Das Meisterspiel[Regie: Lutz Dammbeck, BRD 97] |
Akademie der Bildenden Künste Wien, 1997: Unbekannte
dringen in das Atelier des Malers Arnulf Rainer ein und übermalen 25
seiner Bilder mit schwarzer Farbe. Die Signatur des Autors lassen sie
ironischerweise stehen. Es handelt sich ausnahmslos um diejenigen Bilder, die
acht Jahre zuvor im New Yorker Guggenheim-Museum gezeigt
wurden.(1) Der Schaden beträgt ca. drei Millionen Mark. Am
Tatort findet sich eine Leinwand mit dem Schriftzug: und da
beschloß er, Aktionist zu sein, eine Abwandlung des Hitlerzitats:
ich aber beschloß, Politiker zu werden. Vielleicht die
späte Rache für den mehrfach abgelehnten Studienbewerber Hitler oder
eher ein PR-Gag der Galleristin oder doch nur radikale Konsequenz Arnulf
Rainers, der nicht nur eigene Werke immer wieder übermalte, sondern auch
die von Kollegen. Diese Frage gäbe nicht mehr her als den Plot für
einen mittelprächtigen, detektivistischen Dokumentarfilm, tauchte nicht
ein Jahr später in Wien ein umfassendes Bekennerschreiben in Form eines
antimodernen Manifestes auf. Dies verweist auf einen oder mehrere Täter
aus der Neuen Rechten. Möglicherweise der Versuch, die Moderne mit deren
Mitteln zu zerstören?
Formell dient dem Regiesseur die Spielidee, die die erzählerische
Grundstrukur des Filmes bildet, als Rechtfertigung der Objektivität
wegen in alle Richtungen zu ermitteln. Das Spiel umfasst 13 Züge, die auf
einem aufgezeichneten Feld mit ausgeschnittenen Papierprotagonisten
nachvollzogen werden. Da das Bekennerschreiben nach rechts verweist, müsse
man dort nach den Tätern suchen, erklärt die Offstimme den
ZuschauerInnen. Logisch, was aber nicht heißt, daß man die
Meinungsführer der Neuen Rechten unkommentiert zu Wort kommen lassen
muß, wie es im folgenden dann geschieht. Reinhold Oberlercher, ehemaliger
ML-Schulungskader im SDS, dort allerdings immer schon dem nationaleren
Dutschkeflügel angehörend, im Film vorgestellt als Der
Privatgelehrte, erläutert anhand der Zeichnungen Rainers, wie die
Moderne die Verhäßlichung des Schönen, der Natur
betreibt, wie sie das Antlitz des Menschen, die Landschaft des
Geistes zerstört. Sein antisemitisches Weltbild freizulegen, bedarf
es nur der Stichworte Moderne und Wien. Dort habe sich
um die Jahrhundertwende die Wetterecke des deutschen Geistes
befunden, gleichzeitig war es aber auch die Hochburg des jüdischen
Volksgeistes, der Geburtsort der zweiten großen
jüdischen Nationalideologie, der Psychoanalyse. Diese sei für
unser Empfinden pornografisch, aber durchaus modernefähig.
