Der Angriffskrieg der Nato ist folgerichtig und neu zugleich. Von Ralf
Man hat es wissen können nein, man hat es
wissen müssen. Der Angriffskrieg der Nato gegen die Bundesrepublik
Jugoslawien ist das fast zwingende Ergebnis von fast 10 Jahren EU- und Nato-Politik.
Solange, wie der realsozialistische Staatenbund als ebenbürtiger
Systemkontrahent auf der Matte stand, galt die durch Tito begründete
Bundesrepublik Jugoslawien mit ihren vorbildlichen Autonomiestrukturen, die
beispielsweise weit über das bundesrepublikanische Staatenmodell
hinausgingen, als der sozialistische Vorzeige-Reformstaat im Sinne der
Marktwirtschaft. Entprechend legte sich beispielsweise in den Achtzigern ganz
persönlich der ehemalige BND-Chef und spätere deutsche
Außenminister Klaus Kinkel ins Zeug, um die Jugos gemäß der
Kapitalismuslehre zu missionieren. Die Belgrader Staatsführung unter der
Kommunistischen Partei hielt trotz aller Alleingänge gegen Moskau und dem
distanzierten Verhältnis zu RGW und Warschauer Pakt an der Verbindung zum
sozialistischen Staatenbund fest. Mit dem Wegbrechen des Realsoz. änderte
sich die Situation. Das Vakuum, das durch das Abwirtschaften der
sozialistischen Ideologie entstand, wurde unter der Halluzination
eigener Kraft durch Ethnie und Nationalismusscheiß
gefüllt. Dadurch wuchs das Konfliktpotential immens. Gleichzeitig verlor
der Westen das Interesse an Jugoslawien. In dieser Situation versuchte
Deutschland unter Führung des damaligen Außenminister Genschman zu
punkten. Deutschland wollte nun anhand von Jugoslawien unter Beweis stellen,
daß es mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung sich auf der
weltpolitischen Landkarte zurückmelden kann und die Nachkriegsordnung nun
endgültig ad acta gelegt sei. Insbesondere gegen die Vorstellungen von
England (Thatcher) und Frankreich (Mitterand) preschte Deutschland mit Genscher
an der Spitze vor und nutzte die Gunst der Stunde. Direkt in den
innerjugoslawischen Konflikt eingreifend, ermutigte Deutschland 1991 erst
Kroatien dann Slowenien zur Erklärung ihrer jeweiligen Unabhängigkeit
von Jugoslawien Mazedonien und Bosnien Herzegowina folgten später
nach. Das Entscheidende daran war, daß nur durch die
Absichtserklärung Deutschlands und der dann tatsächlich auch
erfolgten Anerkennung dieser sich neu ausrufenden Staaten eindeutig und direkt
seitens Deutschlands in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens eingegriffen
wurde. Der Konflikt wurde so auf eine Stufe gehoben, wo sich insbesondere
Kroatien und der dortige Führer Franjo Tudjman darin bestärkt sahen,
eine aggressive Vertreibungspolitik gegen die serbische Bevölkerung in
Kroatien zu betreiben. (Erinnert sei hier nur an die Vertreibung von 300.000
Serben aus der Krajina.) Daß Restjugoslawien unter Führung
Milosevics sich so etwas nicht gefallen lassen würde, hätte selbst
der Blindeste mit Krückstock merken können, wenn er es nur gewollt
hätte. Deshalb von deutscher Kriegstreiberei in diesem Konflikt anfang der
Neunziger zu reden, ist mehr als legitim. Deutschlands Interesse bestand dabei
in mehrerer Hinsicht. Zum einen sollte gezeigt werden, daß Deutschland
wieder wer ist und politisch was reißen kann insbesondere
gegenüber den USA, deren Interessensphäre mit dem Maastrichter
Vertrag sich deutlich von Europa weg verschoben hat. Zum anderen ging es um die
Stärkung der Position in der EU, wo Deutschland zu gerne die Vormachtrolle
übernommen hätte. Außerdem wußte Deutschland, daß
der Weg zur Weltmacht nur über die UNO funktionieren kann und deshalb dort
unbedingt ein Platz im Sicherheitsrat her müßte.
Geschichtsschreibung macht frei
Besondere Brisanz erfuhr die ganze Kiste durch die Wiederkehr einer
historischen Konstellation geopolitischen Zuschnitts: der traditionelle Feind
Deutschlands, Serbien, mußte wieder dran glauben der traditionelle
Verbündete Kroation durfte wieder dran glauben.
