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Im Stern, normalerweise das Fachblatt zur Aufdeckung von
Scheinasylanten, war am 24.5.1995 Interessantes zu lesen. Siegfried
Westermann, CDU-Mitglied und Major a.D., aus dem Ort Marxen (!) berichtete von
seinen Erfahrungen als Mitarbeiter des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (kurz: BAFl):
Ende 1992 habe ich mich als Anhörer für das Asylverfahren
beworben. Das BAFl suchte damals ganz schnell viele Staatsdiener. Man wollte
die Aktenberge loswerden, die, wie uns erzählt wurde, ganze Büros in
Beschlag genommen hätten. Die Leute wollte man natürlich loswerden,
aber das wurde mir erst später klar.
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Inzwischen hat das BAFl ganz andere Aktenberge zu wälzen. Ein Teil der
MitarbeiterInnen muß Stasi-Unterlagen durchsehen. Flüchtlinge gibt
es kaum noch. Und die Asylverfahren laufen jetzt noch schneller ab, als zu
Zeiten von Herrn Westermann. Der neue Chef des BAFl heißt Dusch.
Trinkfeste AntirassistInnen konnten Herrn Dusch in Leipzig erleben, als die
Burschenschaft Corps Lusatia zu Freibier und einem Vortrag von Dusch geladen
hatte. Das Bier war gut. Die Ausführungen von Dusch weniger. Sie bewiesen,
daß er genauso rassistisch ist, wie die Burschenschaftler (was nicht
verwunderte) und genausowenig vom Asylrecht weiß, wie jene (was damals
noch für Verwunderung sorgte). |
Mir erschien die Arbeit sinnvoll. Und ich glaubte aufgrund meiner
militärischen Laufbahn, in der Krisenregionen natürlich immer Thema
waren, qualifiziert zu sein. Anfang 93 gab es einen fünftägigen
Lehrgang. Schalterbeamte, Briefträger und viele Ex-Soldaten - aber in der
überwiegenden Zahl Leute, die vorher mit menschlichem Elend nichts zu tun
hatten. Vom Asylrecht erhielten wir allenfalls einen Eindruck.
Ein Jahr lang habe ich als Anhörer gearbeitet. Mein Glaube an die
Rechtsstaatlichkeit ist nach dieser Zeit erschüttert. Als Soldat
würde ich für eine solche Rechtsstaatlichkeit meinen Kopf nicht mehr
hinhalten wollen. Die rechtlich vorgeschriebene Einzelfallprüfung ist eine
Farce. Da kommen Menschen, die zum Teil unendlich viel Leid durchgemacht haben,
Jahre nach ihrer Flucht endlich mit der Anhörung dran. Und dann haben sie
manchmal nur Minuten Zeit, einem wildfremden Menschen zu berichten über
Folter und Vergewaltigung. Und wehe, sie irren sich in einem Detail.
Die Leute, die dann die Entscheidung treffen, tun dies überwiegend nach
Aktenlage. Den Menschen aus Fleisch und Blut bekommen sie meistens nicht zu
Gesicht. Ob die Entscheider die Protokolle der Anhörung überhaupt
lesen, ist mehr als ungewiß. Im Grunde wird pauschal nach Herkunft
entschieden - Grundlage sind oft die »Schönwettermeldungen«
des Auswärtigen Amtes.
Ein Entscheider berichtete mit stolz, daß er in einem Jahr über 500
Fälle erledigt hätte. »Dabei«, sagte er wörtlich,
»ist mir keine einzige Anerkennung unterlaufen«. Da wußte
ich, wofür ich gearbeitet hatte: für einen sündhaft teuren
Papierkorb.
Kabelmontage im Bürener Knast: Brauchen sich nicht zu langweilen. |
(...) Offiziell habe ich nie erfahren, wie die Entscheidung ausgeht, in einigen
Fällen aber doch. Und dann kommt man zu dem traurigem Schluß: Du
hast bei Schein-Anhörungen mitgewirkt. Ein Beispiel ist der Fall des
Deserteurs Tibor Feher. Ich bin militärisch erfahren genug, um zu wissen,
was dem Jungen droht. (...) In seiner Ablehnung stehen nur pauschale
Gründe. Tibor Feher hat keine Heimat mehr. Wo immer er landet, wird er zum
Strandgut gehören. Diese Entscheidung stellt für mich persönlich
mein ganzes Wirken in Frage. Mich packt das Entsetzen.
