Neben der grundlegenden Imperialismustheorie Lenins
(Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus), an
Hand derer Lenin das Recht der Völker auf nationale
Selbstbestimmung gegen nationale Unterdrückung
ableitete, hat sich die sogenannte Neue Linke ergänzender
Theoriebezüge bedient.
Cee Ieh dokumentiert in Auszügen einen Exkurs von Peter
Brückner und Barbara Sichtermann. Er ist dem in den 80er Jahren
erschienenen Buch Zur Ermordung Ulrich Schmückers durch Genossen:
Dokumente und Analysen, erschienen im damaligen Internationalismus
Verlag, entnommen.
Was den Menschen, die untergegangen sind, geschehen ist, heilt keine
Zukunft mehr. Sie werden niemals aufgerufen, um in der Ewigkeit beglückt
zu werden. Natur und Gesellschaft haben ihr Werk an ihnen getan, und die
Vorstellung des jüngsten Gerichts, in welche die unendliche Sehnsucht von
Bedrückten und Sterbenden eingegangen ist, bildet bloß einen
Überrest des primitiven Denkens, das die nichtige Rolle des Menschen in
der Naturgeschichte verkennt und das Universum vermenschlicht. Inmitten dieser
unermeßlichen Gleichgültigkeit kann allein das Bewußtsein die
Stätte bilden, bei der erduldetes Unrecht aufgehoben ist, die einzige
Instanz, die sich nicht damit zufrieden gibt. Max Horkheimer
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Die Idee und die Formel des antiimperialistischen
Kampfs, wie ihn Gruppierungen der westdeutschen Linken seit 1966/67
führen, stammen im wesentlichen aus Lateinamerika: Der Imperialismus
arbeitet auf internationaler Ebene (...). Die soziale Revolution muß
internationalen Charakter tragen, so die peruanische MIR schon 1960.
Unsere Grenzen sind ideologische Grenzen. Wir interpretieren
internationale Solidarität auf eine wahrhaft revolutionäre Weise und
sind daher verpflichtet, gegen den Imperialismus zu kämpfen, bis er nicht
mehr existiert (...). (Fidel Castro in der Zweiten Deklaration von
Havanna)
Che Guevaras Brief an das Exekutivsekretariat von OSPAAL, Schaffen wir
zwei, drei viele Vietnam, 1967 in Berlin von Rudi Dutschke und Gaston
Salvatore herausgegeben und eingeleitet, enthielt die emphatische
Verkündigung eines wahren proletarischen Internationalismus,
mit internationelen proletarischen Armeen, in denen unter der Fahne der
heiligen Sache der Erlösung der Menschheit gekämpft wird. Die
Führungsgruppen, Strategen und Ideologen dieser universalen Kampfbewegung
rechneten in ihren Äußerungen nicht nur mit einer additiven Wirkung
der Kriege und Aufstände, von denen erwartet wird, daß sie die
ökonomische und militärische Kraft des Imperialismus (und vor allem
der Metropole des Imperialismus, der USA) schwächen werden.
Dieser Strategie lag die Theorie der strukturellen Verschränkung der
innerkapitalistischen Konflikte und der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt
zugrunde. Schließlich finde sich der Gegensatz
entwickelt/unterentwickelt (privilegiert/unterprivilegiert) in
jedem Land, auch in dem der Kolonisatoren(1);
ökonomische Ursache
sei hier wie da das Profitinteresse der Privateigentümer an den
Produktionsmitteln bzw. des Finanzkapitals; das (freilich in der Theorie
umstrittene) Primat der (Außen-)Politik in der Abwehr von
Befreiungsbewegungen (so der Krieg gegen das vietnamesische Volk) habe seine
Parallele im (innenpolitischen) Staatssicherheitsdenken in den Metropolen. Das
Herrschaftsinteresse bestimme immer deutlicher das Profitinteresse; das Primat
der Politik werde integraler Bestandteil der Globalstrategie der
Konterrevolution. Ho Chi Mins Aufforderung: Errichtet die
Revolution im eigenen Land!, beschrieb daher bündig den einen
Aspekt der transkontinentalen Verknüpfung der Revolution.
