Geschichte der Abschiebehaft
- Die generelle Problematik der Internierung bestand freilich darin,
daß die Abschiebung der Gefangenen nur sehr zögernd erfolgte und
überlange Haftzeiten bis zu einem halben Jahr keine Seltenheit waren. Der
16 jährige (...) Rubin Bardach (...) wurde am 2. März (...) am
Regensburger Bahnhof beim Verlassen eines Zuges ohne Fahrkarte und ohne
Reisepaß aufgegriffen. Die örtliche Polizei steckte Bardach
zunächst für einige Tage ins Landgerichtsgefängnis, wo er die
Strafe wegen illegalen Grenzübertritts und Schwarzfahrens
verbüßte. Anschließend erhielt Bardach den
Ausweisungsbeschluß und wurde nach Ingolstadt verschubt. Die
Ausstellung eines Grenzpapierscheins verzögerte sich jedoch, so daß
Bardach insgesamt vier Monate interniert blieb und erst am 15. Juli bei
Salzburg über die Grenze gestellt wurde. Immer wieder kamen Flucht- und
Selbstmordversuche vor, auch einzelne Todesfälle hat es im Lager Ingolstadt gegeben.
Dirk Walter: Antisemitische Kriminalität und Gewalt, Dietz: 1999
Obenstehende Zeilen beschreiben zutreffend das System der Abschiebehaft in der
heutigen Zeit. Daß sie sich auf eine andere Zeit beziehen, wird erst
deutlich, wenn wir in die Auslassungen die Worte Jude, aus Wien und 1922 einsetzen.
Wie sollte es in Deutschland auch anders sein Abschiebehaft war
ursprünglich eine Erfindung in Bayern zur reibungslosen Abschiebung der
OstjüdInnen, gedacht als präventives Mittel zur
Aufstandsbekämpfung. Während in den Prozessen gegen die
Deutscher Abschiebehumanismus: Diese Karikatur kennen fast alle Bundestagsabgeordnete und finden sie auch irgendwie gut. Das ist seit der Bundestagsdebatte vom 10.3.1995 amtlich.(13) |
vermeintlichen AnführerInnen der Münchner Räterepublik nur
wenige AusländerInnen angeklagt waren, diskutierten Öffentlichkeit
und die Behörden den jüdischen Anteil an dem Aufstand.
Der Regierungspräsident von Oberbayern äußerte im Januar 1920,
daß es vielfach die Ostjuden waren, welche in der Zeit der
Räterepublik sich am meisten in der Aufstachelung der Massen hervorgetan
haben. Schon im Juni 1919 erhielt die Polizei den Auftrag der
Fremdenkontrolle. Alle AusländerInnen mußten sich bei der Polizei
melden, wurden registriert und ihr Lebenswandel überprüft.
Verstärkt wurden Ausweisungsverfügungen, vorallem gegen
OstjüdInnen, ausgestellt. Die Verfügungen ergingen auch in Hinblick
auf den Schutz derjenigen einheimischen jüdischen Volksteile (...),
die in ihrer Gesamtheit dem Treiben landfremder Rassegenossen durchaus
ablehnend gegenüberstehen. Anfang 1920 wurde die Zusammenarbeit der
Grenzpolizei und Polizeidirektion intensiviert. Alle unliebsamen Fremden
sollten schon an der Grenze abgefangen werden und erst gar nicht nach Bayern
gelangen. Die Festnahme von polnischen Juden auf Schleich- und
Schmugglerwegen begründete der leitende Grenzpolizist mit den
Worten: Eine Überschwemmung Deutschlands mit ostjüdischem
Gesindel bzw. Durchsetzung des deutschen Volkes mit diesen Parasiten der
menschlichen Gesellschaft, erscheint nicht nur als eine sittliche Gefahr,
sondern eine Bedrohung für die Wiedergesundung des deutschen Volkes und für den Wideraufbau Deutschlands.
