Neuss vorbei. Was steht im Sommer so an. Da ihr sicher alle in den Urlaub
fahrt, hier die ultimativen Reisetips für radikal reisen.(1)
NabelschauIn den letzten Ausgaben haben wir ausführlich die Geschichte
der Abschiebehaft, aktuelle bundesweite Entwicklungen, die spezifische
Situation in Sachsen und den einzigen reinen Frauenabschiebeknast in Neuss beschrieben.(2)
Wir erinnern uns: Abschiebehaft war eine bayerische Erfindung, 1920.
Auslöser waren die antisemitischen Diskussionen in der Bevölkerung,
den Medien und der Regierung in Folge der Novemberrevolution 1918. Ergebnis war
die juristische Fixierung des Instruments der Abschiebehaft im Fremdengesetz
und die Einrichtung eines Abschiebelagers für 600 OstjüdInnen,
welches jedoch einige Jahre später wieder aufgelöst wurde. Der
Abschiebehaftparagraph hatte jedoch Bestand durch die Jahrzehnte hinweg. Es gab
ihn im Dritten Reich, unverändert dann bis 1965, und seit der
friedlichen Revolution in Leipzig 1989 wird er fast alljährlich verschärft.
Und da am deutschen Wesen bekanntermaßen die Welt genesen soll,
ist Abschiebehaft zum Exportschlager geworden. Indirekt in den
westeuropäischen Ländern und direkt in den osteuropäischen.
Indirekt heißt, daß einige westeuropäische Länder sich
freiwillig in punkto rassistischer Anti-Flüchtlings-Gesetzgebung viel von
Deutschland, dem großen Vorbild auf diesem Gebiet, abgeguckt haben. Die
anderen gerieten alle früher oder später in Zugzwang, sei es
innerhalb der Europäischen Union und durch die Schengen-Verträge, sei
es durch direkten Druck aus Deutschland oder weil sie glaubten,
überschwemmt zu werden, wenn sie sich nicht ebenso abschotten wie die anderen.
Die Machtmechanismen innerhalb der EU sind nicht auf den ersten Blick sicht-
und durchschaubar. Diese oben beschriebene Entwicklung läßt sich
aber auch u.a. daran ablesen, daß in keinem (uns bekannten)
europäischen Land Abschiebehaft schon so lange existiert, in diesem Umfang
und so restriktiv gehandhabt wird wie in der BRD.
Der deutsche und westeuropäische Einfluß wirkt dagegen in Osteuropa
viel direkter. Die einzelnen Länder Osteuropas wurden gezwungen,
erpreßt und bestochen, an der Festung Europa mitzubauen. Druck- und
Lockmittel waren finanzielle und Wirtschafthilfe, das Versprechen, in die EU
oder NATO aufgenommen zu werden, oder die Drohung, dies zu verhindern. Alle
osteuropäischen Staaten haben sich diesem Diktat mehr oder weniger
gebeugt, so daß es inzwischen dort überall Abschiebeknäste
gibt. Dieser Prozeß ging aber nicht so glatt vonstatten wie im Westen und
da meist gesetzliche Instrumentarien gar nicht existieren, ist ein rechtsfreier
Raum auf dem Gebiet der AusländerInnenpolitik entstanden, der dazu
geführt hat, daß die Bedingungen in Abschiebehaft schlimmer als im
Westen sind. Dies ist ein Punkt, wo der Westen mal wieder seine
Überlegenheit beweisen kann, wenn er den verrückten Despoten
beibringen wird, daß auch die Abschiebehaft demokratisch abgesichert sein
muß - im Moment ist es aber so für alle die beste Lösung: Die
Drecksarbeit erledigen die Vorposten der Festung Europa, während im
Zentrum alles ganz human zugeht. Diese Art von
Abschiebe-Humanismus(3) kann sich Kerneuropa leisten, weil
sowieso nicht mehr so viele Flüchtlinge hier her kommen, sondern schon eher hängen bleiben.
- Zürich, Schweiz
- Nur der systematische Abbau der Menge der hier
anwesenden Illegalen kann zum Erfolg führen. Voraussetzung allerdings ist,
daß die Polizei noch über längere Zeit mit starken Kräften
in der Stadt Zürich präsent ist, Illegale verhaftet und ausschafft.
