Von Ulle
Die Krise der Linken erzwingt seltsame Allianzen. Selbst
Neueste Studien beweisen es. Nicht vor Staat und Nazis, sondern vor der Milleniums-Jugend muß sich die Linke fürchten.
|
auf bügerliche Soziologen im Allgemeinen die verblödetsten
Exemplare des Wissenschaftsbetriebs, die seit Jahren nichts anderes tun, als
dieselben Zustände mit neuen Begriffen zu umnebeln müssen
Linke hier und da zurückgreifen, um zu beweisen, wie schlecht es um die
Welt bestellt ist. Im Folgenden wird die scheinheilige Fraternalisierung mit
einer in der normalen Welt besonders begehrten Spezies dieser
Weltverklärer vollzogen den Jugendforschern.
Jugendforscher sind keine taxifahrenden Akademiker, sondern
vielbeschäftigte Menschen. Alle Welt interessiert sich für Jugend und
von den drei gesellschaftlichen Gruppierungen, die einen besonderen
Wissensdrang verspüren die Wirtschaft, der Staat und die Linke
können zwei extraordinär gut dafür bezahlen. Man
muß kein Quiz daraus machen; geldmäßig sind die Linken die
Looser und deshalb asseln sie ihre Erkenntnisse den anderen einfach ab, wenn
diese damit in der Öffentlichkeit protzen. Das geschieht aller Nasen lang.
Manchmal scheint es, als gäbe es mehr Jugendstudien als Jugendliche. Das
liegt beispielsweise daran, daß der Staat nicht wie ein König ist,
der bockig in seinem Sessel fletzt und nach seiner Jugendstudie verlangt. Der
Staat sind viele. Viele Behörden, Ämter, Bullen und so weiter und
alle lassen sie ihre Forscher auf die Teenis los. Bei der Wirtschaft
stößt man auf das selbe unübersichtliche Bedürfnis. Nicht
nur weil haufenweise Manager, gerade die über 40, wissen wollen, wie sich
Jugendlichkeit ausdrückt, die in Businesskreisen irgendwie als Anzeiger
für Erfolg und Zukunftsfähigkeit gehandelt wird. Weswegen dann auch
viele viel zu alte Männer mit sündhaft teuren Mountanbikes auf hohen
Gipfeln die Wege blockieren und weswegen 20jährige Menschen heute in der
Schwimmhalle kaum noch eine freie Bahn bekommen. Aber eigentlich geht es der
Wirtschaft weniger darum, sondern um groß angelegte Konsum- und
Humankapital-Forschung. Einerseits läßt sich das Wissen, ob
relevante Einheiten einer Jugend ihre Freizeit am liebsten vor dem Fernseher,
dem Computer, auf dem Sportplatz und später in einem spritzigen Sportwagen
verbringen möchten, über Produktendscheidungen in Bares verwandeln.
Mal ganz schematisch gesehen. Andererseits braucht die Wirtschaft die Studien
der Jugendforscher für die Nachwuchskontrolle. Sie muß wissen, ob
die Kids, rein potentiell fit für den Karriereeinstieg sind. Mal ganz
schematisch gesehen.
Worauf die deutsche Jugend steht (frei nach diversen Jugendstudien) |
Wer nun glaubt, hier spricht ein dogmatischer Neu-Marxist, der einen
Kapitalisten auch noch als Drahtzieher eines unerwarteten Regengusses vermutet,
ist seinerseits ganz schön verblendet und sollte, wenn er in Zukunft nicht
als Soziologe beschimpft werden will, zumindestens die Frage beantworten, warum
einer der Lieblings-Öl-Konzerne (Shell) jüngst wieder in einem
renomierten Wissenschaftsverlag eine Jugendstudie veröffentlichte, die ihn
schlappe 1,7 Millionen Mäuse gekostet hat. Die Antwort, daß sich das
zweibändige Werk neben Onanieranregern und Straßenkarten gut an
Tankstellen verkauft, wird nicht gewertet.
Mit dem Interesse des Staates verhält es sich selbstverständlich
ähnlich. Auch der will aus wohlüberlegten, sozusagen
funktionalistischen Gründen wissen, wie es um die deutsche Jugend bestellt
ist. Spätestens seit ganze Alterskohorten wie aus dem nichts
plötzlich anfingen, sich mit Drogen voll zu pumpen, Konzertsäle zu
demolieren oder gar Revolution machen zu wollen so jedenfalls die
Legende , versucht er an die Überzeugungen und Grundstimmungen der
jüngsten Staatsbürger heranzukommen. Für die Herrschenden sind
Jugendstudien also eine Art Vorstufe von Kameraüberwachung, ein
unverfängliches Mittelchen zur Systemsicherung.
Spätestens jetzt dürfte klar sein, warum auch Linke so scharf auf
Jugendforschung sind. Es ist wie bei Freddy Krüger: Was des einen Alptraum
ist des anderen Schabernack. Linke treibt nach 68, nach Punk und
Autonomenbewegung die Hoffnung auf ein neues Generationen-Wunder. Und das geht
so: Montagfrüh, um halb zehn in Deutschland. In Klassenstufe X der Schule
Z sind alle Schüler plötzlich linksradikal, oder sagen wir mal das
entscheidende laute Drittel. Doch nicht nur im Fall XZ sind
ausschließlich diejenigen cool, die über die Unmenschlichkeit der
kapitalistischen Profitlogik, den Unterdrückungscharakter der
Überwachunggesellschaft und die Notwendigkeit, Nazis aufs Maul zu hauen,
reden. Nein, das ganze Land sieht rot. Die alten Linken werden von dem
Generationswechsel völlig überrascht. Alles ist neu. Wer
konkret, den Pressehit der Linken, abonniert, bekommt kein teures
Buch mehr geschenkt, sondern muß eins an den Verlag schicken, auf Demos
rennt man nicht mehr vor den Bullen weg, sondern über sie drüber und
tausende Ex-Nazis arbeiten nur noch für den Gesichtschirurgen.
