Interview mit Wolfgang Nossen, Vorsitzender der jüdischen Landesgemeinde Thüringens, zum Anschlag auf die Synagoge in Erfurt
Frage: Seit dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge sind fast zwei
Wochen vergangen. Wie stellt sich die Stimmung in der jüdischen Gemeinde
zur Zeit dar?
Nossen: Befürchtungen hat man seit eh und jeh. Antisemitismus und rechter
Extremismus sind auch hier in Deutschland manifest. Das ist der Gemeinde auch
durch den Anschlag vom 20. April nochmals deutlich geworden. Die Unsicherheit
hat nun eine weitere Begründung.
Welche Konsequenzen hat das für sie und die Gemeinde?
Aus der Gemeinde werden Forderungen an mein Tätigwerden laut. Aber ich
kann doch Gemeinde und Synagoge nicht selbst mit Waffen schützen. Das
dachte ich bisher, sei die Aufgabe der Polizei. Aber trotzdem ich schon seit
längerem vor dem Aussmass rechter Straftaten warne, während Politiker
sich um die ihnen genehme Auslegung von Straftatstatistiken sorgen, kommt es
letztlich zu solchen Anschlägen.
In Folge des Anschlages kam es durch viele Menschen zu
Solidaritätsbekundungen. Wie haben sie das wahrgenommen und welcher Art
waren diese?
Es gab Mahnwachen und auch zahlreiche Sympatiekundgebungen in schriftlicher
Form. Etwa 500 Menschen bildeten eine Woche nach dem Anschlag eine
demonstrative Kette um das Gemeindeanwesen.
Wir empfanden das alles als ehrlich. Das Schöne und Neue an diesen
Sympathiebekundungen war, dass sie von einem breiten politischen Spektrum
getragen wurden. Es waren auch Vertreter von politischen Parteien wie SPD, PDS
und CDU hier. Ich möchte aber nicht, dass auf dem Rücken der Gemeinde
und unseres beinahe Unglückes, hier politische Profilierungen geschehen.
Wie sehen sie die offizielle Version von drei Einzeltätern, die sich
nur in der rechten Szene profilieren wollten?
Einerseits fehlt hier die schon aus dem Bekennerschreiben offensichtliche
antisemitische Motivation der Tat. Zudem ist es für mich nur von geringer
Bedeutung, ob die Synagoge durch die Tat eines Einzelnen oder einer ganzen
Kompanie in Brand gesteckt wird.
Thüringens Ministerpräsident Vogel und Innenminister Köckert
relativieren in Darstellungen die Gefahren aus dem rechten Spektrum. Wie werten
sie solches Verhalten?
Ein Skandal ist das. Wenn man auf der einen Seite ein Ansteigen
rechtsextremistischer Straftaten mit mehr Sorgfalt bei der Aufnahme solcher
durch die Polizei erklärt und am 20. April das gleiche Sicherheitszenario
fährt wie schon seit Jahren. Hier steht meine Forderung, die ich auch
schon vor dem Anschlag vertreten habe: Mehr Prävention!
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