Ende Dezember 1999 wurden bei einer
Großrazzia drei Leute festgenommen, denen Mitgliedschaft in den RZ
vorgeworfen wird. Ist das das Ende der Ära der bewaffneten
Linken?
Johnny: Ja und nein. Ja, weil es eine der letzten großen
Verfolgungswellen ist, was bewaffnete Reste aus der alten Bundesrepublik
angeht, die verbissene Rache der Bundesanwaltschaft, die frustriert ist, weil
sie nie jemand von den RZ gekriegt hat. Und weil es nur noch mal das Ende der
RZ bestätigt. Nein, weil militanter Widerstand immer weiter gehen wird,
sich neue Formen sucht und neue Leute dazu stoßen.
Karla: Ich sehe aber eine lange Durststrecke, in der sich nur einzelner
Widerstand militant bemerkbar macht, aber keine kontinuierliche
Gegenmacht. Ich glaube, dass wir sehr nachdrücklich daran
arbeiten müssen, neue Strukturen aufzubauen.
Ist organisierter, militanter Widerstand heute, gut zehn Jahre nach
Mauerfall, acht Jahre nach dem Ende der RZ und drei Jahre nach der
Auflösung der RAF überhaupt noch zeitgemäß?
Liliane: Militanz entwickelt dann eine Kraft, wenn es darum geht, eine
Idee, eine Utopie, die in Ansätzen hier und heute umgesetzt wird, durch
unmissverständliche Zeichen zu unterstützen. In bewegungslosen Zeiten
wie jetzt ist für mich Militanz eher ein subjektiver Befriedigungsfaktor,
um aus der alltäglich erlebten Ohnmacht auszubrechen. Aber es gehört
oft eine Menge Ignoranz oder Selbstbetrug dazu, die politische
Wirkungslosigkeit einfach so zu schlucken.
Johnny: Es war noch nie so, dass die Herrschenden freiwillige
Zugeständnisse gemacht haben, geschweige denn, dass sich prinzipielle
Dinge geändert hätten, nur weil mensch darum bittet. Gesetze werden
außerdem nicht deshalb weniger verschärft oder gar
zurückgenommen, weil es keine Straßenschlachten oder Anschläge
mehr gibt.
In der Linken wird anlässlich der Razzien und Festnahmen viel
über die Politik der Revolutionären Zellen diskutiert. Habt ihr oder
was habt ihr aus der Geschichte der RZ gelernt?
Antonio: Viele Aktionen und auch Erklärungen der RZ und noch viel
mehr der Roten Zora fand ich sehr gut. Es gibt aber schon einige Geschichten,
die ich kritisiere oder ablehne. Dazu gehören die Erschießungen
(Wirtschaftsminister Karry 81) oder Knieschussaktionen (wie gegen den
Chef der Ausländerbehörde von Berlin, Hollenberg, 1986 und gegen den
Asylrichter Korbmacher 1987) gegen politische Gegner. Wir befinden uns heute
meiner Meinung nach in keiner politischen Situation, die eine Liquidierung
unseres Gegners, einzelner Repräsentanten des Systems erfordert. Für
die Zukunft kann das jedoch grundsätzlich bei einer Verschärfung der
gesellschaftlichen Verhältnisse (wie z. B. Diktatur oder Faschismus)
nicht ausgeschlossen werden. Politischer Mord ist und sollte das letzte und
unausweichliche Mittel sein, um weiteres Menschenleben zu retten.
Johnny: Ich kann deine Kritik nachvollziehen, aber die RZ haben das
damals auch sehr genau begründet: Sie fanden es unangemessen, jemandem wie
Korbmacher, der so viel Leid und Elend verantwortet, einfach nur das Auto
abzufackeln.
Karla: Was ich aus dem Komplex RZ gelernt habe ist, dass man solch eine
Praxis nur in einer ganz bestimmten Lebensphase leisten und leben kann. Es
liegt eindeutig die Tendenz der Verselbständigung in einer klandestinen
Lebensweise. Wenn mensch einmal mit bestimmten Sachen angefangen hat, darfs
darunter nicht mehr sein. Daraus schließe ich, dass ein
Abwechseln organisiert werden muss.
Ihr habt das Thema Schusswaffen angesprochen. Die RZ haben aber auch
sonst auf einem technisch hohen Niveau agiert. Wie beurteilt ihr ihre sonstige
Praxis jenseits der Schüsse?
Antonio: Auch die Anwendung von Sprengstoff und komplizierteren
Brandsätzen, die eher zum SpezialistInnentum neigt, als dass es zu
massenweiser Nachahmung anregt, ist hinterfragenswert. Die Praxis vieler
militanter Kleingruppen heutzutage mit sehr einfach nachzubauenden Schukartons
(mit Benzinflaschen, Jogurt-Bechern, den Kohleanzündern usw.) motiviert
und regt andere auch viel mehr an, da selbst mit einzusteigen.
