1. Eine Niederlage am Rande oder wie die NATO den
Antinationalen/Antideutschen ihr Analysedefizit vor Augen bombte
Angesichts des Kosovokrieges zeigte sich, daß es in Deutschland nicht nur
keine starke pazifistisch oder parteipolitisch orientierte Antikriegsbewegung
gibt, sondern daß auch die radikale Linke kaum mehr dazu in der Lage ist,
eine wahrnehmbare Kritik zu formulieren. Auch der Teil der Linksradikalen,
welcher in der jüngsten Vergangenheit die deutsche Außenpolitik am
schärfsten kritisiert hatte je nach Belieben und auch im folgenden
die Antinationalen oder Antideutschen genannt, bekam keine gemeinsame und
treffende Analyse der Kriegsgründe zu stande und wurde demzufolge auch
darüberhinaus nicht großartig aktiv.
Die Bomberpiloten der NATO und mit ihnen die deutschen Helden saßen nach
getaner Arbeit schon wieder zu Hause beim Kaffee, da debatierten die
Antinationalen immer noch über die wahre Ursache des Krieges. Dies
mußte durchaus verwundern, denn sonst tat man sich mit halbwegs im
Einklang stehenden Analysen und Statements nicht so schwer. Was war geschehen?
Mit dem militärischen Eingreifen der Nato gegen Ex-Jugoslawien trat die
Schwierigkeit zu Tage, daß mit dem alleinigen Blick auf die deutsche
Politik, die Welt nicht zu erklären ist. Natürlich war dies nie
ausgesprochenes Ziel der Antinationalen, de facto lief es aber doch oft darauf
hinaus. Jetzt wo amerikanische, britische, französische und deutsche
Teamkollegen Belgrad und Novi Sad platt machten, flog dieser Lapsus auf.
Heißt dies nun, daß es keine spezielle Rolle einer aggressiven
deutsch-völkischen Zerschlagungspolitik gegen Jugoslawien gibt? Ging es
doch nur um Bauxit, wahlweise Nickel, Erdölpipelines oder anderen
materiellen Schnickschnack? Werden die Antinationalen jetzt sture
Antiimperialisten, die den Kosovo-Krieg und alle folgenden Weltübel als
Schnäppchenjagd international-monopolistischer Kapitalistenverbände
interpretieren?
Nun, diese Angst ist, sofern sie überhaupt jemand hat, unbegründet.
Aber so nach und nach schlich sich bei uns das Bewußtsein ein, daß
man mit den herkömmlichen Analyseinstrumentarium ganz schön in der
Bredouille steckt. Nicht zu letzt auch deshalb, weil es kaum noch Adressaten
gab, die damit so nett wie früher geschreckt werden konnten. Nie
wieder Deutschland, Deutschland halts Maul etc. schreit
mittlerweile auch die Antifa. Sicher an der Inbrunst ließe sich zweifeln,
aber immerhin. Und sonst war außer in den eigenen Reihen weit und breit
kein ernstzunehmender Gegner zu entdecken, mit dem um die richtige linke Kritik
hätte gestritten werden müssen. Grund und Raum genug also, für
eine Reflexion der politischen Inhalte und der politischen Praxis. Innerhalb
der ANG bestand am Neuanfang zumindest der Konsens, daß die eigene
Position wieder transparenter werden muß, da sonst die Gefahr besteht,
daß sich die Gruppe in einen von alten Mythen umrankten Theoriezirkel
verwandelt. (So hieß es zum Beispiel da und dort, unsere Gruppe arbeite
an der Antisemitismusbroschüre...)
2. Geschichte haben ist nicht schwer - Ein Rückblick zum
Verständnis
Früher gab es das Problem mit der Transparenz nicht. Die antinationale
Position war eher laut als leise. Warum Präteritum? Vielleicht ist so ein
Rückblick gar nicht so schlecht, denn auch wenn heute vielen die
antinationalen Statements auf Demos oder auf Flugblättern als normal
gelten, so markiert die Entstehung der antinationalen Politikströmung doch
eine Zäsur innerhalb der Entwicklung der radikalen Linken.