Pressemitteilung des Polizeikommandos Zürich über die Aktion Paukenschlag
Im Februar 1995 begann die Züricher Polizei mit der Aktion
Paukenschlag, der Räumung der offenen Drogenszene. Durch die
gekonnte mediale Verknüpfung der Begriffe Ausländer und
Drogendealer konnte die Polizei die Aktion Paukenschlag
für Razzien gegen Illegale nutzen. Extra dafür wurde das
Ausländerrecht geändert und das Propog, das
Provosorische Polizeigefängnis in Zürich eingerichtet. In
dieser Kaserne werden zwischen 120 und 150 Abschiebehäftlinge, im dortigen
Sprachgebrauch Ausschaffungshäftlinge genannt, interniert. In anderen
Städten wurden ebenfalls Gefängnisse eingerichtet, insgesamt gab es 1995 1.100 Abschiebegefangene.
Die Haftbedingungen waren (und sind? - überzeugt Euch selbst bei einem
Besuch!) sehr schlecht: Es durften keine Briefe geschrieben und nicht
telefoniert werden; der Hofgang findet nur aller paar Tage für wenige
Minuten statt. Manchmal werden dabei die Häftlinge zu dritt aneinander
gekettet oder es wird ein Redeverbot verhängt. Es gibt nur eine
medizinische Routineuntersuchung, die 30 Sekunden dauert, Notfallbehandlungen
werden nicht geleistet. Zum Zeitvertreib erhalten die Flüchtlinge
Werbehefte, damit sie sehen, was der goldene Westen so alles zu bieten hat.(4)
Bis 1995 konnten 30 Tage Abschiebehaft verhängt werden; dies wurde auf
3 Monate verlängert, die wiederum in Ausnahmefällen um weitere 6
Monate ausgeweitet werden können. - Lavrion, Griechenland
- Im Abschiebecamp von Lavrion, einer ehemaligen Kaserne, sind
komplette Familien in einem Zimmer untergebracht, getrennt nur durch alte
aufgespannte Tüchern, um die Intimsphäre zu
wahren.(5)
- Flughafen Otopeni, Bukarest, Rumänien
- Ich hatte einen Transit, und sie steckten mich [in der
BRD] ins Gefängnis, weil ich ohne Visum nach Deutschland gekommen bin. Ich
sagte denen, daß ich Asyl brauche, sie haben mir aber kein Asyl gegeben.
[...] Aber wir haben in meinem Land [in Afrika] gegen die Regierung
demonstriert, das ist das Problem. Zurückkehren wäre für mich
unmittelbar eine Gefahr. Trotzdem haben sie mich in Deutschland nicht
akzeptiert. Nachdem sie mich dort [in der BRD] zehn Monate eingesperrt hatten,
brachten sie mich zurück hierher nach Rumänien. Für die
rumänische Regierung ist es sehr schlecht, daß sie das akzeptiert.
Das ist doch nicht deren Problem, sondern ein deutsches Problem, zwischen mir
und Deutschland. Wie kann Deutschland sagen, daß jemand, der ein Jahr
dort festgehalten wurde, nun hierher zurück muß, daß
Rumänien den annehmen muß. Die deutsche Regierung hat mich hierher
geschickt, sie haben gesagt, daß sie mich nach Afrika bringen wollten.
Ein afrikanischer Abschiebehäftling im Abschiebeknast Otopeni
gegenüber einem Mitarbeiter von FFM (Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Berlin)
Seit November 1994 gibt es auf dem Bukarester Flughafen ein
irreguläres und illegales Abschiebegefängnis, welches in aller Stille
eingerichtet wurde. Die Einrichtung des Gefängnisses ist eine direkte
Folge deutscher Politik. Im deutschen Ausländergesetz ist festgeschrieben,
daß alle Beförderungsunternehmen (Fluggesellschaften,
Busunternehmen, Fährbetriebe usw.) AusländerInnen auf eigene Kosten
zurückschieben müssen, wenn sie bei der Einreise keine entsprechenden
Papiere (meist ein Visum) vorweisen können. D.h. die
Beförderungsunternehmen sind dazu verpflichtet eine Art vorgelagerte
Grenzkontrolle schon in dem Herkunftsland durchzuführen. Dies
verstößt natürlich gegen die Genfer Flüchtlingskonvention,
da private Unternehmen z.B. keine Asylanträge annehmen und bearbeiten
können und deshalb im Zweifelsfall alle AusländerInnen abweisen
werden, die keine gültigen Dokumente dabei haben. Andererseits kann die
rumänische Fluggesellschaft z.B. gefälschte Papiere nicht so
professionell entdecken, wie der deutsche Bundesgrenzschutz. Deshalb war die
rumänische Fluggesellschaft TAROM regelmäßig dazu gezwungen,
unerwünschte AusländerInnen, die mit ihr nach Deutschland geflogen
waren, wieder zurückzunehmen. Und das obwohl sich Rumänien immer
geweigert hat, mit der BRD ein Rückübernahmeabkommen
abzuschließen, welches DrittausländerInnen, d.h.