Am 25. Mai 1919 verabschiedeten die Ministerien für Inneres und
militärische Angelegheiten die Bekanntmachungen über
Nachahmenswert: Oft wird in falsche Länder abgeschoben, wie der Fall eines angeblichen Ghanaers zeigt, der in Begleitung
zweier BGSler in Ghana ankam, dort nicht aufgenommen und unverzüglich in die BRD zurückgeschickt wurde, während die BGSler
zwei Tage wegen illegaler Einreise in Ghana festgehalten wurden. (aus: Bericht über den Besuch der NRW-Abschiebeknäste
in Düsseldorf, Neuss, Moers, Gütersloh und Büren, PDS im Bundestag: 1995) |
Aufenthalts- und Zuzugsbeschränkungen, die das geltende Fremdenrecht
unter der Maßgabe der Revolutionsprävention verschärften. Mit
diesen Änderungen wurde der Grundstein für die heutige
Abschiebehaftpraxis gelegt: 1) Fremde sind sicher zu erfassen und ihre
Bewegung im Lande möglichst genau zu verfolgen 2) Die Ausweisung
kann verhängt werden, wenn es die Erhaltung der öffentlichen
Sicherheit dringend erfordert, 3) Die Ausgewiesenen sind unter
Bestimmung einer knapp bemessenen Frist zur Abreise aufzufordern. 4)
Der Vollzug ist wirksam zu überwachen. 5) Die Festnahme ist
zulässig, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die
Abreise nicht erfolgen würde. 6) Enstprechende
Schutzlager sollen eingerichtet werden. Daran hat sich bis heute,
abgesehen von einigen unwichtigen Details, bis hin zu Formulierungsfragen nichts geändert.
Bei der Abschiebung der OstjüdInnen ergaben sich aber Probleme, vor allem
war nicht klar, in welches der osteuropäischen Länder abgeschoben
werden kann. Die Frage des Transportes bereitete Schwierigkeiten. So kam es im
Frühjahr 1920 zu Einrichtung des ersten Abschiebegefängnisses
dem Internierungslager Fort Prinz Karl in Ingolstadt. Schon damals
führte die antisemitische Hetze zu Fehlplanungen: Das Lager war für
600 Personen ausgelegt, inhaftiert waren aber nur zwischen 40 und 100 Personen.
Und schon damals regte sich der typisch deutsche Humanismus, der eine
Abschiebung zwar nicht schlimm findet, aber sehr wohl die Bedingungen in der
Abschiebehaft. Der Kommandeur des Lagers drohte in einem Schreiben an das
Fremdenamt mit der Auflösung des Lagers, wenn nicht solche Fragen wie der
medizinischen Versorgung, der Bettwäsche und der Portokosten geklärt würden.
Im Februar 1924 wurde das Lager in Ingolstadt aus Geldmangel aufgelöst und
Abschiebegefangene, wie auch schon vor 1920, in normale Gefängnisse interniert.(1)
In Preußen gingen 1920 die Hetzkampagnenen gegen die OstjüdInnen
weniger hysterisch über die Bühne und die Fremdengesetzgebung war im
Vergleich zu Bayern liberaler. Aber Preußen richtete schon 1921 ein
Abschiebelager in Cottbus und eins in Stargard (Pommern) ein. Sie entstanden
auf dem Gelände ehemaliger Kriegsgefangenenlager und hießen
Konzentrationslager. Auch hier waren hauptsächlich
OstjüdInnen inhaftiert, bewacht von Soldaten der Reichswehr. Die
Äußerung des damaligen preußischen Innenministers auf eine
Anfrage im Landtag nimmt die ganzen Vertuschungsstrategien der heutigen Zeit
vorweg: Von der Preußischen Staatsregierung sind nicht nur keine
Konzentrationslager errichtet worden, sondern das einzige Konzentrationslager,
das seit langem besteht und zur Aufnahme jener Ausländer dient, die nicht
abgeschoben werden können, dieses einzige Konzentrationslager wird mit dem
31. dieses Monats (Dezember 1923) geschlossen.(2)
In der 1938 verabschiedeten Ausländerpolizeiverordnung fand die bayrische
Regelung im §7 Eingang: Der Ausländer ist (...) durch
Anwendung unmittelbaren Zwanges aus dem Reichsgebiet abzuschieben, wenn er das
Reichsgebiet nicht freiwillig verläßt oder wenn die Anwendung
unmittelbaren Zwanges aus anderen Gründen geboten erscheint. Zur Sicherung
der Abschiebung kann der Ausländer in Abschiebehaft genommen werden.