Aber ach. Auch dieser Traum entzieht sich seiner Erfüllung. Die aktuellen
Studien der Jugendforscher beweisen es so hart, daß es einer
Körperverletzung gleichkommt. Kein Fitzelchen, nicht die Spur eines
Elementarteilchens von Rebellion, ja nicht mal ein klitzekleiner
Generationenkonflikt findet sich bei unserer Milleniumsjugend. Die großen
deutschen Nachrichtenmagazine taten in den letzten Monaten ihre Pflicht als
Hofberichterstatter und meldeten mit Bezug auf die Sozialforscher
übereinstimmend freudig: Nichts zu sehen von Weltverbesserung und
revolutionären Utopien bei der neuen deutschen Jugend (Stern, 52/99;
Focus, 12/00; Spiegel, 13/00).
Die von den Zeitschriften offerierten Einblicke in die Meinungs- und
Gefühlswelt der 14- bis 27jährigen können einem das
Fürchten lehren. Hier präsentieren sich strahlende Kinder des
Kapitalismus, die wie die Mitglieder einer riesiegen Sekte den ideologischen
Dunst der neoliberalen Mitte tief und gleichmäßig in sich eingesogen
haben. Sie finden die Welt, so wie sie ist, völlig in Ordnung. Engagement
heißt bei ihnen Karriere. Gemeinsam machen sie sich ohne große
Abweichungen fit für den Arbeitsmarkt. Bei so viel Ergeiz und gesteigertem
Leistungswillen steht politisches Interesse hinten an. Und darüber
muß man auch noch froh sein. Weit über die Hälfte der
Jugendlichen sind mehr oder weniger rassistisch eingestellt und wenn eine
Partei in den letzten Jahren bei ihnen signifikant an Zustimmung gewann, dann
war es die CDU.
Daß ganze Ausmaß der Talfahrt auf der Werte-Achterbahn offenbart
sich allerdings mit einer anderen Erkenntnis: Die Jugend 2000 träumt nicht
mal mehr von gutem Sex. Romantische Beziehungen und Familie mit Kinderchen
statt freier Liebe. Mit diesem Trend hat die Linke ihr wohl einzigstes
populäres Argument, mit dem sich in Pornodeutschland gesellschaftlich
relevante Massen wenigstens auf der Triebebene anfreunden konnten, an die
Realität verloren.
Für jugendliche Autoprolls, die Wochenende für Wochenende ihr Leben
am Sraßenrand aushauchen, nagelt man Kreuze an Bäume und wirft
Kränze davor. Für die neue Jugend, die auch schon bevor das Leben
beginnt und nur unwesentlich anders tot ist, wird es kein adäquates
Trauerritual geben. Denn anstatt die Zombies zu bedauern, werden sie von den
deutschen Prestigemedien als Helden gefeiert. Ihre einheitlichen
stockkonservativen Lebensansichten versucht man hinter verkrampft poppigen
Charakterisierungen zu verstecken, die doch schon alles verraten. So macht der
Focus die romantischen Realisten zur Generation Flex,
weil sie pragmatisch und ohne irgendwelche Flausen im Kopf in der Konsum- und
Warenwelt nach ihrem individuellen Lifestyle suchen und der Stern verhüllt
die Uniformität der Lebensplanung hinter dem Begriff der
Patchwork-Jugend. Eigentlich aber, so unisono die Behauptung, die
allen zugänglichen Informationen widerspricht, entzöge sich diese
Jugend, die sich wie ferngesteuert schon im Teenage-Alter für einen gut
bezahlten Job und Familie entscheidet, wie nie eine zuvor sammelnden Begriffen.
Aus Dummheit oder aus Anbiederung vor der zukünftigen Käuferschicht
nennt man die Langweiler, Streber, Spießer, Stinos, Neokonsis und
Konsum-Idioten nicht bei ihrem Namen.
Bleibt nur noch die Frage, ob 23-Jährige, die heute schon das Leben ihrer
50-Jährigen Eltern führen, bei ihrem Marsch durch die Institutionen
nicht automatisch bei einem Führer landen. Aber so schwarz will ich dann
doch nicht malen. Lieber Prinzip Hoffnung. Die Langweiler-Generation hat auch
ihr Gutes. Bei so beschissener Regel, fällt es nicht schwer, geile
Ausnahme zu sein. Und sitzt ein Teil der Jugend von Heute dereinst an den
Schalthebeln der Macht, auch kein Problem. So verwöhnt, eingefahren und
weinerlich, wie die sind, fegt sie eine neue Linke weg wie nichts. Solange auf
die noch gewartet werden muß, trösten wir uns damit, daß es
immer noch besser ist, als Linker statt als Jugendlicher alt zu werden.
|