Thüringer Politiker streiten über Ansehen des Freistaates und
Extremismus, während die jüdische Landesgemeinde besorgt ist
Von Andreas Zieger
Der Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge hat Unsicherheit unter den
Mitgliedern der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens erhöht.
Wir hatten schliesslich erst vor sechs Wochen eine Schändung auf dem
jüdischen Friedhof. Das hat schon für Aufregung gesorgt,
erklärt Wolfgang Nossen, Vorsitzender der Landesgemeinde die
gegenwärtige Stimmung. Besonders bei den Zuwanderern aus der ehamaligen
Sowjetunion sei das fatal, sind sie doch aus einem Land vor dem dortigen
Antisemitismus weggegangen. Nun begegne ihnen in Deutschland die gleiche
Situation. Schon seit längerem hat Nossen die Regierung des Freistaates
vor dem Anwachsen des rechten extremen Spektrums gewarnt. Von Regierungsseite
wurde dies aber als Randerscheinung abgetan. Statistische Zuwächse bei
rechtsextremen Straftaten im Jahr 1999 erklärt Thüringens
Innenminister Christian Köckert explizit damit, dass die Polizei
mittlerweile aufmerksamer nach rechter Motivation bei den verschiedenen
Delikten sucht. Ein Skandal ist das!, beklagt Nossen die
Abwiegelungsversuche von Regierungsseite auch ihm gegenüber. Er fordert
verstärkte Prävention gegenüber rechten Aktivitäten und
nicht nur den unmittelbaren Schutz jüdischer Einrichtungen. Aber auch den
Polizeischutz der Gemeinde und der Synagoge stellt Nossen unter Kritik.
Während es in Thüringen in der jüngsten Vergangenheit mehrfach
zu Aufmärschen der rechtsextremen Szene gekommen ist und trotz der
Schändung des Friedhofes der Gemeinde, hatte die Polizei am 20. April, der
von den Neonazis immer wieder auch demonstrativ begangene Geburtstag Hitlers,
ihre Präsenz nicht verstärkt. Für Nossen ist das ein Indiz
dafür, dass die Lage nicht ernst genug genommen wird.
Für die am Anfang der polizeilichen Ermittelungen verschiedentlich
geäusserten Mutmassungen über eine beliebige ideologische Herkunft
der Täter des Brandanschlages hat Nossen keinerlei Verständnis. Das
Bekennerschreiben benennt Antisemitismus als Motivation der Täter und
bietet keine Interpretationmöglichkeiten. Eine anfänglich kursierende
polizeiliche Auffassung, die Tat könne als Provokation von einer linken
Gruppierung begangen worden sein, weist Nossen ab. Zwar erinnert er an die
Äusserungen des Grünen Ströbele, der im Golfkrieg irakische
Raketenangriffe auf Israel als verständlich erachtete. Aber das
waren Worte., unterscheidet er. Die gewalttätigen Anschläge
sind immer noch von der rechten Szene ausgegangen
Das deckt sich auch mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen der
Staatanwaltschaft Erfurt. Deren Leitender Oberstaatsanwalt Arndt Koeppen
bestätigt die Eindeutigkeit des Bekennerschreibens. Bei mindestens
einem der Täter ist die antisemitische Grundhaltung auch in der Vernehmung
manifest geworden, erklärt er. Für ähnliche Motive der
anderen sprechen die Fakten der Tat. Auch die teilweise offiziöse
Darstellung der Tat als blossen Akt, auf sich aufmerksam machen zu wollen,
weist Koeppen von der Hand. Schliesslich spricht nicht nur das
Bekennerschreiben sondern auch das Objekt des Anschlages dafür.
