Denn Sport ist Mord so soll es auch sein
jedenfalls insofern man an eine Leistungsgesellschaft glaubt, die, wie der
Leichtathlet des modernen Deutschlands, nicht von guten Taten spricht, sondern
selbige erbringt. Und das aus Spaß an der Sache, aus Liebe zum Vaterland.
Bei all dieser Begeisterung werden auch die alltäglichsten Dinge zur
Hauptsache. Und wenn es sich nur um Zahnpastatuben handelt.
Wenn die Kriminalpolizei, die Verfechter von Recht und
Gesetz, zur letzten Instanz und Hoffnung eines Menschen werden, scheint es
schlecht um ihn bestellt zu sein. So, dass es schlimmer fast nicht mehr geht.
Doch weit gefehlt, denn wenn man merkt, vom System keine Hilfe mehr
erwarten zu können, klammert man sich an Dinge, denen früher eher
Desinteresse als Enthusiasmus entgegengebracht wurde. So verhält es sich
im Falle Dieter Baumanns mit dem Rechtsstaatsprinzip, mit welchem er
seinen letzten und endgültigen Feldzug gegen die Ungerechtigkeiten
dieser Welt kämpfen wird. Nun, die Ungerechtigkeiten dieser Welt und
deren Ordnung lassen sich vorliegend auf denjenigen reduzieren, der die
Zahnpasta manipuliert hat. Was habe dieser ihm angetan? Und nicht nur
ihm, der gesamten Bundesrepublik sei Schaden zugefügt worden, deren
Engagement gegen das Doping im Sport, für saubere
Auseinandersetzungen. Er ist schon wirklich seltsam. Dieser ominöse
Hintermann, der, wie unlängst vermutet wurde, aus Geheimdienstkreisen zu
kommen schien. Stasi, Mossad und weitere abstruse Hirngespinste wurden
verbreitet. All das mit dem Ziel, dem Schirmherren der Kampagne Keine
Macht den Drogen, welche gar für die verrücktesten Wortspiele
missbraucht wurde, die Absolution zu erteilen. Er, der sich jahrelang niemals
mit Stellungnahmen bezüglich ertappter Dopingsünder zurückhielt,
denen gar teilweise ihre Daseinsberechtigungen absprach. Womit er das verdient
hätte? Eine mit Nandrolon angereicherte Tube Zahnputzmittel. Und das
pünktlich zum Nikolaus. Wo oben und wo unten sei, wisse er nicht mehr, und
das obwohl er 1992 olympisches Gold für Deutschland holte. Natürlich
ganz legal, getreu dem Motto Fair play. Die Lücke, welche ihm
damals auf der Innenbahn des Stadionrundes offenbar wurde, tut sich jetzt zu. Kein
Schlupfloch mehr für den unermüdlichen Kämpfer auf der Seite des
sauberen Sports, der sich seit Wochen gegen das Unglaubliche
verteidigen müsse, gegen den Verdacht, ein Doper zu sein, ein
scheinheiliger Betrüger, dem irgend jemand den Boden unter den
Füßen wegreißen würde. Nun, diesen jemand hat er bei der
Polizei angezeigt. Dessen Name ist unbekannt. Das Dopingmittel Nandrolon, das
in extrem hoher Konzentration in zwei Urinproben des Langstreckenläufers
gefunden wurde, fand sich Ende letzten Jahres auch in seinem Haus an. Das
Anabolikum verbarg sich auf mysteriöse Art und Weise in einer Tube
Zahnpasta, die er monatelang benutzt haben will. Man zerstört meine
Persönlichkeit, lässt mich aber am Leben. Klingt genial und
einfach und ist es wahrscheinlich auch. Der personifizierte Saubermann, er, der
den Adler mit stolzgeschwellter Brust trug, ist natürlich nichts weiter
als das ohnmächtige Opfer einer schier unglaublichen Kampagne. Seine
Gegner kennt er nicht. Um ihn breche eine Welt zusammen, solange die wahren
Schuldigen nicht überführt wurden. Doch nur zu seiner Information.
Würden seine letzten Hoffnungsträger das logische und erfolgreiche
Denken einmal nicht im Zuge der Vaterlandsliebe anwenden, eine mehrjährige
Haftstrafe wäre dem Schwaben sicher. Natürlich habe er gewusst, dass
ihm niemand glauben wird, und er nichts tun kann. Wem das alles wie ein Krimi
vorkommt, der liegt gar nicht so falsch, doch ablenken, daran denke Baumann
nicht. Dass die Antidopinggesetze so streng sind, war stets in seinem Sinn.
Doch gilt das nicht mehr, seit er am eigenen Leib spürt, dass da
etwas falsch läuft. Die Fehler des Systems wären
verantwortlich, fast wie fremde, dunkle Mächte. Er meint damit das
Sportsystem, wobei er erst jetzt erkenne, wie fatal es sei, bei Dopingvergehen
die Beweislast an den Beschuldigten weiterzureichen. Man darf keinen
Unschuldigen hinrichten selbst auf die Gefahr hin, dass man zwei oder
drei Sünder laufen lässt. Früher habe ich nicht wahrhaben
wollen, dass die Mühlen falsch mahlen. An einem Glas Urin will man
erkennen, ob man mir glauben darf oder nicht. Richtig ist, nicht nur im
Sport die Beweislast nicht auf den Beschuldigten zu übertragen. Weiterhin
nicht richtig ist die Hinrichtung Unschuldiger. Allerdings lässt die
hiervon abgeleitete These, dass an einer Exekution Schuldiger nichts
auszusetzen sei, die eigentliche Ideologie des Langstreckenläufers
deutlich werden. Ein vermeintlicher Gerechtigkeitsfanatist, der nichts als
normgemäßes Verhalten duldet. Im Mittelalter machte man an
einem Hexenmal fest, ob aus einer Frau eine Hexe wurde oder nicht.
Heutzutage macht man eben an Urinproben fest, ob aus einem Sportler oder einer
Sportlerin Dopingsünder werden oder nicht. Ist doch ganz einfach. Worum es
hier eigentlich geht, liegt auf der Hand. Um die Ehre eines deutschen
Vorzeigeathleten und Bundesbürgers. Veraltete Moralvorstellungen und
nichts als diese also. Wer vor der EU-Kommission, beim deutschen Innenminister
Otto Schily und im eigenen Verband für ehrlichen Sport ohne Doping
streitet, währenddessen ihm die Einnahme solch leistungssteigernder
Präparate nachgewiesen wird, hat auch ein wenig den Sinn für die
Realität verloren. Schon in der Schule wurde Blauäugigkeit mit
Sanktionen und das sogenannte Streben mit Ver- und Missachtung bestraft. Ein
durchaus mildes Urteil, verglichen mit einer Sperre von zumindest zwei Jahren.
Mit den Polizisten, die ihn immer wieder anrufen, verbinde ich fast schon
eine Liebe. Nun, er hat keine Fehler gemacht. Er hat sich nur die
Zähne geputzt.
Teewald
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