Die Welt der disziplinierten
Cheerleader
Die Beschäftigung mit Superstars, mit diesen unerreichbar
überglänzenden Gespenstern der Medienwelt, hat etwas Trostloses und
zugleich Abenteuerliches. Es gibt da einen Reiz, eine Oberfläche, die man
sofort versteht und die einen in die Tiefe einer neuen, auch gesellschaftlichen
Wirklichkeit zieht.
Britney Spears ist das berühmteste Mädchen-Gespenst der Gegenwart
und sie will die nächste Madonna werden.
Als Britney Spears vor rund zwei Jahren in einer katholischen Schuluniform die
Charts enterte, ein blondes Kunstgeschöpf, gemacht, um das natürliche
Mädchen von nebenan zu mimen und uns alle glücklich zu machen, wirkte
sie wie eine Vorbotin einer neuen Zeit.
Man war/ist noch die Girl-Stars der 90er-Jahre gewohnt. Von Madonna bis zu den
Spice-Girls, von Hole bis zu Lil Kim: sie alle richteten sich mit einer
spielerischen Mischung aus Spaß und Sarkasmus in ihrer Geschlechterrolle
ein. Nicht so Britney: sie will nicht subversiv entlarvend sein, sondern
seriös echt. Und sie mimt die Jungfrau, die versucht, sexy zu wirken,
nicht die Schlampe, die gerne für eine Nacht wieder ein Engel wäre.
Und zwischen Jungfrau und Hure oszillieren bekanntlich alle Rollen, die das
Pop-Patriarchat für Frauen bereitstellt. Darüber hinaus rückt
Britney, ganz wie ein korrekter Teenager, ständig irgend etwas zurecht
nicht ihren beständigen In-Look allerdings, der sitzt fest, sondern
ihr Image. Glaubt man Britney, so handelt Lucky, das
theatralischste Stück Bubble-Gum des Jahres ein Lied wie eine ganze
Folge Seifenoper , gar nicht von ihr, sondern von einem einsamen
Hollywood-Star. Und nein, also Hit me Baby, One More Time
das hat doch nichts mit Sex zu tun! Auch die sexy Outfits nicht. Und dann die
Sache mit den Brüsten, die nicht schönheitsvergrößert,
sondern von selbst gewachsen sind, angeblich; aber lassen wir das. Es ist
schließlich verdammt unzivilisiert, jungen Frauen unablässig auf
Brustwarzen und Waden zu schielen. Blenden wir uns also lieber wieder ein in
Britneys Girl Next Door-Posing. Der Alltag eines Pop-Superstars
er unterscheidet sich, laut Britney, nicht die Brechbohne von dem eines
ganz normalen Mädchens. Auch ich, sagt die kleine Lady und lächelt
süß, brauche morgens nur eine halbe Stunde im Bad. Das ist
erfrischend! Und hat wie alles an Britney zwei Seiten: eine augenscheinliche
und eine alberne. Aber auch das ist Pop, wenn auch keinesfalls unschuldig oder
naiv wie eine Jungfrau. Und überhaupt kommt Britney Spears einfach ein
bisschen humorlos rüber. Wobei es in dieser Welt der disziplinierten
Cheerleader wohl auch nicht viel zu lachen gibt. Wer will schon den ganzen Tag
Knäckebrot essen und sich Muskeln antrainieren, die er dann gar nicht
benutzen darf im wirklichen Leben? Oder sehe ich das zu verbissen?
Cheerleader-Girls bestreiten endlich das Hauptprogramm und alle
Mädchen wollen ein bisschen so ausschauen wie Britney. Mehr als 2000
Zuschriften hat die Bravo erhalten, als sie kürzlich einen
Britney-Spears-Doppelgänger-Wettbewerb ausrief. Das silberne Space-Outfit,
der Casual Look mit bauchfreiem Top oder Rot im Stil des Oops! ... I did
it again-Videos wer sich heute so stylen will wie sein
Lieblingsstar, der muß nicht mehr durch unzählige Boutiquen
geistern, die Outfits ungefähr zusammenstellen, sich vielleicht
lächerlich machen, wie in den 80ern. Heute geht das Popstar-Spielen per
Mouseklick. Und weil das so ist, braucht sich, nebenbei bemerkt, auch kein
Mensch mehr darüber zu wundern, dass sich Style als
Ausdrucksmittel abgenutzt hat. Es sind die Körper, die die Hürden
nehmen müssen und die kommunizieren. Es geht nicht darum, Britneys
bauchnabelfreies Top aufzutreiben, sondern darum, dafür zu sorgen, dass
man einem dieser sogenannte Casual Look auch tatsächlich
steht.
