Aber ein Klischee von ihm existiert nicht nur in meinem Kopf. Der
männliche sieht äußerlich so aus, als wurde er von seinen
Eltern zu einer veganen Lebensweise gezwungen und ihm gleichzeitig jede
sportliche Betätigung verboten. So hat sich ein wenig der Babyspeck bis
ins hohe Alter von 18 bis 22 Jahren gehalten. Der weibliche Fan zeichnet sich
dadurch aus, daß er noch nie schlechtes auf dieser Welt erlebt zu haben
scheint außer, daß der Freund mit ihr Schluß gemacht
hat, und zwar schon nach 14 lebenslangen Tagen.
Kleidungsmäßig darf von beiden Idealtypen nichts ladenneues getragen
werden, weil in den verkaufsfrischen Klamotten noch kein abgetragener
Weltenschmerz sich verfangen hat. Und außerdem läßt sich mit
den zweite Hand-Klamotten besser am Lagerfeuer rumlungern und das gesparte Geld
für neue Kleiderei in wunderschöne Holzklampfen investieren
der eigenen Romantik-Verliebtheit und Selbstfindung wegen.
Der Fan von Tocotronic pflegt ein ungeklärtes Verhältnis zur
Autorität. Er lehnt sie ab, weil er sie im Alltag übersieht
und sie ihn in aller Regel auch. Bei Toco-Konzerten aber treffen beide
aufeinander. Die Autorität in Form der Einlaßkräfte oder
Security und die Tocotronic-Fluffe im Tiefenrausch mit sich selbst. Wie
ferngesteuert offenbart sich der Toco-Fan als treue untertänige Seele.
Aufgefordert vom Ordnerdienst, nicht dies und auch nicht das zu tun, nicht dort
rumzustehen, zu -sitzen oder zu -liegen und so weiter und so fort,
verliert sich jede Regung vom Anders-Sein im autoritären Charakter des
idealtypischen Fans: Der Fan macht ohne Umschweife das, was ihm geheißen.
Er murrt nicht, pöbelt nicht und tickt schon gar nicht aus.
Es kommt nun unausweichlich die Frage, was die Toco-Fans denn eigentlich
wollen. Nur-so-da-sein-für-die-Band? Fürs Rum-Geningel?
Für Nischt? Am Ende weiß mans nicht.
Das einigende Band von Band und Anhängerschaft ist wohl das
Fast-Überfordertsein vom alltäglichen Leben. Darum ging es Tocotronic
jahrelang. Und das besangen sie nicht nur, sondern so sind die Drei von der
Band auch. Dumm waren sie nie, schreibt Drehli Robnik im Beiheft
zum neuen Produkt K.O.O.K., und ihre Klugheit wurde oft
unterschätzt (...). Sie bestand nicht zuletzt darin, daß
Tocotronic in ihren Texten den Haß auf den Alltag zelebrierten. Jenen
Haß, der sich mentalitätsbedingt als mutmaßlich für den
Ellenbogen-Kapitalismus nicht gemacht aufstaut. Die markenhaften
Haß-Songs, so besagter Drehli Robnik weiter, machten jedoch auf
K.O.O.K. einer neuen Seltsamkeit Platz, die
eine neue umfassende Ohnmacht konstatiert nachdrücklicher als
die vorigen Platten und gerade darin politisch. Laut Robnik stellte diese
Einsicht in die Ohnmacht im Kontrollkapitalismus (...) zumindest die
Machtfrage. Und das sei nicht wenig. Damit hat er Recht.
Allerdings nur, wenn ich den Maßstab eben nicht bei den Mentoren
Tocotronics wie Jochen Distelmeyer von Blumfeld anlege,
sondern an
Kosumentenmassen von groß-größer-am größten
Musikfestivals. Nicht zuletzt haben die Tocos selbst ihre eigenen
Maßstäbe gesetzt. Das Ding mit der VIVA-Preisverweigerung, wo sie
als beste National-Band mißbraucht werden sollten, wirkt
schließlich fort. Aber vergessen werden darf nicht, daß gerade aus
solchen Schlapppen für die Mediengiganten genau jene die Lehren gezogen
haben: Inzwischen gibt es VIVA 2 zu einem großen Stück als TV-Format
für die Käufer- und Hörerschicht (auch) von Tocotronic-Zeugs.
Und alle Welt denkt, dieser Sender da sei korrekt, weil er die gute
und bessere Musik spielen würde. Dabei ist er nichts weiter
als eine Produkt der Marktentwicklung. Das Zielgruppen-Segment Alternative
bringt spätestens seit dem Mord an Kurt Cobain so viel Profit, daß
es sich bei weitem lohnt, der Zielgruppe inzwischen einen ganzen TV-Kanal vor
die Augen, Ohren und Portemonaies zu setzen. Die Frage ist, ob Tocotronic in
der Single Let there be Rock genau diese Veränderung meinen,
wenn sie da singen: Die Ausbeutung des Menschen erreicht eine neue
Qualität.
Drehli Robnik schreibt abschließend: Bei Tocotronic funktioniert
Philosophie ohne genialische Würden und Autorität von Weisheit, als
Teil eines Universums aus Rockpop und warmem Bier. Ich bin mir da nicht
so sicher, ob sich vielleicht am Ende die Band-Philosophie nicht viel mehr um
Rockpop und warmes Bier dreht, denn um den beschissenen
kapitalistischen Weltenlauf und sei es eben gerade nur der des Alltags
mit all seinen materiellen und anderen Sachzwängen. Ralf
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