Der antiimperialistische Kampf umschloß also den inneren,
antikapitalistischen Konflikt in der Theorie wie in der Strategie. Gerade die
Länder der Dritten Welt hofften gleichsam auf die Schwächung, die der
Klassenkampf im eigenen Land für den imperialistischen Aggressor
bedeuten müsse. Die Stützung der Befreiungsbewegungen in Vietnam,
Cuba, im Nahen Osten usw. durch den innerkapitalistischen Konflikt
(Klassenkampf) wäre freilich eine indirekte; sie sollte durch
direkte Interventionen im Lande der Imperialisten ergänzt
werden.(2)
Im Frühjahr 1967 schrieb Herbert Marcuse im KURSBUCH 9 Sätze von
einer für die Diskussion in der studentischen Linken programmatischen
Bedeutung (und damit für die Rezeption der Strategie des
antiimperialistischen Kampfs): Der Imperialismus, die Konterrevolution
könne gebrochen werden, wenn der Widerstand der Opfer des Neokolonialismus
eine Stütze finde in der Gesellschaft im Überfluß
selbst, in der Metropole des Spätkapitalismus (=USA, Ref.) und in den von
der Metropole in ihrer Selbständigkeit bedrohten schwächeren
kapitalistischen Ländern. Er fügte hinzu, daß in den
kapitalistischen Staaten des europäischen Kontinents die politische
Reaktivierung der Arbeiterbewegung Voraussetzung für die
Stützung der Befreiungskämpfe in der Dritten Welt bleibe. Diese
Strategie, die aus der strukturellen Verschränkung
aller sozialrevolutionären Bewegungen sich herleitet und noch die
Mobilisierung der Gettos im Kapitalismus umfassen will (siehe oben),
umschloß auch das Interesse der Linken in den Metropolen: Einmal
werde, wie schon erwähnt, die hegemoniale Macht auf die Dauer von den
Aufwendungen geschwächt, die imperialistische Kriege und Interventionen
verlangen. Dies könne, zumindest längerfristig, die Chance der
Linken, gerade der europäischen, für Umwälzungen im eigenen Land
erhöhen. Zum anderen aber werde angesichts der universalen
Kampfbewegungen in Lateinamerika, Asien, Afrika die soziale
Umwälzung, die aus dem Klassenkampf in den Industriegesellschaften
hervorgehen soll, endlich die nationale Hülle der Revolution
sprengen können; jene nationale Hülle, in der die Oktoberrevolution
in Rußland nach 1919/20 ihren Thermidor erlebt hat.
Daß die zunächst doch nationalen
Befreiungskämpfe der Dritten Welt sozialistische sein würden,
Revolution in der Revolution (Regis Debray), wurde namentlich in
der Protestbewegung nach 1966 kaum bezweifelt. Herbert Marcuse hatte auf
dem Vietnam-Kongreß in Frankfurt, 1966, eine damals viel beachtete
Begründung gegeben: In den Entwicklungsländern seien objektiv die
klassischen Bedingungen für den Übergang zum Sozialismus vorhanden,
nämlich (1) das Elend der unmittelbaren Produzenten, d.h. der
bäuerlichen Bevölkerung (von H.M. bezeichnet als agrarisches
Proletariat), (2) das vitale Bedürfnis nach radikaler
Veränderung der unzumutbaren Lebensbedingungen, (3) die Unfähigkeit
der herrschenden Oligarchien, die Produktivkräfte zu entwickeln, und (4)
die militante Organisation der nationalen Befreiungsfronten, die eine Einheit
von nationaler und sozialer Revolution darstelle. Die Entwicklung in
Algerien oder im Libyen Ghadaffis, Führer wie Numeiri, hätten
diesen Optimismus schon damals dämpfen können.
Der Internationale Vietnam-Kongreß in Westberlin, 1968, läßt
den Stand der Rezeption dieser Strategie erkennen. R. Dutschke formuliert die
beiden strategischen Aspekte des antiimperialistischen Kampfs für die
Metropolen (vgl. oben); die direkte Unterstützung (a) kann er
indikativisch ausdrücken, die indirekte (b) muß er
problematisieren:
(a) Direkte Unterstützung: Die NATO sei die organisierte Zentrale
des Imperialismus in Westeuropa; zu diskutieren seien subversive Aktionen gegen
Kriegsmaterial der Imperialisten (Vernichtung von
Kriegsmaschinerie); systematische Kampagnen für die Desertation von
Soldaten (u.a. erwähnt er die Fortsetzung der damals bereits
angelaufenen Desertationskampagne in der US-Besatzungsarmee, die sich
weniger gegen die NATO als vielmehr gegen den potentiellen Nachschub für
Vietnam richtete.) Dutschke bezeichnet die NATO allerdings (auch) als Zentrale
des Imperialismus für Verhinderung der Emanzipation der Massen
in Westeuropa. Dagegen akzentuierte Hans-Jürgen Krahl, als er eine
Kampagne Zerschlagt die Nato! als praktische Konsequenz des
Kongresses ankündigte, eindeutig den direkten Aspekt: Die NATO sei
verstrickt in die Internationale des Verbrechens im Sinne Che
Guevaras.
