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„Wenn ich hier bin, da könnte ich alle erschießen“(1)

Das hessische Kaff Dudenhofen (nur zufällig ein Nachbarort von Babenhausen(2)) im Jahre 1998 – ein ganz normales deutsches Provinzstädtchen – seit 60 Jahren judenfrei. Sechzig Jahre nach der Reichspogromnacht am 9.November 1938 konfrontiert die Historikerin Soja Fiedler die Generation der Täternachfahren mit den Ereignissen von damals.
Bis zu diesen Tag lebte in Dudenhofen mit der Familie Reinhard eine einzige jüdische Familie .Am 9.11.38 wurde diese von der Bevölkerung – Hand in Hand mit der SA – verjagt, deren Haus geplündert und in Brand gesteckt. Die Dudenhofener Familie Reinhard wurde – bis auf eine Ausnahme – in den Vernichtungslagern von den Nazis umgebracht. Der damals 30-jährigen Tochter Irene gelang 1939 die Flucht vor den Nazis nach England. Mit ihr eine Liste, auf der die Namen der TäterInnen und ihre Rolle in jener Pogromnacht in Dudenhofen festgehalten waren.
Anhand dieser Liste und Materialien verschiedener Archive recherchierte Soja Fiedler – die Tochter von Irene Reinhard – mehrere Jahre und stieß dabei auf Protokolle von Vernehmungen der damaligen Dudenhofer Bevölkerung. Und wie das von 33-45 so war, war natürlich an der Vertreibung der jüdischen Familie Reinhard niemand beteiligt. Im Rodgauer Archiv, welches die Stadtgeschichte Dudenhofens beherbergt, fehlt der 9.November 38 vollends! Wen wundert es da, daß das im Volksmund „Judenhaus“ genannte Haus der Familie Reinhard im Rahmen des kollektiven Vergessens Mitte der 90er Jahre abgerissen wurde.
Der Versuch mit den Nachfahren der TäterInnen, welche auf der erhaltenen Liste benannt wurden, über die Ereignisse von damals zu reden, zeichnet ein Bild, welches sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in jedem anderen Ort in Deutschland ebenso dargestellt hätte. Eine Mauer des Schweigens tut sich auf, ein Großteil der Türen bleibt verschlossen und dort wo sie geöffnet werden, wird verdrängt, nach Ausflüchten gesucht und gelogen, was das Zeug hält.

„Das kam durch den Hitler“ (3)

Schlußendlich ist sich die Tochter der damaligen Leiterin der NS-Frauenschaft nicht zu blöd, das Telefonat im Walserschem Sinne zu beenden: „Der Terror langt mir langsam“.
In der Dokumentation beleuchtet die Historikerin anfangs die Entwicklung vor dem 9.November 38, die Stimmung im Ort, die Rolle des Bürgermeisters und der Kirche – der Pfarrer war in der NSDAP. Es gelingt ihr, ein Bild der Kontinuitäten zu zeichnen und bildet den sprichwörtlichen Apfel der nicht weit vom Stamm fällt, in Persona der Dudenhofener ab. „Die Geister der Vergangenheit“, die der heutige Pfarrer mit dem Auftauchen von Irene Reinhard und ihrer Tochter zu erkennen schien, sind in Dudenhofen allgegenwärtig und das Schlimme und Gefährliche: sehr lebendig. Ein älterer Bewohner Dudenhofens bringt prägnant auf den Punkt, wes Geistes Kind da seit jeher wohnt: „Das Schlechte, das ist unverzeihlich, ist, daß Menschen umgebracht wurden, aber (und wem bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht übel wurde kotzt jetzt)... Da war Ordnung.“ Seine Frau – Tätertochter – fügt dem hinzu, was Deutschen an dieser Stelle dachten und denken: „Da konnte man bei Tag und Nacht allein überall hin gehen ohne überfallen zu werden...“.
...außer man hieß Reinhard und war Jude.

(1) Die (verständliche) Reaktion Irene Reinhards bei ihrem Aufenthalt 1998 in Dudenhofen.
(2) In Babenhausen wurde 1997 das Haus der letzten jüdischen Familie des Ortes niedergebrannt, nachdem diese jahrelang Angriffen und Anschlägen getrotzt hatte. Die Familie Merin floh während der Nazizeit und kehrte 1953 nach Babenhausen zurück. 1993 emigriert Tony Merin in Vorausahnung der Zuspitzung („Bevor sie mit Benzinkanistern kommen, haue ich lieber ab“) in die USA.
(3) Zitat einer Dudenhofenerin aus dem Film

Freitag, 5.11.1999, 20 Uhr,
B12, Braustraße 20

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Totalverweigererprozeß, 18.8k

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Café B12, 20.2k

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last modified: 28.3.2007