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Michael B. – Das Interview

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Micha B., 7.8k

Michael B. beim CEE IEH- Gespräch(2):
„...dann weiß man plötzlich, auf welcher Seite man steht“

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„Berlin Kreuzberg am 1. Mai. Mülltonnen brennen, Mai-Chaoten schleudern Pflastersteine (...) unter den Festgenommenen ist ein junger Mann aus Leipzig (...) Michael B. hatte eine Sektflasche gegen einen Wasserwerfer geschmissen (...) Der Polizist hatte sich am 1. Mai extra frei genommen, um auf der Seite der Chaoten mitzumischen (...) Der Mann habe heftigen Widerstand gegen seine Festnahme geleistet (...) Er hatte als Jugendlicher Kontakte zur Connewitzer Hausbesetzer-Szene (...)“(1)

Frechheit, das.
Da adaptiert ein 27 jähriger Polizeibeamter aus Leipzig den revolutionären Gestus der 1.Mai Pop-Militanten und wird prompt noch erwischt. Dumm gelaufner Einzelfall sozusagen. Aus dem Mobilisierungs-Motto „Deutschland abschalten“ machte eine durch die Lüfte schwebende Sektflasche die Stillegung einer hoffnungsvollen Beamtenkarriere.
Ungebremste Solidarität mit Michael und die Hoffnung auf Destruktion der Polizeikräfte über die Hintertür des revolutionären Protestfanals meinen jetzt die einen, im Gegenzug dazu sehen eher traditionell agierende Gruppen die Abgrenzungslinien zwischen Staat und linksradikaler Aktionsebene schwinden. Radical Chic ist also auch ein Logo der Polizei. Das ist neu und wirft die Vermutung auf, dass es noch viel mehr steinewerfende Staatsfeinde auf Seiten der Ordnungskräfte gibt. Deren Existenz als Provokateure ist unumstritten, doch inwiefern bildet der Event-Charakter der ganzen Sache vielleicht doch so was wie ein „Unrechtsbewußtsein“ heraus? Fragen über Fragen zumindest und eine Dimension, die selbst Michael B. vermutlich bis heute noch nicht durchschaut hat.
Trotzdem und gerade deshalb müssen jetzt endlich Antworten her. Wir besuchten Michael B. im elterlichen Kleingarten in Leipzig-Sellerhausen und baten ihn um Rede und Antwort. Doch lest selbst:

CEE IEH: Im Vorfeld der diesjährigen revolutionären 1. Mai-Demonstration in Berlin gab es bekanntlich einen regen Briefverkehr zwischen dem Landeskrimminalamt Berlin (LKA-B) und der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB). Darin wurde seitens der AAB die Entwicklung eines Unrechtsbewußtseins der Polizei eingefordert. Kann man sagen, daß dieser Appell gefruchtet hat?(3)

Michael B.: Von diesem Briefwechsel ist mir nichts bekannt; daß das Unrechtsbewußtsein bei der Polizei jedoch eher gering ausgeprägt ist, dürfte bekannt sein. Bei meiner ehemaligen Diensteinheit IZD(4) erlebte ich das jeden Tag aufs Neue. Insofern kam der Appell eher aus den eigenen Reihen.

CEE-IEH: Apropos IZD; erzähl doch mal von Deinen Erfahrungen.

Michael B.: Was soll ich da erzählen. Traditionelles Aufgabengebiet sind politische Extremisten, Hooligans etc. Leipzig ist diesbezüglich ja ein heißes Pflaster. Am krassesten sind mir die Autonomen in Erinnerung. Ich erinnere nur an die Krawalle am Connewitzer Kreuz oder die Wurzner Zug-Geschichte zur Wehrmachtsausstellung in Dresden. Damals sind wir zu spät gekommen und konnten die Muldentaler Rechten nur noch vom Feld kratzen. Das war derb. Auch mit den Hools vom FC Sachsen hatten wir immer mal Streß – die sind nicht ohne.

Währenddessen man sagen muß, daß die Rechten, im speziellen die Grünauer, das sind meine Erfahrungen, nichts auf dem Kasten haben.

CEE IEH: Eigentlich ist ja anzunehmen, daß du von Deinen Erfahrungen im Polizeidienst hättest profitieren können. Trotzdem bist du festgenommen worden.

Michael B.: Es kann immer mal daneben gehen. Wenn man gewisse Sachen beachtet – keine Panik, umsichtiges Verhalten, nicht Wegrennen und die Örtlichkeiten nutzen, Berlin-Kreuzberg bietet sich da ja an – kann schon einiges gehen. Dann ist es schon paradox, die eigenen Kollegen mal rennen zu sehen.

CEE IEH: Gerüchteweise soll es sich bei deinem „Einsatz“ um eine verkappte Polizeiaktion in Zivil gehandelt haben.

Michael B.: (druckst rum)

Naja, so könnte man das auch nennen. Ich weiß von 14 weiteren Kollegen, die sich am 1.Mai dienstfrei genommen haben, um in Berlin mit am Start sein zu können.

CEE IEH: Heißt das, daß Du bzw. Teile der Leipziger Polizei am 1. Mai einen grundsätzlichen Seitenwechsel vollzogen haben oder hatte diese Sache eher hedonistischen Charakter? Die Sektflasche spräche ja dafür.

Michael B.: Hedonistisch?

CEE IEH: Gehörst Du eher zur Spaßfraktion?

Michael B.: Eher schon. Stellenweise konnte man ja in Berlin das Gefühl haben, gerade auf der Loveparade zu sein – nur noch krasser. Allerdings gibt es Tage, da kehren sich Gut und Böse um. Dann weiß man plötzlich, auf welcher Seite man steht. Natürlich habe ich noch viel dazu zu lernen.

CEE IEH: Anhand der Berichterstattung könnte man annehmen, daß du momentan extremem Mobbing ausgesetzt bist. Wie sind die Reaktionen?

Michael B.: Mobbing? Im Gegenteil. Während die Berliner Einsatzkräfte natürlich harsch reagierten, klopften mir die Leipziger Kollegen, darunter auch höhere Dienstgrade, anerkennend auf die Schulter.

CEE IEH: Entwickelst Du sozusagen Vorbildfunktion?

Michael B.: Insgeheim hoffe ich natürlich, daß mir die Kollegen nacheifern.

CEE IEH: Wir danken Dir für das Gespräch.

BILD vom 6.5.00, 32.4k

Gegenüber BILD verschwieg er das:
„Ich weiß von 14 weiteren Kollegen, die sich am 1. Mai dienstfrei genommen haben“

Fußnoten:
(1)BILD Leipzig und LVZ vom 6.5.2000.
(2)Das Gespräch führten die CEE IEH Redakteure Lars und Boris
(3)Im Vorfeld des 1. Mai schickte die Polizei „gewaltbereiten Kreisen“ postalische Appelle, sich am 1. Mai friedlich zu verhalten. Die AAB forderte die Polizei wiederum auf, zu Hause zu bleiben.
(4)IZD (Inspektion Zentrale Dienste) – Spezialeinheit der sächsischen Polizei



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last modified: 28.3.2007