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Im folgenden dokumentieren wir ein Thesenpapier der Antinationalen Gruppe Leipzig zur einer Diskussionsveranstaltung am 28.9.1999 in der Lichtwirtschaft.
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Was taugt die antideutsche Position noch?

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1. Eine Niederlage am Rande oder wie die NATO den Antinationalen/Antideutschen ihr Analysedefizit vor Augen bombte
Angesichts des Kosovokrieges zeigte sich, daß es in Deutschland nicht nur keine starke pazifistisch oder parteipolitisch orientierte Antikriegsbewegung gibt, sondern daß auch die radikale Linke kaum mehr dazu in der Lage ist, eine wahrnehmbare Kritik zu formulieren. Auch der Teil der Linksradikalen, welcher in der jüngsten Vergangenheit die deutsche Außenpolitik am schärfsten kritisiert hatte – je nach Belieben und auch im folgenden die Antinationalen oder Antideutschen genannt, bekam keine gemeinsame und treffende Analyse der Kriegsgründe zu stande und wurde demzufolge auch darüberhinaus nicht großartig aktiv.
Die Bomberpiloten der NATO und mit ihnen die deutschen Helden saßen nach getaner Arbeit schon wieder zu Hause beim Kaffee, da debatierten die Antinationalen immer noch über die wahre Ursache des Krieges. Dies mußte durchaus verwundern, denn sonst tat man sich mit halbwegs im Einklang stehenden Analysen und Statements nicht so schwer. Was war geschehen?

Mit dem militärischen Eingreifen der Nato gegen Ex-Jugoslawien trat die Schwierigkeit zu Tage, daß mit dem alleinigen Blick auf die deutsche Politik, die Welt nicht zu erklären ist. Natürlich war dies nie ausgesprochenes Ziel der Antinationalen, de facto lief es aber doch oft darauf hinaus. Jetzt wo amerikanische, britische, französische und deutsche Teamkollegen Belgrad und Novi Sad platt machten, flog dieser Lapsus auf. Heißt dies nun, daß es keine spezielle Rolle einer aggressiven deutsch-völkischen Zerschlagungspolitik gegen Jugoslawien gibt? Ging es doch nur um Bauxit, wahlweise Nickel, Erdölpipelines oder anderen materiellen Schnickschnack? Werden die Antinationalen jetzt sture Antiimperialisten, die den Kosovo-Krieg und alle folgenden Weltübel als Schnäppchenjagd international-monopolistischer Kapitalistenverbände interpretieren?

Nun, diese Angst ist, sofern sie überhaupt jemand hat, unbegründet. Aber so nach und nach schlich sich bei uns das Bewußtsein ein, daß man mit den herkömmlichen Analyseinstrumentarium ganz schön in der Bredouille steckt. Nicht zu letzt auch deshalb, weil es kaum noch Adressaten gab, die damit so nett wie früher geschreckt werden konnten. „Nie wieder Deutschland“, „Deutschland halts Maul“ etc. schreit mittlerweile auch die Antifa. Sicher an der Inbrunst ließe sich zweifeln, aber immerhin. Und sonst war außer in den eigenen Reihen weit und breit kein ernstzunehmender Gegner zu entdecken, mit dem um die richtige linke Kritik hätte gestritten werden müssen. Grund und Raum genug also, für eine Reflexion der politischen Inhalte und der politischen Praxis. Innerhalb der ANG bestand am Neuanfang zumindest der Konsens, daß die eigene Position wieder transparenter werden muß, da sonst die Gefahr besteht, daß sich die Gruppe in einen von alten Mythen umrankten Theoriezirkel verwandelt. (So hieß es zum Beispiel da und dort, unsere Gruppe arbeite an „der“ Antisemitismusbroschüre...)

2. Geschichte haben ist nicht schwer - Ein Rückblick zum Verständnis
Früher gab es das Problem mit der Transparenz nicht. Die antinationale Position war eher laut als leise. Warum Präteritum? Vielleicht ist so ein Rückblick gar nicht so schlecht, denn auch wenn heute vielen die antinationalen Statements auf Demos oder auf Flugblättern als normal gelten, so markiert die Entstehung der antinationalen Politikströmung doch eine Zäsur innerhalb der Entwicklung der radikalen Linken.