Giovanni: Für viele von uns, die der undogmatischen autonomen
Linken zuzurechnen sind, hatten die RZ schon so etwas wie eine
Orientierungsfunktion. Insofern, dass wir eine große Bedeutung gerade auf
die Verankerung unserer Politik in einer sozialen Bewegung legen. Da sind wir
aber auch schon bei unserem großen Problem. Soziale Bewegungen existieren
kaum. Auch durch das permanente Hochhalten des Widerstandes gegen
Castor-Transporte lässt sich keine große, soziale Bewegung
herbeireden.
Johnny: Die RZ haben nicht nur, wie die meisten autonomen Gruppen, einen
Anschlag gemacht und dann einen Absatz dazu veröffentlicht, sondern sich
in längeren Erklärungen intensiv mit einem Thema auseinander gesetzt.
Ich möchte erst mal die autonomen Strukturen sehen, die in der Lage sind,
so intensiv so lange zu Themen zu arbeiten.
Die RZ und die Rote Zora haben, rückblickend betrachtet, praktisch
als erste Themen wie Antirassismus und Gentechnologie angepackt. Liegt darin
für euch ein Anknüpfungspunkt?
Giovanni: Die RZ waren sicherlich einer der Ersten, die erkannt haben,
welche Brisanz gerade in den Flucht- und Migrationsbewegungen liegt. Aber auch
hier befinden wir uns in einem permanenten Abwehrkampf. An militantem
Widerstand ist zwar einiges passiert, aber immer häufiger werden die
staatlichen Entscheidungsträger bei diesen Aktionen ausgenommen. Nicht,
dass es falsch wäre, z. B. das DRK für seine schweinische Rolle
beim Unterhalten der Wohnheime verantwortlich zu machen, aber es gibt auch die
staatlich Verantwortlichen in den Bezirksämtern und
Regierungsgebäuden. Aber gerade diese scheinen uns immer unantastbarer.
Antonio: Ich denke, die Flüchtlingskampagne der RZ kam mindestens
zehn Jahre zu früh. Ihre Aktionen waren wenig eingebettet. Das Ziel der
Vermassung konnte nicht erreicht werden. Ich wage überhaupt zu bezweifeln,
ob es möglich ist, allein durch militante Aktionen gesellschaftliche
Prozesse und Bewusstseinsveränderung anzustoßen.
Karla: Zu früh? Gerade das frühe Erkennen von Themen oder, wie
ich es viel lieber sagen möchte, der Kampf gegen die Anfänge, ist
eine unschätzbare Leistung.
Viele linke Utopien sind durch den Verrat von Tarek M. auf den Boden der
Tatsachen zurückgeholt worden.
Antonio: Tareks Aussagen sind bitter, sehr bitter. Die, die sich ihm
damals anvertraut haben, werden sich jetzt wohl Vorwürfe machen - wie
konnte das passieren. Ich weiß es auch nicht. Interessieren würde
mich jedoch, wie es passieren kann, dass Leute, die jahrelang in der Szene
aktiv waren, plötzlich oder weniger plötzlich aufhören, Politik
zu machen, und warum löst sich das ganze soziale Umfeld auf und
verändert sich? Was ist unser Anteil daran? Ich habe im Moment mehr Fragen
als Antworten.
Johnny: Tarek ist ein Sonderfall, ich kenne nur ganz wenige
vergleichbare Werdegänge. Er hat in den 80er-Jahren eine Entwicklung
durchgemacht, die viel zu schnell viel zu tief ging. Zu einem Zeitpunkt, zu dem
andere eigentlich entweder entschieden haben, nicht mehr die Seiten zu
wechseln, oder aber schon abgesprungen sind, hat sich Tarek dann von der Szene
verabschiedet und sein Leben drastisch geändert. Für Tarek haben
offenbar schon Statussymbole wie Geld und repräsentative Frauen einen
wichtigen Stellenwert gehabt.
Antonio: Ich verstehe nicht, was Statussymbole wie Geld und
repräsentative Frauen mit seinen Aussagen und Belastungen zu tun
haben. Wir sollten solche vereinfachten Erklärungsmuster für seine
Aussagebereitschaft zurückweisen.
Warum agiert ihr im Gegensatz zu den RZ als autonome Gruppen,
nicht unter kontinuierlichem Namen?
Antonio: Du wirst im Falle einer Verhaftung nur für eine Aktion
haftbar gemacht und nicht für alle Aktionen, die im Namen einer Gruppe
stattgefunden haben.
Johnny: Was autonome Gruppen wollen, weiß doch heute über die
Interim-LeserInnen hinaus niemand mehr. Und wer, welche da für was
steht, auch nicht mehr. Ich fände es konsequent, für die eigene
politische - nicht nur militante - Praxis auch politisch einzustehen und sie
weiter zu entwickeln. Die allermeisten Texte autonomer Gruppen sind
inhaltlich auf einem peinlichen Niveau.
Liliane: Es gibt auch inhaltliche Brüche, nämlich die
Zementierung der Hierarchie. Du erhältst einen Markennamen und gibst
politisch richtungweisende Erklärungen ab. Das ist selbst ernannte,
unkontrollierbare Avantgarde. Wenn du wechselnde Namen nimmst, machst du dich
selbst auch nicht so wichtig. Es lastet auch nicht der Fluch auf dir, technisch
immer besser und versierter zu sein, möglichst hohen Schaden
anzurichten.