Nicht-RumänInnen, einschließt. Doch wohin mit den Flüchtlingen
aus der BRD. TAROM war also gezwungen eine Lösung zu finden, die es im
Flughafengebäude fand. Zwei Räume und ein Flur wurde mit deutscher
Hilfe und Technik(6) umgebaut: Diese wurde mit unzähligen
Doppelstockbetten vollgestellt; es gibt keine getrennten Räume für Männer und Frauen.
Verwaltet wird der Abschiebeknast von der Grenzpolizei, versorgt werden die
Flüchtlinge von der Fluglinie TAROM, da die Behörden kein Geld
dafür haben. Es gibt keine medizinische Betreuung, die Häftlinge
leiden an Bewegungsarmut, den Mißhandlungen durch die PolizistInnen und
dem unregelmäßigen Tagesablauf, Essen gibt meist erst gegen Mitternacht.
Die Flüchtlinge, die z.T. auch in Rumänien aufgegriffen wurden,
kommen ohne richterlichen Beschluß in Haft. Ihnen wird keine
Möglichkeit eingräumt, einen Asylantrag zu stellen. Die Haft
juristisch anzufechten, ist nicht möglich. Die Haftdauer ist praktisch
unbegrenzt - einige sitzen bis zu 6 Monaten auf dem Flughafen fest.
1995 wurde ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der den Vollzug der
Abschiebehaft legalisieren soll. Es sah eine 30tägige Abschiebehaft vor.
In Rumänien existiert jedoch schon lange eine de facto Abschiebehaft.
Illegale Flüchtlinge können im Land oder an der Grenze von der Grenz-
oder Paßpolizei verhaftet und monatelang festgehalten werden.
Schätzungen gehen von mindestens 10.000 Flüchtlingen aus, die in
rumänischer Polizeihaft auf ihre Abschiebung warten.(7)
- Kistarcsa bei Budapest, Györ an der Grenze zu Österreich, Ungarn
- Vor 1945 saßen hier die Kommunisten ein, und nach
1945 die Antikommunisten. [...] Da waren nur politische Häftlinge, denn in
Ungarn hatten wir kein Auschwitz
Oberst Nagy Istuan, Leiter Abschiehaftanstalt in Kistarcsa
Daß entgegen den Aussagen des Oberst der ungarischen Polizei in
Kistarcsa sehr wohl tausende Juden und Jüdinnen interniert und nach
Auschwitz deportiert wurden, wurde dem späteren Abschiebeknast auf dem
gleichen Gelände zum Verhängnis: Er mußte im August 1995
aufgelöst werden. Ein dunkler Punkt in der Geschichte hat dazu
geführt, erklärt der Oberst Istuan.
Es war bis dahin das größte Abschiebelager in Europa. Innerhalb
der fünf Jahre seines Bestehens wurden hier 20.000 Flüchtlinge
inhaftiert. Die Gefangenen durften das Lager auch verlassen, mußten
jedoch jeden Abend wieder zurückkommen. Ansonsten wurden sie von der
Polizei verhaftet und in ein richtiges Gefängnis gesteckt. Die meisten
Flüchtlinge nutzten diese Möglichkeit nicht, da ihr Geld nicht einmal
reichte, um bis nach Budapest zu fahren. Briefkontakt war dagegen verboten; das
Essen bestand aus Brei, Brot und Suppe. Die Haft war gesetzlich auf
6 Tage beschränkt, in der Praxis dauerte sie aber regelmäßig mehrere Monate.
60% der im Lager Festgehaltenen wurden bei Kontrollen der ungarischen
Polizei aufgegriffen. Die Auflösung des Lagers bedeutete jedoch keine
Verbesserung der Situation für die Flüchtlinge. Die meisten wurden
abgeschoben, die anderen auf die neu eingerichteten Lager auf
Militärgelände verteilt. Die neuen Lager befinden sich hunderte
Kilometer voneinander entfernt, d.h. die Menschenrechtsorganisationen, die die
Flüchtlinge betreut haben, können sie aufgrund der hohen Reisekosten
und der erschwerten Besuchsgenehmigungen nicht mehr besuchen. Die
Abschiebehäftlinge werden auseinandergerissen, so daß sie sich nicht
mehr austauschen, organisieren und wehren können. Zur Bewachung werden in
den neuen Lagern nicht mehr PolizistInnen eingesetzt, sondern
GrenzschützerInnen, Berufssoldaten und Wehrpflichtige.(8)
Eines der neuen Lager ist das Community Shelter in Györ an der
Grenze zu Österreich. In der ehemaligen Kaserne wurde ein Abschiebelager
mit Gittern und Stacheldraht eingerichtet, in dem die Flüchtlinge bis zu
11/2 Jahre eingesperrt werden. Das Lager existiert seit 1994, seitdem waren
15.000 Leute dort. Es ist ein offenes Lager, das Haftregime lautet
Aufsicht statt Bewachung, d.h. die Flüchtlinge dürfen es
tagsüber verlassen. Wer abends nicht da ist, wird von der Polizei gesucht
und kommt in ein richtiges Gefängnis. Trotzdem haut die Hälfte ab.