Garant der alten Ordnung, die durch die Moderne nachhaltig erschüttert
wurde, könne nur das Reich sein. Naheliegend für
Oberlercher, daß gerade in Wien dieser Kulturkampf gegen die Moderne
wieder aufgenommen wurde. Arnulf Rainers Cousine, ebenfalls von Dammbeck als
mögliche Zeugin herangezogen, wird in ihrem Häuschen in der
österreichischen Provinz interviewt. Ihr Outfit, Mode im Landhausstil,
harmoniert mit der Inneneinrichtung, die alle Insignien bürgerlichen
Alpendaseins aufweist. Mit leuchtenden Augen berichtet sie von Rainers Jugend
auf einer Eliteschule (meint HJ-Schule) und empfindet ästhetische
Befriedigung bei der Erinnerung an die schönen Sommeruniformen der
Schüler. Die Rede ist von HJ-Uniformen, wie das Foto, das sie freudig in
die Kamera hält, beweist. Angesichts dieses historischen Bewußtseins
möchte ich keine Minute länger daran zweifeln, daß bis in die
60er, 70er Jahre in den Dorfschulen der Provinz der Unterricht mit dem
deutschen Gruß begann. Stephan Grigat vertrat auf seiner Leipziger
Veranstaltung die These, daß Haider nicht offen antisemitisch zu werden
brauche, da seine Klientel die kleinsten Hinweise verstehe und wohlwollend
goutiere (siehe Grigats Text in dieser Ausgabe). Rainers Cousine bestätigt
dies, wenn auch als Farce: Die Ausstellung Rainers im Wiesenthalmuseum (sie
meint das New Yorker Salomon Guggenheim-Museum, egal, Jude ist Jude), sei
für uns nicht rühmlich gewesen. Ihr Erstaunen ist
groß, als Dammbeck ihren antisemitischen Fingerzeig nicht verstehen will,
sondern nachfragt. Wiesenthal. Sie wissen ja: Wiesenthal. Der
Regiesseur will immer noch nicht kapieren, sie macht allerdings keinen
Rückzieher, als sie merkt, daß der gemeinsame Code nicht existiert,
sondern erklärt, wie es eben ist mit der Kunst und alldem: Wenn ein
Volk einen Krieg verliert, dann kommen Strömungen herein, die artfremd
sind, genauso in der Kunst; es hat zwar immer eine entartete Kunst gegeben,
aber... usw.
Die Briefbombenattentate der Bajuwarischen Befreiungsarmee weisen
nicht nur ideologisch, sondern auch formell Parallelen zum Wiener Kunstattentat
auf. Beim Anschlag in Oberwart, bei dem vier Roma umkamen, fand sich am Tatort
eine Tafel mit der Inschrift Roma zurück nach Indien, auch
lesen sich die Bekennerschreiben ähnlich politisch-verquast wie das
antimoderne Manifest. Sind die Täter identisch, liegt die Vermutung nahe,
daß es sich um den Versuch der Realisierung eines Gesamtkunstwerks
handelt, das die Mittel der Moderne anwendet, sogar radikalisiert(2)
mit dem Ziel, vormoderne Standards zu etablieren. Dem sich daraus ergebenden
Täterprofil entspricht das FPÖ-Mitglied Christian Böhm-Ermolli.
Er war einer der Schüler Arnulf Rainers, bewunderte in ihm wohl den
Vernichter, wandte sich allerdings bald von der Kunst ab und der
Neuen Rechten zu. Einem Interview stand er allerdings nicht zur Verfügung,
da er ein Jahr zuvor freiwillig aus dem Leben schied. Nicht so seine
politischen Freunde, allesamt wie er später auch
Jurastudenten. Sie geben bereitwillig Auskunft (auch hier gänzlich
unkommentiert) über Ermollis Rekrutierungsversuche auf Technoevents: Das
ist Krieg, Ersatz für echte Stahlgewitter!(3). Sie alle bekamen
Post ein Jahr nach Ermollis Tod: Viele Grüße aus dem
Jenseits.
Getreu dem Motto, es käme ja darauf an, die richtigen Fragen zu stellen,
statt Antworten zu geben, läßt Dammbeck die Frage nach der
Täterschaft offen, das Spielfeld ist vollgestellt, die Diskurse
angestoßen, der Fall rekontextualisiert. Trotzdem stützt der Film
rein formell die Gesamtkunstwerkthese, wenn auch die Spielidee weniger
geschlossen als selbiges funktioniert und eher rhizomatisch daherkommt,
behauptet sie doch einen Erklärungsnotstand: Rational sei der Kunst nicht
beizukommen. heike
Fussnoten:
(1) Rainer verkaufte dort sechs seiner Bilder
schwarz. Um die Zollgebühren für die fehlenden Bilder bei der
Rückführung zu vermeiden, ließ er in New York Kopien
anfertigen. Somit sind auch Fälschungen dem Anschlag zum Opfer gefallen.
(2) Die Dadaisten gingen davon aus, daß es der dadaistischste
Akt schlechthin sei, wild in die Menge zu schießen. Sie ließen
allerdings keine Taten folgen.
(3) Der Anlaß der Neurechten, Techno zu affirmieren ist der
gleiche, weswegen die Kulturkonservativen ihn ablehnen: der Mensch werde zur
Maschine.
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