Die antinationale Linke konstituierte sich im Zuge der Wiedervereinigung. Ihre Zeitschriften hießen Bahamas, und 17o, als publizistisches Flaggschiff galt unangefochten konkret. Am Anfang stand eine für heutige Verhältnisse fast massenwirksame Demo in Frankfurt/Main unter dem Motto „Nie wieder Deutschland“, welches sozusagen das Essential der antinationalen Kritik symbolisiert: Die nationale Vergesellschaftung ist nicht nur im allgemeinen, sondern insbesondere vor dem Hintergrund des spezifisch deutschen Sonderwegs, der nach Auschwitz führte, abzulehnen. Aus dieser Zeit stammt auch die Begriffsvielfalt „antinational/antideutsch“.
Während ersterer Begriff darauf hinweist, daß nicht nur der mythische, quasi natürliche Schein der (deutschen) Nation, sondern auch die politische Organisationsnorm „Nation“ (im Allgemeinen) ideologisches Konstrukt bzw. „vorgestellte politische Gemeinschaft“ ist, betont der zweite Begriff stärker die deutsche Spezifik. Er steht für eine Betrachtung Deutschlands, die von den Erklärungsversuchen des Holocaust ausgeht. Deutschland gilt daher als besonders aggressiv/gefährlich, latent und offen antiwestlich/antizivilisatorisch. Lange Zeit wurden die Begriffe synonym verwendet und standen für eine Strömung innerhalb der schrumpfenden radikalen Linken.
Schon zeitig zeigte sich deren kontroverses Potential. Viele Linke wollten nichts von einer deutschen Spezifik hören, geschweige denn davon reden. Demgegenüber wurden lieber angeblich allgemeingülige Strukturelemente und Prozeße betont, die Gesellschaft und Politik bestimmen würden. Dies hörte sich dann ungefähr so an: Alle Nationen sind schlecht, wer nur Deutschland kritisiert ist ein Biologist und Nationalist unter anderen, linken Vorzeichen. Außerdem steckt hinter allem einzig und ganz stringent die kapitalistische Ökonomie und der Weltimperialismus.
Die Antinationalen griffen infolgedessen solche Positionen scharf an und gingen zu weilen so weit, einer Linken, die solche inhaltlichen Eingleisigkeiten und Fehler nicht lassen wollte, Tod und Teufel an den Hals zu wünschen. Sie argumentierten, daß die relativierende Einordnung des Nationalsozialismus in die Verbrechensliste des Weltimperialismus nur Ausdruck der Abwehr und Weigerung sei, sich überhaupt auf die Spezifik deutscher Politik einzulassen. Dies laufe auf einen Schutz und nicht auf die Kritik Deutschlands hinaus. Außerdem verwiesen die Antinationalen ebenso zu recht darauf, daß solche Linken auch nicht die Vernichtung der europäischen Juden durch die Deutschen erklären können, die gerade nicht auf eine ökonomische Logik zurückzuführen ist. (Spätestens mit der Goldhagendebatte wurde der Streit um die gesellschaftlichen Ursachen des Antisemitismus und des Holocaust zu einem Schwerpunkt der antinationalen Diskussion, in dessen Folge sich auch innerhalb der antinationalen Strömung verschiedenen Positionen herausbildeten.)
Aber auch aktuell politische Ereignisse, wie das deutsche Engagement auf dem Balkan und der grassierende Rassismus konnten von der nicht-antinationalen Linken kaum plausibel erklärt werden. Das traditionelle Motto der Linken „die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten“, wurde quasi für viele zu einem Schutzschild gegen die Wahrnehmung der nationalstaatlichen Realität, die hierzulande davon gekennzeichnet ist, daß die Subjekte sich in völkischer Identität mit Kapital und Staat, also mit dem „oben“ befanden/befinden. So war und ist denn auch ihr Rassismus nicht fehlgeleiteter Protest gegen „soziale Verwerfungen“, sondern Teil einer Ideologie vom natürlichen Bessersein. Mit dieser lassen sich dann auch noch die kleinsten Privilegien, z.B als deutscher Penner ungestört den Tag mit Bier und Schnaps vor einem Supermarkt zu verbringen, verteidigen.