Die antinationale Linke konstituierte sich im Zuge der Wiedervereinigung. Ihre
Zeitschriften hießen Bahamas, und 17o, als
publizistisches Flaggschiff galt unangefochten konkret. Am Anfang stand
eine für heutige Verhältnisse fast massenwirksame Demo in
Frankfurt/Main unter dem Motto Nie wieder Deutschland, welches
sozusagen das Essential der antinationalen Kritik symbolisiert: Die nationale
Vergesellschaftung ist nicht nur im allgemeinen, sondern insbesondere vor dem
Hintergrund des spezifisch deutschen Sonderwegs, der nach Auschwitz
führte, abzulehnen. Aus dieser Zeit stammt auch die Begriffsvielfalt
antinational/antideutsch.
Während ersterer Begriff darauf hinweist, daß nicht nur der
mythische, quasi natürliche Schein der (deutschen) Nation, sondern auch
die politische Organisationsnorm Nation (im Allgemeinen)
ideologisches Konstrukt bzw. vorgestellte politische Gemeinschaft
ist, betont der zweite Begriff stärker die deutsche Spezifik. Er steht
für eine Betrachtung Deutschlands, die von den Erklärungsversuchen
des Holocaust ausgeht. Deutschland gilt daher als besonders
aggressiv/gefährlich, latent und offen antiwestlich/antizivilisatorisch.
Lange Zeit wurden die Begriffe synonym verwendet und standen für eine
Strömung innerhalb der schrumpfenden radikalen Linken.
Schon zeitig zeigte sich deren kontroverses Potential. Viele Linke wollten
nichts von einer deutschen Spezifik hören, geschweige denn davon reden.
Demgegenüber wurden lieber angeblich allgemeingülige Strukturelemente
und Prozeße betont, die Gesellschaft und Politik bestimmen würden.
Dies hörte sich dann ungefähr so an: Alle Nationen sind schlecht, wer
nur Deutschland kritisiert ist ein Biologist und Nationalist unter anderen,
linken Vorzeichen. Außerdem steckt hinter allem einzig und ganz stringent
die kapitalistische Ökonomie und der Weltimperialismus.
Die Antinationalen griffen infolgedessen solche Positionen scharf an und gingen
zu weilen so weit, einer Linken, die solche inhaltlichen Eingleisigkeiten und
Fehler nicht lassen wollte, Tod und Teufel an den Hals zu wünschen. Sie
argumentierten, daß die relativierende Einordnung des Nationalsozialismus
in die Verbrechensliste des Weltimperialismus nur Ausdruck der Abwehr und
Weigerung sei, sich überhaupt auf die Spezifik deutscher Politik
einzulassen. Dies laufe auf einen Schutz und nicht auf die Kritik Deutschlands
hinaus. Außerdem verwiesen die Antinationalen ebenso zu recht darauf,
daß solche Linken auch nicht die Vernichtung der europäischen Juden
durch die Deutschen erklären können, die gerade nicht auf eine
ökonomische Logik zurückzuführen ist. (Spätestens mit der
Goldhagendebatte wurde der Streit um die gesellschaftlichen Ursachen des
Antisemitismus und des Holocaust zu einem Schwerpunkt der antinationalen
Diskussion, in dessen Folge sich auch innerhalb der antinationalen
Strömung verschiedenen Positionen herausbildeten.)
Aber auch aktuell politische Ereignisse, wie das deutsche Engagement auf dem
Balkan und der grassierende Rassismus konnten von der nicht-antinationalen
Linken kaum plausibel erklärt werden. Das traditionelle Motto der Linken
die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern
zwischen oben und unten, wurde quasi für viele zu einem Schutzschild
gegen die Wahrnehmung der nationalstaatlichen Realität, die hierzulande
davon gekennzeichnet ist, daß die Subjekte sich in völkischer
Identität mit Kapital und Staat, also mit dem oben
befanden/befinden. So war und ist denn auch ihr Rassismus nicht fehlgeleiteter
Protest gegen soziale Verwerfungen, sondern Teil einer Ideologie
vom natürlichen Bessersein. Mit dieser lassen sich dann auch noch die
kleinsten Privilegien, z.B als deutscher Penner ungestört den Tag mit Bier
und Schnaps vor einem Supermarkt zu verbringen, verteidigen.
