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review-corner, 1.6k

Thomas Meinecke

»Tomboy«

Roman Suhrkamp

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Einseitig, zweiseitig ... vielseitig.

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Fürwahr hängt auch der Grad der Erkenntnis von vielerlei Faktoren ab, die entweder oder gar nichts miteinander zu tun haben. So lese ich einen guten Text und bin mit diesem dann über mehrere Tage beschäftigt und die Summe der Erkenntnisse hält sich weit weniger an die dem Text vorgegebenen Grenzen. Welch glücklicher Umstand, so möge man meinen, jedoch bleibt auch der Zugewinn in Frage gestellt, auf Grund zu geringem Selbstvertrauens und sonstig widrigen sozialen Umständen, solange er nicht eineindeutig bewiesen scheint. In diesem Zusammenhang verlangt einer/m wissbegierigen Leser/in schon oft nach belletristischer Literatur, die eben auch ‘einfach so‘ gelesen werden kann, ohne gleich nach einem Wörterbuch greifen zu müssen, nach Definitionen zu suchen oder deren unsägliche Macht zu spüren, die mir dann schon wieder beweist, wie dumm ich doch auf die Welt gekommen bin und wie ich sie noch dümmer verlassen werde müssen. Ja, und obwohl ich gerade diesen glücklicheren Zufällen in Ablehnung gegenüber stehe, fiel mir ein solch lesenswertes, in höchstem Maße interessantes Buch in meine tomboy, cover, 9.3k Hände, auf dessen Cover ich, weniger zufällig, beim Gang durch die Handlung, hereingefallen bin und mich nach Lektüre der Rückseite, da an dieser Stelle mir nicht unbekannte Namen auftauchten, was mich schon einigermaßen erstaunte, da ich mich in einer eher bürgerlichen Handlung aufhielt, davon überzeugte mitgenommen werden zu wollen. Dieses Buch, dessen Autor Thomas Meinecke mittlerweile auch einem größerem Umfeld bekannt sein dürfte, ist das zweite von ihm, wobei ich freundlich darauf hingewiesen wurde, daß das erste das bessere von beiden sei, in dessen Genuß ich jedoch noch nicht kommen konnte. Debatten, um Sex und Gender, Definitionsmächten und Rechten, Männern, die Frauen sein könnten und Frauen, die Männer sein wollen und/oder umgekehrt, Menschen, die gern lieber alles andere als definiert, verpackt und abgestempelt wären, Gewalten, die getan und angetan werden, welche in diesem Teil der Erde nicht einmal ansatzweise geführt werden und können, werden in diesem Text zur Sprache gebracht, die einem gewissen Zynismus nicht entbehrt und selbst mit wenig Verständnis von/über und für Konstruktion und Dekonstruktion der Geschlechter und Verhältnisse einen Einblick verschafft, dessen Weiterbefragung und Vertiefung man sich nur schwer entziehen kann.

Zwei Fragen ergaben sich anfänglich für mich, die mir hoffentlich die Lektüre über das Buch hinaus zu beantworten weiß, denn auch wenn sie vielleicht im Buch enthalten sind, kann auch ich nicht ohne weiteres, was ich trotzdem versuchen möchte, über den mir anerzogenen Schatten und erst recht nicht über den die Gesellschaft umspannenden springen. Erste wäre, vor dem Lesen, wie wohl ein, nach bisherig definierten Zuständen, Mann dazu kommt, so tun als sei er eine Frau, die Tag ein Tag aus über der ihr anerzogenen Rolle in all ihren möglichen und unmöglichen Bildern als solche grübelt. Kann und darf er/sie das überhaupt? Muß er/sie in seinem/ihrem Dekonstruktionsverhalten soweit fortgeschritten sein, daß alle sie/ihn sonst umgebenen Aspekte der Konstruktion des eigenen Geschlechts, nicht mehr anzugehen scheinen? Oder ist dieser Zustand womöglich ein Ideeller, dessen Utopie das Leben als Frau mit unsichtbaren Mauern vor den hier vorherrschenden Zuständen schützen will? Möchte er/sie uns Frauen damit sagen, daß es unmöglicherweise ‘dem anderen Geschlecht‘, trotz tendenzieller Dummheit und eigentlicher Unfassbarkeit der anstehenden Probleme, möglich sein sollte zu begreifen und darüber hinaus auch noch zu lernen? Diese Fragen kann und hat er/sie uns vielleicht schon beantwortet und wir wissen es bloß noch nicht.

Zweitens komme ich nicht umhin zu erwähnen, daß auch die Beschreibungen des Örtchens Heidelberg in mir eine gewisse Sehnsucht erweckte, der ich mich nur mir Mühe entziehen konnte und die sich selbst verspottet, denn welcheR wohl schon von Heidelberg hörte, weiß, daß es dort außer dem frühen Frühling, früher auch den US-Amerkanischen Soldaten und gutem Wein nichts weiter zu holen gab und gibt. So mußte ich mich ob der Ursache und ihrer guten Wirkung über mich selbst ärgern, aber da dies nicht das einzige sein sollte, worauf ich hereinfiel, wurde es mir um so leichter gemacht, aus meinen eigenen Vorurteilen einen Vorteil zu schlagen.

Vivian Atkinson, die Hauptfigur ist mir während dieser Reise näher und näher gekommen und mittlerweile nicht mehr aus meinem Gedankengeflecht um und über die hier in Leipzig fehlenden Diskussionen wegzudenken. So ist sie mir zur angenehmen Vertrauten geworden, der ich meine Fragen ohne Vorbehalte stellen darf und nicht lange zu warten brauche bis, wenn auch zwischen den Zeilen oder ansatzweise, ich eine meine Weiterentwicklung unterstützende Antwort erhalte. Toll! Ich werde sie vermissen! Und so liest sich dieses Buch wie ein guter Wein, von dem ich zwar wenig Ahnung zu haben scheine, es mir aber doch nicht all zu schwer fällt, das Glas zu erheben, obwohl ich weiß, daß er meinen Kopf schwerer machen wird. So schrieb ich am Anfang darüber wie wunderbar leicht sich der Text von „Tomboy“ lesen läßt und möchte das nun noch einmal bestätigen, denn auch wenn sich viele Fragen stellen und um so mehr, dem Ende der Frauenbewegung und Alice Schwarzer geschuldet, nach Antworten verlangen, verteilte sich der Inhalt des Textes mit Lichtgeschwindigkeit in meinen Gehirnzellen, daß ich, und das passiert mir sonst selten, beim Lesen des Buches, rote Ohren bekam, die sich meinen Beobachtungen zur Folge immer dann zeigen, wenn mehr Energie als normalerweise notwendig in eben diesem verbrannt werden muß. j.space


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last modified: 28.3.2007