Wer nicht unerkannt über die Grenze kommt, hat Pech: Für
Abschiebehaft in den Gefängnissen gibt es keine zeitliche Beschränkung.(9)
- Oxford, London, Harmondsworth, Pentonville und Ashford, Großbritannien
- 1991 trat der Immigration Detention Act in Kraft.
Flüchtlinge, die aus Ländern kommen, zu denen Großbritannien
gute Beziehungen unterhält, werden schon während des Asylverfahrens
in Haft genommen, um die Beziehungen nicht aufs Spiel zu setzen. Auch
TouristInnen können inhaftiert werden, wenn die Behörde glaubt,
daß sie sich im Land niederlassen wollen. Die Abschiebehaft ist zeitlich nicht beschränkt.
Anfänglich wurden die Abschiebehäftlinge auf einem Schiff
untergebracht. Später wurde bei Oxford ein Abschiebeknast für 300
Personen eröffnet und in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow
einer für 200 Personen. Die Untersuchungsgefängnisse von Pentonville
und Ashford stellen zusätzlich je 100 Abschiebehaftplätze. Frauen und
Kinder kommen in das Frauengefängnis Holloway in London.
In den Untersuchungshaftanstalten sind die Bedinungen am schlimmsten. Die
Gefängnisse sind so überfüllt, daß drei Flüchtlinge
in einer Ein-Personen-Zelle auf der Erde oder auf Tischen schlafen müssen.
Es gibt keine sanitären Anlagen in den Zellen, nur ein Fäkalieneimer,
der einmal am Tag geleert wird. Hofgang ist nur eine Stunde am Tag, den Rest
müssen sie in der Zelle verbringen. Medizinische Versorgung gibt es nicht,
gegen Malaria oder innere Blutungen wird nur das Schmerzmittel Paracetamol
verabreicht. Aufsässige Gefangene werden als psychisch krank
eingestuft und mit Psychopharmaka ruhiggestellt.(10)
- Gefängnisse in der Ukraine
- Aufgrund von Geldmangel und fehlenden adminstrativen
Strukturen gibt es in der Ukraine keine koordinierte Abschiebepolitik und keine
Abschiebeknäste. Jedoch wird gegen illegale Flüchtlinge völlig
willkürlich Strafhaft verhängt. Auch Polizeihaft ist bis zu einem Monat ohne richterlicher Anordnung möglich.
- Irgendwo in Dänemark
- Abschiebehaft seit 1994.
- Nirgendwo in Italien
- In Italien gibt es keine Abschiebehaft. Nur straffällig
gewordene AusländerInnen können zur Abschiebung verhaftet werden. Die
anderen Schengen-Länder üben starken Druck auf Italien aus, seine
Grenze besser zu sichern und Flüchtlinge konsquenter abzuschieben. Italien
stellt sich jedoch auf den Standpunkt, daß sie deutschen
Asylentscheidungen nicht vorgreifen wollen und Flüchtlinge, die in die BRD fahren wollen, deshalb nicht aufhalten können.
- In der Mitte, Luxemburg
- Abschiebehaft für einige Wochen möglich.
- An der Westgrenze und in Warschau, Polen
- In Polen gibt es seit 1991 die Möglichkeit,
Flüchtlinge in Abschiebehaft zu nehmen. Dies geschah jedoch bis 1994 kaum.
Abschiebehaft wurde 1994 dann vom polnischen Verfassungsgerichtshof für
verfassungswidrig erklärt, das Urteil später vom Parlament
bestätigt. Daraufhin wurde im September 1995 ein Gesetz verabschiedet, um
die Abschiebehaft zu legalisieren. Die maximale Abschiebehaftdauer beträgt
drei Monate. Inzwischen gibt es 25 Knäste mit insgesamt 425 Plätzen,
die für die Abschiebehaft genutzt werden; der größte befindet
sich am Warschauer Flughafen. Der Bau der polnischen Abschiebeknäste wurde
direkt von der BRD finanziert. Polen erhielt 1993 von der BRD 120 Millionen DM
als Gegenleistung für den Ausbau des technischen Systems der
Grenzsicherung, für Rückführungen in die Herkunftsländer,
Asylverfahren und Unterhalt der Flüchtlinge in Polen, für eine
zentrale Ausländererfassung und die Ausbildung von Grenzschutz und
Polizei. Von der Hälfte des Betrages - so war es vertraglich
festgelegt - mußten Waren in der BRD eingekauft werden:
Mercedes-Geländewagen für den Grenzschutz, Nachtsichtgeräte usw.