3 Flüchtlinge, deren Asylantrag vom BAFl abgelehnt wurde, erhalten eine
Ausreiseaufforderung. Kommen sie dieser nicht freiwillig nach - und wer tut
dies schon: die schwerwiegenden politischen oder wirtschaftlichen
Fluchtursachen im Kopf; die beschwerliche Flucht vor Augen, die viel Geld
gekostet hat; die vergleichsweise gute, manchmal lange Zeit in einem
Flüchtlingsheim in Erinnerung -, werden sie abgeschoben. Und damit bei der
Abschiebung alles klar geht, werden viele Flüchtlinge vor ihrer
Abschiebung in Abschiebehaft genommen. Offiziell, um ein Untertauchen zu
verhindern. In der Praxis spielt dies natürlich eine Rolle, neben der
Tatsache, daß der Abschreckungeffekt für andere Flüchtlinge
möglichst hoch geschraubt werden soll. Die Flüchtlinge werden
sozusagen im Nachhinein für ihre Asylantragsstellung in der BRD bestraft.
Die Prozesse dauern in der Regel maximal 15 Minuten, gerade genug, um das
Protokoll und den Gerichtsbeschluß dem Flüchtling zu
übersetzen. Eine Beweisaufnahme findet überhaupt nicht statt, und
wenn doch, dann muß der Flüchtling beweisen, daß er nicht
untertauchen wird. Doch die Fakten sprechen gegen ihn: Er ist Ausländer,
also unglaubwürdig, hat keine feste Meldeadresse, also Fluchtgefahr, er
will nicht in sein Heimatland zurück, klar, daß er sich gegen die
Abschiebung zur Wehr setzen wird. Die Ausländerbehörde kann also die
Untertauchgefahr einfach konstatieren und das Amtsgericht glaubt dem, ohne den
Flüchtling auch nur zu fragen. Verhängt werden kann die Abschiebehaft
bis zu 18 Monate. Rechtsmittel dagegen gibt es de facto nicht. Das heißt,
jeder Flüchtling, dessen einziges Vergehen darin besteht, einen Asylantrag
gestellt zu haben und der nicht freiwillig zurück will, ist juristisch und
praktisch in vielfacher Hinsicht schlechter gestellt als jeder Fascho, der ein
paar Ausländer schwer verletzt hat und nach einer kurzen Vernehmung frei
kommt - und ein Jahr später aufgrund der Jugendstrafbestimmungen mit einer
kleinen Bewährungsstrafe davonkommt.
5 Bedauerlicherweise - so CDU und SPD im Sächsischen Landtag - gibt es in
Sachsen noch erhebliche Abschiebedefizite. Hier werden zur Zeit
Abschiebehäftlinge in den normalen U-Haftanstalten eingesperrt, doch da
ist nicht genug Platz. In beiden Leipziger Anstalten, in der
Beethovenstraße und in der Kästnerstraße, teilen sich immer
zwei Gefangene den Raum, der eigentlich nur für einen gedacht ist.
Von den ca. 60 Abschiebehäftlingen in Sachsen befinden sich die meisten,
nämlich 20, in Leipzig. Und für wen kein Platz in der Abschiebehaft
ist, aus dem wird kurzerhand ein Krimineller gemacht. Das ist gut für die
Statistik, günstig für die Abschiebevorbereitungen, einfach dank
Ausländergesetz, welches bestimmte Strafen nur für Ausländer
vorsieht und paßt ins Klichee vom kriminellen Ausländer. Auf einen
Abschiebehäftling kommen in Sachsen drei ausländische Gefangene, die
nur sitzen, weil sie gegen ausländerrechtliche Regeln verstoßen
haben, wie z.B. das Verbot, den Kreis zu verlassen, illegal eingereist zu sein
oder falsche Angaben beim Asylantrag gemacht zu haben.