Nur selten im Interesse der Öffentlichkeit: Neuss Der einzige Frauenabschiebeknast in der BRD |
Diese Regelung der Ausländerpolizeiverordnung galt in Westdeutschland unverändert bis 1965.(3)
In den Jahren 1938/39 kam es zu einer Massenausweisung osteuropäischer
JüdInnen aus Deutschland nach Polen. Im Zusammenhang mit diesen
Ausweisungen gab es Überlegungen, die betroffenen JüdInnen zu
Vorbereitung in Konzentrationslagern zu internieren. Diese Überlegungen
wurden dann jedoch nicht mehr in die Praxis umgesetzt, da parallel dazu die
jüdische Bevölkerung Deutschlands und der später besetzten
Länder in die Konzentrationslager deportiert wurde, um sie zu auszulöschen.
1965 trat in der BRD das neue Ausländergesetz in Kraft. Aus dem
§7 der Ausländerpolizeiverordnung von 1938 wurde wurde der
§16: Ein Ausländer ist in Abschiebungshaft zu nehmen, wenn
die Haft zur Sicherung der Abschiebung erforderlich ist. Die Abschiebungshaft
kann bis zu sechs Monaten angeordnet und bis zur Gesamtdauer von einem Jahr
verlängert werden. Das Instrumentarium der Abschiebehaft kam jedoch
bis 1990 kaum zu Anwendung. Es gab jährlich nur sehr wenige Fälle von
Abzuschiebenden, bei denen die Anordnung der Haft für notwendig erachtet
wurde; in den meisten Fällen handelte es sich um AusländerInnen, die vorher in U- oder Strafhaft saßen.
Im Zuge der Kampagne zur de facto-Abschaffung des Asylrechts, der Änderung
des Artikel 16 Grundgesetz, kam es zu mehreren Änderung im
Ausländergesetz (AuslG) und insbesondere auch im §57 AuslG, dem
Abschiebehaftparagraphen. So wurde 1990 die mögliche Gesamtdauer der
Abschiebehaft auf 11/2 Jahre verlängert und der Passus eingefügt,
daß der begründete Verdacht, daß der Betreffende
sich der Abschiebung entziehen will, ausreicht, um Abschiebehaft
anzuordnen. Damit wurde der Willkür bei der Anordnung der Abschiebehaft
Tür und Tor geöffnet. 1992 kam es zu einer erneuten Änderung des
§57 AuslG: zwingende Haftgründe (wie unerlaubte Einreise; Umzug,
ohne der Ausländerbehörde dies mitzuteilen; Nichterscheinen zu einem
Abschiebungstermin; sonstiger Entzug der Abschiebung; begründeter
Verdacht, sich der Abschiebung entziehen zu wollen) wurden eingeführt, d.h
die Anordnung der Abschiebehaft ist nicht mehr nur Ermessenssache, sondern
muß unter den bestimmten Umständen zwingend angeordnet werden. 1997
wurde die Dauer der Sicherungshaft in besonderen Fällen von einer Woche
auf zwei erhöht sowie die Möglichkeit der Freilassung aus der
Abschiebehaft nach Stellung eines Asyl(erst)antrages abgeschafft. Festzuhalten
bleibt also, daß es in den letzten 10 Jahren nach jahrelanger
gesetzgeberischer Ruhe um den §57 AuslG eine ständige
Verschärfung der Abschiebehaftbestimmungen gegeben hat. Diese Entwicklung
ist natürlich auch im Zusammenhang mit den veränderten
Ausweisungsbestimmungen des Ausländergesetzes zu sehen, die immer breitere Kreise von AusländerInnen betreffen.
Die gesetzlichen Möglichkeiten fanden natürlich sofort ihre Umsetzung
in der Praxis, sofern sie nicht schon lang praktizierte Verfahrensweisen im
Nachhinein legalisierten. Zum einen stieg die Anzahl der
Abschiebehäftlinge sprunghaft an (bundesweit: 1992: 700; 1993: 2.600;
1994: 2.800; 1996: 1.900; 1997: 2.300 Sachsen: 1991: 15; 1992: 35; 1993: 89,
1994: 98; 1996: 63(4)), zum anderen wurde 1992 mit dem Bau der ersten
Abschiebehaftanstalten begonnen. Vorreiter dieser Entwicklung war und ist das
rot-grüne Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort gab es die ersten, die
größten und die meisten Abschiebeknäste. Dort wurden auch
unkonventionelle Wege gegangen, um Flüchtlinge außer Landes zu
schaffen. Dort wird das staatliche Gewaltmonopol immer mehr aufgeweicht, indem
Nicht der Knast, aber auch typisch für Neuss: Die Katholische Pfarrkirche St. Quirin (Münsterplatz). Bauzeit: 1230-50 |
Aufgaben der Inhaftierung und Abschiebung privatisiert werden. Der Staat will
sich die Finger nicht schmutzig machen, für die Todesfälle sollen
private Wachschutzfirmen verantwortlich sein. In Büren ist z.B.