Mit dieser Abgrenzung von der traditionellen Arbeiter/Marxismus-Linken durch die Betonung der ideologisch-historischen Stränge der deutschen Politik ging auch ein weitereres Essential antinationaler Positionen einher: Die Ablehnung des sogenannten Massenansatzes. Nach der ersten Welle pogromartiger Überfälle deutscher Rassisten auf Flüchtlinge Anfang der 90'er, bekam die Frage nach den Adressaten linker Politik auf einmal eine neue Brisanz.. So gab es autonome Antifa-Gruppen, die auf potentielle und wirkliche TäterInnen im sogenannten Volk mit dem Motto zuging „Ausländer sind die falsche Adresse, haut den Politikern auf die Fresse.“ Ursache für diese Anbiederung war der Glaube, in den rassistischen Anschlägen das aufkeimende Potential einer sozialen Bewegung gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise zu erkennen. Die Antinationalen betonten, daß dieser Populismus Täterschutz mit historischem „Vorbild“ sei. Bereits ein Fehler der KPD-Linken vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, als Teile der Kommunisten gerne auch mit dem rassistischen und antisemitischen Anhang der NSDAP gegen den bürgerlichen Staat marschiert wären. Deshalb kennzeichne die blinde Agitation der rassistischen/antisemitischen Bevölkerungsmehrheit in alter Tradition die ungebrochene Verbundenheit der Linken zu „ihrem“ Volk. Hier dazwischen zu funken, der deutschen Linken ihre Volksverbundenheit auszutreiben, das sahen die Antinationalen als ein Anliegen, welches auch wieder, in ferner unbestimmter Zukunft, den Weg für neue linke Blütenträume bereite. Da sie aber mit ihrer Kritik kein neues Subjekt, keinen neuen Adressaten für linke Politik mitlieferten, wurde ihnen ihre Spielverderberei von den Traditionslinken bitter übel genommen. Die Abkehr von früher allgemein akzeptierten Versuchen, so viel Menschen wie möglich von den eigenen Idealen zu überzeugen, unter anderem auch damit, daß man auf eine schrittweise Aufklärung setzt, die Menschen aber erstmal da abholt, wo sie stehen, sollte jedoch auch viele junge Linke verwirren. Wohin mit Wut und Protest, wenn bei diesen Deutschen doch eh alles aussichtslos erscheint? Andererseits ließ sich die Feststellung der Antinationalen, daß man bei der deutschen Masse nur auf Gehör stoßen würde, wenn das Falsche, z.B. Ausländer raus, gesagt wird, nicht einfach leugnen. Die Antinationalen kreierten aus diesem Dilemma einen Ansatz, der das vage Stufenprogramm zur Weltrevolution auf der Zeitachse unbestimmt nach hinten verschob und vorerst wenigstens irgendwie alles Bestehende negieren wollte. Dies ging soweit, generell auf Aufklärunganstrengungen verzichten zu wollen und nur noch eine Politik der Negation gutzuheißen. Der Spielraum für Lebensentwürfe, die mit solch einer Perspektive einhergingen, war gering. Als zynisches Neinchen, als kritischer Theoretiker im stillen Kämmerlein oder als hedonistischer Politpunk ließ es sich aber eine Weile lang ganz gut leben.
Zumal die alte Linke als bevorzugte Zielscheibe mit ihren Reflexen, Romantizismen und Transformationen anfangs noch wahrnehmbar ins Visier der Kritik tapste. Denken wir zum Beispiel an antisemitische Äußerungen während des Golfkriegs. Mittlerweile bräuchte es schon potemkinsche Inspirationen, um sich das antinationale Dasein mit einer verblödeten aber wirkungsmächtigen Linken zu rechtfertigen.
