichzusetzen. Obwohl er die wachsende ‘innere’ Gewaltförmigkeit der kapitalistischen Staaten zeitig erkannte, ihre ”Faschisierungstendenz”, rief er auf den Demonstrationen der APO noch ”Macht aus Polizisten gute Sozialisten!”
Die im Vergleich dazu eigentümlich externe Lokalisation der Unternehmen der RAF und der ‘Bewegung 2. Juni’, d.h. ihre Distanz sowohl zur Sphäre der Arbeit, der Fabrik als auch zu anderen Brennpunkten des Widerstands an der Basis führt die Analyse auf die Ausgangslage der Linken in jener Phase zurück, in der die Strategie des antiimperialistischen Kampfs rezipiert worden ist. Wie immer wir – gerade im Vergleich mit Frankreich oder Italien – den Stand und Zustand des innerkapitalistischen Konflikts in der BRD auch beurteilen mögen: wo er sich in der Form von Basis-Prozessen nach 1968 entwickelte (Arbeitskämpfe, Mieterstreiks, autonome Jugendzentren, Hochschulrevolte, Bauernprotest usw.), ging er weit an den Aktionen der bewaffneten Gruppen vorbei. Und umgekehrt: der Versuch dieser Gruppen, eine paramilitärische Organisation aufzubauen, eine ”zweite Front” in der BRD zu bilden, war weder in eine ”politische Reaktivierung der Arbeiterbewegung” noch in die ”organisierte Selbsttätigkeit” autonomer Gruppen in Universität und Betrieb integriert. Die ”direkte Unterstützung” der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt muß sich im Sinne der strukturellen Verschränkung von universaler Kampfbewegung und nationaler Revolution mit den Eskalationsstufen des ”Klassenkampfs” (d.h. den antikapitalistischen, anti-etatistischen Bewegungen an der Basis) verknüpfen: Es ist – in der Strategie des antiimperialistischen Kampfs – immer auch eine Eskalation im Zusammenhang der Basis-Prozesse, auf die der Griff zur Waffe, die subversive Aktion antwortet. Niemals ist also die Waffe selbst, in deren Besitz man sich aufgrund eines einsamen Entschlusses bringen kann, der Ausgangspunkt für die Entdeckung oder Entwicklung einer neuen Form des antiimperialistischen Kampfs. Dies kann immer nur eine spezifische Stufe im innerkapitalistischen Bereich der ”universalen Kampfbewegung” sein. Und nicht nur eine Eskalationsstufe der imperialistischen Kriege oder Interventionen irgendwo in der Welt: Wo der ”Terror” nicht ein integraler Bestandteil der ”Kämpfe des Volks” ist (oder bleibt), wo er sich verselbständigt, blieb das Problem der Vermittlung von antiimperialistischen Kampf und Klassenkonflikt ungelöst. RAF, ”Bewegung des 2. Juni” und andere vergleichbare Gruppen entwickelten sich gerade als Abstraktion von der Strategie des antiimperialistischen Kampfs, obgleich sie diesen noch immer zu führen meinten. (3)

Fußnoten:
(1) In der BRD gewannen die relativen Gettos an Aufforderungscharakter: Erziehungsheime, Irrenhäuser, Sonderschulen u.a.; auch das Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg (SPK) nannte 1970 seine Tätigkeit ”antiimperialistischen Kampf”.
(2) d.h. durch die Errichtung einer zweiten Front
(3) So spricht das Kommuniqué „Schwarzer Juni“ vom ‘Gebrauchswert für die Befreiung des Subjekts’ – vgl. die Frage der alternativen Formen von Subjektivität bei Che Guevara, Frantz Fanon, der antiautoritären Bewegung.


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last modified: 28.3.2007