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C. Remath/R. Schneider:

Haare auf Krawall

Jugendsubkultur in Leipzig 1980-1991

Leipzig 1999 DM 24,90

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buchtitel, 13.1k
Im Schatten der Wendefeierlichkeiten gab es doch ein interessantes Ereignis: Das Buch „Haare auf Krawall“ ist erschienen. In 27 Einzelberichten werden hier Aspekte des subkulturellen und politischen Widerstandes in Leipzig während der letzten zehn Zonenjahre und der frühen „Deutschland-einig-Vaterland“-Zeit geschildert. Ein Ankündigung für die wenigen, die es noch nicht haben. Für die anderen nur eine Kritik.

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Eine eigene Geschichte

1. Die Leipziger Jubelveranstaltungen zum zehnten Jahrestag der „Wende“ sind zur Zufriedenheit der Stadtväter ohne größere Zwischenfälle über die Bühne gegangen. Der Mythos von der friedlichen Revolution ist auf’s neue zementiert und wird auf absehbare Zeit das Geschichtswissen prägen. Die Erkenntnis, daß das Ergebnis der 89’er Ereignisse kein demokratischer Aufbruch sondern eine kapitalistische und nationalistische Restauration war, ist das Geheimwissen einer gerade nicht sehr wirkungsmächtigen Gruppe meist linksradikaler, gelegentlich alternativer Verschwörer und Vaterlandsverräter. Denen gelingt es trotz aller Mühen mitnichten, das herrschende Geschichtsbild zu kippen und trotzdem bleibt es wichtig, eine andere, eine widersprechende, eine eigene Geschichte zu schreiben. Und das nicht nur, weil der Blick zurück einiges an Erkenntnis für die heutige Zeit bringen kann. Nein, auch um sich dadurch der eigenen Identität bewußter zu werden. Das klingt für einige sicherlich nach der wohligen Wärme, die sich beim Erzählen alter Geschichten einstellt. Und darum geht es auch ein bisschen. Es gibt so etwas wie politisch notwendige Selbstbeweihräucherung.