Sicherheitsunternehmen für die Bewachung zuständig, dessen
Mitarbeiter zahlreiche Fremdsprachen sprechen und nach Angaben des
Justizmininisteriums besonders gute Kontakte zu den Häftlingen
haben(5). Das können wir uns so richtig lebhaft
vorstellen... Der damalige NRW-Justizminister Rolf Krumsiek (SPD) ist sogar
davon überzeugt, daß es den Flüchtlingen in
Abschiebehaft, wo sie sich frei bewegen können, oftmals besser geht als in ihrem Heimatland.(6)
Im Rahmen der Harmonisierung des Ausländer- und Asylrechts in
Europa und unter Druck der deutschen Regierung folgten andere europäische
Länder dem Beispiel Deutschlands. So gibt es das gesetzliche
Instrumentarium der Abschiebehaft in der Schweiz, Frankreich und Dänemark
erst seit 1994 bzw. 1995; Italien wird es wohl erst in den nächsten Jahren
einführen. Die Regelungen zur Abschiebehaft sind in den meisten
europäischen Ländern weniger regide als in der BRD. So beträgt
die maximale Haftzeit in den Niederlanden, Luxemburg und Frankreich nur einige
Wochen. Die osteuropäischen Länder zogen noch später nach,
verfügen aber inzwischen dank tatkräftiger logistischer, finanzieller
und personeller Unterstützung von deutscher Seite über eine effektive Abschiebemaschinerie inklusive Abschiebeknäste.
Was uns in Neuss erwartet- Neuss, Nordrhein-Westfalen, Einw.: 147.000, Höhe 40 m. Aus dem
lat. Novaesium, dem Namen für ein röm. Legionslager am Rhein,
entwickelte sich Neuss. Die Stadt war schon im MA Rheinhafen und gehörte dem Hansebund an.
Knaurs Kulturführer in Farbe Deutschland, 1993
In Neuss paart sich der katholische Kleinstadtmief der regierenden CDU mit dem
technokratischen, scheinbar modernen Politikstil der rot-grünen
Landesregierung. Neuss ist stolz auf das alljährlich stattfindende
Schützenfest (mehr als eine halbe Million Gäste (...) beim
größten Schützenfest am Niederrhein) und auf die
Katholische Pfarrkirche St. Quirin auf der einen Seite und auf den hohen
Standard urbaner Lebensqualität (Platz 10 in der Rangliste aller deutschen
Städte(7)) und den innovativen Wirtschaftsstandort inkl. der
guten Parkmöglichkeiten auf der anderen Seite.
Keine Beachtung dagegen findet in Neuss der bundesweit einzige Abschiebeknast.
Dieser wurde 1993 in einer ausgedienten Haftanstalt für weibliche
Abschiebehäftlinge eingerichtet und befindet sich mitten in der
Innenstadt. In ihm werden zwischen 70 und 90 Migrantinnen inhaftiert, die
meisten aus Osteuropa, auffallend viele illegale Migrantinnen. Von den rund 25
JustizbeamtInnen im Neusser Knast sind nur die Hälfte Frauen. Als
Krankenpfleger wurde zu Beginn nur ein Mann eingestellt.(8) Die Umgang
der BeamtInnen mit den Gefangenen ist herablassend, da erstere davon ausgehen,
die inhaftierten Frauen würden alle in irgendeiner Form aus dem
Rotlichtmilieu kommen. Trotzdem würde sich das Personal nach eigenen
Aussagen für eine halbwegs erträgliche Gestaltung der
Haftsituation einsetzen, da die Migrantinnen mehr Solidarität
Abschiebung wider Willen | |
Jennifer Emeka muß dorthin zurück, wo sie vergewaltigt wurde.
