home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[62][<<][>>]

Chance 2 000

, 0.0k

Der Spiegel liess seinen Redakteur Reinhard Mohr mit sich selbst durchgehen, weil der behauptete, eine Analyse der deutschen Linken von heute abliefern zu können

Wer bitte schön hat es heute noch nötig, mit einer Linken abzurechnen, die eigentlich seit 1989 als endgültig geschlagen gelten kann? Nur jemand, der mal kräftig nachtreten will? Oder nur jemand, der seiner eigenen Biografie verpflichtet ist, und das Kind mit dem Bade ausschütten muss, um sich öffentlich als geläutert gerieren zu können, weil der Chef und Arbeitgeber ansonsten immer noch ein Fünkchen Verdacht schöpfen könnte?
Zweiteres trifft wohl in 90 von hundert Fällen zu. Einer dieser Neunzig – und damit keine Null – ist der gegenwärtige (seit 1995) Spiegel-Redakteur Reinhard Mohr – ein bekennender Renegat. Beim „deutschen Nachrichten-Magazin“ gehört er dem Ressort „Kultur und Gesellschaft“ an, wo „nichts Wirkliches“ bearbeitet wird und sich Mohr deshalb dort „ausgiebig um die eigene Vergangenheit kümmern“ kann (Joachim Rohloff). Und die hat es in sich: vom Sponti-Pflasterstrand über das Studiblatt diskus bis zur taz hat der Mann so alles mitgenommen, was einer, der auch schon mal die gesamten Universitäten „zerschlagen“ wollte, so mitnehmen kann.(1) Der Spiegel selbst sieht auch Erklärungsbedarf gegenüber seiner Leserschaft. Erklärend wird in der obligatorischen „Hausmitteilung“ von Seite drei zum jüngsten Glanzstück des Redakteurs Mohr ausgeführt: „Bei Journalisten, die immer wieder über ein bestimmtes Thema schreiben, gibt es meist Verknüpfungen mit der eigenen Biografie. So ist es auch kein Zufall, dass (...) Redakteur Reinhard Mohr in diesem Heft kritisch und polemisch fragt: ‘Was also ist die deutsche Linke 1999?’“ (in: Nr. 48/99). (An dieser Stelle keine Angst, die bestechende Spiegel-Logik, das wer „über ein bestimmtes Thema schreibt (...) meist Verknüpfungen mit der eigenen Biografie“ vorweisen kann, gilt nur für den Einzelfall und nicht allgemein. Wenn also zum Beispiel etwas über Insekten im Blatt steht oder über Adolf Hitler, bedeutet das nicht gleich, dass der Autor ... - naja, und so weiter. – R.) Joachim Rohloff hatte sich schon vor einigen Monaten des Ex-linken Knaben angenommen und legte dessen Intention bloss: „Wenn er die wenigen unbelehrbaren Linken aburteilt, straft er sein verblichenes Selbst, den kleinen Reinhard Mohr, und schwört zugleich, dass er’s nun endlich begriffen hat.“ So gewappnet, machen wir uns also ans Werk. Ans Werk des Reinhard Mohr: Die Linke halte „sich immer noch an den Wegweisern von gestern fest“ und der „Schlaf der Vernunft“ blockiere „die eigene Zukunft“, heisst es schon in der Unterüberschrift. Und nur ein paar Zeilen weiter geht genau diese Vernunft auch schon mit Herrn Mohr durch: „Vor zehn Jahren fiel die Berliner Mauer im Freudentaumel der Befeiung.“ Der „Befreiung“, ja, wir haben richtig gelesen. Ein Volk wurde da b-e-f-r-e-i-t. Von der Knute der Unterdrückung, die historisch nur einen Namen hat – den Westen nämlich.

Ausriss aus dem Spiegel, 14.1k

„unterwerfen“ – Spiegel vom 29.11.1999

Der acht-seitige Text ist summasummarum ein blei-wüster Haufen – eine selbstgezimmerte Konstruktion von Autoritäten und Namen, die letztlich nur zur Selbstkasteiung des Autors dienen kann – wozu sonst. Eine wirklich verblüffende Autoritätsgläubigkeit tritt da zu Tage: da steht Jürgen Elsässer neben Oskar Lafontaine, Jutta Ditfurth neben Peter Glotz u.s.f. Und alle alle sind die „deutsche Linke“. Denen will der Mohr seinen eigenen Weg der Teufelaustreibung ins Stammbuch schreiben: „Die grosse Chance von 1989, alle linken Positionen einer gründlichen Revision zu unterwerfen (merke, „zu unterwerfen“, nicht zu unterziehen! – R.), wurde nicht genutzt.“ Und weil sie da aber immer noch sind, diese Linken – wenn auch wenige – haben sie „die grosse Chance (...) nicht genutzt“. Mohr sagt es deutlich: Die Linke hat fertig. „Kurz: die Normativität des Faktischen hat auch offiziell die Herrschaft über den Zeitgeist übernommen“. Wer sich dem verweigere, könne nur unter Realitäts- und Wirklichkeitsverlust leiden. „Die Grundmelodie: Es kann nicht wahr sein, was das blosse Auge sieht.“ Die Linke als Einäugige unter Blinden, das hätte der Mohr gern. Deshalb plädiert er auch dafür, mindestens eines der beiden Äuglein mit kapitalistischem Realismus zuzukleistern: „Es ist eine fatale Kontinuität der deutschen Linken, dass sie Realismus stets für die Kapitulation vor der Idee gehalten hat, also für flagrante Selbstaufgabe – statt für die Chance.“
Die Chance 2 000 ist für Mohr der blanke Pragmatismus. Nur deshalb schafft er es, die Diktion seines Textes an Hand einer Kritik zu offenbaren: „Immer noch agiert (der linke – R.) Aberglaube, die theoretische Denunziation des schlechten Ganzen bringe sozusagen zwangsläufig das Bild jener endgültig besten aller Welten hervor, an deren Realisierung die Mehrheit der Menschen zutiefst interessiert sein müsste.“
„Die theoretische Denunziation des schlechten Ganzen“ ist die Sache des Mohr ganz bestimmt nicht mehr. Es könnte daran liegen, dass Theorie für ihn den Geruch des Denunziatorischen per se angenommen hat. Und manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlt, da kotzt genau das ihn auch mächtig an. Aber psst, es könnte ja der Chef Wind davon bekommen...
Ralf

(1)Vergleiche dazu in CEE IEH #40 den Originaltext Mohrs „Zerschlagt die Universitäten“



home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[62][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007