2. Eigentlich sollte, wer einigermaßen bei Verstand ist, bei der Beobachtung der ostdeutschen Prolls kaum auf die Idee kommen, daß die vor 10 Jahren die Avantgarde einer progressiven politischen Veränderung gewesen sein sollen.
Jedoch gab es wirklich eine recht marginale Anzahl von Menschen, deren Protest gegen die Disziplinargesellschaft der DDR schon lange vor 1989 zum Ausdruck kam und auch nicht schnöden materialistischen und/oder volksgemeinschaftlichen Motiven entsprang. Bereits Mitte der Sechziger entwickelte sich in der Zone eine subkulturelle, teilweise politisierte Szene, die sich nicht nur gegen mieße Stasi- und Ostbullenschweine, sondern genauso gegen die spießige Alltagskultur im deutschen Staatsozialismus behaupten mußte. In „Haare auf Krawall“ berichten Aktivisten aus eigenem Erleben davon. Und zwar so, daß man – als biographisch ahnungsloser – meist erstaunt ist von der anderen, nicht-offiziellen Seite der Wirklichkeit und diese mit offenem Mund zur Kenntnis nimmt. Die eine oder andere Geschichte bewegt auch noch und macht das Buch damit auf jeden Fall zu einem Lesevergnügen.
Gleich am Anfang der Bericht von Ilona. Die DDR während der sechziger und siebziger Jahre ist in Bezug auf Protest- und Jugendkultur eine geschichtslose Zone, vermutet man und denkt, wenn überhaupt, höchstens an den Liedermacher Wolf Biermann. Da soll es Demos gegeben haben? Hausbesetzungen? Politische Zirkel, die Orwell's „1984“ und anarchistische Klassiker diskutierten und auch noch Flugblattaktionen planten?
Ilona weiß es wirklich, denn sie war dabei. Und sie erzählt nicht nur davon. Auch wie es anfing, wie sie in diese „subversiven“ Kreise geriet, wie sie förmlich in sie hineingeschubst wurde, obwohl sie anfangs in der Schule nur hinterfragen, diskutieren und später dann ein bißchen Abenteuer wollte, ist ein Teil ihrer Geschichte.
Im selben Atemzug zu nennen, die Erzählung von Gurke, der vom Staat in den Siebzigern das Signet eines sogenannten „Rädelsführers“ erhielt. Abgefahrene Story, würde man heute sagen. Aber eben echt. Ein Ausschnitt:
„Mit 18 Jahren, ..., mußte ich zur Armee. Da war ich erst mal 11/2 Jahre weg, und deshalb haben sie mich auch zum Militär gesteckt. Als ich die Einberufung bekam, bin ich nach Bulgarien abgehauen und dort drei Monate geblieben. Wieder zurück, haben sie mir den Ausweis weggenommen, und ich durfte das Land nicht mehr verlassen. Im nächsen Jahr war ich dann dran. Ich wollte eigentlich nie zu den Bausoldaten, weil mir das zu blöd war. Aber die haben mich einfach in dieses Bataillon 99 gesteckt, so eine Strafeinheit. Dieses Bataillon haben sie in Betrieben Sachen machen lassen, die keiner mehr gemacht hat. Wir haben in so einer Giftbude in Leuna gearbeitet. Jeder war aus den unterschiedlichsten Gründen dort, war irgendwie mal aufgefallen. Sogar die Offiziere waren strafversetzt. Letztendlich waren es aber auch alles nur Duckmäuser. Aber auch beim Militär hatte ich mit der Stasi zu tun. Die wollten mich in den Militärknast nach Schwedt sperren, wegen Befehlsverweigerung, Fahnenflucht, all so was. Das Doofe war aber, wenn du aus Schwedt zurückkommst, mußt du die Zeit nachdienen, und die Scheiße geht von vorne los. Das wird dann so ein Unendlichprozeß. Weil ich das wußte, habe ich vor meiner Verhandlung einen Suizid vorgetäuscht, und sie haben mich in die Klapse gesteckt. Für Soldaten und die niederen Chargen gab es aber keine Militärklapse, sondern nur für Offiziere. Das normale Krankenhaus hat mich dann aber rausgeschmissen, weil die mit mir überhaupt nichts anfangen konnten. Im Prinzip hatte ich es dadurch gut getroffen. Ich hatte so eine Art Narrenschein, und sie konnten mich nicht nach Schwedt stecken. Ich bin zurück zu meiner Einheit, habe nur noch rumgesessen, Stubendienst gemacht und auf meine Entlassung gewartet. Als ich zurückkam, bin ich wieder in ein besetztes Haus gezogen. ...“
Eine Ereignisverdichtung auf etwa 20 Buchzeilen, die einem schwindlig machen kann und bei weniger Understatement zweifelsohne für drei Drehbücher ausreichen würde. Sowas liest sich weg, wie nichts.
Ebenso ergeht es dem Leser bei der Knastgeschichte von Conny M. und der Geschichte von Chaos, der die Anfänge der Leipziger Punk-Szene beschreibt und natürlich beim Eintauchen in die Fussballsubkultur mit Ray, dann mit dem Bericht über die Grufties und die ersten richtigen Skins in Leipzig von Wirti, und und und. Eigentlich ist jede Auslassung ungerechtfertigt, betont doch jede einzelne der siebenundzwanzig Geschichten einen besonderen Aspekt, eine bestimmte Kultur, Sichtweise oder einen bestimmten Zeitabschnitt.

