Über die Wechselwirkung von Fußball und
Politik nachgedacht, überbieten sich Sport-Politologen und
Freizeit-Theoretiker gerne in der Konstruktion von Kausalitäten und
Bedeutungen des Ballspiels, ohne zu merken, daß sie eigentlich in der
Liga der Verschwörungstheorien spielen. Die nahtlose
Übereinstimmung von Fußball und Politik (Norbert Seitz) wird
in der Regel mit dem Zusammentreffen von sportlichen und politischen
Ereignissen belegt, die mit viel hermeneutischer Energie aufgeladen werden, um
schließlich als logische Konsequenz zu gelten. Der Mythos vom
Fußball und der großen Politik geht wahrscheinlich auf den
Fußballkrieg zwischen El Salvador und Honduras von 1969/70 zurück.
Jedoch war hier nicht der Ausgang des Länderspiels Anlaß für
die Fortsetzung des Geschehens auf dem Rasen mit anderen Mitteln, sondern das
Spiel wurde von den Militärs als günstiger Zeitpunkt für die
Bereinigung von Grenzstreitigkeiten erachtet. Auch die Geschichte der beiden
deutschen Staaten scheint auf wundersame Weise mit den Erfolgen bei
Länderwettstreiten verbunden zu sein.
1954 Wiedererlangung der politischen und sportlichen Souveränität
Zwar scheiterte auf der Konferenz der vier Siegermächte vom 25. Januar bis
18. Februar in Berlin die Wiedervereinigung, aber auf der Pariser Konferenz
wurde am 23. Oktober der abgeänderte Deutschlandvertrag unterzeichnet, der
das Ende des Besatzungsstaus regelte und die Souveränität der
Bundesrepublik herstellte. Auch die UdSSR beendete 1954 das Besatzungsregime in
der DDR. Die Erlangung der politischen und sportlichen Souveränität
ging demnach Hand in Hand und integrierte die beiden deutschen Republiken in
das System des Kalten Krieges.
1974 Höhepunkt des innerdeutschen Fußballkrieges
Es waren gerade sieben Wochen nach dem Rücktritt von Willy Brandt infolge
der Guillaume-Affäre vergangen, als Jürgen Sparwasser mit seinem Tor
die Niederlage der BRD ausgerechnet bei der WM auf bundesdeutschem Boden
besiegelte. Die Duplizität der Ereignisse muß vor allem die Profis
und Funktionäre der FC Bayern München so beeindruckt haben, daß
diese zum Europapokalspiel der Landesmeister im Oktober gegen den 1. FC
Magdeburg mit einem eigenen Speisebus anreisten wir werden uns
doch nichts ins Essen tun lassen. Aus Angst vor DDR Spionen und
Abhörmaßnahmen der Stasi wurden die Mannschaftsbesprechungen nur im
Freien abgehalten.
1990 Wiedervereinigt und Weltmeister
Zum Gewinn der Weltmeisterschaft im Jahr der offiziellen Wiedervereinigung
bleibt zu bemerken, daß Höhepunkte nationaler Emanzipation zumeist
mit nationalem Größenwahn einhergehen. Kaiser Franz
Beckenbauer proklamierte nach der WM den permanenten Endsieg:
Zusammen mit den Ostdeutschen werden wir auf Jahre hinaus nicht mehr zu
besiegen sein. Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber es ist
so. Daß aus dieser Prognose wie aus den Blühenden
Landschaften nichts wurde, zeigten die dänischen Reservekicker den
Unbesiegbaren bereits im Endspiel der EM 1992. Ähnlich zu werten auch das
ruhmreiche Abschneiden bei der diesjährigen Europameisterschaft und die
zwei Jahre vorher besiegelte Niederlage gegen die agitatorisch keineswegs
zurückhaltenden Kroaten.
Reggae vs. Samba
Mittlerweile haben sich die Kriterien der Koinzidenz verändert. Die WM in
Frankreich und die darauffolgende EM in den Niederlanden und Belgien dienten
wie alle massenmedialen Ereignisse als Projektionsfläche für
Werbeinteressen und ebenso wurden sie von der Politik instrumentalisiert. Dies
zeigt der Streik der Air France Piloten wie die aussichtslose Klage von 32
Europaabgeordneten, welche die Vergabepraxis der WM-Tickets für
unvereinbar mit dem EU-Recht halten, weil französische Fans bevorzugt
würden und die 32 Hinterbänkler wahrscheinlich leer ausgegangen sind.
Doch solche populistischen Inszenierungen können selbstverständlich
nicht den Anspruch erheben, in irgendeiner Weise den Ausgang der
Nationenmeisterschaften zu präjudizieren, weil sie keine
gesellschaftspolitischen Verhältnisse mehr repräsentieren. Die
Befindlichkeit der Gesellschaft wird heute ohnehin eher durch die Werbung als
durch das Auftreten ihrer Politiker bestimmt. Von daher ist für den
Ausgang der WM wahrscheinlich eher entscheidend, welches Team über den
coolsten Werbespot verfügt. Harald Schmidt hat zu dieser Problematik
bereits treffend festgestellt, daß die zum Sambarhythmus auf einem Air
Port zaubernden Brasilianer im Nike Spot ein kleines bißchen
cooler sind, als Bertis Telekomkunden. Im Markenkrieg um Marktanteile,
der zur Zeit so hart wie noch nie geführt werden wird und durch den
Antagonismus zwischen Adidas und Nike geprägt ist, haben die
Herzogenauracher mit einem sehr gelungenen Clip reagiert. Er zeigt Bob Marley
beim Fußballspielen in heute kultverdächtigem Adidas Outfit, was im
Zweifelsfall jedoch nicht für Deutschland, sonder für Jamaika
Sprechen würde.
Ost vs. West
Auch hierzulande gehen die Uhren nicht ganz so, wie sich das manch einer
vorstellt. Während in den Stadien, bezogen auf die neuen und alten
Bundesländer, kapitale Differenzen auszumachen sind, ist man sich in den
Führungsetagen weitgehend einig. Die Politik hat beim Fußball nichts
zu suchen, lautet die lapidare Herangehensweise. Unterdessen wird der
vollziehenden Gewalt jeglicher Raum überlassen, deren Befugnisse im
Einklang mit dem abgetretenen Hausrecht erweitert, wie es irgend nur geht.
Dabei geraten vor allem die Vereine der ostdeutschen Region zu
Schauplätzen rassistischer und faschistischer Propaganda. Natürlich
ist man seitens der Präsidien, Aufsichträte und, vor allem nicht zu
vergessen, seitens der Spieler machtlos, sofern man das Geschehen zu beurteilen
imstande ist. Allenthalben wird eine Beschwichtigungs- und
Verschwörungstheorie nach der anderen in das weite Rund geschleudert.
Denn das wichtigste ist doch der Verein per se. Den gilt es zu
verteidigen.
Na, wenns weiter nichts ist.
Teewald
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