Vor dieser Erleuchtung lag ein anderes unerwartetes Ereignis. Die antinationale Position erfuhr auf einmal ungeahnte Unterstützung. Ein amerikanischer Politologe sollte die Deutschen von damals anpissen, daß es sich gewaschen hatten. Die Antinationalen waren sofort Feuer und Flamme und kannten wie so oft nur ein Thema. Spätestens mit dem Erscheinen von Goldhagens „Hitlers willigen Vollstreckern“ kristallisierte sich die Diskussion um die Ursachen von Auschwitz, und damit auch die Kritik am deutschen Antisemitismus im Allgemeinen und am linken Antisemitismus im Besonderens als ein eine Zeit lang bestimmender Schwerpunkt der antinationalen Agenda heraus. Zwar wurde auch schon von Beginn an von den Antinationalen auf die Kontinuitäten in der deutschen Gesellschaft hingewiesen, die Parole hieß damals, kurz nach der Wiedervereinigung, „Deutschland denken, heißt Auschwitz denken“, aber daß Auschwitz im Zentrum der Analyse der deutschen Vergangenheit und Zukunft steht, sich gleichzeitig alles Handeln darauf konzentrieren müsse, daß es nicht sich wiederhole, wurde erst ab 1996 zu wichtigen Allgemeinplätzen der antinationalen Linken.
Besonders einschneidend war die Erkenntnis, daß das bürgerliche Individuum nicht von ökonomischen Zwängen ferngesteuert wird, sondern einen persönlichen Entscheidungsspielraum hat. Die Deutschen wollten den Holocaust, sonst hätte es ihn nicht gegeben, so lehrte Goldhagen und führte die Antinationalen in eine Auseinandersetzung über die Erkenntnisfähigkeit und -möglichkeit des Subjekts in der bürgerlichen Gesellschaft. Daraus sind sie bis heute nicht mit Weisheit geschlagen herausgekommen. Auch die ANG/Leipzig sollte sich fortan der Analyse des Antisemitismus als Grundlage für das Verständnis der deutschen Gesellschaft widmen. Alles anderere fiel unter den Tisch, auf dem nun Texte von Adorno, Postone und Goldhagen (natürlich als hardcover) lagen. Fast hätten wir es auch geschafft, eine Broschüre fertigzustellen, die die Theorien des Antisemitismus und seine Ausprägungen in Deutschland nach 1945 zum Thema haben sollte. Das Werk, als Aufklärungsmittel für die Antifa-Szene gedacht, blieb bis heute unvollendet. Die Krise der Antinationalen war schneller, was bei unserer Faulheit, und in dieser Beziehung waren wir immer Zecken, nicht wundern muß.

3. Uns zu loben, das müssen wir schon selber tun. Kurz.
Die Subversion der traditionellen Linken, das Pöbeln gegen Links ist an seine Grenzen gestoßen, weil einerseits nicht mehr viele Adressaten existieren, andererseits bei den wenigen, die es noch gibt, zum Beispiel bei der Antifa, sich antinationale Standards zumindest im Parolenreservoir etabliert haben. (So findet man immerhin bei der Broschüre Konzept Antifa auch die Headline „Nie wieder Deutschland“.) Auch werden Nationen von ernstzunehmenden Linken als Konstrukte und nicht mehr als naturgegegeben angesehen. Der Massenansatz – jedenfalls in seiner vulgären M/L-Variante ist vom Tisch. Antisemitismus gilt als nicht mehr hinnehmbar – weder als Antizionismus noch als scheinbarer Antikapitalismus. Das Primat der Ökonomie bei jeglicher gesellschaftlicher Betrachtung wurde vom Sockel gestoßen, so daß dabei die Schuld- und Emanzipationsfähigekeit des Individuums innerhalb des Kapitalismus zu Tage getreten ist. Platte Antiimp-Positionen nimmt niemand mehr ernst und auch linke Revolutionsromantik wird eher belächelt als gutgeheißen. Und eine eigene Wochenzeitung haben die Antinationalen mit der Jungle World auch noch. Also eine Eins-a-Erfolgsstory. Wieso dann aber das ganze Theater hier, weshalb die Verstimmung und gegenseitiges Rumgezeter?

