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Leserbrief
betr.: "Rechtmäßige Publikumsbeschimpfung?" (Wiedergabe der Ereignisse zum „27 Years of Hardcore“)
aus CEE IEH #71

Sehr geehrtes Conne Island Plenum,
da ich selbst an jenem Tag im CI unter den Konzertbesuchern war und auch am Dienstag bei Snapcase sein durfte, habe ich natürlich die Diskussion über die „rechtmäßige Publikumsbeschimpfung“ mit verfolgt und mir meine Meinung dazu gebildet. Der Anlaß meiner Mail ist aber die Stellungnahme zum Konzert, die wie ich finde, sehr unangemessen und unausgereift ist. Ich verstehe, daß ihr (bzw. der Verfasser) die Diskussion am Leben halten wolltet, so daß nicht erst in ein paar Monaten darüber gesprochen wird.
Da das CI ein Kulturzentrum und eingetragener Verein ist, habt ihr aber die Pflicht, transparent und objektiv auf die Geschehnisse zu blicken, und nicht durch eine verfrühte und oberflächliche Stellungnahme ein Bild von dem Konzertabend zu festigen. Ich stimme mit sehr vielen Aspekten überein, vor allem daß der CI-Mitarbeiter verantwortungslos gehandelt hat und es an diesem Abend auch eventuell zu Ausschreitungen hätte kommen können, da wie man sieht, sehr viele Meinungen zum Thema existieren. Obwohl ich nicht so oft im CI bin und jenen Mitarbeiter nicht kenne, so kann ich sein Verhalten verstehen, auch wenn es falsch war, so emotional zu reagieren. Denn es wurde tatsächlich sehr brutal gepogt, was ich am eigenen Leib erfahren habe. Wer oft zu HC Konzerten geht, der weiß, daß man in solch einer Situation nur durch die entsprechenden Gesten dem Übeltäter zeigen kann, daß er sich zusammenreißen soll. Leider zeigt die Erfahrung, daß viele Konzertbesucher sich davon nicht hindern lassen und ihren Tanzstil fortsetzen. Sie jetzt mit ihren Mitteln zu bekämpfen, löst das Problem aber nicht, das funktioniert nur über verbale Kommunikation, nicht über Gewalt. Trotzdem waren das nicht wirklich 30 Personen, sondern nur einige Wenige, die so brutal getanzt haben, unter anderem der Idiot, der anschließend das kluge Statement „...ist doch scheißegal, ob links oder rechts...“ abgegeben hat. Er ist mir schon in Chemnitz und beim With Full Force dieses Jahr aufgefallen, ein Idiot der weder einen Text singen kann, noch hinter den Idealen des HC steht und diese lebt.
Fakt ist, daß ich die Reaktionen des Mitarbeiters verstehen kann, und wer genau auf ihn geachtet hat, der hat gesehen, daß er ziemlich wütend war und im Effekt gehandelt hat, was man an seiner Stimme und den Bewegungen deutlich gesehen und gehört hat. Wer jetzt behauptet, er hätte selbstgefällig gehandelt, der war wahrscheinlich noch nie in so einer Situation, wo die Emotionen die Überhand ergreifen. Doch wie konntet ihr in so einem Flyer über einen „..anwesenden Metal/Dorfprollanteil..“ sprechen, der „..nach Einschätzung aller durch die Band Rykers hervorgerufen wurde.“? Wie kommt ihr zu dieser Erkenntnis?
Rykers ist nun mal die Band, die nicht nur in der HC „Szene“ weltweit bekannt ist und sehr viele begeisterte Zuhörer hat. Ich fand es gerade sehr schön, daß nicht nur Leute aus einer „Szene“ anwesend waren, sondern Punks, Skinheads, langhaarige Typen mit vielen Manowar-Aufnähern und noch viele andere zusammen eine, bis auf die unangenehme Situation bei N.R.S.V., gute Party gefeiert haben. Dabei liegt die Betonung auf „zusammen“, denn gerade Toleranz, Nächstenliebe und zusammen in Gemeinschaft mehr zu erreichen und zu leben, sind ja vor allem Ideale des HC. Und es waren nicht die sog. „Dorf- und Metalprolls“ die den brutalen Pogo abgezogen haben. Wie man solch ein Vokabular verwenden kann (ich wohne jetzt selbst in der Pampa, lasse mich aber durch solche Worte nicht aus der Ruhe bringen) ist mir trotzdem ein Rätsel. Es gibt nun mal Leute, die nach anstrengender Arbeit und Woche sich nach Ausgleich und einem schönen Abend mit Freunden sehnen, das dürft ihr nie vergessen. Es kann nun mal nicht jeder in einer Organisation mitarbeiten, es gibt auch Leute, die natürlich konsumieren, aber was in ihren Köpfen dann wirklich abgeht, ob sie nach dem Konzert zu Hause darüber diskutieren oder ähnliches, das wisst ihr auch nicht. Man will doch auch einfach nur mal einen sorglosen Abend verbringen, die Probleme einfach mal vergessen, die sind am nächsten Morgen eh wieder da.