Unter dem heftigen Protest von Flüchtlingshelfern
ist gestern die Ehefrau eines vor zwei Jahren in Nigeria ermordeten
Oppositionspolitikers in ihr Herkunftsland abgeschoben worden. Die
24jährige Jennifer Emeka wurde nach Angaben des
nordrhein-westfälischen Innenministeriums an Bord eines Linienfluges von
Düsseldorf zunächst nach Ghana gebracht. Von dort sollte die
abgelehnte Asylbewerberin, die in der Haft in ihrem Heimatland vergewaltigt
worden sein soll, nach Nigeria weiterfliegen. (...) Auch die Autoren der
sonntäglichen TV-Serie Lindenstraße protestierten gegen
die Ausweisung. Betreuer der Nigerianerin forderten Passagiere des Flugs nach
Ghana auf, aus Protest gegen die Abschiebung nicht an Bord der Maschine zu
gehen. Die Reisenden folgten dem Appell jedoch nicht. Der für die
nigerianische Oppositionspartei SDP tätige Ehemann der abgeschobenen Frau
wurde nach Angaben von Flüchtlingshelfern im März 1994 von
nigerianischen Sicherheitskräften ermordet. Emeka soll nach dem Tod ihres
Mannes verhaftet und im Gefängnis gefoltert und vergewaltigt worden sein.
Mit Hilfe eines Freundes gelang ihr an Bord eines Frachtschiffs die Flucht. Im
Juli 1994 stellte sie in Deutschland einen Asylantrag, der abgelehnt wurde.
(...) Im Februar 1996 wurde die 24jährige bei einer Ausweiskontrolle
festgenommen. Seither saß sie in Neuss in
Abschiebehaft. Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann kritisierte, Emeka
sei in eine der schlimmsten Diktaturen Afrikas zurückgeschickt
worden. Nach Erkenntnissen seiner Organisation werde sexuelle Gewalt von
totalitären Regimen wie in Nigeria zunehmend und systematisch zur
Erpressung und anhaltenden Demütigung oppositioneller Familien eingesetzt. (...) aus die tageszeitung, 10.4.1996 |
und Mitleid hervorrufen als Männer. Erträgliche Haftsituation
heißt für die MigrantInnen: feuchte und dunkle Zweier- bis
Sechser-Zellen; willkürkliche Zellenbelegung über alle
Sprachbarrieren hinweg; eine Stunde Hofgang; eine Stunde Besuch im Monat und im
Einzelfall auch mal eine Gefangenenbefreiung durch die WärterInnen:
Bei einem Termin außerhalb der Anstalt wurde beispielweise drei
Chinessinnen zu verstehen gegeben, daß sie die Möglichkeit zur
Flucht nutzen können. Sie hatten sich bis dahin beharrlich geweigert, zu
reden, so daß ihre Identität ungeklärt blieb.(9)
Diesen Service müssen die Frauen natürlich selbst bezahlen: Zur
Finanzierung der Haft (ca. 180,- DM/Tag) und der Abschiebung wird den
Flüchtlingen das gesamte Barvermögen und z.T auch Wertgegenstände abgenommen.
Anfänglich gab es in Nordrhein-Westfalen acht Abschiebeknäste,
inzwischen mußten sechs wegen Häftlingsmangel wieder
schließen. Übrig geblieben sind Büren, der jahrlang
größte Männerabschiebeknast und Neuss. Während es in
Büren als Fortschritt gilt, daß die Männer dort Bodybuilding
machen können (um sich dann besser gegen die Folterer im Heimatland oder
gegen die Bürgerkriegsgegner zu Wehr setzen zu können), wird in Neuss
für die Frauen ein Nähkurs angeboten. Diese geschlechtsspezifische
Diskriminierung spielt sich natürlich nicht nur auf der Behördenseite
ab, sondern zieht sich durch die gesamte öffentliche Wahrnehmung bis hin
zu antirassistischen Gruppen. Während Büren über Jahre hinweg
Thema öffentlicher Debatten war (es existieren hunderte von Artikel
über Büren und mehrere Fernsehbeiträge), lassen sich über
Neuss über die Jahre hinweg keine Beiträge in der Medienlandschaft
finden. So ist als ein Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen,
daß die diesjährige bundesweite Demonstration gegen
Abschiebeknäste nicht wie die letzten Jahre in Büren stattfinden wird, sondern in Neuss.