Die in Folge des Kriegsausbruches geschehenen Verbrechen seitens aller
Kriegsparteien spitzten die Situation zu. Deutschland rühmte sich
insbesondere damit, daß es wahnsinnig viele bosnische Flüchtlinge
aufgenommen hätte und lobte sich öffentlich ob der
humanitären Ader. Dabei stand dahinter entrprechendes
eiskaltes Kalkül: die Flüchtlinge sollten für den Fall der
Fälle als Druckmittel herhalten, um in Zeiten der Rückkehr ein
gewichtiges Wort mitreden zu können.
Nachdem Deutschland den Krieg mitverschuldet hatte, gab es kein Zurück
mehr. Die durch die militärpolitischen Leitlinien der Bundesrepublik
festgelegte Aufstellung einer Truppe als sogenannte
Krisenreaktionsstreitkräfte sollte nun den Beweis antreten, daß
Konflikte eben auch durch Deutschland militärisch gelöst werden
können. Mit diesem Ziel wurde entprechend Stimmung gemacht. Wobei sich
Deutschland dabei in einer bisher nicht gekannten Weise seiner geschichtlichen
Sonderrolle bewußt wurde. Hieß es vor 89 immer, Deutschland
könne nicht mitmischen wegen der Vergangenheit, so hieß es nun,
Deutschland müße mitmischen wegen der Vergangenheit
wegen Auschwitz. Letztendlich waren sich deutschlandweit alle
einig: Deutschland müßte intervenieren. Parallel zu dieser
Entscheidung hat Deutschland jedoch eine entscheidende Niederlage hinnehmen
müssen. Denn es zeigte sich, daß die deutsche Politik unfähig
war, auch nur im Ansatz eine Lösung für den Konflikt
herbeizuführen. Erst als die USA sich in die Sache einschalteten und die
Führung übernahmen, kam ein Friedensprozeß in Gang, der in dem
Abkommen von Dayton mündete und einen Frieden besiegelte. Für USA und
Nato kam dabei rum, daß sie sich in gewisser Weise von den Entscheidungen
der UNO abkapseln konnten und so viel besser in Zukunft auf ihre eigenen
Interessen nicht nur pochen können, sondern diese auch durchsetzen. Die
gleichermaßen vorhandene Interventionsfähikgeit der USA auf
diplomatischem wie militärischem Gebiet stutzte Deutschland bis auf
weiteres die Flügel und zwang die deutsche Politik, ihre Alleingänge
bis auf weiteres zu unterlassen. Für die deutsche Politk war dies ein
Schlag, der die Bündnisfähigkeit in der Nato erzwang. Seitdem hat
Deutschland begriffen, daß deutsche Interessen nur im Bündnis
durchzusetzen sind und deswegen auch eine entprechende
Kompromißfähigkeit gegenüber den anderen Nato-Partnern
insbesondere gegenüber den USA angebracht ist. So gelang es
Deutschland jedoch geradewegs, international als normale
Großmacht anerkannt zu werden, bei der die Geschichte des
Nationalsozialismus und der Judenvernichtung quasi zur geschichtlichen Lappalie verkommen können.
Es muß festgestellt werden, daß mitte der Neunziger Jahre von
Deutschland die Weichen gestellt wurden: Es ging geschwind nach der
Wiedervereinigung von Auschwitz zurück in die Großmachtpolitik. Bis
auf weiteres ist der Zug bei der normalen mutltinationalen
Intressenbündelung zum Stehen gekommen, so daß sich auch nicht sagen
läßt, mit dem Angriffskrieg im Kosovo erlebten wir einen qualitativ
neue Wiederkehr historisch deutscher Großmannssucht. Mit Freude
verabschiedet man sich jedoch von der bisherigen Historie. Neue
Geschichtsschreibung macht frei, ist das ausgegebene Motto, wie sich nur
allzugut an der Inbesitznahme des alten neuen Reichstages ablesen
läßt, auf den sich geschichtlich heutzutage nur noch positiv bezogen
wird als angeblicher Hort wunderbarer deutscher demokratischer
Traditionen. Und runter wie Öl geht Politkern wie Medien nun schon seit
dem ersten Jugoslawienkrieg mitte der 90er die Verwendung von Begriffen, die
jahrelang Synonym für die Singularität der deutschen Verbrechen
waren: KZs, Vertreibung, Vernichtung, Säuberung usf.