4 Die größte und erste nur für diesen Zwecke gebaute
Abschiebehaftanstalt der BRD befindet sich bei Büren (Westfalen). Sie
wurde im Januar 1994 eröffnet und hat Platz für 600 Gefangene. Mitten
im Wald, 8 km von Büren, einer Kleinstadt, entfernt, sorgt die zum Knast
umgebaute Kaserne dafür, daß es im rot-grün regierten
Nordrhein-Westfalen keine Abschiebedefizite gibt, wie das
Innenministerium verkündete. Und wahrlich, Nordrhein-Westfalen und
insbesondere Büren spielen eine Vorreiterrolle, was Abschiebeknäste
betrifft. Erst später zogen die anderen Bundesländer nach und
richteten reine Abschiebeknäste ein. Büren ist jedoch nach wie vor
nicht nur der größte Abschiebeknast, sondern zeichnet sich durch
seine Abgelegenheit, einen besonders redseligen und rassistischen Knastleiter,
die Bewachung durch einen privaten Sicherheitsdienst, aber auch durch viele
Aufstände seitens der Flüchtlinge aus. |
Doch die Rettung naht: Sachsen plant einen großen, reinen Abschiebeknast.
In Zittau, gleich an der Grenze, damit die Transportwege kürzer werden. An
der Grenze vom Bundesgrenzschutz oder einer Bürgerwehr aufgegriffen, an
der Grenze inhaftiert, über die Grenze abgeschoben. Vorteil der Sache: Der
Bundesgrenzschutz ist berühmt dafür, Abschiebehäftlinge auch
entgegen deutscher Gesetze bis zur Abschiebung festzusetzen (z.B. auch
AusländerInnen, die einen Asylantrag stellen), ihnen alles Geld abzunehmen
(z.B. mit dem Trick, eine 10-minütige Zurückschiebung über die
Grenze mit einem Bummelzug als 400,- DM teuren Flug in Rechnung zu stellen),
immer den Tod von Flüchtlingen einkalkulierend. Seien es die
Flüchtlinge, die wegen den BGS-Aufpassern in der Oder und Neiße
ertrinken, in BGS-Gewahrsam unter mysteriösen Umständen sterben oder
vom BGS zu Tode gespritzt werden. Den Vorschlag mit Zittau finden in Sachsen aber trotzdem alle Parteien gut,
weil da ja mehr abgeschoben werden können (CDU) und besser auf die
besondere Situation von Abschiebehäftlingen eingegangen werden kann (SPD).
6 Daß das Argument der SPD für den Knast in Zittau nicht greift,
beweist Büren. Während die sächsischen Anstaltsleiter die
gesetzlich nicht vorgesehenen Einschränkungen im Haftalltag gegenüber
den Abschiebehäftlingen damit begründen, daß bei einer anderen,
großzügigeren Handhabung die deutschen Untersuchungsgefangenen wegen
dem Gleichheitsgrundsatz revoltieren würden, sind in Büren die
gleichen Einschränkungen an der Tagesordnung: Nur ein Telefonat pro Monat,
zwei Stunden Besuch im Monat (mal ganz abgesehen davon, daß mensch ohne
Auto gar nicht zum Knast kommen kann), nur eine Stunde Hofgang. Bürener
Spezialitäten, wie Arbeitszwang und fehlender Umschluß aus
Sicherheitsgründen, sind bislang noch nicht nach Sachsen durchgedrungen.
Büren ist umgeben von einer 6-Meter hohen Mauer und enorm viel
Stacheldraht. Nichts sieht danach aus, daß hier Menschen festgehalten
werden, die sich einer normalen Verwaltungsmaßnahme, der
Abschiebung, zu unterwerfen haben - es gleicht eher einem
Hochsicherheitsgefängnis für Terroristen.
7 Knast-Chef Möller sieht das natürlich anders. Die vielen Mauern und
Zäune sind dazu da, so erklärte er einst einer Schulklasse in
Büren, Damit die Leute nicht alle durcheinanderlaufen. In
einem Interview war folgendes von Möller zu erfahren:
Frage: Welche Gründe haben Asylbewerber, nach Deutschland zu
kommen
Zäune: Damit nicht alle durcheinander laufen. |
Antwort: Unterschiedlich! Politisches und materielles Unwohlsein,
Abenteuerlust, kriminelle Energie. In der BRD gibt es mehr zu holen als
woanders.
Frage Wie sieht es für Häftlinge nach der Abschiebung aus?
Antwort: Die Häftlinge dramatisieren, was ihnen in ihrer Heimat
alles passieren könnte, weil sie unbedingt hier bleiben wollen. Aber die
Prüfung dieser Sachen übernimmt eine andere Behörde. Ich bekomme
auch öfters einen Anruf oder eine Karte aus Indien oder Tunesien.