Was erwartet uns also in Neuss? Schon 1987 erschien in der konkret der
ultimative Neuss-Verriß: Hier hat die CDU seit 25 Jahren die
absolute Mehrheit im Stadtrat. Sie ist so stark, daß sogar das lokale
Alternativblatt von Mitgliedern der Jungen Union gemacht wird. Hier gibt
die Vereinigung der Heimatfreunde mit Unterstützung des
Bürgermeisters eine Darstellung der Stadtgeschichte während der
NS-Zeit heraus, die von einem ehemaligen NPD-Schulungsleiter verfaßt
wird. Hier lehnt der Bürgermeister den Antrag, Straßen nach
WiderstandskämpferInnen zu benennen, mit der Begründung ab:
Auch in der Sowjetunion befinden sich Juden, die verfolgt werden;
es sei gleich, ob an einem KZ Arbeit macht frei stehe oder in der
Sowjetunion Archipel Gulag. Aus Neuss stammen die langweiligsten
Hinterbänkler der Bundestages (die z.B. per Anfrage an die Bundesregierung
wissen wollen, ob das aus der DDR importierte Bier auch dem Reihnheitsgebot
gerecht werde) und die primitivsten Spendengeldaffären (der
Hinterbänkler, der sich deshalb für DDR-Bier interessiert, weil er
das lokale Bierimperium vor Konkurrenz schützen will, erhielt 100.000,- DM
an illegalen Spendengeldern über den Umweg einer Studiengesellschaft für Mittelstandsfragen).
Manchmal ist aber sogar Neuss imstande, aus dem deutschen Mittelmaß
herauszuragen. Als vorbildlich gilt z.B. das Neusser Konzept gegen
Jüngeren Datums, aber nicht weniger reaktionär: Die Internet-Seiten der Stadt Neuss.
(Neuss.de) |
Schwarzarbeit: Die speziellen Einsatztruppen gegen Schwarzarbeit, die
jährlich 535.000,- DM kosten, und die Anschaffung der technischen
Ausrüstung (240.000,- DM) sollen über erhöhte Bußgelder
finanziert werden. Die Neusser Abschiebegruppe wurde personell aufgestockt, um
die erwischten AusländerInnen auch gleich wieder abschieben zu
können.(10) Geschichte schrieb Neuss aber schon eher, 1994. Der
Sprecher des Neusser Flüchtlingsrates, eine Gutmenschenorganisation, die
sich jede noch so kleine Stadt im Westen leistet, protestierte erfolglos gegen
die Abschiebung einer Roma-Familie nach Mazedonien, deren Sohn Epileptiker und
somit auf die medizinische Behandlung in Deutschland angewiesen war. Da der
Neusser Oberkreisdirektor per Schreiben alle Schulen aufgefordert hatte,
fremdenfeindliche Vorkommnisse zu melden, schrieb der Sprecher des
Flüchtlingsrates, der als Lehrer an einer Neusser Schule arbeitete, einen
Leserbrief Ich habe eine Meldung zu machen: Die mit Abstand
fremdenfeindlichste Tat im Kreis Neuss, die in Schulen zu beobachten war, ist
die durch eine deutsche Behörde korrekt verordnete Vertreibung eines
mehrfach behinderten Romakindes aus der Gesamtschule Meerbusch. Für
diesen Brief wurde er zu einer Geldstrafe über 4.000,- DM verurteilt. Weil
das den Behörden nicht ausreichte, überzogen sie den Sprecher des
Flüchtlingsrates gleich noch mit einem zweiten Verfahren. Ihm wurde
vorgeworfen, gegen das Rechtsberatungsgesetz(11) verstoßen zu
haben. Konkret ging es darum, daß er AnwältInnen vermittelt sowie
Petitionen und Bittbriefe in sozialen Belangen verfaßt habe. Dieses
Verfahren war das erste (öffentlich bekannt gewordene) dieser Art in der
BRD und bildete den Auftakt der zunehmenden Kriminalisierung von Flüchtlingssozialarbeit.(12)
Was erwartet uns also in Neuss? Wie in jeder Stadt: der rassistische Mob und
prügelwütige BGS-BeamtInnen. Trotzdem oder gerade deshalb seid ihr
alle herzlich zu gemütlichen Kaffeefahrt ins schöne Rheinland eingeladen...