Und 4,2 Millionen DM verwendete Polen für den Bau der Knäste. 15% der
an der deutsch-polnischen Grenze vom BGS zurückgeschobenen
Flüchtlinge landen in Polen in Abschiebehaft. Die Zurückschiebung aus
der BRD ist nur möglich, weil Deutschland davon ausgeht, daß Polen
ein sicheres Drittland ist und die Flüchtlinge dort ihren Asylantrag
stellen können. Die Praxis sieht jedoch anders aus: Von 122
Abschiebehäftlingen, die die Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und
Migration (FFM) im Jahre 1996 in Polen besucht hatte, waren gerade mal
sechs als Asylsuchende registriert. Alle 122 gingen aber davon aus, in Polen
einen Asylantrag laufen zu haben: Von den Behörden wurde der
Haftbeschluß in polnischer Sprache als Asylantrag ausgeben, den die
Flüchtlinge zu unterschreiben hatten. Während die Betreffenden also
auf den erfolgreichen Ausgang ihres Asylverfahrens hoffen, wird in Wirklichkeit
nur ihre weitere Abschiebung vorbereitet. Viele werden direkt in ihr Heimatland
abgeschoben oder in einen weiteren Drittstaat, der dann wiederum nur uns
Heimatland abschiebt. D.h. die sichere Drittstaatenregelung ist eine Farce, die lediglich zu Kettenabschiebungen führt.
Abschiebehaft wird in Polen meist gegen AsiatInnen verhängt,
OsteuropäerInnen kommen erstmal besser weg. Sie erhalten lediglich eine
Ausreiseaufforderung, erst wenn sie dieser nicht freiwillig nachkommen, werden
sie inhaftiert und verurteilt, kommen also nicht in Abschiebe- sondern in Strafhaft.(11)
- In Paris und auf jeder guten Polizeiwache, Frankreich
- Das berüchtigste [Abschiebegefängnis] ist das
sogenannte Ausländerdepot in Paris, das sich in den Kellern des
Justizpalastes befindet. Bereits 1993 beschrieb der Europäische
Ausschuß zur Verhütung der Folter das Depot als eine dunkle
Höhle voller Kakerlaken, in der die Inhaftierten zu zwölft auf einer
Art Kollektivbett aus Schaumgummi schlafen mußten. Sie aßen aus
Blechgeschirr und bekamen weder Bettwäsche noch Seife. Die Gefangenen
konnten so gut wie gar nicht an die frische Luft...
Chris de Stoop in Hol die Wäsche rein
Die maximale Haftdauer von 10 Tagen wurde 1998 auf 12 Tage erhöht.
Allerdings können Flüchtlinge, die sich gegen ihre Abschiebung
wehren, zu einer Strafe bis zu 3 Monaten verurteilt werden. Abschiebehaft gibt
es in Frankreich erst seit den Neunziger Jahren.
Die Abschiebehäftlinge werden in Polizeiwachen untergebracht,
außerdem wurden landesweit 15 Gefängnisse für Abschiebehäftlinge eingerichtet.
- In der Nähe der Radwege, Niederlande
- Die Niederlande sind ein dichtbevölkertes Land mit
einer restriktiven Einwanderungspolitik. [...] Es hat sich nicht erwiesen,
daß mit dem Aufenthalt der betreffenden Person einem wesentlichen
niederländischen Interesse gedient ist.
Standardformulierung im Ablehnungsschreiben für abgewiesene
AsylbewerberInnen in den Niederlanden(12)
In den Niederlanden gibt es mehrere Abschiebeknäste, die sich von
denen in der BRD nicht sonderlich unterscheiden, allerdings sind die Haftzeiten
bedeutend kürzer, die Betreuung von unabhängigen Gruppen besser
möglich und die Chance freizukommen dadurch größer. Jedoch
erhalten viele der Entlassenen keinen Aufenthaltsstatus, d.h. die
Abschiebehäftlinge werden einfach ohne Geld in die Illegalität
entlassen und sollen sich selbst durchschlagen. Sie können jederzeit durch
eine Polizeistreife wieder inhaftiert und in ein Abschiebehaftgefängnis
gebracht werden. Es gibt viele Flüchtlinge in den Niederlanden, die schon
4 Mal oder sogar noch öfters in Abschiebehaft gesessen haben.
- Tallin, Estland
- Im Gefängnis von Tallin werden alle Asylsuchenden
inhaftiert, auch wenn sie noch nicht illegal sind, sondern das Verfahren noch
läuft. Die Abschiebehaft dauert dann monate- und jahrelang.(13)
- Belgien
- Abschiebehaft ist für zwei Monate möglich. Ein
Gesetzentwurf wollte die Dauer auf unbegrenzt verlängern.