Demonstrativ sei an der Tat eher, das die Täter mittels einer Art
Fanal die rechte Szene darauf aufmerksam machen wollten, wie weit
zu gehen sie in ihrem Antisemitismus schon bereit sind. Für ihn
gehören antisemitische Motivation und der Drang nach Öffentlichkeit
und Selbstbestätigung durchaus zusammen. Die Überbetonung von
Letzterem wird dem politischen Aussmass des Anschlages nicht gerecht. Von den
drei Tatverdächtigen sitzen derzeit zwei in Untersuchungshaft. Der Dritte
ist bisher noch auf freiem Fuss, weil sein konkreter Tatbeitrag noch nicht zu
einer Verhaftung hinreicht. Der Staatsanwalt ist dabei über die schnellen
polizeilichen Fahndungserfolge nach den Tätern froh. Die Ermittlungen
werden nun fortgeführt, auch um die Persönlichkeit der Täter und
alle sozialen Umstände, die die Tat begleiteten, aufzudecken. Der Grad der
Involvierung der Täter in die rechte Szene gehört für die
Staatsanwaltschaft mit dazu. Konkrete Hinweise auf geeignete Formen der
Prävention gegen rechte Strukturen will der Oberstaatsanwalt nicht
ableiten. Zunächst will man die Tat akribisch aufklären. Alles
weitere sind Aufgaben von Politik, Polizei und Gerichten, erklärt er
den Ermittlungsrahmen seiner Behörde. Seit dem 3. Mai hat nun die
Generalbundesanwaltschaft die weiteren Untersuchungen übernommen.
Möglicherweise ein Indiz dafür, wie ernst der Justiz die
vollumfängliche Aufklärung ist. Aber auch eines dafür, dass man
sich der politischen Brisanz des Anschlages bewusst ist.
Bei vielen Menschen in Erfurt hat der Anschlag Erschütterung
hervorgerufen. Angefangen bei der Frau, die den Anschlag bemerkt und sofort die
Polizei informiert hatte, bis hin zu jungen Antifaschisten, die spontan eine
Mahnwache an der Synagoge organisierten. Viele Vertreter der kommunalen und der
Landespolitik haben seit dem Anschlag persönlich bei der Gemeinde
vorgesprochen. Wolfgang Nossen sieht darin nicht nur momentane Betroffenheit
sondern ehrliche Anteilnahme. Bewegt verweist er auf einen Stapel von
Solidarisierungsschreiben auf seinem Tisch. Beeindrucken war die Kette von 500
Menschen um das Gemeindegelände eine Woche nach dem Anschlag. Wir
wollten einfach nur präsent sein, erklärt die junge
Antifaschistin Hendrikje, und der Polizei nicht mehr alleine den Schutz
der Gemeinde überlassen. Diese unterzog Teilnehmer von Mahnwachen
polizeilichen Kontrollen. Dahingegen konnte Christian Kapke, bekannter Exponent
der rechten Kaderstruktur Thüringer Heimatschutze, ungehindert
Fotos von den Menschen an der Synagoge machen. Sie versteht nicht, das immer
noch nur von Einzeltätern gesprochen wird. Mindestens der Haupttäter
war oder ist Mitglied der NPD und des in Gotha, seinem Wohnort, ansässigen
Bundes deutscher Patrioten, seine Mutter dessen Kreisvorsitzende.
Für die polizeilichen Ermittler war dies aber nicht relevant. Die
Selbstbezichtigung der Täter als Scheitelträger legte sie
als linke Stigmatisierung aus und ermittelte wegen einer symbolischen
Provokation. Dabei kann man im Internet eine rechtsextreme Hompage dieser
Organisation betrachten, wie auch Wolfgang Nossen bestätigte.
Für den PDS-Landtagsabgeordneten Steffen Dittes ist das aktuelle
Engagement verschiedener Vertreter der Landespolitik nur halbherzig. Noch als
vor wenigen Wochen fast 500 Rechtsextreme durch die Erfurter Innenstadt zogen,
habe man seitens der Regierung abgewiegelt. Statistiken, Studien und
deren selbstgenehme Auslegung verharmlosen nur einen gesellschaftlichen
Hintergrund, in dem Elemente antisemitischen und rassistischen Denkens das
Handeln der Rechten alibieren, meint der Kritiker Dittes. Für ihn
ist die Ertstellung eines konkreten Landesprogrammes zur Bekämpfung von
Rechtsextremismus und Rassismus wichtiger als blosse
Betroffenheitsbeteuerungen.
Entsprechend stellt er auch das Verhalten seiner eigenen Partei in Frage. Deren
Vertreter hatten sich wie solche von CDU und SPD zunächst solidarisch mit
der jüdischen Landesgemeinde erklärt. Als die Parteien des
Thüringer Landtages eine Entschliessung zum Anschlag auf die Synagoge
vorbereiteten, war es für die Sozialisten wichtiger, auf eine scheinbare
Geschlossenheit zu setzen, statt die Tat als eine antisemitische zu definieren.