Mit dieser Abgrenzung von der traditionellen Arbeiter/Marxismus-Linken durch
die Betonung der ideologisch-historischen Stränge der deutschen Politik
ging auch ein weitereres Essential antinationaler Positionen einher: Die
Ablehnung des sogenannten Massenansatzes. Nach der ersten Welle pogromartiger
Überfälle deutscher Rassisten auf Flüchtlinge Anfang der 90'er,
bekam die Frage nach den Adressaten linker Politik auf einmal eine neue
Brisanz.. So gab es autonome Antifa-Gruppen, die auf potentielle und wirkliche
TäterInnen im sogenannten Volk mit dem Motto zuging Ausländer
sind die falsche Adresse, haut den Politikern auf die Fresse. Ursache
für diese Anbiederung war der Glaube, in den rassistischen Anschlägen
das aufkeimende Potential einer sozialen Bewegung gegen die Auswirkungen der
kapitalistischen Krise zu erkennen. Die Antinationalen betonten, daß
dieser Populismus Täterschutz mit historischem Vorbild sei.
Bereits ein Fehler der KPD-Linken vor der Machtergreifung der
Nationalsozialisten, als Teile der Kommunisten gerne auch mit dem rassistischen
und antisemitischen Anhang der NSDAP gegen den bürgerlichen Staat
marschiert wären. Deshalb kennzeichne die blinde Agitation der
rassistischen/antisemitischen Bevölkerungsmehrheit in alter Tradition die
ungebrochene Verbundenheit der Linken zu ihrem Volk. Hier
dazwischen zu funken, der deutschen Linken ihre Volksverbundenheit
auszutreiben, das sahen die Antinationalen als ein Anliegen, welches auch
wieder, in ferner unbestimmter Zukunft, den Weg für neue linke
Blütenträume bereite. Da sie aber mit ihrer Kritik kein neues
Subjekt, keinen neuen Adressaten für linke Politik mitlieferten, wurde
ihnen ihre Spielverderberei von den Traditionslinken bitter übel genommen.
Die Abkehr von früher allgemein akzeptierten Versuchen, so viel Menschen
wie möglich von den eigenen Idealen zu überzeugen, unter anderem auch
damit, daß man auf eine schrittweise Aufklärung setzt, die Menschen
aber erstmal da abholt, wo sie stehen, sollte jedoch auch viele junge Linke
verwirren. Wohin mit Wut und Protest, wenn bei diesen Deutschen doch eh alles
aussichtslos erscheint? Andererseits ließ sich die Feststellung der
Antinationalen, daß man bei der deutschen Masse nur auf Gehör
stoßen würde, wenn das Falsche, z.B. Ausländer raus, gesagt
wird, nicht einfach leugnen. Die Antinationalen kreierten aus diesem Dilemma
einen Ansatz, der das vage Stufenprogramm zur Weltrevolution auf der Zeitachse
unbestimmt nach hinten verschob und vorerst wenigstens irgendwie alles
Bestehende negieren wollte. Dies ging soweit, generell auf
Aufklärunganstrengungen verzichten zu wollen und nur noch eine Politik der
Negation gutzuheißen. Der Spielraum für Lebensentwürfe, die mit
solch einer Perspektive einhergingen, war gering. Als zynisches Neinchen, als
kritischer Theoretiker im stillen Kämmerlein oder als hedonistischer
Politpunk ließ es sich aber eine Weile lang ganz gut leben.
Zumal die alte Linke als bevorzugte Zielscheibe mit ihren Reflexen,
Romantizismen und Transformationen anfangs noch wahrnehmbar ins Visier der
Kritik tapste. Denken wir zum Beispiel an antisemitische Äußerungen
während des Golfkriegs. Mittlerweile bräuchte es schon potemkinsche
Inspirationen, um sich das antinationale Dasein mit einer verblödeten aber
wirkungsmächtigen Linken zu rechtfertigen.
Vor dieser Erleuchtung lag ein anderes unerwartetes Ereignis. Die antinationale
Position erfuhr auf einmal ungeahnte Unterstützung. Ein amerikanischer
Politologe sollte die Deutschen von damals anpissen, daß es sich
gewaschen hatten. Die Antinationalen waren sofort Feuer und Flamme und kannten
wie so oft nur ein Thema. Spätestens mit dem Erscheinen von Goldhagens
Hitlers willigen Vollstreckern kristallisierte sich die Diskussion
um die Ursachen von Auschwitz, und damit auch die Kritik am deutschen
Antisemitismus im Allgemeinen und am linken Antisemitismus im Besonderens als
ein eine Zeit lang bestimmender Schwerpunkt der antinationalen Agenda heraus.