Direkte Unterstützung der Befreiungsbewegungen durch Druck auf die
Öffentliche Meinung: Dutschke schlägt die Bildung einer
Dokumentationszentrale vor, die sich dem Mißbrauch der Wissenschaften zu
Kriegs- und Unterdrückungszwecken widmen soll (so war z.B.
Bayer-Leverkusen schon 1966 in den begründeten Verdacht geraten, Herbizide
für die amerikanische Kriegsführung in Vietnam zu produzieren;
Forschungsergebnisse der Psychologen an der TH Darmstadt trugen zur Entwicklung
eines Detektors bei, der es der amerikanischen Armee ermöglichte, unter
Wäldern usw. verborgene Personen am Geruch von Buttersäure vom
Flugzeug aus zu enttarnen, u.a.m.) Wissenschaftliche Institute sollten die
imperialistische Zusammenarbeit untersuchen und darüber publizieren (das
INFI).
(b) Indirekte Unterstützung, Klassenkampf: Rudi Dutschke
erklärt, eine ungelöste Frage für den
antiimperialistischen Kampf der Linken in der BRD (und, natürlich, in
Westberlin) sei die Verbreiterung des antiautoritären Lagers in die
Richtung der die materielle Produktion tragenden Schichten, die Frage
nach der Revolutionierbarkeit der Gruppen, Schichten,
Abteilungen, Fraktionen und Elemente der lohnabhängigen Massen.
An anderer, einschlägiger Stelle, nämlich in der Einleitung zum
Guevara-Brief Schafft zwei, drei viele Vietnam hatten Dutschke und
Salvatore erklärt, die politische Machtergreifung einer
Gruppe, Clique oder auch einer spezifischen Klasse scheine
gegenwärtig keine Möglichkeit der Revolution mehr zu sein.
Im KURSBUCH 14, 1968, hat Dutschke wenig später erklärt, die
Systemopposition könne im Spätkapitalismus unendlich viele Formen
haben, sie sei nicht mehr gebunden an eine spezifische Stellung im
Produktionsprozeß; und: wir müßten in der BRD davon
ausgehen, daß ein Arbeitermilieu als bestimmte Negation des
bestehenden Systems (im Unterschied zu Frankreich und Italien, Ref.) hier
nicht mehr bestehe.
Sprecher der Neuen Linken formulierten hier (und anderswo) ein
Resultat ihrer Erfahrungen und ihrer Analysen, das die Strategie des
antiimperialistischen Kampfs an einem wesentlichen Punkte kompliziert: Von
einem Klassensubjekt der Revolution kann in Westeuropa nicht die Rede sein,
und: die Gruppen, Schichten, Abteilungen, Fraktionen, Elemente der
lohnabhängigen Massen in der BRD waren unerweckt, nur schwer
zu mobilisieren. Daß aber die Bildung einer zweiten Front gegen den
Imperialismus eine Verbreiterung der Massenbasis voraussetzt, hat nicht
nur sozusagen quantitative Gründe, es müssen viele sich auflehnen,
wenn der Kapitalismus geschwächt (oder gar gestürzt) werden soll. Es
gibt auch qualitative Gründe. Dieses qualitativ bedarf
der Interpretation.
1. Peter Weiss nannte auf dem Vietnam-Kongreß eine erste Konsequenz beim
Namen, die der antiimperialistische Kampf für die Linke haben würde:
Unsere Ansichten müssen praktisch werden, unser Handeln wirksam.
Dieses Handeln muß zur Sabotage führen, wo immer dies möglich
ist. Dies fordert persönliche Entscheidungen. Dies verändert unser
privates, individuelles Leben.
