home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[67][<<][>>]

Im letzten CEE IEH wurde festgestellt, daß „Antisexismus und Antipatriarchat keine (...) Einstiegsthemen in die Linke sind“ (Der Hase im Pfeffer, S. 62). Um diese Lücke mit zu schließen, hat sich die Redaktion entschieden, den folgenden Text aus der Broschüre „Konzept Antifa“ der Antifaschistischen Aktion Berlin zu dokumentieren. Uns erschien der Text als Diskussionsgrundlage wichtig, da er zum einen neben dem Appell an die individuelle Veränderung ein Plädoyer für das strukturelle Vorbauen gegen Sexismus hält und weil zum anderen in der aktuellen Auseinandersetzung um die AAB deren Äußerungen zum Thema nicht mehr ernst genommen werden.
, 0.0k
Antifaschismus heißt
Kampf dem Patriarchat!
, 0.0k
Feminismus als Grundlage
kick, 19.8k
„Frauen müssen sich überlegen, wo und wie sie rumlaufen, welche Verkehrsmittel und Wege sie benutzen, um die Gefahr der Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Erniedrigung einzugrenzen – das ist ihr Alltag ebenso wie die Realität von Eßstörungen und Selbsthaß, die aus der Reduzierung auf Körperlichkeit folgen.“
Feminismus, also Frauenkampf, zielt auf die Emanzipation der Frauen und damit auf die Überwindung des Patriarchats, der Männerherrschaft. Patriarchat bedeutet, daß es materielle Strukturen und allgemeine Werte und Normen gibt, durch die Frauen als Geschlecht ausgebeutet und unterdrückt werden.
Feminismus thematisiert die Geschlechterverhältnisse und ist damit gleich in dreifacher Weise grundlegend für linke Politik: mit der Kampfstellung gegen „Biologismus“ wird ein rechtes Kernkonzept bekämpft; zudem geht es um Frauenorganisierung, die unmittelbar interne Konsequenzen in der gemischten Linken erfordert.

Das letzte Glücksversprechen
Für die meisten ist das Geschlecht einer Person, mit der sie in Beziehung treten, das als erstes registrierte Merkmal. Das steht im Zusammenhang mit der Bedeutung von Intimbeziehungen als letztem Band im Bereich des Sozialen, wo ansonsten völlige Gleichgültigkeit vorherrscht. Mit der gesellschaftlich geförderten Illusion der Aufhebung individueller Grenzen und Verschmelzung der Einzelnen wird auf Ideale eines utopischen Kollektivismus zurückgegriffen. In diesem Bereich soll der Einzelne entschädigt werden für die Entbehrungen im kapitalistischen Alltag. Sexualität soll Beziehungen zusammenhalten, Selbstverwirklichung ermöglichen und Selbstwert geben, in einer Gesellschaft, die es zunehmend schwerer macht, sich etwas wert zu fühlen. Alle Unzufriedenheit, politisch, gesellschaftlich, persönlich, soll ins Private abgelenkt, auf dem sexuellen Beziehungsgebiet kompensiert werden.
Innerhalb der Machtbeziehungen gehört Sexualität zu den am vielseitigsten einsetzbaren Elementen. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Ökonomie: In der Sexualisierung der Werbung, oder in dem boomenden Sextourismus in Billiglohnländer als Fortsetzung der Kolonialisierungsgeschichte. Weder Video-Rekorder noch Pay-TV hätten sich ohne Erotikangebote derart schnell durchgesetzt. Die Schwerpunktsetzung auf das optische Erscheinungsbild fördert zudem Moden und Körperkult der Werbeästhetik. So dient Sexualität als motivierendes letztes mögliches Abenteuer, als übriggebliebenes Glücksversprechen.

Marx und Freud
Mit der Verknüpfung von sexueller und politischer Befreiung wurde von der 68er Linken die Rolle von Sexualität zum Thema gemacht. Die Auflehnung gegen die in den 50ern vorgefundene gesellschaftliche Erstarrung beinhaltete die Infragestellung der konservativen Sexualmoral und ihrer gesellschaftlichen Funktion. Für die Konservativen funktioniert der Kapitalismus am besten, wenn der zerstörerische Verwertungsdruck der Kapitallogik auch ideologisch und erzieherisch begleitet wird durch den Versuch, das Individuum klein zu kriegen – durch Moral, Pflichten, Religion. Dies geht grundsätzlich mit Einschränkungen und Verboten sexueller Aktivitäten einher.
Zentrales Anliegen der tonangebenden Neomarxisten war die Verknüpfung von Marx und Freud und dessen Psychoanalyse. Aus heutiger Sicht ist Freuds Bild von Frauen als Mängelwesen überholt. Entscheidend war aber der neue Aspekt in Freuds Theorie: Die gesellschaftliche Bedeutung von Sexualität. Die Enttabuisierung von Sexualität wurde Teil der Strategie der 68er, den gesellschaftlichen Normalzustand aus den Angeln zu heben. Im Vordergrund stand die Propagierung von „freier Sexualität“, d.h., Sexualität unabhängig von Familienverhalten und Fortpflanzung als eine Art der sozialen Kommunikation zu definieren. Orientierung am Lustgewinn stand im Vordergrund, also an Entspannung und Zufriedenheit, der Schaffung von Nähe und der Aufgabe von trennenden Hemmungen. Damit einher ging die Propagierung von Formen des Zusammenlebens, unabhängig von Kleinfamilie und Überbetonung von Intimbeziehungen als einzig verbindliche Bindungsform. Als linke Ansätze ergaben sich desweiteren: Das Eintreten für die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen und die freie Wahl des Sexualpartners.
Eingeleitet durch die Bestrebungen der 68er setzten sich in allen westlichen Industriestaaten liberale Strömungen durch. Für die Liberalen funktioniert der Kapitalismus am besten, wenn den Leuten ihre kleinen Freiheiten und Eitelkeiten gelassen werden, in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild, Lebensstil und sexuelle Orientierung. Sexualität ist in dieser Logik durch ihre Allgegenwart als Warenform für eine subversive Strategie untauglich geworden.