- Pabrade, Litauen
- Wochen- und monatelang sind diese Kriminellen bei uns.
Und wir müssen sie durchfüttern. [...] Etwa zehn Prozent von denen
sind intelligent, siebzig Prozent sind es überhaupt nicht. Es sind
Menschen, die aus unserer Sicht amoralische Dinge tun und unhöflich sind.
Als die ersten von ihnen nach Litauen ankamen, hatten wir Sympathien für
sie. Wir dachten, daß aus Pakistan und dem Iran intelligente Leute
kämen. [...] Die Illegalen müssen zeitig aufstehen, ebenso zeitig zum
Essen kommen und zum Schlafen gehen. Wer fliehen möchte, darf geschlagen
werden. Dazu tragen wir hier einen langen Gummistock. [...] Jene unter ihnen,
die aus einer Arrestzelle zu uns stoßen, erklären, hier sei das
Alfonsas Jocys, Leiter des Zentrums für Grenzverletzer in Pabrade/Litauen
Zentrum für Grenzverletzer in Pabrade/Litauen
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nackte Paradies. Andere, die direkt aus ihrer gewohnten Umgebung kommen,
empfinden die Ordnung hier als sehr schwer.
Alfonsas Jocys, Leiter einer Militärpolizei-Sondereinheit, Kommandant
des Abschiebelagers Pabrade bis Dezember 1996, über seine Abschiebehäftlinge
Am 1. Januar 1997 übernahm das Innenministerium Litauens das
Gefängnis für GrenzverletzerInnen von der
Militärverwaltung, die bis dahin für die Abschiebehäftlinge
zuständig war. Die Unterstützung aus Deutschland für die
litauische Ausländerpolitik fiel eher mager aus: Während Polen 120
Millionen DM bekam, wurde Litauen mit einer Million DM und
IKEA-Büromöbeln aus Schweden abgespeist. Lediglich das deutsche
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, deren
Aufgabe es ist, Asylanträge in Akkord-Zeit abzulehnen, schickte
großzügerweise seine objektiven Länderinfos nach
Litauen. Kein Wunder, daß ein richtiges Ausländergesetz nicht
existiert und somit auch keine Rechtsgrundlage für die Abschiebehaft
Die Kaserne in Pabrade ist hoffnungslos überfüllt, mit 300 bis
755 Menschen. Die Flüchtlinge wollen Asylanträge stellen, was von den
BeamtInnen aber ignoriert wird. Medikamente müssen selbst bezahlt werden.
Die Haftdauer ist unbegrenzt, muß jedoch aller 30 Tage verlängert
werden. Ein neues Gesetz soll die richterliche Anordnung der Haft festschreiben.
Bevor es Pabrade als Abschiebelager gab, wurden die Flüchtlinge im
Yanaua-Gefängnis untergebracht. Ein Mitarbeiter des UNHCR beschrieb diesen
Knast wie folgt: Dreizehn Somalis hatte man dort drei Monate lang unter
schrecklichen Bedingungen drei Meter unter der Erde im Dunkeln eingesperrt.