Zwar wurde auch schon von Beginn an von den Antinationalen auf die
Kontinuitäten in der deutschen Gesellschaft hingewiesen, die Parole
hieß damals, kurz nach der Wiedervereinigung, Deutschland denken,
heißt Auschwitz denken, aber daß Auschwitz im Zentrum der
Analyse der deutschen Vergangenheit und Zukunft steht, sich gleichzeitig alles
Handeln darauf konzentrieren müsse, daß es nicht sich wiederhole,
wurde erst ab 1996 zu wichtigen Allgemeinplätzen der antinationalen
Linken.
Besonders einschneidend war die Erkenntnis, daß das bürgerliche
Individuum nicht von ökonomischen Zwängen ferngesteuert wird, sondern
einen persönlichen Entscheidungsspielraum hat. Die Deutschen wollten den
Holocaust, sonst hätte es ihn nicht gegeben, so lehrte Goldhagen und
führte die Antinationalen in eine Auseinandersetzung über die
Erkenntnisfähigkeit und -möglichkeit des Subjekts in der
bürgerlichen Gesellschaft. Daraus sind sie bis heute nicht mit Weisheit
geschlagen herausgekommen. Auch die ANG/Leipzig sollte sich fortan der Analyse
des Antisemitismus als Grundlage für das Verständnis der deutschen
Gesellschaft widmen. Alles anderere fiel unter den Tisch, auf dem nun Texte von
Adorno, Postone und Goldhagen (natürlich als hardcover) lagen. Fast
hätten wir es auch geschafft, eine Broschüre fertigzustellen, die die
Theorien des Antisemitismus und seine Ausprägungen in Deutschland nach
1945 zum Thema haben sollte. Das Werk, als Aufklärungsmittel für die
Antifa-Szene gedacht, blieb bis heute unvollendet. Die Krise der Antinationalen
war schneller, was bei unserer Faulheit, und in dieser Beziehung waren wir
immer Zecken, nicht wundern muß.
3. Uns zu loben, das müssen wir schon selber tun. Kurz.
Die Subversion der traditionellen Linken, das Pöbeln gegen Links ist an
seine Grenzen gestoßen, weil einerseits nicht mehr viele Adressaten
existieren, andererseits bei den wenigen, die es noch gibt, zum Beispiel bei
der Antifa, sich antinationale Standards zumindest im Parolenreservoir
etabliert haben. (So findet man immerhin bei der Broschüre Konzept Antifa
auch die Headline Nie wieder Deutschland.) Auch werden Nationen von
ernstzunehmenden Linken als Konstrukte und nicht mehr als naturgegegeben
angesehen. Der Massenansatz jedenfalls in seiner vulgären
M/L-Variante ist vom Tisch. Antisemitismus gilt als nicht mehr hinnehmbar
weder als Antizionismus noch als scheinbarer Antikapitalismus. Das
Primat der Ökonomie bei jeglicher gesellschaftlicher Betrachtung wurde vom
Sockel gestoßen, so daß dabei die Schuld- und
Emanzipationsfähigekeit des Individuums innerhalb des Kapitalismus zu Tage
getreten ist. Platte Antiimp-Positionen nimmt niemand mehr ernst und auch linke
Revolutionsromantik wird eher belächelt als gutgeheißen. Und eine
eigene Wochenzeitung haben die Antinationalen mit der Jungle World auch noch.
Also eine Eins-a-Erfolgsstory. Wieso dann aber das ganze Theater hier, weshalb
die Verstimmung und gegenseitiges Rumgezeter?
4. Für alle, die darauf nicht zu hoffen wagten. Antinationale
Fehleranalyse. Länger.