Das, was Deutschland heute treibt, ist, das sei nochmals betont, im Sinne der
Entwicklung folgerichtig und keine neue Qualität. Auch wenn die
Kriegspropagandamaschinerie um einiges auf höheren Touren läuft.
Seit mitte der Neunziger sind alle Messen für eine ganz und gar
durchschlagende Normalisierung gesungen: alle im Lande wissen, daß
Deutschland wieder wer ist und kennen deshalb auch nur noch Deutsche.
Der Angriffskrieg der Nato gegen Jugoslawien hat dennoch eine neue, bisher
nicht dagewesene Qualität. Diese besteht insbesondere darin, daß
anhand der Natoaggression die UNO ausgehebelt wurde und sich eine Weltpolizei
zu Wort meldet, die zukünftig noch entscheidender sagen kann, wo der Hase
weltpolitisch langläuft. Außerdem wird so an den potentiellen
Verbündeten Rußlands, den Serben, vorgeführt, was die Nato so
alles drauf hat. Rußlands hilfoses Rumzucken gegen die Nato-Aggression
zementiert dabei zukünftig, daß Rußland weltpolitisch nichts zu melden hat.
Außerdem ist es auffällig, daß sich die USA bei dem Krieg
militärisch so ins Zeug legen, obwohl eigentlich klar ist, daß
dieser Landstrich geopolitisch für sie nicht mehr zu beackern ist. Seitens
der USA wir durch den Krieg klar gezogen, wer militärisch die Nummer eins
innerhalb der Nato ist. Das ist für die Staaten deshalb so wichtig, weil
zukünftig der wirschaftliche Konkurrenzkampf zwischen EU und USA auf dem
Weltmarkt immer härter werden wird und letztlich die militärische
Stärke dabei nur Gold wert sein kann. Und dieser Fakt ist die Wiederkehr
eines Imperialismus unter dem Vorzeichen von Bündnissen, die nach dem
Motto zu funktionieren scheinen, daß vereint geschlagen wird und doch
getrennt marschiert. In diesem Sinne ist auch festzuhalten, daß der
Kosovo-Konflikt insbesondere von Deutschland durch die Unterstützung der
Separationsbestrebungen der Kosovo-Albaner aufgeheizt wurde. Andere Mächte
wie beispielsweise die USA jedoch halten bis heute daran fest, daß das
jetzige Staatengebilde Jugoslawien so bleiben soll wie es ist. Der
Kosovo-Konflikt wurd von Deutschland aufgeheizt, das muß völlig
unstrittig sein. Von der Nato jedoch wurde der Konflikt eindeutig
instrumentalisiert, um der Welt zu zeigen, wie schlagkräftig die Allianz
ist. (Wer anderes behauptet, dem ist nur mal das Stichwort Kurdistan mit dem
Verweis auf die Rolle der Nato dort zu nennen.) Etwaige wirtschaftliche
Interessen spielen tatsächlich so gut wie keine Rolle. In diesem Sinne
zeigt sich der imperialistische Charakter entgegen der Historie durchaus
modifiziert, nicht aber grundlegend geändert.
Um handlungsfähig zu sein, müssen sich radikale Linke
schnellstmöglich einen realistischen Begriff vom Imperialismus erarbeiten.
Denn mit dem Krieg wird deutlich, worum sich eine radikale Linke in Zukunft in
immer stärkerem Maße zu kümmern hat: um Antiimperialismus und um Antikapitalismus nämlich
Insbesondere eine antinationale Linke muß in diesem Sinne weiterdenken.
Die bisherige Schwerpunktsetzung gemäß dem Diktum, daß der
Feind im eigenen Lande steht, bedarf unbedingt einer Erweiterung. Das Dilemma
der antinationalen Linken ist durch den Krieg allzu deutlich geworden. Was dort
passiert, ist durch antideutsche Erklärungsmuster nicht mehr ohne weiteres
greifbar. Insofern läßt sich durchaus davon sprechen, daß hier
etwas den Weg in die Sackgasse gegangen ist, wo als einzige Konsequenz
folgerichtig nur die Verabschiedung von der Linken als Option steht. In
Anbetracht der Situation und dieses Krieges, offenbart sich aber, wie dringend die Linke gebraucht wird.
In diesem Sinne sollte zwar nichts überstürzt werden ganz
einfach um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Der Kapitalismus aber schreit
förmlich nach seinen radikalen Kritikern, und die sollten ihm nun wirklich
nicht vorenthalten werden. Das ist die Linke der Menschheit für alle
Ewigkeit schuldig. So siehts aus. |