Außer auf ihrem täglichen Rundgang hatten sie in dieser Zeit kein
Tageslicht zu sehen bekommen. Sie konnten nicht mehr richtig sehen. Es war
furchtbar heiß. Die Luft war stickig, und man konnte nicht atmen. An
diesem Ort bekam man unweigerlich Platzangst. Die Somalis hatten vor einiger
Zeit ihren zweiten Hungerstreik begonnen. Inzwischen haben Schweden und
Dänemark in Litauen einen Vorzeige-Abschiebeknast in Rukla gebaut: mit
Heizung und Naßzellen.(14)
- In Planung, Weißrußland
- Weißrußland hat zwar ein Ausländergesetz
aber kein Geld, um es umzusetzen. Abschiebungen finden kaum statt. Illegale
Flüchtlinge dürfen zwar für einen unbegrenzten Zeitraum
inhaftiert werden, solange aber kein Geld dafür da ist, unterbleibt dies.(15)
- Temporäre Zone, Schweden
- Früher war man gegen die Abholzung des Waldes,
heute gegen die Abschiebung von Menschen. Aber wir können doch nicht jeden
hierbehalten. Wenn du hier an einem Wohnhaus rüttelst, fallen doch 25 Polacken raus
Hans Rosenquist von der schwedischen Polizei über schwedische
BürgerInnen, die illegale Flüchtlinge verstecken
In Schweden werden temporäre Abschiebelager eingerichtet, die dann
für eine große Abschiebeaktion herhalten müssen. So wurden im
Herbst 1992 20.000 AlbanerInnen aus dem Kosovo abgeschoben. In Südschweden
wurde ein gut bewachtes Camp eingerichtet, in das die AlbanerInnen per Bus
gebracht wurden. Aus dem Camp heraus gab es dann wöchentlich
Abschiebungen, wiederum per Bus, über Bulgarien oder Mazedonien an die jugoslawische Grenze.(16)
- JFK-Flughafen, New York, USA
- Mehrere Beförderungsgesellschaften haben in der
Nähe des Flughafens in New York ganze Hotels aufgekauft und zu privaten
Gefängnissen umfunktioniert. Sie müssen Pflichten nachkommen und
Reisende ohne Papiere auf eigene Kosten in die Herkunftsländer
zurückschicken. Die Bewachung in den Hotels geschieht durch Angestellte der Beförderungsunternehmen.(17)
- Olaine, Lettland
- In Lettland gab es seit Weihnachten 1994 ein Gruppe von 140
Abschiebehäftlingen, die bei dem Versuch Lettlands, sie schnell wieder
loszuwerden, von einer Landesgrenze zur anderen geschickt wurden. Als die
Abschiebung nicht gelang, landeten sie ohne Rechtsgrundlage im Gefängnis
von Olaine in der Nähe von Riga. Sie blieben zwei Jahre in Abschiebehaft,
dann wurden sie nach zähen Verhandlungen von skandinavischen Ländern
aufgenommen. Als Gegenleistung mußte sich Lettland verpflichten, endlich
ein Asylgesetz zu verabschieden. Teil des neuen Gesetzes ist eine Regelung zu
Abschiebehaft; die Dauer der Haft ist unbegrenzt.(18)
- Wien, Bludenz, Linz, St. Pölten, Salzburg, Vorarlberg,
Klagenfurt und wo sonst die beschauliche Heimat noch so vor Gesindel
geschützt werden muß, Österreich
- Gegen Fremde, denen offensichtlich die Einreise zu
verweigern ist und die sich Anweisungen durch die Grenzpolizei hinsichtlich der
Verbringung in gewisse Amtsräume oder zu dem für den
Rücktransport vorgesehenen Flugzeug widersetzen, kann Brachialgewalt in
Verbindung mit §2 Z. 2 und §4 Waffengebrauchsgesetz angewendet werden
Schreiben des Innenministeriums an die für Zurückweisungen zuständige Bundespolizeidirektion
In Österreich ist traditionell vieles so wie in Deutschland.
Angefangen von den Haftgründen, über die 2-wöchige
Beschwerdefrist bis hin zu den Vollzugsbedingungen. Mensch merkt aber die
Mühe Österreichs, mit Deutschland mitzuhalten oder es sogar manchmal zu übertrumpfen.
12% der AsylbewerberInnen landen noch während des Asylverfahrens in
Abschiebehaft, sei es wegen der illegalen Einreise oder weil sie während
eines Widerspruchverfahrens gegen einen ablehnenden Bescheid keine
Aufenthaltsgenehmigung mehr haben. 1997 gab es in Österreich 16.000
Schubhäftlinge, wie es da heißt. Es gibt landesweit 920
Schubhaftplätze, von denen durchschnittlich 590 belegt sind. Die
durchschnittliche Haftdauer beträgt 20 Tage, maximal sind 6 Monate
möglich. Eine Enthaftung (d.h. Freilassung) ist zwar vom
Gesetz her nach zwei Monaten vorgesehen, wenn keine Aussicht auf
Erfolg besteht. Diese Regelung wird aber kaum angewendet. Die
Behörden machen lieber von der Möglichkeit Gebrauch nach zwei Jahren jemanden erneut in Abschiebehaft zu nehmen.
Es gibt in Österreich 18 polizeiliche Gefängnisse für
Schüblinge, einige richtige Gefängnisse und Schub-Sammelstellen an
der Grenze zu Ungarn. In Ausnahmefällen, z.B. bei Kindern und
Jugendlichen, kann von der harten Form der Abschiebehaft abgesehen werden. Die
weiche sieht vor: Keine Inhaftierung, sondern sich aller 2 Tage bei der
Fremdenpolizei melden, wobei ein Abschiebehafttag soviel zählt wie ein
halber draußen, d.h. diese Form der Haft kann auf ein Jahr ausgedehnt werden.
