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review-corner, 1.6k

Helmut Schödel:

Die Sehnsucht nach der Schande -

Zu Hause bei den Neonazis

München: Goldmann 1999, DM 12,90.

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Buchtitel, 20.3k
Dem aufmerksamen Beobachter des Leipziger Blätterwaldes wird nicht entgehen, dass mit der folgenden Rezension von Helmut Schödels Taschenbuch „Die Sehnsucht nach der Schande – Zu Hause bei den Neonazis“ auf eine Besprechung des Klarofix vom November vergangenen Jahres zurückgegriffen wird. Sind denn den CEE IEH-Verantwortlichen die Themen ausgegangen? Soll das Buch Schödels in den Himmel gelobt werden, weil es derartige Beachtung etwa verdient?

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Mitnichten. Grund ist das Insistieren auf der Beschäftigung mit dem Thema akzeptierender Sozialarbeit, welches in der jüngsten Vergangenheit durch den Verstärker-Kongreß, auf kommunaler Ebene geführte Diskussionen oder den Thierse-Besuch(1) zwar Beachtung erfahren, wie die aber unvermindert braune Realität z.B. in Grünau beweist, nichts an ihrem Schrecken und lebensgefährlichen Bedrohung verloren hat.

Man muss nicht gross drumherumreden, Schödels Publikation ist und bleibt ein widerliches Machwerk, ein „Patchwork von kaum reflektierten Eindrücken unter Vermeidung jeglichen Hintergrundwissens, das mehr erzählt vom Wahnsinn der Sozialarbeit mit Neonazis“, als über das erklärte Ziel des Buches, eine Innenansicht der ostdeutschen Nazi-Szene. Das Klarofix bemerkt richtig, daß man eigentlich in Gelächter ausbrechen könnte, ob der perfiden Realitäten zonalen Miefs, die durch das Buch in detailgetreuer Intensität und selten so anschaulich nachzulesender Beschreibung ans Licht kommen. Selbiges Lachen bleibt aber im Halse stecken, „angesichts von gemeingefährlichen Betreuern wie Strobel(2) und wie sie alle heissen, die Zustände wie die im Kirschberghaus und anderswo erst ermöglichen.“ Die dem Buch hier widerfahrende Aufmerksamkeit ist demzufolge auch nur damit zu erklären, dass sein unfreiwilliger Verdienst darin besteht, aufmerksamen Lesern „den alltäglichen Wahnsinn der Kirschberghaus- [bzw. allgemein zonalen] Zustände sehr eindrücklich, wenn auch absolut unkritisch, zu vermitteln.“ Kritischen Lesern wohlgemerkt, denn spätestens die Leserschaft des deutschen Feuilletons, die der SZ-Autor Schödel mit seinem bei Goldmann erschienenen Taschenbuch bedient, wird sich mit feuchten Augen auf die verbreitete und dem Konzept der akzeptierenden Sozialarbeit immanente These einigen können, Typen wie der Leipziger Nazi-Kader „Ossi“ sind keine Monster, sondern Nachbarskinder, und bemitleidenswerter Teil der Jugend der Berliner Republik.(3) Vom positiven Verständnis einer Berliner Republik ausgehend, verbirgt sich hinter dem von Schödel gesuchten Privaten, Individuellen und Unverwechselbaren Ich eines zuschlagenden Faschos demzufolge auch nur der durch den Ansatz akzeptierender Sozialarbeit zu heilende problembehaftete Mensch, der aufgrund seiner Sozialisation in der roten Diktatur nun mit der braunen protzt. Keiner der Adressaten Schödels wird deshalb auf den Gedanken kommen, eben diesen Fascho-Mainstream, der sich längst bundesweit Bahn bricht, zynisch aber wahrhaftig als legitime Kinder des neuen alten Berlins zu verstehen und anzugreifen.
Jerzy Lang, 15.3k
„...legitime Kinder der Berliner Republik...“ – der Nazi Jerzy Lang: führender Kader im und um das Kirschberghaus
Mit dieser Analyse stehen wir weitgehend alleine da. Auch ein gewisser Wolfgang Thierse, den man trotz seiner Funktion als Bundestagspräsident wenigstens noch eine Spur kritisches Verständnis bescheinigen kann, kommt nicht daran vorbei, anlässlich seiner Rundreise durch Ostdeutschland, bei der er auch Leipziger unabhängigen Initiativen seinen „Dank für ihr demokratisches Engagement gegen Rechtsextremismus“ aussprach, im gleichen Atemzug die Täter in Schutz zu nehmen. Ausgehend von seinem alles heilendem Demokratieverständnis belehrte er linke Grünauer Jugendliche, die tagtäglich Angriffen verbaler und tätlicher Art ihrer Nachbarskinder ausgesetzt sind, dass sich ihre eigene Position „nicht nur durch eine Anti-Haltung definieren“ darf.

Schödel ist es nicht, Strobel ist es nicht und Thierse wird es schon gar nicht. Versteht man als Quintessenz des Buches besagten unabänderlichen Wahnsinn der Sozialarbeit mit Nazis, stellt sich die Frage nach dem Erfolg bisheriger linker Strategien bzw. nach der Entwicklung neuer. Der Verstärkerkongreß bot in dieser Hinsicht wenigstens die Möglichkeit, eine übergreifende Bestandsaufnahme durchzuführen und in der Vergangenheit begangene Fehler zu analysieren. Letztendlich steht aber nur eines zur Debatte, auch wenn es abgedroschen klingen mag und bereits tausendmal gesagt worden ist: Es ist längst an der Zeit, in den „örtlichen Jugendzentren und Dorfdiscos“ wieder Tag für Tag einzurücken. Wenigstens diese Notwendigkeit führt Schödels „Sehnsucht nach der Schande“ genauestens vor Augen.
pete

(1)Ende Oktober fand in Leipzig der „Verstärkerkongress - Kongress zu Nazidominanz, kulturelle Hegemonie und Möglichkeiten linksradikaler und antifaschistischer Strategien“ statt. Am 11. Dezember weilte der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Conne Island, um sich über die Kritik an der akzeptierenden Jugendarbeit mit Rechten zu informieren.
(2)Gemeint ist der Sozialarbeiter Andreas Strobel, seit 1996 verantwortlich für Jugendarbeit im berüchtigten Treff 2 des Grünauer Kirschberghauses, mittlerweise von der Stadt Leipzig geschaßt und in Saalfeld-Gorndorf tätig.
(3)Kursiv wiedergegebene Passagen im Original nach Schödel.



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last modified: 28.3.2007