Seit dem Kosovo-Krieg ist klar, die antinationale Linke hat ganz schön
viel Dreck am Stecken. Die Kritik an der Linken verselbständigte sich und
reagierte auf bestimmte Reizwörter ohne wirkliche Auseinandersetzung
niederschmetternd. Die Antinationalen verloren damit nicht nur die
Möglichkeit in vielen Diskussionen wirklich angehört zu werden, sie
stießen damit auch vielen jungen Linken vor den Kopf. Wer eine Bank
einschmiß, war schnell als platter Ökonomist enttarnt, wer den
Immobilienbesitzer als Spekulant angriff, wurde ohne Differenzierung als
Antisemit geoutet. An den Unterstützern von Befreiungsbewegungen
ließ man kein gutes Haar. Nach Gorleben fuhren nur Ökofaschisten und
schon die Erwähnung des Wortes Kapitalismuskritik ließ
eingefleischte Antinationale Verdacht schöpfen, hier würde unter
einem Deckmantel die Zugehörigkeit zum deutschen Volke affirmiert. Nicht
das die Kritik einer inhaltlichen Essenz entbehrte. Jedoch war das knallharte
Dissen von Aktionen oft junger Linker, die erst am Anfang ihrer Politisierung
standen und welche man mit der eigenen Flugblatt- und Kongreßpraxis nur
schwer erreichen konnte, eben oft nicht von einem
Verantwortungsgefühl für die Linke an sich getragen. Wenn
man etwas kaputt machen will, braucht man keine Samthandschuhe anziehen. Den
Zugang zu Inhalten und Positionen gerade auch der antinationalen Linken hat
dies sicher nicht erleichtert. In Gegenbewegung zur Traditionslinken mit ihren
Zauberformeln der politischen Ökonomie, verbarrikadierten sich die
Antinationalen in den neu erschlossenen Räumen der Ideologie-,
Menatlitäts- und Kulturkritik. Es ist mühselig darüber zu
spekulieren, bis zu welchem Punkt diese Herangehensweise ok war, fakt ist,
daß sie keine Perspektive hat. Zumal die Kritik mit einer Schärfe
vorgetragen wurde, die oft genug berechtigte Ablehnung von sinnlosem
Meinungspluralismus mit mangelndem Respekt vorm Diskussionspartner verwechselte
und in einem obskur anmutenden Strafgericht endete, in deren Folge entweder die
Antinationalen nicht mehr Linke sein wollten, oder die anderen sich nicht mehr
so nennen durften.
Dabei machte man doch genug eigene Fehler, die, gäbe es eine
unabhängige Schiedskommission, die über den Titel
Linkssein wacht, dort zu Punktabzug geführt hätte. So
wurde nämlich auch der deutsche Nationalismus nicht in Bezug zum
Machtstaatshandeln anderer, nennen wir sie oberflächlich
imperialistischer Staaten, gesetzt. Zu recht betonte man den
besonderen deutschen Beitrag bei der Zerschlagung Jugoslawiens, zu recht griff
man platten Antiamerikanismus an, aber die teilweise Interessenidentität
von Deutschland/USA/Frankreich/GB, oder das besondere Interesse der USA an
einer expansiven Sicherungsstrategie, einer militärischen Flankierung
außenwirtschaftlicher Interessen und einem Rüstungskeynesianismus
gehört eben zu einer realistischen Erklärung des Kosovokrieges mit
dazu. Weil man den hauptsächlichen Adressaten der Kritik richtigerweise im
eigenen Land sah, hatte man falscherweise auch keine weiteren Ansprüche
mehr an das antinationale Weltbild. Getreu der alten Weisheit, daß die
Antinationalen die fünfte Kolonne der USA sind, sollten wir uns bei den
Staaten bedanken, daß uns ihre Bomber auf den Lapsus der antinationalen
Theoriebildung hingwiesen haben. Oder ist das jetzt schon wieder zu viel alte
antinationale Zynik?
5. Vorwärts, vorwärts und nicht vergessen. (Was bleibt? Was
kommt?)
Heißt das also jetzt, daß die Antinationalen flugs ihre alten
Psoitionen revidieren und sich an die Spitze einer antiimperialistischen,
antikapitalistischen Bewegung setzen und, wehe wer sich ihnen widersetzt, mit
dem selben alten Gestus der Unfehlbarkeit alle Abweichler hinwegschmettern
sollen? Schöner wäre es, wenn die Antinationalen nicht mit dem selben
alten Ton, der bekanntlich die Musik macht, ihre politische Kurskorrektur
formulieren würden. Und dumm wäre die Revision alter Weisheiten.
