Im Schatten der Wendefeierlichkeiten gab es doch ein
interessantes Ereignis: Das Buch Haare auf Krawall ist erschienen.
In 27 Einzelberichten werden hier Aspekte des subkulturellen und politischen
Widerstandes in Leipzig während der letzten zehn Zonenjahre und der
frühen Deutschland-einig-Vaterland-Zeit geschildert. Ein
Ankündigung für die wenigen, die es noch nicht haben. Für die
anderen nur eine Kritik. |
Eine eigene Geschichte
1. Die Leipziger Jubelveranstaltungen zum zehnten
Jahrestag der Wende sind zur Zufriedenheit der Stadtväter ohne
größere Zwischenfälle über die Bühne gegangen. Der
Mythos von der friedlichen Revolution ist aufs neue zementiert und wird
auf absehbare Zeit das Geschichtswissen prägen. Die Erkenntnis, daß
das Ergebnis der 89er Ereignisse kein demokratischer Aufbruch sondern
eine kapitalistische und nationalistische Restauration war, ist das
Geheimwissen einer gerade nicht sehr wirkungsmächtigen Gruppe meist
linksradikaler, gelegentlich alternativer Verschwörer und
Vaterlandsverräter. Denen gelingt es trotz aller Mühen mitnichten,
das herrschende Geschichtsbild zu kippen und trotzdem bleibt es wichtig, eine
andere, eine widersprechende, eine eigene Geschichte zu schreiben. Und das
nicht nur, weil der Blick zurück einiges an Erkenntnis für die
heutige Zeit bringen kann. Nein, auch um sich dadurch der eigenen
Identität bewußter zu werden. Das klingt für einige sicherlich
nach der wohligen Wärme, die sich beim Erzählen alter Geschichten
einstellt. Und darum geht es auch ein bisschen. Es gibt so etwas wie politisch
notwendige Selbstbeweihräucherung.
2. Eigentlich sollte, wer einigermaßen bei Verstand ist, bei der
Beobachtung der ostdeutschen Prolls kaum auf die Idee kommen, daß die vor
10 Jahren die Avantgarde einer progressiven politischen Veränderung
gewesen sein sollen.
Jedoch gab es wirklich eine recht marginale Anzahl von Menschen, deren Protest
gegen die Disziplinargesellschaft der DDR schon lange vor 1989 zum Ausdruck kam
und auch nicht schnöden materialistischen und/oder volksgemeinschaftlichen
Motiven entsprang. Bereits Mitte der Sechziger entwickelte sich in der Zone
eine subkulturelle, teilweise politisierte Szene, die sich nicht nur gegen
mieße Stasi- und Ostbullenschweine, sondern genauso gegen die
spießige Alltagskultur im deutschen Staatsozialismus behaupten
mußte. In Haare auf Krawall berichten Aktivisten aus eigenem
Erleben davon. Und zwar so, daß man als biographisch ahnungsloser
meist erstaunt ist von der anderen, nicht-offiziellen Seite der
Wirklichkeit und diese mit offenem Mund zur Kenntnis nimmt. Die eine oder
andere Geschichte bewegt auch noch und macht das Buch damit auf jeden Fall zu
einem Lesevergnügen.
Gleich am Anfang der Bericht von Ilona. Die DDR während der sechziger und
siebziger Jahre ist in Bezug auf Protest- und Jugendkultur eine geschichtslose
Zone, vermutet man und denkt, wenn überhaupt, höchstens an den
Liedermacher Wolf Biermann. Da soll es Demos gegeben haben? Hausbesetzungen?
Politische Zirkel, die Orwell's 1984 und anarchistische Klassiker
diskutierten und auch noch Flugblattaktionen planten?
Ilona weiß es wirklich, denn sie war dabei. Und sie erzählt nicht
nur davon. Auch wie es anfing, wie sie in diese subversiven Kreise
geriet, wie sie förmlich in sie hineingeschubst wurde, obwohl sie anfangs
in der Schule nur hinterfragen, diskutieren und später dann ein
bißchen Abenteuer wollte, ist ein Teil ihrer Geschichte.
Im selben Atemzug zu nennen, die Erzählung von Gurke, der vom Staat in den
Siebzigern das Signet eines sogenannten Rädelsführers
erhielt. Abgefahrene Story, würde man heute sagen. Aber eben echt. Ein
Ausschnitt:
Mit 18 Jahren, ..., mußte ich zur Armee. Da war ich erst mal 11/2
Jahre weg, und deshalb haben sie mich auch zum Militär gesteckt. Als ich
die Einberufung bekam, bin ich nach Bulgarien abgehauen und dort drei Monate
geblieben. Wieder zurück, haben sie mir den Ausweis weggenommen, und ich
durfte das Land nicht mehr verlassen. Im nächsen Jahr war ich dann dran.