1995 traten ca. 1.800 Schubhäftlinge in Hungerstreik, es gab 33
Selbstmordversuche; 1996 waren es 2160 Hungerstreiks und 24 Selbstmordversuche.
Der Ausschuß zur Verhütung der Folter kritisierte die Bedingungen in
der Schubhaft. Diese waren so schlecht, daß bis 1995 keine Medien in die
Knäste durften. Die Zellen sind zum Teil ohne Wasseranschluß, so
daß die Häftlinge das Wasser der Klospülung trinken
müssen. Es gibt keine ärztliche Betreuung, es werden also nur
Schmerzmittel verabreicht. Bei Krawallen kommen die Schüblinge in die
Gummizelle. Sind sie da nicht ruhig zu stellen, können die BeamtInnen sie
eigenmächtig und ohne ärztliche Untersuchung in die Psychiatrie einweisen lassen.
Ehrenamtliche SozialarbeiterInnen müssen die schlimmsten
Mißstände ausbügeln: So dürfen sie z.B. Telefonkarten und
Zahnpasta für die Schüblinge besorgen, weil es das im Knast nicht
gibt. Trotz des schlechten Services kostet ein Tag den Schüblingen 281,60 öS.(19)
Anmerkungen:
(1) Organisiert eigene Demos gegen Abschiebeknäste im Urlaubsland! Wir sagen Euch wo.
(2) Klarofix, Mai 1999, S. 14-28, April 1999, S. 6-7, März 1999, S. 44-45
(3) Es mag angesichts der vielen Toten der deutsches Abschiebesystems
zynisch klingen, von Humanismus zu reden. Die deutschen Abschiebehörden
begreifen sich aber als Vollstrecker des Humanismus und können dabei mit
dem Zeigefinger in den Osten weisen, wo alles schlimmer ist - was sie dann aber
doch nicht tun, um das Konstrukt der sicheren Drittstaaten und Herkunftsländer nicht zu gefährden.
(4) off limits, Nr. 10/95, S. 30
(5) Beat Leuthardt: Europas neuer Pförtner, von Loeper Literaturverlag: 1997, S. 43
(6) Deutschland koordiniert auch Abschiebungen aus Rumänien. So
bereiteten deutsche Behörden 1994 die Abschiebung von 92 TamilInnen nach
Sri Lanka vor, obwohl diese in Rumänien eine Aufenthaltsgenehmigung
hatten. Sri Lanka wollte die TamilInnen erst nicht annehmen, doch als sich die
deutsche Botschaft vor Ort einschaltete, gaben die Behörden von Sri Lanka
dem Druck nach und nahmen die Betreffenden zurück.
(7) Rundbrief Flüchtlingsrat Niedersachsen, 27/1995, S. 36-39; FFM
Heft Nr. 2: Rumänien. Vor den Toren der Festung Europa, Schwarze Risse/Rote Straße: 1996, S. 62-72
(8) Schwarzer Faden, Nr. 43/1992, S. 15-16; Rundbrief Flüchtlingsrat Niedersachsen, Nr. 30/1995, S. 13-14
(9) Anny Knapp/Herbert Langthaler (Hrsg.): Menschenjagd - Schengenland in Österreich, ProMedia: 1998, S. 128-135
(10) ZAG, Nr. 15/1995, S. 40-41
(11) FFM Heft Nr. 1: Polen. Vor den Toren der Festung Europa, Schwarze Risse/Rote Straße: 1995; FFM Heft Nr. 5: Ukraine. Vor den Toren der
Festung Europa, Schwarze Risse/Rote Straße: 1997, S. 27-32; B. Leuthard: Europas neuer Pförtner, S. 12-19
(12) Chris de Stoop: Hol die Wäsche rein, Fischer: 1996, S. 244
(13) B. Leuthard: Europas neuer Pförtner, S. 77
(14) B. Leuthard: Europas neuer Pförtner, S. 8, S. 43-53
(15) B. Leuthard: Europas neuer Pförtner, S. 72
(16) C. de Stoop: Hol die Wäsche rein, S. 190-192
(17) C. de Stoop: Hol die Wäsche rein, S. 207
(18) B. Leuthard: Europas neuer Pförtner, S. 73-74
(19) Anny Knapp/Herbert Langthaler (Hrsg.): Menschenjagd, S. 109-125 |