Deutschland bleibt, so hieß es vor vier Jahren auf einer Konferenz der
Antinationalen das einzigste europäische Land, in dem es keinen
größeren Widerstand gegen den Faschismus gab. Es ist das Land, in
dem die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ihre
mörderische Pflicht tat, in dem die KZs mit Ausnahme von Buchenwald
von den Truppen der Anti-Hitler-Koalition befreit werden mußten.
Es ist das Land, in dem die Nazi-Kader bis heute gut versorgt werden, in dem 50
Jahre nicht über die Verbrechen der Wehrmacht diskutiert wurde und in dem
die sog. `guten Nazis' um Stauffenberg bis heute Schulkindern als Vorbilder
präsentiert werden. All das haben wir schon unendlich oft gesagt, und die
Frage ist, wie lange werden wir es noch sagen können, ohne uns und andere
damit zu langweilen? Es ist ja so folgenlos. Die Beschäftigung mit den
deutschen Verbrechen, deutscher Kapitulation und deutschem Wiederaufstieg
ergibt sich eben nicht zwingend aus unserem Alltag, sondern sie ergibt sich aus
bestimmten theoretischen Überlegungen, aus politischer
Empörung.
Diese Sätze sind kein bißchen falscher geworden. Im Gegenteil. Aber
aus ihnen sollte man auch nicht das auschließliche Herunterleiern alter
Imperative ableiten, besonders dann nicht, wenn die Macht der faktischen
Politik die eigene moralische Empörung verhöhnt. Mit Auschwitz
begründen die Deutschen heute ihre Kriegseinsätze. Walsers Sieg,
Bubis Tod, die Deutschen nutzten beides für ihr fortwährend
steigendes Selbstbewußtsein. Es ist zum Schreien, aber hoffentlich nicht
zum Verzweifeln.
Denn der Ausgangspunkt in Deutschland, linke Politik nur unter
antideutschen/antinationalen Vorzeichen zu denken, bleibt demnach nach wie vor
richtig.
Aber damit ist man der bereits beschriebenen Sackgasse noch nicht entkommen.
Mit der Abgrenzung von antinationalen Gemeinplätzen wird dies ebenso nicht
geschehen. Dennoch wird dies von einem relevanten Teil der Antideutschen
gefordert. Weil zum Beispiel einige Grüne den Kriegseinsatz der Bundeswehr
gegen Jugoslawien mit einer oberflächlich antinationalistischen Rhetorik
begründeten, soll jetzt die antideutsche Ausrichtung hervorgehoben werden.
Daß diese Argumentation nicht nur die krude Kriegslegitimation, die
niemals zu einer antinationalen Kritik wurde, aufwertet, wird nicht beachtet.
Vielmehr hat man den Eindruck, als ginge es wieder darum, eine
auschließliche Position zu formulieren. Man hat heute als Linker
antideutsch, nicht antinational zu sein. Aber geht nicht beides ganz gut
zusammen? Die Anerkennung der deutschen Sonderrolle, der spezifisch
historischen Konstellation muß doch nicht zwangsläufig die Kritik an
allgemeinen Formen der nationalstaatlichen Formierung verbauen und auch nicht
verstummen lassen. Natürlich muß der Hauptfeind, gerade wie
jüngst im Kriegsfall, im eigenen Land gesehen werden. Die Erwähnung
eines serbischen Nationalismus ist aber ebenso richtig, beeinträchtigt sie
nicht die antideutsche Gewichtung und eine daraus folgende Praxis. Im Klartext:
Antinationale sollten zusammen mit serbischen Nationalisten gegen den deutschen
Kriegseinsatz demonstrieren können, genauso wie es möglich sein
sollte, auf der gleichen Demo, Kritik am serbischen Nationalismus zu
äußern. Ähnlich verhält es sich, oder besser sollte es
sich mit dem Verhältnis von Solidarität und Kritik bezüglich
linker nationaler Befreiungsbewegungen verhalten. Wegen dieser Ambivalenz
gleich wieder losziehen zu wollen und eben noch umarmten Freunden, die nur
antinational wären, gleich wieder die Freundschaft kündigen zu
wollen, reproduziert nur die alte Scheuklappenmentalität. Doch die geht
schon wieder viel weiter, als lustig ist. Antideutsche Kritik muß
also kommunistische sein, so steht es in der Bahamas. Denn
Deutschland ist nicht nur im Vergleich zu anderen westlichen Staaten ein
besonders unzivilisiertes, undemokratisches Land, nein es ist Beispiel
und Schrittmacher einer sich barbarisierenden Welt. Hinter dieser
Analyse tauchen nicht nur die alten Omnipotenzphantasien mit Deutschland als
bestimmenden Machtfaktor in der Welt auf, die schon bei der Erklärung des
Kosovo-Krieges versagten. Gleichzeitig verbaut man das richtige Anliegen,
wieder über alternative Gesellschaftsmodelle nachzudenken, und die Kritik
an den herrschenden Verhältnissen grundsätzlicher zu machen, durch
die Konstruktion des einzigst dafür richtigen Levels. Kommunist müsse
man sein. Antideutscher Anarchist geht nicht, ist nicht mehr links, raus aus
der Eisenbahn!
