Dem aufmerksamen Beobachter des Leipziger Blätterwaldes wird nicht entgehen, dass mit der
folgenden Rezension von Helmut Schödels Taschenbuch Die Sehnsucht nach der Schande
Zu Hause bei den Neonazis auf eine Besprechung des Klarofix vom November vergangenen Jahres
zurückgegriffen wird. Sind denn den CEE IEH-Verantwortlichen die Themen ausgegangen?
Soll das Buch Schödels in den Himmel gelobt werden, weil es derartige Beachtung etwa verdient?
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Mitnichten. Grund ist das Insistieren auf der
Beschäftigung mit dem Thema akzeptierender Sozialarbeit, welches in der
jüngsten Vergangenheit durch den Verstärker-Kongreß, auf
kommunaler Ebene geführte Diskussionen oder den Thierse-Besuch(1)
zwar Beachtung erfahren, wie die aber unvermindert braune Realität z.B. in
Grünau beweist, nichts an ihrem Schrecken und lebensgefährlichen
Bedrohung verloren hat.
Man muss nicht gross drumherumreden, Schödels Publikation ist und bleibt
ein widerliches Machwerk, ein Patchwork von kaum reflektierten
Eindrücken unter Vermeidung jeglichen Hintergrundwissens, das mehr
erzählt vom Wahnsinn der Sozialarbeit mit Neonazis, als über
das erklärte Ziel des Buches, eine Innenansicht der ostdeutschen
Nazi-Szene. Das Klarofix bemerkt richtig, daß man eigentlich in
Gelächter ausbrechen könnte, ob der perfiden Realitäten zonalen
Miefs, die durch das Buch in detailgetreuer Intensität und selten so
anschaulich nachzulesender Beschreibung ans Licht kommen. Selbiges Lachen
bleibt aber im Halse stecken, angesichts von gemeingefährlichen
Betreuern wie Strobel(2) und wie sie alle heissen, die Zustände
wie die im Kirschberghaus und anderswo erst ermöglichen. Die dem
Buch hier widerfahrende Aufmerksamkeit ist demzufolge auch nur damit zu
erklären, dass sein unfreiwilliger Verdienst darin besteht, aufmerksamen
Lesern den alltäglichen Wahnsinn der Kirschberghaus- [bzw. allgemein
zonalen] Zustände sehr eindrücklich, wenn auch absolut unkritisch, zu
vermitteln. Kritischen Lesern wohlgemerkt, denn spätestens die
Leserschaft des deutschen Feuilletons, die der SZ-Autor Schödel mit
seinem bei Goldmann erschienenen Taschenbuch bedient, wird sich mit feuchten
Augen auf die verbreitete und dem Konzept der akzeptierenden Sozialarbeit
immanente These einigen können, Typen wie der Leipziger Nazi-Kader
Ossi sind keine Monster, sondern Nachbarskinder, und
bemitleidenswerter Teil der Jugend der Berliner
Republik.(3) Vom positiven Verständnis einer Berliner
Republik ausgehend, verbirgt sich hinter dem von Schödel gesuchten
Privaten, Individuellen und Unverwechselbaren Ich eines zuschlagenden
Faschos demzufolge auch nur der durch den Ansatz akzeptierender Sozialarbeit zu
heilende problembehaftete Mensch, der aufgrund seiner Sozialisation in der
roten Diktatur nun mit der braunen protzt. Keiner der Adressaten Schödels
wird deshalb auf den Gedanken kommen, eben diesen Fascho-Mainstream, der sich
längst bundesweit Bahn bricht, zynisch aber wahrhaftig als legitime Kinder
des neuen alten Berlins zu verstehen und anzugreifen.
...legitime Kinder der Berliner Republik... der Nazi Jerzy Lang: führender Kader im
und um das Kirschberghaus | |
Mit dieser Analyse stehen wir weitgehend alleine da. Auch ein gewisser Wolfgang
Thierse, den man trotz seiner Funktion als Bundestagspräsident wenigstens
noch eine Spur kritisches Verständnis bescheinigen kann, kommt nicht daran
vorbei, anlässlich seiner Rundreise durch Ostdeutschland, bei der er auch
Leipziger unabhängigen Initiativen seinen Dank für ihr
demokratisches Engagement gegen Rechtsextremismus aussprach, im gleichen
Atemzug die Täter in Schutz zu nehmen. Ausgehend von seinem alles
heilendem Demokratieverständnis belehrte er linke Grünauer
Jugendliche, die tagtäglich Angriffen verbaler und tätlicher Art
ihrer Nachbarskinder ausgesetzt sind, dass sich ihre eigene Position
nicht nur durch eine Anti-Haltung definieren darf.
Schödel ist es nicht, Strobel ist es nicht und Thierse wird es schon gar
nicht. Versteht man als Quintessenz des Buches besagten unabänderlichen
Wahnsinn der Sozialarbeit mit Nazis, stellt sich die Frage nach dem Erfolg
bisheriger linker Strategien bzw. nach der Entwicklung neuer. Der
Verstärkerkongreß bot in dieser Hinsicht wenigstens die
Möglichkeit, eine übergreifende Bestandsaufnahme durchzuführen
und in der Vergangenheit begangene Fehler zu analysieren. Letztendlich steht
aber nur eines zur Debatte, auch wenn es abgedroschen klingen mag und bereits
tausendmal gesagt worden ist: Es ist längst an der Zeit, in den
örtlichen Jugendzentren und Dorfdiscos wieder Tag für Tag
einzurücken. Wenigstens diese Notwendigkeit führt Schödels
Sehnsucht nach der Schande genauestens vor Augen.
pete
(1)Ende Oktober fand in Leipzig der Verstärkerkongress -
Kongress zu Nazidominanz, kulturelle Hegemonie und Möglichkeiten
linksradikaler und antifaschistischer Strategien statt. Am 11. Dezember
weilte der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Conne
Island, um sich über die Kritik an der akzeptierenden Jugendarbeit mit
Rechten zu informieren.
(2)Gemeint ist der Sozialarbeiter Andreas Strobel, seit 1996
verantwortlich für Jugendarbeit im berüchtigten Treff 2 des
Grünauer Kirschberghauses, mittlerweise von der Stadt Leipzig
geschaßt und in Saalfeld-Gorndorf tätig.
(3)Kursiv wiedergegebene Passagen im Original nach Schödel.
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