Die direkte Unterstützung des antiimperialistischen Kampfs wird die
Grenzen der Legalität überschreiten. Für die Genossen, die auf
diese Weise die Sache der Befreiungsbewegungen zu der ihren machen, mußte
sich u.U. mit einem Schlage ihr gesamtes Lebensverhältnis
ändern. Sie bedurften dabei (und daher), so jedenfalls die These
der antiautoritären Linken, dringlich eines revolutionären
Gegenmilieus, d.h. eines Kollektivs, das ganz neue Formen
zwischenmenschlichen Verkehrs, ausbilden, antizipieren kann. Es
muß ihm die Verankerung im Volk ersetzen: denn wenn auch die
Arbeiterklasse vielfach beschworen wird, wenn auch die Rede immer wieder auf
das Volk kommt, um dessen Befreiung es schließlich geht: in der
BRD, so viel ist sicher, wird der Illegale nicht im Volk wie der Fisch im
Wasser schwimmen können.
2. Doch das Gegenmilieu gibt nur auf einige der Probleme Antwort, die der
illegale (und bewaffnete) Kampf stellen würde. Die zweite
Front, die das imperialistische System schwächen soll, die die
Befreiungsbewegungen, deren Verbreiterung man erhofft (Zwei, drei, viele
Vietnams), im Inneren der kapitalistischen Staaten reproduziert, wurde
von Hans-Jürgen Krahl auf dem Vietnam-Kongreß als
organisierte Selbsttätigkeit des politischen
Widerstands definiert eine Sprache, in der eine sehr spezifische
Gestalt der Hoffnung auf sozialrevolutionäre Massenbewegungen mitschwingt.
Die direkte Unterstützung der Befreiungsbewegungen in der
Dritten Welt muß zugleich die Massen, d.h. die Bevölkerung des
eigenen Landes für die organisierte Selbsttätigkeit
gewinnen (vgl. weiter unten, Propaganda der Aktion), und zwar nicht
nur im Interesse der Sicherheit der illegal Operierenden und der
Effektivität einer zweiten Front, sondern substantieller: im Interesse der
(innerkapitalistischen) Revolution, d.h. der Befreiung, exakter: der
Selbstbefreiung der Lohnabhängigen in den Metropolen.
3. Der antiimperialistische Kampf wurde als militanter Humanismus verstanden,
als der unversöhnliche Friede. Auch die politische Moral der
Kompromißlosigkeit (Krahl) blieb noch der Schaffung alternativer
Formen von Subjektivität des neuen Menschen Che Guevaras und
Frantz Fanons, der neuen Identität des revolutionären Gegenmilieus
verpflichtet, und war mit der Bildung selbsttätiger
Organisationsformen der Bevölkerung verknüpft (Krahl). Nun war
der antiimperialistische Kampf in den Metropolen nicht anders denn als (auch)
gewaltförmig zu führen: das lag einerseits in der Natur des
Kommando-Unternehmens gegen die Kriegsmaschinerie der imperialistischen Nation,
hing aber andererseits mit der wachsenden Gewaltförmigkeit des
Imperialismus im Inneren der eigenen Nationen zusammen, d.h. letzten
Endes mit dem Primat der Politik und des Staatssicherheitsdenkens. Diese
Gewaltförmigkeit der direkten Aktion bzw. des politischen Widerstands
gegen die Machtapparate des Staats bedurfte der kollektiven Steuerung und
Beherrschung, sie durfte sich nicht gegenüber den komplexen Zielen des
antiimperialistischen Kampfs verselbständigen (vgl. weiter unten:
Kontrolle der Gewalt).
