Fürwahr hängt auch der Grad der Erkenntnis von
vielerlei Faktoren ab, die entweder oder gar nichts miteinander zu tun haben.
So lese ich einen guten Text und bin mit diesem dann über mehrere Tage
beschäftigt und die Summe der Erkenntnisse hält sich weit weniger an
die dem Text vorgegebenen Grenzen. Welch glücklicher Umstand, so möge
man meinen, jedoch bleibt auch der Zugewinn in Frage gestellt, auf Grund zu
geringem Selbstvertrauens und sonstig widrigen sozialen Umständen, solange
er nicht eineindeutig bewiesen scheint. In diesem Zusammenhang verlangt einer/m
wissbegierigen Leser/in schon oft nach belletristischer Literatur, die eben
auch einfach so gelesen werden kann, ohne gleich nach einem
Wörterbuch greifen zu müssen, nach Definitionen zu suchen oder deren
unsägliche Macht zu spüren, die mir dann schon wieder beweist, wie
dumm ich doch auf die Welt gekommen bin und wie ich sie noch dümmer
verlassen werde müssen. Ja, und obwohl ich gerade diesen
glücklicheren Zufällen in Ablehnung gegenüber stehe, fiel mir
ein solch lesenswertes, in höchstem Maße interessantes Buch in meine
Hände, auf dessen Cover ich, weniger zufällig, beim Gang durch die
Handlung, hereingefallen bin und mich nach Lektüre der Rückseite, da
an dieser Stelle mir nicht unbekannte Namen auftauchten, was mich schon
einigermaßen erstaunte, da ich mich in einer eher bürgerlichen
Handlung aufhielt, davon überzeugte mitgenommen werden zu wollen. Dieses
Buch, dessen Autor Thomas Meinecke mittlerweile auch einem größerem
Umfeld bekannt sein dürfte, ist das zweite von ihm, wobei ich freundlich
darauf hingewiesen wurde, daß das erste das bessere von beiden sei, in
dessen Genuß ich jedoch noch nicht kommen konnte. Debatten, um Sex und
Gender, Definitionsmächten und Rechten, Männern, die Frauen sein
könnten und Frauen, die Männer sein wollen und/oder umgekehrt,
Menschen, die gern lieber alles andere als definiert, verpackt und abgestempelt
wären, Gewalten, die getan und angetan werden, welche in diesem Teil der
Erde nicht einmal ansatzweise geführt werden und können, werden in
diesem Text zur Sprache gebracht, die einem gewissen Zynismus nicht entbehrt
und selbst mit wenig Verständnis von/über und für Konstruktion
und Dekonstruktion der Geschlechter und Verhältnisse einen Einblick
verschafft, dessen Weiterbefragung und Vertiefung man sich nur schwer entziehen kann.
Zwei Fragen ergaben sich anfänglich für mich, die mir hoffentlich die
Lektüre über das Buch hinaus zu beantworten weiß, denn auch
wenn sie vielleicht im Buch enthalten sind, kann auch ich nicht ohne weiteres,
was ich trotzdem versuchen möchte, über den mir anerzogenen Schatten
und erst recht nicht über den die Gesellschaft umspannenden springen.
Erste wäre, vor dem Lesen, wie wohl ein, nach bisherig definierten
Zuständen, Mann dazu kommt, so tun als sei er eine Frau, die Tag ein Tag
aus über der ihr anerzogenen Rolle in all ihren möglichen und
unmöglichen Bildern als solche grübelt. Kann und darf er/sie das
überhaupt? Muß er/sie in seinem/ihrem Dekonstruktionsverhalten
soweit fortgeschritten sein, daß alle sie/ihn sonst umgebenen Aspekte der
Konstruktion des eigenen Geschlechts, nicht mehr anzugehen scheinen? Oder ist
dieser Zustand womöglich ein Ideeller, dessen Utopie das Leben als Frau
mit unsichtbaren Mauern vor den hier vorherrschenden Zuständen
schützen will? Möchte er/sie uns Frauen damit sagen, daß es
unmöglicherweise dem anderen Geschlecht, trotz tendenzieller
Dummheit und eigentlicher Unfassbarkeit der anstehenden Probleme, möglich
sein sollte zu begreifen und darüber hinaus auch noch zu lernen? Diese
Fragen kann und hat er/sie uns vielleicht schon beantwortet und wir wissen es bloß noch nicht.
Zweitens komme ich nicht umhin zu erwähnen, daß auch die
Beschreibungen des Örtchens Heidelberg in mir eine gewisse Sehnsucht
erweckte, der ich mich nur mir Mühe entziehen konnte und die sich selbst
verspottet, denn welcheR wohl schon von Heidelberg hörte, weiß,
daß es dort außer dem frühen Frühling, früher auch
den US-Amerkanischen Soldaten und gutem Wein nichts weiter zu holen gab und
gibt. So mußte ich mich ob der Ursache und ihrer guten Wirkung über
mich selbst ärgern, aber da dies nicht das einzige sein sollte, worauf ich
hereinfiel, wurde es mir um so leichter gemacht, aus meinen eigenen Vorurteilen einen Vorteil zu schlagen.
Vivian Atkinson, die Hauptfigur ist mir während dieser Reise näher
und näher gekommen und mittlerweile nicht mehr aus meinem Gedankengeflecht
um und über die hier in Leipzig fehlenden Diskussionen wegzudenken. So ist
sie mir zur angenehmen Vertrauten geworden, der ich meine Fragen ohne
Vorbehalte stellen darf und nicht lange zu warten brauche bis, wenn auch
zwischen den Zeilen oder ansatzweise, ich eine meine Weiterentwicklung
unterstützende Antwort erhalte. Toll! Ich werde sie vermissen! Und so
liest sich dieses Buch wie ein guter Wein, von dem ich zwar wenig Ahnung zu
haben scheine, es mir aber doch nicht all zu schwer fällt, das Glas zu
erheben, obwohl ich weiß, daß er meinen Kopf schwerer machen wird.
So schrieb ich am Anfang darüber wie wunderbar leicht sich der Text von
Tomboy lesen läßt und möchte das nun noch einmal
bestätigen, denn auch wenn sich viele Fragen stellen und um so mehr, dem
Ende der Frauenbewegung und Alice Schwarzer geschuldet, nach Antworten
verlangen, verteilte sich der Inhalt des Textes mit Lichtgeschwindigkeit in
meinen Gehirnzellen, daß ich, und das passiert mir sonst selten, beim
Lesen des Buches, rote Ohren bekam, die sich meinen Beobachtungen zur Folge
immer dann zeigen, wenn mehr Energie als normalerweise notwendig in eben diesem
verbrannt werden muß. j.space |