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revolutionäre zellen, 1.0k rote zora, 1.3k

Trauriger Anlass

Ende letzten Jahres wurden mehrere mutmassliche Mitglieder der ehemaligen Revolutionären Zellen verhaftet. Gab’s da mal was? War’n die echt?
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pigs, 28.3k In einer grossangelegten Aktion von 1 000 Polizisten unter Leitung der Bundesanwaltschaft fand am 19. Dezember in den frühen Morgenstunden eine Razzia im bekannten Berliner linken Zentrum in der Gneisenaustrasse 2a statt. Grund dafür war die Annahme, in den dortigen Räumlichkeiten befände sich ein Sprengstoffdepot. Nach Meinung der Bundesanwaltschaft dort angelegt von mutmasslichen Mitgliedern der Revolutionären Zellen (RZ). Zwar fand man nichts dergleichen, nutzte aber die Chance, mal so ein bisschen in allen möglichen und unmöglichen Räumen rumzuwüten und zu zerstören. Parallel zu dieser Aktion wurden insgesamt drei Personen verhaftet. Allesamt des dringenden Verdachtes einer Mitgliedschaft in den RZ beschuldigt. Auf die Spuren der drei kam man auf Grund von Aussagen des bereits am 23. November verhafteten Tarek M. Dieser soll insgesamt 50 Namen im Zusammenhang mit linksradikalen militanten Aktionen verraten haben. Ganz zur Freude des Staates. Denn der tappte hinsichtlich der Revolutionären Zellen seit vielen vielen Jahren im Dunkeln. In einem Anfang der 90er vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellten vertraulichen Bericht mutmassten die ermittelnden Beamten, dass hinter den immerhin 186 RZ-Aktionen ein „enger zu begrenzender Personenkreis“ stünde, der „weitreichende logistische wie auch personelle Verbindungen“ knüpfe.
pigs, 9.9k Mit der Verhaftung von angeblich führenden RZ-Leuten ende vorigen Jahres könne „die Legende von den im ganzen Land verteilten RZ-Filialen, betrieben von autarken Feierabend-Terroristen“ wohl als „erledigt“ gelten, schrieb hocherfreut der Focus.
Das Projekt Revolutionäre Zellen war erstmalig mit Aktionen in der Öffentlichkeit 1973 bekannt geworden. Also circa ein Jahr, nach dem die RAF ihre erste militärische Offensive startete, was schon ende des selben Jahres mit der Inhaftierung ihrer bekannten Köpfe endete. Wie alle bewaffneten Gruppen, die Anfang der 70er als radikalisierte Antwort auf das Scheitern der 68er APO das lateinamerikanische Konzept der Stadtguerilla umzusetzen versuchten, ging es den Revolutionären Zellen um das Prinzip des Kampfes „im Herzen der Bestie“ (Che Guevara). Das Schicksal der RAF-Genossen vor Augen „gründete sich die RZ in dem Wissen, dass auf organisatorischer Ebene der beste Schutz vor staatlicher Verfolgung und politischer Isolation die gänzliche Anonymität ihrer Mitglieder und eine dezentrale, nicht-hierarchische Arbeitsweise ist. Dies ermöglichte den unbekannten Militanten, an Diskussionen und legalen Bewegungen der radikalen Linken weiterhin teilzunehmen, eine Verselbständigung militärischer Politik zu vermeiden und die Fahndungsapparate des Staates ins Leere laufen zu lassen. Die RZ wollte keine Avantgarde-Organisation aufbauen, keine Stellvertreterpolitik machen. ‘Alle müssen alles können’ war der selbstformulierte Anspruch der RZ“.(1)
pigs, 15.7k Dass diesem nur bedingt genügt wurde, schätzten zwei Gruppen aus dem sich selbst so bezeichnenden „Traditionsverband“ der RZ mit vorher nicht gekannter Selbstkritik, „die teilweise Züge einer Selbstdemontage“ trug (2), anfang der 90er in längeren Erklärungen ein. Damit vergriff man sich an einer heiligen Kuh des revolutionären bewaffneten Kampfes. Schliesslich galt gemeinhin das Selbstverständnis, dass „eine Kritik von der Guerilla an der Guerillas nur konstruktiv und solidarisch“ sein dürfe.