Zu Propaganda der Aktion. Die verbreitete Annahme, man
könne das Volk durch die Propaganda der Schüsse
stufenweise aufklären, wird auf dem Vietnam-Kongreß von Gaston
Salvatore kritisiert sogar für Lateinamerika (Kongreßbericht,
S. 55). Der Wert direkter Aktionen für das Gewinnen der
Bevölkerung war schon für einige Staaten dieses Kontinents
umstritten. Rudi Dutschke warnt vor einer abstrakten Negation der
verschiedenen Widerspruchsebenen (im Globalsystem des Imperialismus), und
damit auch vor einem Import der Guerilla-Strategie. Sobald es um Aktionen geht,
die sich nicht mehr gegen die NATO richten, sondern gegen die Verhältnisse
in der BRD, verweist er auf den Beispielscharakter studentischer Aktionen
für die Bevölkerung (die für organisierte
Selbsttätigkeit ja gewonnen werden muß) und auf die noch
unerkannten und noch nicht politisierten Widersprüche in Betrieb,
Verwaltung, Kirche und Wohnblock (Kongreß-Bericht S. 116, 117). Daß
er im gleichen Zusammenhang von militanten Aktionen gegen die
Manipulationszentren spricht, z.B. gegen die unmenschliche
Maschinerie des Springer-Konzerns, legt die Vermutung nahe, daß er
in der Verfügung des Kapitals über Bewußtsein eine der Quellen
für das Ausbleiben einer Massenbewegung in der BRD, für die
Verbreiterung der organisierten Selbsttätigkeit des
politischen Widerstands (und damit für die Errichtung der zweiten
Front sah.) Das Vorwort des Kongreßberichts (S. 6) warnt daher nicht
nur vor der Übernahme theoretischer wie praktischer Traditionen der
Arbeiterbewegung, von der ein Organisationstypus auf der Grundlage
autonomer Initiativgruppen in den (...) Betrieben (Krahl, a.a.o.) nicht
zu erwarten war im Gegenteil, obwohl einige Vertreter des sog.
traditionalistischen Flügels im SDS in der Partei (leninistischen
Typus) die Lösung der Probleme des antiimperialistischen
Kampfes sahen; es warnt auch vor der (verzweifelten)
Identifizierung mit dem Guerillero Lateinamerikas.
Zur Kontrolle der Gewalt. Zu diesem Problem, für das es im
Bewußtsein der Antiautoritären keine einfachen
Lösungen gab, finden wir Diskussionen, die sich auf die Moral der Gewalt
(1), auf ihren Typus (2) und auf ihre Organisation bezogen
(3).
1. Moral: Rudi Dutschke und andere warnten vor der ungebrochenen
Übernahme des Hasses ein Faktor des Kampfs bei
Che Guevara, gerade er, der Haß, enthalte immer die Gefahr, daß der
militante Humanismus des antiimperialistischen Kampfs in den Metropolen
umschlage in verselbständigten Terror. Den Aufruf zu Mord und
Totschlag in den hochentwickelten Industrieländern hielt Dutschke für
eher konterrevolutionär (z.B. im SPIEGEL-Gespräch, Der Spiegel 29,
1967).: die Tötungshemmung des Sozialisten, aber auch ein durchaus
realpolitisch fundiertes Bedenken. Diese Warnungen schienen umso angebrachter
zu sein, als auf dem Vietnam-Kongreß auch ganz andere Auffassungen von
Gewalt vertreten wurden. Dale A. Smith: Solange Eltern in Vietnam um ihre
Kinder weinen, sollen auch Eltern in den USA um ihre Kinder weinen. Wenn das
vietnamesische Volk nicht seine Ernte einbringen kann, ohne daß der
Schatten des Todes darauf fällt, soll auch kein Amerikaner seine Ernte
einbringen und kein Amerikaner leben können außerhalb des Schattens
des Todes (Kongreßbericht S. 140 f.).
2. Typus der Gewalt: Die 1967/68er Losung von der Gewalt gegen
Sachen enthielt nicht nur, auf sozusagen theoretischem Niveau, eine
Anspielung auf die Versachlichung von zwischenmenschlichen Beziehungen im
Kapitalismus (Gewalt richtet sich dem Prinzip nach gegen ein
Produktionsverhältnis, nicht gegen einen Eigentümer), sondern hatte
auch eine taktische Dimension, im Kontext der Kontrolle von
Gewalt.
3. Organisation der Gewalt: Ein allgemeines organisatorisches Prinzip
lag im ständigen Bezug der direkten Unterstützung
durch Sabotage, Vernichtung von Maschinerie, usw. auf die Bildung der
zweiten Front im eigenen Land (s.o.). Wir können, in Anlehnung an
bewaffnete Gruppierungen in Frankreich oder Italien auch sagen: als
integraler Bestandteil der Kämpfe des Volks unterliegen
Kommando-Unternehmen u. dgl. der organisierten Kontrolle derer, die legal an
der Basis kämpfen. Dies muß auch für jene Unternehmen gelten,
die in ihrer Akzentuierung dafür gedacht sind, die Selbstbefreiung
der Lohnabhängigen zu unterstützen und fortzuführen. Als der SDS
die aus Italien stammende Parole Die NATO ist unser Vietnam!