4. Für alle, die darauf nicht zu hoffen wagten. Antinationale Fehleranalyse. Länger.
Seit dem Kosovo-Krieg ist klar, die antinationale Linke hat ganz schön viel Dreck am Stecken. Die Kritik an der Linken verselbständigte sich und reagierte auf bestimmte Reizwörter ohne wirkliche Auseinandersetzung niederschmetternd. Die Antinationalen verloren damit nicht nur die Möglichkeit in vielen Diskussionen wirklich angehört zu werden, sie stießen damit auch vielen jungen Linken vor den Kopf. Wer eine Bank einschmiß, war schnell als platter Ökonomist enttarnt, wer den Immobilienbesitzer als Spekulant angriff, wurde ohne Differenzierung als Antisemit geoutet. An den Unterstützern von Befreiungsbewegungen ließ man kein gutes Haar. Nach Gorleben fuhren nur Ökofaschisten und schon die Erwähnung des Wortes „Kapitalismuskritik“ ließ eingefleischte Antinationale Verdacht schöpfen, hier würde unter einem Deckmantel die Zugehörigkeit zum deutschen Volke affirmiert. Nicht das die Kritik einer inhaltlichen Essenz entbehrte. Jedoch war das knallharte Dissen von Aktionen oft junger Linker, die erst am Anfang ihrer Politisierung standen und welche man mit der eigenen Flugblatt- und Kongreßpraxis nur schwer erreichen konnte, eben oft nicht von einem „Verantwortungsgefühl“ für die Linke an sich getragen. Wenn man etwas kaputt machen will, braucht man keine Samthandschuhe anziehen. Den Zugang zu Inhalten und Positionen gerade auch der antinationalen Linken hat dies sicher nicht erleichtert. In Gegenbewegung zur Traditionslinken mit ihren Zauberformeln der politischen Ökonomie, verbarrikadierten sich die Antinationalen in den neu erschlossenen Räumen der Ideologie-, Menatlitäts- und Kulturkritik. Es ist mühselig darüber zu spekulieren, bis zu welchem Punkt diese Herangehensweise ok war, fakt ist, daß sie keine Perspektive hat. Zumal die Kritik mit einer Schärfe vorgetragen wurde, die oft genug berechtigte Ablehnung von sinnlosem Meinungspluralismus mit mangelndem Respekt vorm Diskussionspartner verwechselte und in einem obskur anmutenden Strafgericht endete, in deren Folge entweder die Antinationalen nicht mehr Linke sein wollten, oder die anderen sich nicht mehr so nennen durften.
Dabei machte man doch genug eigene Fehler, die, gäbe es eine unabhängige Schiedskommission, die über den Titel „Linkssein“ wacht, dort zu Punktabzug geführt hätte. So wurde nämlich auch der deutsche Nationalismus nicht in Bezug zum Machtstaatshandeln anderer, nennen wir sie oberflächlich „imperialistischer“ Staaten, gesetzt. Zu recht betonte man den besonderen deutschen Beitrag bei der Zerschlagung Jugoslawiens, zu recht griff man platten Antiamerikanismus an, aber die teilweise Interessenidentität von Deutschland/USA/Frankreich/GB, oder das besondere Interesse der USA an einer expansiven Sicherungsstrategie, einer militärischen Flankierung außenwirtschaftlicher Interessen und einem Rüstungskeynesianismus gehört eben zu einer realistischen Erklärung des Kosovokrieges mit dazu. Weil man den hauptsächlichen Adressaten der Kritik richtigerweise im eigenen Land sah, hatte man falscherweise auch keine weiteren Ansprüche mehr an das antinationale Weltbild. Getreu der alten Weisheit, daß die Antinationalen die fünfte Kolonne der USA sind, sollten wir uns bei den Staaten bedanken, daß uns ihre Bomber auf den Lapsus der antinationalen Theoriebildung hingwiesen haben. Oder ist das jetzt schon wieder zu viel alte antinationale Zynik?

