Seit geraumer Zeit lauschen junge Menschen in einschlägigen Kneipen,
Küchen, Plattenläden und Autoinnenräumen freiwillig und
andächtig nordamerikanischen Country-Rhythmen. Ob Neo, Retro, Calexico,
Cash, Hazlewood, live im Gefängnis oder auf freiem Fuß die
Musik, die mit ländlichen und entsprechend ästhetisch gering
ausgebildeten Hörgewohnheiten assoziiert wurde, scheint sich in der
urbanen Szene zu etablieren. Die reviewcorner-posse greift den Hype auf und
präsentiert eigene und geklaute Gedanken zum Film zur Musik, den Western.
Vielen galt der Western adequat zur Countrymusi [Das ist doch bloß
vertonte Landschaft!] als Yankee-Heimatfilm mit hohem
Postkutschenanteil, unbewußten Rinderwahn und alkoholabhängigen
Puritanern mit staubigen Hüten, die die ganze Zeit breitbeinig am
Lagerfeuer sitzen, gleichzeitig Mundi spielen, Kippen drehen, Bohnen braten und
Patronen zählen. Nun, wahrlich haben die meisten schlechten Western dieses
Szenarium, voll von patriachalen Mythen und Dialogen, die kein Mensch braucht.
Diese Aufgüsse und Abklatsche werden konsequent ignoriert. Wir besinnen
uns auf die Grund-Ideen des Western die auch heute noch
verwertbar sind , die Rolle des ewigen
Cowboys/Westernhelden/Outlaws als Vermittler amerikanischer Geschichte und
seine Position in den gesellschaftlichen Zwängen.
Destillat der Sehnsucht
Im Bild des Western-Helden ist die Geschichte Amerikas von der Flucht aus dem
alten Land über die Euphorien und Kulturschocks der Siedler bis hin zur
Verbitterung und Verelendung in der Spätzeit des Westens
zusammengefaßt. Diese Geschichte hat nicht nur einen nationalen, sie hat
auch einen universalen Aspekt, die Haupttriebkraft der Geschichte aus
abendländischer Sicht: Gehet hin und machet euch die Erde
untertan!(1) Und das taten sie bekanntlich gründlich.
Kolonisation und das Abschlachten der Urbevölkerung wurden Synonyme
für praktizierendes Christentum.
Das Genre vermittelt ein Geschichtsbild, das in seinen schlimmen Beispielen
perfekte patriarchale Mythen liefert, in seinen besten aber eine Dialektik
zwischen Einzelschicksal und historischer Struktur zeigt, wie sie keine
Geschichtsschreibung sonst zu realisieren imstande ist. Der Westerner vereinigt
in sich etwas mythisches übermenschliches, zugleich aber auch das
normale, der lebt wie die anderen, nur eben gefährlicher und
glanzvoller. Im allgemeinen ist er ein Held, der keinen Führungsanspruch
erhebt, und deshalb ist man eher bereit, seine Gewalt zu akzeptieren als etwa
die eines militärischen Führers.
Der induzierte Mythos des Western ist seine Methode, Widersprüche, die
sich in der Praxis nicht lösen lassen, auf geträumte, vorgestellte
Weise zu harmonisieren, und auch deshalb ist der Western eine so universale
Aussage geworden, weil seine Mythen in sich die Widersprüche nicht nur der
Geschichte der westlichen Welt, sondern auch solche eines jeden
Individuums in seinem Gesellschaftssystem tragen. Der Western ist das Drama der
Sozialisation, in dem sich der wilde, unzivilisierte Naturzustand
dem ordnenden, besitzergreifenden Eingriff nur anfänglich widersetzen
kann, um am Ende um so wirksamer kolonialisiert zu werden. Und dies
vermittelt der Westernheld. Der Westerner war Avantgardist, Vollstrecker
der Geschichte und zugleich ihr Flüchtling.(2)
The correct outlaws
Die Zeit, in der der Western seine Erzählungen ansiedelt, zwischen
1850 und 1910, war nicht nur die Zeit der Goldsuche, des Bürgerkriegs und
der Indianerkriege, des Eisenbahnbaus, der großen Viehtrails und der
Organisation des Gesetzes, sondern auch die Zeit, in der sich ein neues
Landproletariat herausbildete, in der betrogene Hoffnungen und erfahrene
Demütigungen Menschen in großer Anzahl desozialisierten,
die so ein riesiges Reservoir für Gesetzlose bildeten.