Ich stimme mit euch da natürlich überein, daß sich in der HC „Szene“ einiges getan hat, und es sind teilweise Parallelen zu einer Entwicklung wie im Hip Hop erkennbar, vor allem was Kommerzialisierung und reinen Konsum ohne Hintergrund betrifft, aber dennoch ist die Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten und läßt sich hoffentlich noch begrenzen, was in der heutigen Zeit aber nicht leicht sein dürfte. Die Zeiten, „...sich einzig und allein ein Lieblingspublikum ins Haus zu holen..“ sind eurer Meinung nach vorbei, doch wie soll ich als Leser des Flyers das verstehen? Gilt das für, auch an diesem Abend anwesende besoffene Idioten (Dorfprolls???), die sich natürlich nicht mehr richtig kontrollieren können? Doch die sind bei so einem großen Event zwangsläufig mit von der Partie. Oder wollt ihr nur ein eingefleischtes HC-Publikum, die voll im Element sind? Was sollen dann Leute, die den Einstieg in die „Szene“ noch nicht geschafft haben, in einer Findungsphase oder einfach nur interessiert sind, machen?
Ihr dürft nicht das Privileg beanspruchen, was Besonderes zu sein ohne daran zu denken, daß nicht jeder die gleichen Möglichkeiten besitzt, den Kontakt aufzubauen, vor allem wenn man auf dem Dorf wohnt. Gerade mit solchen Stellungnahmen vergrault ihr euch den dringen nötigen „Nachwuchs“, ohne den der HC über kurz oder lang überaltern und schließlich sterben wird. Es sollte eigentlich euer Ziel sein, ein gemischtes Publikum zu haben, die natürlich mit der Musik, den Einstellungen und der Lebensweise konform laufen, aber es auch Menschen gibt, die nur konsumieren, aber deswegen keine schlechten Menschen sind. Diese auszuschließen ist ebenso falsch, wie der alleinige Konsum der Musik und Klamotten etc. Solang natürlich die Mehrheit weiter an den Idealen festhält und für die HC ein Leben bedeutet, so lange wird auch der HC leben.
Abschließend möchte ich noch einen Punkt aus dem Flyer aufgreifen. Wie kommt ihr zu der Annahme, daß der Großteil der anwesenden Idioten ihren Tanzstil bei Nazikonzerten abgeguckt haben? Ich kann natürlich, da ich die Leute nicht kenne, nicht sagen, ob wirklich Nazis anwesend waren, aber ich kann mit Sicherheit sagen, daß der Großteil des Publikums, egal ob „Dorfproll“, Metalfan oder jeder andere, noch nie auf einem Faschokonzert war und sich ganz bestimmt keinen Tanzstil abgeguckt hat. Das waren wie oben gesagt nur einige wenige Idioten, die natürlich mit ihren Taten wieder einmal viele Andere in den Dreck ziehen. Und die Rykers haben für den HC viel getan, egal ob man sie mag oder nicht, und wer behauptet, sie hätten keine klaren Statements und wären mehr Metal als HC, der sollte sich mal „True Love“ und „Cold, Lost, Sick“ anhören.
Leider ist mein Brief ein bißchen lang geworden, aber vielleicht könnt ihr einige Punkte im Plenum besprechen. Ich würde auch gerne zum Plenum kommen, da würde ich mich über eine Antwort von euch freuen, ob ihr das begrüßt oder eher zu viel anderen Streß habt.
Ich danke euch für eure Arbeit in den vergangenen Jahren, ich habe viele schöne Abende im CI erlebt und möchte auch in Zukunft noch viele erleben. Ihr habt eine sehr großen Beitrag dazu geleistet, daß nicht nur konsumiert, sondern auch nachgedacht wird, dafür verdienen alle, die im CI zusammen arbeiten und die Fahnen oben halten, einen sehr großen Respekt.
P.S. Daß ihr politisch zum Widerstand gegen Nazis aufruft, finde ich sehr gut und gehört auch, entgegen der Meinung vieler HC-Anhänger, zum HC dazu.
Karsten,
Student in Leipzig, wohnhaft in Pobershau (wunderschönes Erzgebirge)


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last modified: 28.3.2007