Während in diesem die Tat lediglich als eine von Rechtsextremen begangene
dargestellt wird, findet sich die antisemitische Motivation der Täter kaum
wieder. Statt dessen strotzt das in einer Sondersitzung Thüringer
Landtages am 3. Mai verabschiedete Dokument von krudem Antitotalitarismus und
beliebiger Gleichsetzung von Extremismus, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus.
In Folge gilt die gemeinsame Kritik der beschliessenden Parteien dann nur noch
einem abstrakten Extremismusbegriff.
Thüringer Antitolitarismus:
Folklore gegen Links (unter Beteiligung der CDU)...
...und Volksfest gegen Rechts (ohne CDU, aber mit dem Rest des Volkes)
Ausrisse aus der Osterländer Volkszeitung vom 2.5. und 5.5.2000
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Die Sondersitzung war im übrigen von der SPD-Fraktion im Landtag beantragt
worden. Gemeinsam mit der PDS hatte sie auf eine gemeinsame Erklärung
insistiert und nach langen Diskussionen auch zu Wege gebracht. In seinem
Statement zog SPD-Fraktionschef Heiko Gentzel dann eine Parallele zum Pogrom
vom 9. November 1938, als der nazistische Mob die Synagoge in Brand gesetzt
hatte. Eine Parallele, die sich im Übrigen mit den staatsanwaltlichen
Ermittlungen zu den Tatverdächtigen deckt. Auch diese verweisen in ihren
Aussagen auf die Symbolik der Tat in Kontinuität zum Pogrom der Nazis.
Ansonsten war die Debatte, wie auch die Entschliessung von der
Extremismusdiskussion geprägt. Ministerpräsident Bernhard Vogel
bezeichnete die Tat als eine von verwirrten Einzeltätern, die
nicht repräsentativ für die Haltung einer Mehrheit der Thüringer
Bevölkerung sei. Dies belegt vorgeblich eine Expertenstudie. Nach Vogels
Meinung wäre mit Aufklärung von Kindern im Grundschulalter zum
Problem des Antisemitismus gute vorbeugende Arbeit geleistet worden. Er will
nun, dass der Thüringer Landtag einmal jährlich einmal einen
Bericht zu Extremismus und Rechtsradikalismus erhalte. Sein
Innenminister Köckert bezeichnet die Täter als fehlgeleitete
Jugendliche und die Bitte um Besonnenheit in der Debatte ist ihm
wichtiger als sonstige präventive Massnahmen. Nunmehr will er das Vorfeld
der Synagoge mittels Videokamera überwachen lassen. Wir sind uns der
Einmaligkeit solcher Massnahme im Freistaat bewusst, erklärte er in
der Sondersitzung. In den Reden wurde mehr die Sorge um das Ansehen
Thüringens laut, als die Verurteilung der Tat und ihrer Motivation.
Die Auseinandersetzung um den Extremismusbegriff überschattete die
notwendige Gemeinsamkeit aller Demokraten in konkreten Massnahmen gegen
neuerlichen manifesten Antisemitismus, die Wolfgang Nossen fehlten. Ein Appell
an das soziale Umfeld zur Aufklärung von gefährdeten Kindern und
Jugendlichen über Extremismus hält er für keine
ausreichende Massnahme. Dass es zu einer gemeinsamen Debatte im Landtag
gekommen ist, halte ich für gut, aber ich bin mehr für Taten,
beklagt er im Anschluss. Es sei mindestens die Aufgabe des Verfassungsschutzes,
solche Erkenntnisse zu liefern, die eine wirksamere Prävention unter den
Rechtsextremen ermöglichten.
Ob Diskussionen über abstrakten Extremismus oder Sorge um das Ansehen des
Landes, die Dominanz dieser Meinungen machte den Eindruck einer
Instrumentalisierung des Anschlages um andere politische Auseinandersetzungen
zu führen. Sie vermittelte so gleichzeitig das immer wieder feststellbare
Bemühen deutscher Politiker, über eine Imagedebatte die Ursachen
antisemitischer Anschläge im gesellschaftlichen Klima hierzulande zu
relativieren.
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