Da haben sie nun so oft MTV propagiert, aber selber gucken sie wahrscheinlich
immer noch Videokonserven aus der DDR. Jedenfalls sind die Antideutschen nicht
viel cooler geworden. Und weil sie damit ein Problem haben, blasen sie jetzt
zum großen Halalie auf die sog. Postmodernen bzw.
Poststrukuralisten. Als ob die nicht schon vom konservativen
Feuilleton genug die Hucke voll gekriegt hätten. Aber nein, kräftig
wird das klägliche Häuflein zu einer feindlichen Konkurrenz
aufgeblasen. Angeblich würden sie überall lauern und ahnungslosen
Leuten die Mär von den subversiven Lebenspotentialen innerhalb der
fragmentierten postindustriellen Gesellschaften ins Ohr flüstern. Kennt
überhaupt jemand einen Linken, der noch vollen Ernstes auf die politische
Sprengkraft von individuellen Dissidenzmodellen baut? So einen Quatsch
erzählt wahrscheinlich nicht mal mehr die Spex, da schreiben die lieber
gleich regierungfreundlichen Fischer-Style oder nur noch
verkaufsfördernden Eso-Mist. Die Hoch-Zeit der träumerischen
Subkulturguerilla und ihrer Propagandisten ist doch vorbei, das sollte man
schon deshalb wissen, weil man ja mal mehr oder weniger mit dabei war. Aber
muß deshalb auch jede Dekonstruktion von Herrschafts- und
Machtverhältnissen, wie sie von gar nicht dummen Poststrukturalisten kam,
in den Mülleimer? Braucht es wirklich den einen, ganz klaren
Erklärungsansatz, ein geschlossenes Theoriemodell, um die Welt zu
erklären?
Wir, die ANG, jedenfalls wollen diesen Etikettierungswahn ein bißchen
abflauen lassen und sperren uns vorerst gegen dieses ständige Rumreiten
auf der Identitätsnummer. (Lieber Jürgen Elsässer, liebe
Bahamas, machmal geht ihr auch uns einfach ganz schön auf die
Nerven.)
In der Sache liegt die antinationale Linke aber richtig, wenn sie sich jetzt
auch wieder mehr den ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft zuwendet und
nach ihren Auswirkungen fragt.
Hier hat sie einiges nachzuholen, denn nur mit dem Hinweis auf die
Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung und dem Konstatieren der
allgegenwärtigen Warenförmigkeit der menschlichen Beziehungen hat man
noch nicht viel gesagt. Hier verharrt zumindestens die ANG in der
Phrasenhaftigkeit linker Verbalradikalität. Wir haben nicht viel mehr als
die Ahnung, daß hinter den Erscheinungen und Dingen doch mehr
Kapitalismus steckt, als bisher angenommen. Sicher, Begriffe wie Kommunismus,
Kapitalismuskritik etc. gegen Totalitarismusidiotie und Ignoranz zu
verteidigen, ist sowieso richtig. Als Analysekriterien sind die Begriffe aber
erst noch zu füllen, damit sie beim Vorhaben der Antinationalen, sich
wieder stärker am Projekt der Linken zu beteiligen, auch was nützen.
Bis da mehr Klarheit herrscht, sollten die Bälle Flach gehalten werden,
sonst schießt man wieder weit übers Tor hinaus und ningelt rum, wenn
man den Ball holen muß.
Antinationale Gruppe (ANG) Leipzig
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