Ich wollte eigentlich nie zu den Bausoldaten, weil mir das zu blöd war.
Aber die haben mich einfach in dieses Bataillon 99 gesteckt, so eine
Strafeinheit. Dieses Bataillon haben sie in Betrieben Sachen machen lassen, die
keiner mehr gemacht hat. Wir haben in so einer Giftbude in Leuna gearbeitet.
Jeder war aus den unterschiedlichsten Gründen dort, war irgendwie mal
aufgefallen. Sogar die Offiziere waren strafversetzt. Letztendlich waren es
aber auch alles nur Duckmäuser. Aber auch beim Militär hatte ich mit
der Stasi zu tun. Die wollten mich in den Militärknast nach Schwedt
sperren, wegen Befehlsverweigerung, Fahnenflucht, all so was. Das Doofe war
aber, wenn du aus Schwedt zurückkommst, mußt du die Zeit nachdienen,
und die Scheiße geht von vorne los. Das wird dann so ein
Unendlichprozeß. Weil ich das wußte, habe ich vor meiner
Verhandlung einen Suizid vorgetäuscht, und sie haben mich in die Klapse
gesteckt. Für Soldaten und die niederen Chargen gab es aber keine
Militärklapse, sondern nur für Offiziere. Das normale Krankenhaus hat
mich dann aber rausgeschmissen, weil die mit mir überhaupt nichts anfangen
konnten. Im Prinzip hatte ich es dadurch gut getroffen. Ich hatte so eine Art
Narrenschein, und sie konnten mich nicht nach Schwedt stecken. Ich bin
zurück zu meiner Einheit, habe nur noch rumgesessen, Stubendienst gemacht
und auf meine Entlassung gewartet. Als ich zurückkam, bin ich wieder in
ein besetztes Haus gezogen. ...
Eine Ereignisverdichtung auf etwa 20 Buchzeilen, die einem schwindlig machen
kann und bei weniger Understatement zweifelsohne für drei Drehbücher
ausreichen würde. Sowas liest sich weg, wie nichts.
Ebenso ergeht es dem Leser bei der Knastgeschichte von Conny M. und der
Geschichte von Chaos, der die Anfänge der Leipziger Punk-Szene beschreibt
und natürlich beim Eintauchen in die Fussballsubkultur mit Ray, dann mit
dem Bericht über die Grufties und die ersten richtigen Skins in Leipzig
von Wirti, und und und. Eigentlich ist jede Auslassung ungerechtfertigt, betont
doch jede einzelne der siebenundzwanzig Geschichten einen besonderen Aspekt,
eine bestimmte Kultur, Sichtweise oder einen bestimmten Zeitabschnitt.
3. Das Ganze ist also ungemein spannend, handelt es sich doch hierbei um
ein Stück Geschichte, von dem in der DDR und heute bezeichnenderweise auch
kaum ein Mensch was wissen will.
Doch bei allem Lob lädt das Buch auch zu Fehlinterpretationen ein. Im
Vorwort formulieren die Herausgeber den Anspruch ihrer Veröffentlichung
als ein Ziel, an dem sie eigentlich nur vorbeischießen können.
Unwidersprochen, ja löblich ist ihr Ansinnen mit den erzählten
Erlebnissen zu verdeutlichen, daß es zu jeder Zeit, an jedem Ort
wichtig und möglich ist, zu seinen Überzeugungen zu stehen, Dinge zu
verändern oder sich zu wehren. Das kommt zwar politisch ziemlich
vage und autonom altbacken daher, ist aber eben auch alles andere als falsch.
Falsch aber ist es, eine klare Linie von dem subkulturellen,
teilweise politischen Widerstand vor der Wende zur heutigen Szene
zu ziehen. Mag sein, daß einige, die damals in der Zone opponierten auch
heute gegen die aktuellen Zustände rebellieren. Und vielleicht wurde nach
89 so manche Idee als Projekt verwirklicht, die schon Jahre davor in einigen
Köpfen spukte. Aber die gesellschaftlichen Brüche lassen doch nicht
ohne weiteres die Konstruktion einer generationenübergreifenden
Widerstandstradition zu. Ein Fehler übrigens, der das linke
Traditionsverständnis schon seit ewigen Zeiten kennzeichnet. Man
wünschte sich die eigene Geschichte schon immer geradlinig wie ein Lineal.