3. Das Ganze ist also ungemein spannend, handelt es sich doch hierbei um ein Stück Geschichte, von dem in der DDR und heute bezeichnenderweise auch kaum ein Mensch was wissen will.
Doch bei allem Lob lädt das Buch auch zu Fehlinterpretationen ein. Im Vorwort formulieren die Herausgeber den Anspruch ihrer Veröffentlichung als ein Ziel, an dem sie eigentlich nur vorbeischießen können. Unwidersprochen, ja löblich ist ihr Ansinnen mit den erzählten Erlebnissen zu verdeutlichen, „daß es zu jeder Zeit, an jedem Ort wichtig und möglich ist, zu seinen Überzeugungen zu stehen, Dinge zu verändern oder sich zu wehren“. Das kommt zwar politisch ziemlich vage und autonom altbacken daher, ist aber eben auch alles andere als falsch.
Falsch aber ist es, eine „klare Linie“ von dem subkulturellen, teilweise politischen Widerstand vor der Wende zur heutigen „Szene“ zu ziehen. Mag sein, daß einige, die damals in der Zone opponierten auch heute gegen die aktuellen Zustände rebellieren. Und vielleicht wurde nach 89 so manche Idee als Projekt verwirklicht, die schon Jahre davor in einigen Köpfen spukte. Aber die gesellschaftlichen Brüche lassen doch nicht ohne weiteres die Konstruktion einer generationenübergreifenden Widerstandstradition zu. Ein Fehler übrigens, der das linke Traditionsverständnis schon seit ewigen Zeiten kennzeichnet. Man wünschte sich die eigene Geschichte schon immer geradlinig wie ein Lineal. Ein Anfang und ein Ende und dazwischen nichts als Kontinuität. Genauso war es aber nie und ist es auch in diesem Fall nicht.
Die repressive Wirklichkeit der DDR war, dass zeigt das Buch, nicht gerade ein Paradies für Lebensweisen, die dem Menschenbild des Realsozialismus widersprachen. Sympathisierte man aber erst mal mit irgendeiner davon, hatte dies sofort einen politischen Touch. Die strenge Alltagsnormierung im Osten politisierte sofort jede subkulturelle Regung. Wer nicht ordentlich, dem Anschein nach fleißig, sauber, pünktlich, im gesellschaftlichen Sinne also unauffällig war, war auch schnell ein Staatsfeind. Bewußt oder unbewußt, das spielte kaum eine Rolle. Das Verrückte dabei war, daß auch das politisch eher unbewußte Dasein in subkulturellen Kreisen an den Grundfesten des Systems nagte, weil jenes sich völlig blind auf die sozialistische Moral- und Kulturvorstellung stützte.
Heute sind die Zeiten vorbei, in denen auf Schulhöfen die Kinder nur in eine Richtung dafür aber permanent zu gehen haben oder das Tragen langer Haare als subversive Tat gegen den Staat angesehen wird. Die heutige Gesellschaft schützt ihre Grundfesten Privateigentum und Herrschaft mit einem relativ weitem Bereich scheinbarer Freiheit. Dieser Bereich kennzeichnet bei allen nationalen Unterschieden und Veränderbarkeiten doch alle westlichen Demokratien und seit 1989 auch die Verhältnisse in den neuen Bundesländern. Gesellschaftliche Kontrolle funktioniert hier gerade über die Gewährung von vermeintlicher Toleranz. Wer bloß lange, oder ganz bunte, vielleicht auch extrem kurze Haare hat, und vielleicht dazu noch, ganz offen, die nun wirklich aller lauteste und verrückteste Musik dieser Welt mag, kommt trotzdem noch lange nicht mit dem Verfassungsschutz in Konflikt. Im Gegensatz zur strengen Disziplinargesellschaft der DDR erzeugt der Szene-Alltag in der BRD nicht automatisch politisches Bewußstein. Natürlich kann man auch heute noch über die Berührung mit Subkulturen politisch aktiv werden. Statt der früheren staatlich gesteuerten Zwangsläufigkeit bedarf es dazu aber heute viel häufiger bewußter Entscheidungen oder einfach einem Mehr an Sozialisationszufällen. Ab und an übernehmen auch die Nazis unbeabsichtigt das Geschäft, weil sie ähnlich wie früher der Staat, jede äußerlich abweichende Erscheinung als politisch verdächtig verfolgen. Manche Antifa-Gruppe hat deshalb weniger Nachwuchs-Sorgen als beispielsweise ein linker Zirkel, der über der Abschaffung des Kapitalismus grübelt.
Wenn es also darum gehen soll, aus den ollen Kamellen (um nicht immer Geschichte zu schreiben) eine für heute verwertbare Erkenntnis zu ziehen, dann wohl die, daß in diesen Zeiten eine „Szene“ aus sich selbst heraus viel politischer werden muß, um wirklich etwas bewegen zu können.

4. Eine Warnung sollte noch an die in dieser Stadt recht zahlreichen „89-Fanatiker“ gehen. Auch wenn die vielleicht denken, daß das Buch mit zu ihrem Feierbrimborium gehört, die irren! Vielleicht haben jene die Stelle der Einleitung des Buches gefunden, an der es heißt, man wolle mit „Haare auf Krawall“ ein Geschichtsbild in der Öffentlichkeit „abrunden“. Sicher freuen die sich darüber, denn das klingt ja ein bißchen so, als wollten nun auch die widerspänstigen Wilden aus der linken Ecke gemeinsam mit den wohlsituierten Ex-Bürgerrechtlern die Ereignisse von damals mit soviel Harmoniesoße überkippen, daß nicht mal mehr ein demokratischer Reflex als Lehre zu erkennen bleibt. Jedoch soll „Haare auf Krawall“ wohl kaum zu einer Bestätigung der herrschenden „Friede-Freude-Eierkuchen“-Mentalität dienen. Und dieser Eindruck bleibt zum Glück auch nach dem Lesen nicht zurück. Dafür sorgt schon die gewählte Zeitspanne, die eben nicht 1989 endet, sondern zwei Jahre später in der bundesdeutschen Realität. Genau dies sollte man als eine Art Programmatik verstehen, selbstverständlich zusammen mit dem Titel des Buches. frank


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last modified: 28.3.2007