Anmerkungen:
Terminankündigungen- Demo in Neuss:
- 12.6.1999 Abfahrt in Leipzig per Bus wird später noch bekannt gegeben
- Info- und Mobilisierungsveranstaltung:
- So. 30.5., 16.00 Uhr im Frauenkultur, Brausstr. 17
mit: Infos zur Demo, frauenspezifischen Fluchtursachen, Migrantinnen in der
BRD, Abschiebehaft in Sachsen, Sexismus und Rassismus sowie der Ausstellung Abschiebehaft in Sachsen
- Mobilisierungsveranstaltung:
- 7.5., 20.00 Uhr im B12, Braustr. 20
mit: Kurzinfos zur Demo, Film Sans Papiers (Illegale MigrantInnen in Frankreich und ihre Aktionen)
- Mobilisierungsveranstaltung:
- Termin noch offen, LIWI, Stöckartstr. mit einem Spielfilm über Flüchtlinge
- Benefizdisco für die Demo:
- Termin noch offen !Achtet auf die Ankündigungen!
|
- (1)
- Alle Zitate und weitere Informationen finden sich in dem sehr
empfehlenswerten Buch Dirk Walter: Antisemitische Kriminalität und Gewalt.
Judenfeindschaft in der Weimarer Republik, Dietz: 1999 (gibt es im Antifa-Presse-Archiv)
- (2)
- Wolfgang Wippermann: Konzentrationslager, ElefantenPress: 1999, S. 24 ff
- (3)
- Abschiebehaftgruppe: Abschiebehaft in Sachsen, 1998, S. 42
- (4)
- gerunderte Werte; die Zahlen beziehen sich auf einen Stichtag in dem
betreffenenden Jahr. Diese Zahlen mit 10 multipliziert ergeben ungefähr die Gesamtzahlen der Abschiebehäftlinge in den betreffenden Jahren
- (5)
- Die Welt, 16.4.1996
- (6)
- taz, 30.8.1993
- (7)
- laut Focus 40/95, S. 204 ff
- (8)
- no borders, Reader zu Abschiebeknast Neuss/Situation vom Migrantinnen/Debatte Sexismis-Rassismus, 1998, S. 5
- (9)
- Bericht über den Besuch der NRW-Abschiebeknäste in
Düsseldorf, Neuss, Moers, Gütersloh und Büren, PDS im Bundestag: 1995, S. 4
- (10)
- taz, 21.7.98
- (11)
- Das heute noch gültige Rechtsberatungsgesetz stammt aus dem Jahre 1935.
Es legte fest, daß ohne behördliche Erlaubnis nur noch
Rechtsanwälte Rechtgeschäfte für andere Personen erledigen
durften. Juden wird die Erlaubnis nicht erteilt. regelte die
Ausführungsverordnung zum Gesetz. Ziel war, allen jüdischen und
anderen nicht systemkonformen Rechtsanwälten die Zulassung zu entziehen
und jede weitere Betätigung in juristischen Fragen zu unterbinden. In der
heutigen Zeit wird das Rechtsberatungsgesetz sehr selektiv gegen politisch mißliebige Beratungsstellen eingesetzt.
- (12)
- taz, 9.8.94
- (13)
- Ulrich Irmer (F.D.P.) unterbricht seinen Parteikollegen Dr. Max Stadler
während der Bundestagsdebatte über Abschiebehaft: (...) Ich
wollte sie nur fragen, ob Ihnen diese Karkatur bekannt ist, weil sie meines
Erachtens sehr erhellend Auskunft gibt. Der Doktor antwortet aus dem
Stehgreif: Diese Karikatur ist sicherlich den meisten Anwesenden bekannt,
Herr Kollege Irmer. Sie verweist auf die tiefere Problematik, die hinter dem
Problem steht. Den zu Debatte gehörenden Antrag von Bündnis
90/Die Grünen, die Abschiebehaft zu reformieren (z.B. 3 Monate statt 18
Monate), wurde von den Parteien (außer der PDS) als zu überzogen
kritisiert und somit abgelehnt. Alle waren sich aber einig in der
Überzeugung, daß die Abschiebehaft menschenwürdiger gestaltet werden muß.
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