Ein Anfang und ein Ende und dazwischen nichts als Kontinuität. Genauso war
es aber nie und ist es auch in diesem Fall nicht.
Die repressive Wirklichkeit der DDR war, dass zeigt das Buch, nicht gerade ein
Paradies für Lebensweisen, die dem Menschenbild des Realsozialismus
widersprachen. Sympathisierte man aber erst mal mit irgendeiner davon, hatte
dies sofort einen politischen Touch. Die strenge Alltagsnormierung im Osten
politisierte sofort jede subkulturelle Regung. Wer nicht ordentlich, dem
Anschein nach fleißig, sauber, pünktlich, im gesellschaftlichen
Sinne also unauffällig war, war auch schnell ein Staatsfeind. Bewußt
oder unbewußt, das spielte kaum eine Rolle. Das Verrückte dabei war,
daß auch das politisch eher unbewußte Dasein in subkulturellen
Kreisen an den Grundfesten des Systems nagte, weil jenes sich völlig blind
auf die sozialistische Moral- und Kulturvorstellung stützte.
Heute sind die Zeiten vorbei, in denen auf Schulhöfen die Kinder nur in
eine Richtung dafür aber permanent zu gehen haben oder das Tragen langer
Haare als subversive Tat gegen den Staat angesehen wird. Die heutige
Gesellschaft schützt ihre Grundfesten Privateigentum und Herrschaft mit
einem relativ weitem Bereich scheinbarer Freiheit. Dieser Bereich kennzeichnet
bei allen nationalen Unterschieden und Veränderbarkeiten doch alle
westlichen Demokratien und seit 1989 auch die Verhältnisse in den neuen
Bundesländern. Gesellschaftliche Kontrolle funktioniert hier gerade
über die Gewährung von vermeintlicher Toleranz. Wer bloß lange,
oder ganz bunte, vielleicht auch extrem kurze Haare hat, und vielleicht dazu
noch, ganz offen, die nun wirklich aller lauteste und verrückteste Musik
dieser Welt mag, kommt trotzdem noch lange nicht mit dem Verfassungsschutz in
Konflikt. Im Gegensatz zur strengen Disziplinargesellschaft der DDR erzeugt der
Szene-Alltag in der BRD nicht automatisch politisches Bewußstein.
Natürlich kann man auch heute noch über die Berührung mit
Subkulturen politisch aktiv werden. Statt der früheren staatlich
gesteuerten Zwangsläufigkeit bedarf es dazu aber heute viel häufiger
bewußter Entscheidungen oder einfach einem Mehr an
Sozialisationszufällen. Ab und an übernehmen auch die Nazis
unbeabsichtigt das Geschäft, weil sie ähnlich wie früher der
Staat, jede äußerlich abweichende Erscheinung als politisch
verdächtig verfolgen. Manche Antifa-Gruppe hat deshalb weniger
Nachwuchs-Sorgen als beispielsweise ein linker Zirkel, der über der
Abschaffung des Kapitalismus grübelt.
Wenn es also darum gehen soll, aus den ollen Kamellen (um nicht immer
Geschichte zu schreiben) eine für heute verwertbare Erkenntnis zu ziehen,
dann wohl die, daß in diesen Zeiten eine Szene aus sich
selbst heraus viel politischer werden muß, um wirklich etwas bewegen zu
können.
4. Eine Warnung sollte noch an die in dieser Stadt recht zahlreichen
89-Fanatiker gehen. Auch wenn die vielleicht denken, daß das
Buch mit zu ihrem Feierbrimborium gehört, die irren! Vielleicht haben jene
die Stelle der Einleitung des Buches gefunden, an der es heißt, man wolle
mit Haare auf Krawall ein Geschichtsbild in der Öffentlichkeit
abrunden. Sicher freuen die sich darüber, denn das klingt ja
ein bißchen so, als wollten nun auch die widerspänstigen Wilden aus
der linken Ecke gemeinsam mit den wohlsituierten Ex-Bürgerrechtlern die
Ereignisse von damals mit soviel Harmoniesoße überkippen, daß
nicht mal mehr ein demokratischer Reflex als Lehre zu erkennen bleibt. Jedoch
soll Haare auf Krawall wohl kaum zu einer Bestätigung der
herrschenden Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität dienen. Und
dieser Eindruck bleibt zum Glück auch nach dem Lesen nicht zurück.
Dafür sorgt schon die gewählte Zeitspanne, die eben nicht 1989 endet,
sondern zwei Jahre später in der bundesdeutschen Realität. Genau dies
sollte man als eine Art Programmatik verstehen, selbstverständlich
zusammen mit dem Titel des Buches. frank
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