Die Ohnmacht vieler Menschen gegen die ausbeuterischen, rücksichtslosen
Praktiken der wirtschaftlichen Mächtigen schuf die Voraussetzung für
die Entstehung legendärer Volkshelden wie Billy the Kid, Jesse James oder
Butch Cassidy, die im Gegensatz zu den frühen Helden des Westens, Rebellen
gegen die neue Ordnung darstellten; die mit den wirklichen
ungepflegten outlaws wenig gemein hatten.
First Train - First Robbery
Die ersten Filme waren kurze, dokumentarische Streifen, denen die
Sensation der neuen Abbildungsform von Wirklichkeit aufregend und unterhaltsam
genug war. Edwin S.Porter verband als einer der ersten ein dramaturgisches
Szenarium mit einem Anspruch nach Authentiziät und drehte 1903 The
Great Train Robbery, den ersten Western. Dieser Film entwickelte die
grundlegende Handlungselemente des Genres: Überfall, Befreiung von
Gefangenen, wilde Verfolgungen zu Pferde, shoot-out und damit Klärung des
Sachverhaltes. Die Essenz dieses Films ist die Bewegung, wie sie für den
Western bestimmend werden sollte: Bewegung von und zur Kamera, am Horizont, von
links nach rechts.
Im folgenden Boom des Stummfilmwestern wurde der good, bad guy, der
Westernheld geschaffen, der durch die Liebe einer Frau [auch wenn diese
Verhältnisse oft unklar blieben] und seine Bereitschaft, sich selbst
für eine gute Sache zu opfern, moralische Absolution erhält. Diese
Western zeigten auch den Kampf, die Arbeit und auch die glanzlosen Momente im
Leben an der Grenze und den schwierigen Prozeß der Entwicklung einer
Moral für eine neue Gesellschaft. Der Held handelte aus inneren und
äußeren Zwängen heraus. Er war das moralische Element, schuf
Ordnung, indem er sich zuallererst selbst besiegte, seine
Vergangenheit, seine Wildheit, seine Freiheit.
... ein erlaubter Zeitensprung...
Mit John Fords Stagecoach (Höllenfahrt nach Santa Fé, 1939)
hat der Western zu seiner klassischen Form gefunden. Die Geschichte
erzählt von den eigentümlichen Charakteren und kleinen Legenden, die
der Westen hervorgebracht hat: die Reisegesellschaft in der Postkutsche
der eigensinnige junge Westerner (John Wayne), der elegante, tragische Gambler,
der ewig betrunkene, dennoch fähige Arzt, die geächtete Hure, die
arrogante Puritanerin aus reichem Haus, der aufrechte Sheriff und der
kriminelle Bankier, letztlich eine Gruppe von Außenseitern wird
durch die Bedrohung von außen, durch die Indianer gezwungen, miteinander
auszukommen, zu kämpfen, sogar füreinander zu sterben [welch
moralischer Sieg]. Die Beziehung zwischen Landschaft (die Identität gibt)
und Menschen ist eine dialektische, und dadurch kommt er der historischen
Wahrheit so nahe wie in einem Film nur möglich.
Western meets Gangsta
Wie der Western dieser Zeit die Aufgabe hatte, Alternativen zu der chaotischen,
ruinösen Lebensform der urbanen Gesellschaft zu entwickeln, die an ihrer
Unbeständigkeit, ja ihrer Modernität zugrunde zu gehen drohte,
dem Ideal des schnellen Lebens wurden die Legenden
gegenübergestellt so hatte das Genre auch das Erbe des
Gangsterfilms zu verarbeiten. Das wird nicht nur durch die nun häufig
auftretende Gestalt des trouble shooters, des individualistischen,
dennoch für die Sache der Gemeinschaft eintretenden Kämpfers belegt.