übernahm (vgl. die XXIII. ordentl. DK des SDS, Frankfurt, 1968), war er
weit davon entfernt, die Besatzungsmacht, d.h. die deutsche Armee im Europa des
II. Weltkriegs, oder die Soldaten der US-Interventionsarmee in Vietnam mit der
Exekutive in der BRD gleichzusetzen. Obwohl er die wachsende innere
Gewaltförmigkeit der kapitalistischen Staaten zeitig erkannte, ihre
Faschisierungstendenz, rief er auf den Demonstrationen der APO noch
Macht aus Polizisten gute Sozialisten!
Die im Vergleich dazu eigentümlich externe Lokalisation der
Unternehmen der RAF und der Bewegung 2. Juni, d.h. ihre Distanz
sowohl zur Sphäre der Arbeit, der Fabrik als auch zu anderen Brennpunkten
des Widerstands an der Basis führt die Analyse auf die Ausgangslage der
Linken in jener Phase zurück, in der die Strategie des
antiimperialistischen Kampfs rezipiert worden ist. Wie immer wir gerade
im Vergleich mit Frankreich oder Italien den Stand und Zustand des
innerkapitalistischen Konflikts in der BRD auch beurteilen mögen: wo er
sich in der Form von Basis-Prozessen nach 1968 entwickelte (Arbeitskämpfe,
Mieterstreiks, autonome Jugendzentren, Hochschulrevolte, Bauernprotest usw.),
ging er weit an den Aktionen der bewaffneten Gruppen vorbei. Und umgekehrt: der
Versuch dieser Gruppen, eine paramilitärische Organisation aufzubauen,
eine zweite Front in der BRD zu bilden, war weder in eine
politische Reaktivierung der Arbeiterbewegung noch in die
organisierte Selbsttätigkeit autonomer Gruppen in
Universität und Betrieb integriert. Die direkte
Unterstützung der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt muß
sich im Sinne der strukturellen Verschränkung von universaler
Kampfbewegung und nationaler Revolution mit den Eskalationsstufen des
Klassenkampfs (d.h. den antikapitalistischen, anti-etatistischen
Bewegungen an der Basis) verknüpfen: Es ist in der Strategie des
antiimperialistischen Kampfs immer auch eine Eskalation im Zusammenhang
der Basis-Prozesse, auf die der Griff zur Waffe, die subversive Aktion
antwortet. Niemals ist also die Waffe selbst, in deren Besitz man sich aufgrund
eines einsamen Entschlusses bringen kann, der Ausgangspunkt für die
Entdeckung oder Entwicklung einer neuen Form des antiimperialistischen Kampfs.
Dies kann immer nur eine spezifische Stufe im innerkapitalistischen
Bereich der universalen Kampfbewegung sein. Und nicht nur
eine Eskalationsstufe der imperialistischen Kriege oder Interventionen irgendwo
in der Welt: Wo der Terror nicht ein integraler Bestandteil der
Kämpfe des Volks ist (oder bleibt), wo er sich
verselbständigt, blieb das Problem der Vermittlung von
antiimperialistischen Kampf und Klassenkonflikt ungelöst. RAF,
Bewegung des 2. Juni und andere vergleichbare Gruppen entwickelten
sich gerade als Abstraktion von der Strategie des antiimperialistischen
Kampfs, obgleich sie diesen noch immer zu führen meinten.
(3)
Fußnoten:
(1)
In der BRD gewannen die relativen Gettos an
Aufforderungscharakter: Erziehungsheime, Irrenhäuser, Sonderschulen u.a.;
auch das Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg (SPK) nannte 1970 seine
Tätigkeit antiimperialistischen Kampf.
(2)
d.h. durch die Errichtung einer zweiten Front
(3)
So spricht das Kommuniqué Schwarzer Juni vom
Gebrauchswert für die Befreiung des Subjekts vgl. die
Frage der alternativen Formen von Subjektivität bei Che Guevara, Frantz
Fanon, der antiautoritären Bewegung.
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