Patriarchat ist der tägliche Krieg gegen Frauen
ulrike, 19.0k
Fahndungsplakat Ulrike Meinhof (RAF)
Eine der grundlegenden Regeln jeder Anti-Terror-Ausbildung lautet in diesem Zusammenhang – erschießt zuerst die Frauen: „Diese Erfahrung teilen – auf die eine oder andere Art – alle Frauen, im privaten wie im öffentlichen Leben.“
Sinnvoller ist unter diesen Bedingungen die Agitation gegen gesellschaftliche Verhältnisse, in denen Frauen auf ihre Sexualität reduziert, dadurch auf eine bestimmte Rolle festgelegt und als minderwertig behandelt werden. Diese Erfahrung teilen – auf die eine oder andere Art – alle Frauen, im privaten wie im öffentlichen Leben.
Frauen müssen sich überlegen, wo und wie sie rumlaufen, welche Verkehrsmittel und Wege sie benutzen, um die Gefahr der Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Erniedrigung einzugrenzen – das ist ihr Alltag ebenso wie die Realität von Eßstörungen und Selbsthaß, die aus der Reduzierung auf Körperlichkeit folgen. Deutlichster Ausdruck dieser Verhältnisse ist die Gewalt, die immer noch zum Alltag vieler Frauen gehört. In der BRD wird alle drei Minuten eine Frau vergewaltigt, sexueller Mißbrauch ist die Realität jedes dritten Mädchens.
Ökonomisch dienen Frauen, ausgeschlossen aus dem öffentlichen Leben und festgelegt auf ihren privaten Zuständigkeitsbereich, der Wiederherstellung männlicher Arbeitskraft durch unbezahlte Hausarbeit, die Zuständigkeit für das seelische Wohlergehen der Familien und der sexuellen Befriedigung des Mannes. In Notsituationen bilden sie im Kapitalismus eine industrielle Reservearmee, auf die je nach Bedarf nach billigen Arbeitskräften zurückgegriffen wird. Immer noch bekommen Frauen für dieselbe Arbeit weniger Geld als Männer und betrachten sich oft als „Dazuverdienerinnen“. In Kriesenzeiten sind sie als erste von Entlassungen und Kürzungen im Sozialbereich betroffen.

Biologisierung als rechtes Programm
Die Rolle der Frau wird als naturgegebenes Schicksal dargestellt. Dabei beweist schon ein historischer Vergleich die Hinnfälligkeit vieler Wesenszuschreibungen. So ist die angeblich angeborene Mutterliebe eine bürgerliche Erfindung. Bis ins achtzehnte Jahrhundert wurden ungewünschte Neugeborene einfach getötet. Frauen, die es sich finanziell leisten konnten, übergaben das Kind einer Amme, bis es alt genug war, um nicht mehr störend zu wirken.
Auch die Erziehung der Kinder ergibt sich nicht aus der Biologie. Selbstverständlich unterscheiden sich die Körper der Geschlechter in ihren Funktionen zur Produktion der Gattung. Aber in einer nach den simpelsten Gerechtigkeitskriterien organisierten Gesellschaft müßte es selbstverständlich sein, daß nach der Geburt des Kindes der Vater die Staffette übernimmt, von kollektiven Lösungen ganz zu schweigen. Es gibt keinen physischen Grund, der dem angeborenen Kind die leibliche Mutter unentbehrlich machte.
Der Rückgriff auf die angebliche „Natur“ als Erklärung für gesellschaftliche Zustände ist ein Kernkonzept der Rechten unter dem Namen „Biologismus“. Natur wird dabei als eine Metapher für Unveränderbarkeit eigesetzt; Menschen werden auf ihre Körper reduziert. Das dahinterstehende Menschenbild ist das eines Wesen, das sich über alle Zeiten und Orte hinweg nur im Rahmen seiner zugeschriebenen biologischen Grundausstattung entfalten kann. Biologismus funktioniert stark suggestiv und arbeitet häufig mit Gleichsetzungen, insbesondere zwischen menschlichen und tierischen Verhalten oder zwischen gesellschaftlichen und organischen Strukturen. So wird Verhalten als statisch-naturgegeben interpretiert, meist zur Entschuldigung der eigenen Praxis, z.B. von Brutalität und Egoismus als „Kampf ums Überleben“. Ihre Extremform findet dieses Konzept im Faschismus mit dem Rassenwahn, dem „soldatischen Mann“ und der Verherrlichung des Krieges als „Gesetz der Natur“. Doch der Mensch ist nicht das Vollzugsorgan seiner Biologie. Er ist Verwandlung, Veränderung, Entwicklung. Der menschliche Körper ist ein Schlachtfeld sozialer Betsimmungen und eben keine überzeitliche Triebressource. Alle Verhaltensweisen sind biologisch interpretierbar und trotzdem in freiwilligen Entschlüssen verwurzelt.