Er produzierte Hoffnung auf den Sieg gegen das Verbrechen, und wurde so zur
Ausformung des amerikanischen Idealtypus.
Die mafiose Bedrohung, ein Hauptthema des Gangsterfilms, fand ihre Entsprechung
im Western in den Geschichten der boomtowns, die im Land- und Goldrausch
oder beim Eisenbahnbau entstanden. Das organisierte Verbrechen wurde hier
gleichsam in seiner Entstehung gezeigt, und der Held konnte es besiegen, bevor
man sich, wie im Verhalten der Bürger angedeutet, daran gewöhnt
hatte.
In Gestalt des zwischen Böse und Gut angesiedelten rebellischen
outlaws erwuchs dem Gangster ein Rivale als Volks- und Legendenheld im
Kino. Im Western rekonstruierte sich, wie um zu beweisen, wie falsch die
Faszination durch den Gangster gewesen war, in Gestalt des historischen
outlaws der wirkliche amerikanische Volksheld. Im Gegensatz zum Gangster
ist der Western-outlaw ein Mann in Opposition zur Korruption und zur
politisch-mafiosen Macht; er errichtet keine stabile Schreckensherrschaft,
sondern ist immer unterwegs, bleibt ein Einzelgänger und daher glaubhaft
in seinem Robin-Hood-Status.(3)
Schließlich gehört der legendäre outlaw zu den
konstituierenden Mythen des wirklichen Westens, als eine Figur, die immer dort
erscheint, wo die Gesellschaft die Tugenden der Pioniere vergessen hat. Hier
taucht er auf, Jesse James, Billy The Kid, Wild Bill Hickok, um mit
vorgehaltenen Revolver die Leute im Westen daran zu erinnern, daß man
nicht ungestraft seine Ideale verrät. Und die Menschen die seine Botschaft
verstehen, sind stolz auf den outlaw.
Ein Paradebeispiel ist Henry Kings Jesse James Mann ohne Gesetz
(1938), der zum Muster vieler Filme wurde. Am Ende gibt es, als Jesse von Bob
Ford, dem Verräter, erschossen worden ist, eine bemerkenswerte Grabrede
auf den toten Banditen: Da gibt es nichts dran zu rütteln: Jesse war
ein outlaw, ein Bandit, ein Krimineller. Selbst die, die ihn geliebt haben,
können das nicht bestreiten. Aber wir schämen uns seiner nicht. Ich
weiß nicht warum, aber ich glaube, nicht einmal Amerika schämt sich
seiner. Vielleicht kommt das daher, daß er kühn war und die Gesetze
mißachtete, wie wir alle das manchmal tun möchten. Vielleicht ist
es, weil wir ein bißchen verstehen, daß er nicht die Schuld an dem
hatte, was die Zeiten ihn tun ließen. (...) Oder vielleicht ist es
einfach, weil er das, was er machte, so gut machte.(4)
Deutlicher läßt sich kaum ausdrücken, was den outlaw des
Western vom Gangster unterscheidet und was beide verbindet.
Überdies hatte sich zu dieser Zeit in der amerikanischen
Öffentlichkeit die Meinung durchgesetzt, daß Kriminalität ihre
Ursachen in den Lebensbedingungen der Menschen hat und das die Gesellschaft
sich ihre Gangster selbst heranzieht, wenn sie nicht für
menschenwürdige Verhältnisse sorgt. Wo liegt nun der Fehler im
System, werte Sozialpädagogen und Pfarrer? Alles hat seine
Traditionen, so auch die Kriminalisierung von Kritikern und Unverbesserlichen,
egal ob mit Hut und Winchester oder ohne. Darum: Western schauen und die
Tugenden wahren.
wird fortgesetzt
[hei:ko]
Fussnoten:
(1)Zitiert aus Testament-Rückständen
(2)in Seeßlen, Georg: Geschichte und Mythologie des Westernfilm,
Marburg 1995, S. 19.
(3)Vgl. ebenda, S. 64.
(4)ebenda, S. 65.
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