Für Britney Spears ist das natürlich praktisch. Britney braucht nicht
mehr Teil einer Girl-Group zu sein, Britney hat Doubles, Girl-Armys all over
the world. Aber Britney gibt es ja auch gar nicht wirklich. Sie ist ja nur ein
Kunstprodukt, ein Märchenfee-Pokemon vielleicht. Vom Cheerleader-Universum
kommt sie, uns zu zeigen, wie die Welt da draußen ist. Unterstützt
von Produktmanagern, die, wohl auch per Mouseklick und Meinungsforschung,
herausgefunden haben, dass junge Mädchen zwischen acht und fünfzehn
sich mit so etwas mit genau so etwas wie Britney identifizieren
wollen. Damit sie auch morgen noch kraftvoll in den kalorienarmen Apfel
beißen können. Auch Britneys Songs überlassen nichts dem
Zufall. Dear Diary, ein Stück, an dem sie mitgeschrieben hat,
klingt so, als habe die 18jährige Teen-Queen tatsächlich im Tagebuch
ihres Fans geblättert: Dear diary today I saw a boy and I
wondered if he noticed me. It took my breath away. Und das hat auch etwas
Rührendes wie es überhaupt schön ist, den Habitus eines
Highschool-Girls so eins auf einer CD zu finden, including Gekichere und
hochbestürzte Telefonate mit der besten Freundin. Dieses sehr Euphorische,
das man so toll findet an Teenager-Girls, schwingt mit in Britneys Songs. Aber
auch das Schweigen. Denn manchmal singt sie statusgemäß atemlos, als
habe es ihr die Stimme verschlagen.
Ausgestattet mit einer pfadfinderhaften-genauen Wegbeschreibung stolpere ich
durch ein sonniges Bremen, vorbei am Hintereingang eines Parkhauses, immer auf
der Suche nach der VIP-Lounge. (...) Die Straße vor der Stadthalle ist
abgesperrt und vollgepackt mit Fans. Sie wirken sehr gesittet und ruhig. Fast
wie Erwachsene harren sie der Dinge, die da kommen. (...) Jetzt sollen die
Mädchen Britney Spears ist geil ins Mikro eines Radioreportes
rufen. Vergnügt schreien sie los. Sind die alle lesbisch?
argwöhnt ein pubertierender Junge, kopfschüttelnd. Es ist eben doch
ein ungewohnter Anblick, wenn junge Mädchen für eine
Geschlechtsgenossin, und nicht etwa für eine Boygroup schwärmen. Ein
paar Meter weiter singen meist weibliche Fans hingebungsvoll Shes
so lucky, shes a star, but she cry, cry, cries in her lonely heart
in die Kamera eines Fernseh-Reporters und amen dabei Britneys
geschmeidig-roboterhafte Tanzeinlagen nach. Den Text von Lucky
können hier alle auswendig, es scheint sowieso das Lieblingslied der Fans
zu sein. (...) Weil es ein Lied über ein trauriges Mädchen ist,
das mit dem Ruhm nicht zurechtkommt, behauptet Katrin, 10, Wimperntusche
auf den Augenlidern. (...) Die elfjährige Natalie trägt Kajal und
Lippenstift. Ich bin jetzt doch beeindruckt. In diesem Alter mußte ich
mich noch heimlich im Gartenhaus schminken. Vielleicht wird das in Zukunft
immer so sein, vielleicht ist das jetzt schon die Zukunft: Willkommen in der
Welt des Kindermarketings. Nur Babys und Kleinkinder bis fünf sind noch
nicht zugelassen zum segensreichen Paradies der weiblichen
Selbstverschönerung. (...)
Und vielleicht, denke ich, während ich Britney später im Konzert
beobachte, wie sie diese abgehackten Tanzeinlagen bringt, kurz innehält,
dann weitertanzt als müsse, wer schön sein will, stillstehen
und tanzen zugleich , vielleicht ist sie wirklich das
All-American-Girl-Next-Door, das den Traum verwirklicht hat, den
großen. Und nebenbei den Artikulationsverlust ihrer jugendlichen Fans zum
Ausdruck bringt. Eine Art 21st-Century-Michael Jackson.
Kerstin Grether
aus: Intro, Nr 80 (12/2000+01/2001)
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