Eine der Lieblingsaktionen autonomer Gruppen ist das
Anstecken von Autos. Teils zielgerichtet, wie gegen das DRK, teils relativ
wahllos gegen Bonzen-Autos. Das ist nicht unumstritten.
Antonio: Den Anschlag auf das DRK vom 13. Oktober 99 halte ich für
nicht so gelungen. Der Anschlag auf ein Auto des DRK-Parkplatzes erfolgte in
Solidarität mit den 180 Flüchtlingen, die sich zu diesem Zeitpunkt im
Hungerstreik in drei von den DRK betreuten Wohnheimen befanden, um unter
anderem die Abschaffung der Zwangsverpflegung zu erreichen. Leider geht aus der
Erklärung zum Anschlag jedoch nicht hervor, wessen Auto denn nun
gezündelt werden sollte. In der Berliner Zeitung war zu lesen, dass
sich auf dem DRK-Parkplatz ständig sechs Fahrzeuge befinden. Wessen Auto,
bleibt somit dem Zufall überlassen.
Und das Anzünden von Bonzen-Autos? Zu Silvester sind ein
Dutzend Autos abgefackelt worden.
Antonio: Das Abfackeln von Luxuskarossen ist keine uneingebettete
Einzelaktion. Auch wenn das etwas diffus erscheint, sie reiht sich vielmehr ein
in eine Fülle von antikapitalistischen Aktionen und Aktivitäten. Die
Message ist sonnenklar. Es geht gegen die immer größer werdene Kluft
zwischen Arm und Reich. Und die Medien haben das ganz gut begriffen. Denn sie
titelten nach der Aktion Luxuskarossen abgebrannt. Die Aktion war
auch deshalb gut, weil sie sich durch sich selbst auch ohne BekennerInnenbrief
gut vermittelt hat.
Johnny: Das sehe ich anders. Das Abfackeln von Bonzenkarren ist für
mich nur dann eine politische Tat, wenn sie sich klar und
unmissverständlich vermittelt. Nur, weil das teure Autos sind, hat das
noch keine Botschaft.
Die RAF und die RZ sind sehr offensiv mit Schusswaffen umgegangen. Habt
ihr jemals darüber nachgedacht, Schusswaffen gegen Nazis
anzuwenden?
Antonio: Nazis zu töten ist (derzeit) nicht unser politisches Ziel,
auch wenn wir nicht hundertprozentig ausschließen können, dass es
bei Auseinandersetzungen mit Nazis auch dazu kommen kann, auch wenn das
ausdrücklich nicht gewollt ist. Es gilt, dieses Risiko so weit wie
möglich zu minimieren, was zum Beispiel heißt, keine Messer
mitzunehmen.
Viele Linke lehnen neue Technologien ab. Muss sich nicht linker
Widerstand genau dort modernisieren?
Johnny: Ende der 80er-Jahre kursierten Flugblätter und
Aktionsaufrufe gegen Telefonkarten, und Autonome zerkloppten an der FU einen
Haufen Computer - wegen der Technik. Und heute? Telefonkarten sind schon wieder
antiquiert und in jedem Büro stehen haufenweise Computer. Und die Linke,
die für sich in Anspruch nimmt, kreativ-subversiv zu sein? Wir haben da
viel verpasst. Ursprünglich war das Internet von einem antikommerziellen
Geist geprägt. Es ist Usus in der Linken, die passiven Mittel der neuen
Techniken zu nutzen, Verschlüsselung etwa. Aber die aktiven Mittel
praktisch kaum. Ein jüngstes Beispiel: Der Angriff von Hackern auf die
hippen Internetunternehmen hat die Firmen Millionen Mark gekostet, enorme
Imageschäden produziert und ein weltweites Medienecho hervorgerufen. Da
möchte ich mal den Brandanschlag sehen, der all dies erreicht. Wäre
diese Aktion gut inhaltlich begründet gewesen, würde mich das
begeistern.
Was sind für euch Themen der Zukunft?
Antonio: Antifa, Antira und Castor sind Bereiche, in denen auch in
Zukunft militante Politik ihren Niederschlag finden wird. Ansonsten
könnten sich folgende Themen aufdrängen. 1. Die Verhinderung der
Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Dies könnte vielleicht
ein Erfolg wie bei der Anti-Olympia-Kampagne werden. 2. Die deutschen Firmen,
die sich weigern, den Zwangsarbeiterinnen freiwillig minimale
Entschädigung zu zahlen, angreifen. 3. Abschaffung und vollständige
Auflösung des deutschen Adels - da Beschlagnahme ihrer Reichtümer
schwer durchsetzbar ist.
Liliane: Du hast eines vergessen: die Expo. Aber es dürfte nicht
Themen der Zukunft heißen, sondern wo sehen wir strategische Ansätze
und wie sehen die aus? Diese Antis haben immer ihre Berechtigung, sind aber
langweilig und letztendlich unbefriedigend.
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