Die beiden Erklärungen kamen faktisch der Aufgabe des bewaffneten Kampfes und damit einem endgültigen Ende der RZ gleich: „Wir ziehen heute die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die Form und Struktur unseres Kampfes Ausdruck einer bestimmten Phase der Entwicklung der gesellschaftlichen Widersprüche in der BRD nach 1968 war, die unwiderruflich mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus und den darauffolgenden Zersetzungsprozessen, der deutschen Wiedervereinigung und der im zweiten Golfkrieg skizzierten ‘Neuen Weltordnung’ ihr Gepräge verändert haben. (...) Die objektive Analyse dessen, was seit 1989/90 historisch gelaufen ist (...), erforderte im Grunde eine ganz andere Stufe der Organisierung des militanten und revolutionären Widerstandes. Aber wir können das nur noch als leeren Anspruch formulieren. In Wahrheit sind wir von der Geschichte überrollt worden. Die Bedingungen linksradikaler Politik in der BRD haben sich innerhalb kürzester Zeit vollkommen verändert. Der Wandlungs- und Auflösungsprozess der Linken insgesamt wie der politischen Szene, aus der heraus und in Bezug auf die wir in erster Linie operiert haben, ist vielleicht nur ein nebensächliches Produkt dieser Veränderung. (...) Unsere Politik war prinzipiell auf diese öffentliche Ebene angewiesen. (...) Unser Koordinatensystem: bewaffnete Opposition – Vermittlung – Verankerung – Vermassung stimmt nicht mehr. (...) Das Konzept ‘Schafft viele revolutionäre Zellen’ ging nur insofern auf, als eine Parallelität der Kampfmethoden entstand. (...) In der Fixierung auf unsere Kampfmethoden verzichteten wir darauf, eine theoretische politische Orientierung zu entwickeln, die mehr beinhaltete als einzelne Versatzstücke zu bestimmten Konflikten. (...) Es bleibt festzuhalten, dass in der Propagierung unserer eigenen Kampfmittel als ‘Mittel für alle’ eher ein Aktionsmodell steckte als eine politische Theorie.“ (3)
pigs, 13.0k Auf welchen geistigen Irrwegen sich teilweise auch die RZ wandelte, zeigt ein Zitat aus demselben Text wie oben. Anstatt die sagenumwobene „Masse“ kritisch als Mittäter des Systems zu beurteilen, suchte die RZ die Fehler ausschliesslich bei sich und schien obendrein noch daran zu verzweifeln: „Die Kämpfe und Aneignungsformen im proletarischen Spektrum, in den Subschichten der jugendlichen ImmigrantInnen, der sozial entrechteten Frauen, der Opfer der Deregulation im Osten, erscheinen uns bisher undurchschaubar, weil wir mit Bildern konfrontiert werden, in denen wir das Wesen der Emanzipation der Klasse nicht erkennen, und weil unser analytisches Instrumentarium nicht ausreicht, um hinter den Erscheinungsformen die Bedeutung der Kämpfe zu entziffern.“
Offensichtlich pflegte man hier einen – sozusagen – ehrlichen Umgang mit dem Versuch, sich die Realität zurechtzubiegen. In guter alter schlechter Tradition ist man hier bemüht, die „Bedeutung der Kämpfe zu entziffern“, die erstens keine sind und zweitens nie welche sein sollten und sollen.
Die Auseinandersetzung mit der RZ als Teil des linksradikalen Kampfes und Widerstandes ist aus traurigem Anlass staatlicher Repression nur anzuraten. Immerhin sollte es allen Linken um das Wissen und eine Position zum linken bzw. linksradikalen Widerstand der sogenannten Neuen Linken gehen. Letztlich lässt sich nur so eine notwendige realistische linke Perspektive analysieren und erarbeiten. Ohne Geschichte geht das nun mal definitiv nicht bzw. definitiv nur falsch. Soviel steht zumindest schon fest. (4)
Ralf