5. Vorwärts, vorwärts und nicht vergessen. (Was bleibt? Was kommt?)
Heißt das also jetzt, daß die Antinationalen flugs ihre alten Psoitionen revidieren und sich an die Spitze einer antiimperialistischen, antikapitalistischen Bewegung setzen und, wehe wer sich ihnen widersetzt, mit dem selben alten Gestus der Unfehlbarkeit alle Abweichler hinwegschmettern sollen? Schöner wäre es, wenn die Antinationalen nicht mit dem selben alten Ton, der bekanntlich die Musik macht, ihre politische Kurskorrektur formulieren würden. Und dumm wäre die Revision alter Weisheiten. Deutschland bleibt, so hieß es vor vier Jahren auf einer Konferenz der Antinationalen „das einzigste europäische Land, in dem es keinen größeren Widerstand gegen den Faschismus gab. Es ist das Land, in dem die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ihre mörderische Pflicht tat, in dem die KZs – mit Ausnahme von Buchenwald – von den Truppen der Anti-Hitler-Koalition befreit werden mußten. Es ist das Land, in dem die Nazi-Kader bis heute gut versorgt werden, in dem 50 Jahre nicht über die Verbrechen der Wehrmacht diskutiert wurde und in dem die sog. `guten Nazis' um Stauffenberg bis heute Schulkindern als Vorbilder präsentiert werden. All das haben wir schon unendlich oft gesagt, und die Frage ist, wie lange werden wir es noch sagen können, ohne uns und andere damit zu langweilen? Es ist ja so folgenlos. Die Beschäftigung mit den deutschen Verbrechen, deutscher Kapitulation und deutschem Wiederaufstieg ergibt sich eben nicht zwingend aus unserem Alltag, sondern sie ergibt sich aus bestimmten theoretischen Überlegungen, aus politischer Empörung.“
Diese Sätze sind kein bißchen falscher geworden. Im Gegenteil. Aber aus ihnen sollte man auch nicht das auschließliche Herunterleiern alter Imperative ableiten, besonders dann nicht, wenn die Macht der faktischen Politik die eigene moralische Empörung verhöhnt. Mit Auschwitz begründen die Deutschen heute ihre Kriegseinsätze. Walsers Sieg, Bubis Tod, die Deutschen nutzten beides für ihr fortwährend steigendes Selbstbewußtsein. Es ist zum Schreien, aber hoffentlich nicht zum Verzweifeln.
Denn der Ausgangspunkt in Deutschland, linke Politik nur unter antideutschen/antinationalen Vorzeichen zu denken, bleibt demnach nach wie vor richtig.
Aber damit ist man der bereits beschriebenen Sackgasse noch nicht entkommen. Mit der Abgrenzung von antinationalen Gemeinplätzen wird dies ebenso nicht geschehen. Dennoch wird dies von einem relevanten Teil der Antideutschen gefordert. Weil zum Beispiel einige Grüne den Kriegseinsatz der Bundeswehr gegen Jugoslawien mit einer oberflächlich antinationalistischen Rhetorik begründeten, soll jetzt die antideutsche Ausrichtung hervorgehoben werden. Daß diese Argumentation nicht nur die krude Kriegslegitimation, die niemals zu einer antinationalen Kritik wurde, aufwertet, wird nicht beachtet. Vielmehr hat man den Eindruck, als ginge es wieder darum, eine auschließliche Position zu formulieren. Man hat heute als Linker antideutsch, nicht antinational zu sein. Aber geht nicht beides ganz gut zusammen? Die Anerkennung der deutschen Sonderrolle, der spezifisch historischen Konstellation muß doch nicht zwangsläufig die Kritik an allgemeinen Formen der nationalstaatlichen Formierung verbauen und auch nicht verstummen lassen. Natürlich muß der Hauptfeind, gerade wie jüngst im Kriegsfall, im eigenen Land gesehen werden. Die Erwähnung eines serbischen Nationalismus ist aber ebenso richtig, beeinträchtigt sie nicht die antideutsche Gewichtung und eine daraus folgende Praxis. Im Klartext: Antinationale sollten zusammen mit serbischen Nationalisten gegen den deutschen Kriegseinsatz demonstrieren können, genauso wie es möglich sein sollte, auf der gleichen Demo, Kritik am serbischen Nationalismus zu äußern. Ähnlich verhält es sich, oder besser sollte es sich mit dem Verhältnis von Solidarität und Kritik bezüglich linker nationaler Befreiungsbewegungen verhalten. Wegen dieser Ambivalenz gleich wieder losziehen zu wollen und eben noch umarmten Freunden, die nur antinational wären, gleich wieder die Freundschaft kündigen zu wollen, reproduziert nur die alte Scheuklappenmentalität. Doch die geht schon wieder viel weiter, als lustig ist. „Antideutsche Kritik muß also kommunistische sein“, so steht es in der Bahamas. Denn Deutschland ist nicht nur im Vergleich zu anderen westlichen Staaten ein besonders unzivilisiertes, undemokratisches Land, nein es ist „Beispiel und Schrittmacher einer sich barbarisierenden Welt.“ Hinter dieser Analyse tauchen nicht nur die alten Omnipotenzphantasien mit Deutschland als bestimmenden Machtfaktor in der Welt auf, die schon bei der Erklärung des Kosovo-Krieges versagten. Gleichzeitig verbaut man das richtige Anliegen, wieder über alternative Gesellschaftsmodelle nachzudenken, und die Kritik an den herrschenden Verhältnissen grundsätzlicher zu machen, durch die Konstruktion des einzigst dafür richtigen Levels. Kommunist müsse man sein. Antideutscher Anarchist geht nicht, ist nicht mehr links, raus aus der Eisenbahn!