Die Gene sind es nicht
Darum setzt die Linke auf Lernfähigkeit und Weiterentwicklung, also vor allem auf die Veränderung der äußeren Einflüsse, der gesellschaftlichen Strukturen. Welcher Bestandteil menschlichen Verhaltens biologisch begründet ist, läßt sich beim momentanen Stand der Wissenschaft nicht beantworten, denn weder Gene noch Hormone noch die Beschaffenheit des Gehirns entfalten ihre Wirkung unabhängig von Umwelteinflüssen. Der trotzdem ständig stattfindende Versuch, gesellschaftliche Realitäten wie Rassismus oder Sexismus mit „Natur“ zu begründen, ist ein Hauptangriffsfeld der Feministinnen.

Das Private ist politisch
Innerhalb der Linken ergibt sich die Bedeutung des Feminismus vor allem durch die Thematisierung der eigenen sozialen Rollen im Alltag. Dies ist ein guter Gradmesser für die Bereitschaft, sich selbst zu verändern. Von feministischer Theorie herausgearbeitet wurde vor allem Kommunikation als Machtfaktor. Dies reicht von der dominanten männlichen Körpersprache über die gesprochene Sprache, in der die Frauen oft zum Verschwinden gebracht werden durch männlich definierte Begriffe („der Mensch“) bis hin zum Diskussionsverhalten. Frauen kann es aufgrund ihrer Formung zu Gefühlsbetontheit und Harmoniestreben schwerer fallen, sachlich-konfrontativ zu argumentieren, während Männer sich oft sinnlos gegenseitige Redeschlachten über Nebensächlichkeiten liefern, um sich zu profilieren. Weiterhin werden Frauen öfter unterbrochen als Männer, reden seltener und kürzer. Frauen werden allgemein weniger ernst genommen und ihnen wird weniger zugehört.

Frausein allein ist kein Programm
block, 18.2k
Der als Männerkult kritisierte symbolische Schwarze Block in Adelsleben 1993 – die vorderen Reihen waren prinzipiell quotiert: „Emanzipation ist, Verhalten zu üben, das sich alle Möglichkeiten bewahrt – dominantes Auftreten genauso wie Einfühlung, offen gezeigte Schwäche genauso wie Militanz.“
Viele autonome Frauen organisierten sich in den achtziger Jahren in Frauengruppen. Ziel war die eigene Emanzipation, um politisch wirksam werden zu können, d.h. die Passivität und andere Rollenzuschreibungen abzulegen. Doch in beinahe allen Gruppen entstanden bald Fraktionen: Die einen wollten revolutionäre Politik im Frauenzusammenhang, die anderen arbeiteten Weiblichkeit als positiven Wert heraus. Durch zweites wurde die Reduzierung der Lebensmöglichkeiten auf die Geschlechterrollen nicht aufgehoben, sondern in den Bedeutungen umgekehrt – im Mittelpunkt stand jetzt geduldiges Zuhören als Selbstwert, Emotionalität usw.
Emanzipation ist, Verhalten zu üben, das sich alle Möglichkeiten bewahrt – dominantes Auftreten genauso wie Einfühlung, offen gezeigte Schwäche genauso wie Militanz.
Es geht nicht um Haltungen, die man sich zulegen kann. Entscheidend ist der Wille zur Selbstrevolutionierung und der zeigt sich in der politischen und sozialen Praxis.

Konsequenzen für die Antifa
Eine gemischte Gruppe wie die Antifa hat aus feministischen Ansätzen ihre Konsequenzen zu ziehen. Da es um keine gönnerhaften Zugeständnisse gehen kann, müssen strukturelle Sicherheiten gegeben sein. Dazu gehört eine Redeleitung mit quotierter Redeliste genau so wie die Möglichkeit für Frauen, in Streitfragen mit der Mehrheit der Frauen die Stimmenmehrheit der Gesamtgruppe zu blockieren. In Entscheidungsfunktionen und dem Auftreten in Vorzeigerollen (öffentliche Diskussion, Anleiter in Jugendgruppen) dürfen Frauen nicht fehlen. Dies ist ebenso wie die Beschäftigung mit feministischer Theorie ein notwendiger, wenn auch nicht genügender Ausgangspunkt. Doch statt endloser Problematisierungen setzen wir auf das möglichst weitgehende Aufgreifen feministischer Politik im Rahmen einer gemischten Gruppe.



home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[67][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007