revolutionärer zorn, 10.3k

"Alle müssen alles können" – die Zeitung der RZ, Januar 1978
(1) Zitiert aus dem Vorwort der zweibändigen Ausgabe „Die Früchte des Zorns – Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora“, Edition ID-Archiv, Berlin 1993.
Der sehr empfehlenswerte Sammelband umfasst (fast) sämtliche Texte der Revolutionären Zellen und der Frauenorganisation Rote Zora. Letztere äusserte einmal auf die Frage, ob es Zufall sei, dass der Name Rote Zora die gleichen Initialien – R und Z – wie die Revolutionären Zellen habe, zumal die erste Aktion unter dem Namen „Frauen in der RZ“ öffentlich gemacht wurde: „Rote Zora soll ausdrücken, dass wir die gleichen Grundsätze wie die Revolutionären Zellen haben, dieselbe Konzeption, illegale Strukturen aufzubauen, ein Netz zu schaffen, das der Kontrolle und dem Zugriff des Staatsapparates entzogen ist. Nur so können wir – im Zusammenhang mit den offenen, legalen Kämpfen der verschiedenen Bewegungen – auch subversive und direkte Aktionen durchführen.“ Im Unterschied zu den Revolutionären Zellen stellte sich die Rote Zora direkt in einen Bezug auf die Geschichte der Frauenbewegung von ende der 60er: „’Wir schlagen zurück’ – diese Parole aus dem Mai ‘68 ist heute in Bezug auf die individuelle Gewalt gegenüber Frauen unumstritten. Heftig umstritten und weitgehend tabuisiert ist sie jedoch als Antwort auf die Herrschaftsverhältnisse, die diese Gewalt erst ständig auf’s Neue erzeugen.“ (Beide Zitate der Roten Zora stammen aus einem Selbstinterview, das 1984 in der Frauenzeitschrift Emma erschien und in dem genannten Sammelband enthalten ist.)

(2) ebenda

(3) ebenda oder auch in: „Interim 2000“ – Sonderdruck der zweiwöchentlichen Autonomenpostille; erschienen ende vorigen Jahres

(4) Dazu gehört insbesondere auch die Position der sogenannten Neuen wie der traditionellen Linken zum Thema Antizionismus, Israel und Antisemitismus. Definitiv waren die RZ und die Rote Zora wie alle Linken der 70er antizionistisch mit antisemitischen Ressentiments geprägt. In der RZ hat es ganze 16 Jahre gadauert, bis eine Selbstreflexion und ein Eingeständnis dieser Fehler überhaupt passierte. Damit jedoch unterschied sich die RZ von fast allen anderen Gruppen und Organisationen, die dies niemals thematisierten.
Der Autor dieses Textes möchte abschliessend ein Zitat über diese Publikation zugänglich machen, dass sich ebenfalls als Fussnote in dem weiter oben genannten Sammelband „Die Früchte des Zorns“ findet. Damit soll insbesondere verdeutlicht werden, welche Brüche in den Biografien von Menschen deren Glaubwürdigkeit nicht vermindern sollte:
Der vom Autor hochgeschätzte und leider viel zu früh verstorbene Eike Geisel, ein vehementer Gegner und Kritiker jeglichen linken Antizionismus und Antisemitismus gab 1975 zusammen mit Mario Offenberg im Verlag Klaus Wagenbach das Buch von Nathan Weinstock „Das Ende Israels? Nahostkonflikt und Geschichte des Zionismus“ heraus. Im Vorwort schrieben Geisel und Offenberg: „Der israelische Staat ist auf Gedeih und Verderb zwar von aussen abhängig, doch er bedarf auch der inneren Legitimation. Der Zionismus muss erst die israelischen Massen beherrschen, damit diese willfähriges Opfer und Exekutor kolonialistischer Politik werden. Sie müssen zuerst besiegt sein, ehe sie die anderen niederhalten können. Der ökonomischen und gesellschaftlichen Entrechtung der israelischen Massen korrespondiert die herrschende Volksgemeinschaftsideologie, die desto aggressiver verabreicht wird, je brüchiger sich die angebliche Klassenharmonie darstellt (...) Der Zionismus gibt vor, die angeblich ewige jüdische Frage mit der Emigration nach Palästina zu lösen. In Wirklichkeit hat er für Juden dort nichts zu bieten als das ‘grösste jüdische Getto der Geschichte’.“ (Zitat im Zitat aus einem Flugblatt der Israelischen Sozialistischen Organisation „Matzpen“ zu einer Tagung des Zionistischen Weltkongresses in Jerusalem 1972.)



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last modified: 28.3.2007