Da haben sie nun so oft MTV propagiert, aber selber gucken sie wahrscheinlich immer noch Videokonserven aus der DDR. Jedenfalls sind die Antideutschen nicht viel cooler geworden. Und weil sie damit ein Problem haben, blasen sie jetzt zum großen Halalie auf die sog. „Postmodernen“ bzw. „Poststrukuralisten“. Als ob die nicht schon vom konservativen Feuilleton genug die Hucke voll gekriegt hätten. Aber nein, kräftig wird das klägliche Häuflein zu einer feindlichen Konkurrenz aufgeblasen. Angeblich würden sie überall lauern und ahnungslosen Leuten die Mär von den subversiven Lebenspotentialen innerhalb der fragmentierten postindustriellen Gesellschaften ins Ohr flüstern. Kennt überhaupt jemand einen Linken, der noch vollen Ernstes auf die politische Sprengkraft von individuellen Dissidenzmodellen baut? So einen Quatsch erzählt wahrscheinlich nicht mal mehr die Spex, da schreiben die lieber gleich regierungfreundlichen Fischer-Style oder nur noch verkaufsfördernden Eso-Mist. Die Hoch-Zeit der träumerischen Subkulturguerilla und ihrer Propagandisten ist doch vorbei, das sollte man schon deshalb wissen, weil man ja mal mehr oder weniger mit dabei war. Aber muß deshalb auch jede Dekonstruktion von Herrschafts- und Machtverhältnissen, wie sie von gar nicht dummen Poststrukturalisten kam, in den Mülleimer? Braucht es wirklich den einen, ganz klaren Erklärungsansatz, ein geschlossenes Theoriemodell, um die Welt zu erklären?
Wir, die ANG, jedenfalls wollen diesen Etikettierungswahn ein bißchen abflauen lassen und sperren uns vorerst gegen dieses ständige Rumreiten auf der Identitätsnummer. (Lieber Jürgen Elsässer, liebe Bahamas, machmal geht ihr auch uns einfach ganz schön auf die Nerven.)
In der Sache liegt die antinationale Linke aber richtig, wenn sie sich jetzt auch wieder mehr den ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft zuwendet und nach ihren Auswirkungen fragt.
Hier hat sie einiges nachzuholen, denn nur mit dem Hinweis auf die Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung und dem Konstatieren der allgegenwärtigen Warenförmigkeit der menschlichen Beziehungen hat man noch nicht viel gesagt. Hier verharrt zumindestens die ANG in der Phrasenhaftigkeit linker Verbalradikalität. Wir haben nicht viel mehr als die Ahnung, daß hinter den Erscheinungen und Dingen doch mehr Kapitalismus steckt, als bisher angenommen. Sicher, Begriffe wie Kommunismus, Kapitalismuskritik etc. gegen Totalitarismusidiotie und Ignoranz zu verteidigen, ist sowieso richtig. Als Analysekriterien sind die Begriffe aber erst noch zu füllen, damit sie beim Vorhaben der Antinationalen, sich wieder stärker am Projekt der Linken zu beteiligen, auch was nützen. Bis da mehr Klarheit herrscht, sollten die Bälle Flach gehalten werden, sonst schießt man wieder weit übers Tor hinaus und ningelt rum, wenn man den Ball holen muß.
Antinationale Gruppe (ANG) Leipzig



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last modified: 28.3.2007