Sicherlich meint er eine Karte vom tunesischen Geheimdienst, der sich bei
Möller bedankt, daß wieder jemand zur Folter rübergeschickt
wurde, oder von der Flughafenpolizei, die sich über das hohe
Bestechungsgeld freut, was den indischen Abschiebehäftlingen mitgegeben
wird (Laut einer Anweisung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums
werden indischen Abschiebehäftlingen 500,- DM von ihrem Geld belassen,
damit sie die Einreiseformalitäten so erledigen können, daß sie
nicht wie Kuldeep Singh, der zuwenig Geld dabei hatte, zu Tode kommen).
8 In einer Debatte im Sächsischen Landtag zum Thema Abschiebehaft hatte der
Abgeordnete Seidel am 23. Januar 1997 die Ehre, die Positionen der CDU zu
erläutern: Sie (die Asylbewerber - Anm.d.A.) leben also auf Kosten der Steuerzahler.
Sie wohnen kostenlos, erhalten Verpflegung, werden gesundheitlich betreut und
bekommen obendrein noch Taschengeld, wie es das Gesetz vorsieht. Die
Asylbewerber erfahren bei uns eine Rundumbetreuung bis hin zur psychologischen
und sozialen Betreuung, Krankenhauspflege, Kinderbetreuung - wenn Sie einmal in
einem Asylbewerberheim waren -, und sie haben die Möglichkeit der
Vertretung durch einen Rechtsanwalt, wenn es sein muß, auch noch mit
Dolmetscher. Die Ausländerbehörden, gegebenenfalls die Gerichte
stellen nach Rechtslage fest, ob ein Asylbewerber zu Recht oder letzlich zu
Unrecht alle diese Leistungen in Anspruch nimmt. (...) Sind sie aber zu Unrecht
hier (...), quasi als nicht willkommene Urlauber mit Vollverpflegung und
Taschengeld, und das womöglich über Jahre hinweg, dann müssen
diese Personen Deutschland verlassen. (...) Eine Vorzugsbehandlung
gegenüber einheimischen Rechtsbrechern ist hier nicht zu vertreten. Die
konsequente Anwendung des Rechtssystems der Bundesrepublik Deutschland auf
diese Personengruppe ist meines Erachtens auch eine Vorbeugung gegen
aufkeimenden Rechtsextremismus. Seidel lügt wahrhaftig soviele
rassistische Aussagen zusammen, daß sich die Faschos fragen müssen,
ob sie nicht doch besser bei der CDU aufgehoben sind, als bei irgendwelchen
rechten Splitterparteien.
In Büren: Statt Preisschildern Infos für die Russenmafia. |
9 Seit 1994 finden alljährlich im Sommer bundesweite Demos gegen
Abschiebehaft und Abschiebungen in Büren und vor dem Bürener
Abschiebeknast statt. Die letzten beiden Jahre beteiligten sich mehrere tausend
Menschen an den Demos. Trotzdem druckten die großen bürgerlichen
Zeitungen am 28.5.1996 nur folgende Agenturmeldung ab: (...) Zu dem
Protest hatte der Bund deutscher Pfadfinder und etwa 40
Flüchtlingshilfeorganisationen sowie politische Initiativen aus
Deutschland aufgerufen. (...) Und wirklich, ohne die deutschen Pfadfinder
hätten wir den Knast im Wald nicht gefunden. Im Vorfeld der Demos
versuchte die Polizei jedesmal mit einem martialischen Großaufgebot
einzuschüchtern. Die Zahl der PolizeibeamtInnen war immer (machmal sogar
um ein vielfaches) höher als die Zahl die DemonstrantInnen. Panzerwagen,
Wasserwerfer und Maschinengewehre bilden dabei den Rahmen, der ausgefüllt
wird von Durchsuchungen aller PKWs und Busse, Identitätsfeststellung
aller DemoteilnehmerInnen und der Verhaftung aller, die sich weigern, sich
dieser Prozedur zu unterziehen. Bei der Demo 1996 wurden TeilnehmerInnen
teilweise mit Knüppeln, Schlägen, Tritten und Chemical Maze, welches
direkt in die Augen gesprüht wurde, aus ihren Bussen getrieben,
letztendlich landeten 80 Personen in Polizeigewahrsam.
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Der damalige Bürener Stadtdirektor brachte die Erleichterung der
BürgerInnen auf den Punkt, als die Entscheidung in Büren für
einen Knast und gegen ein Flüchtlingsheim fiel: Eine geschlossene
Anstalt bringt mehr Sicherheit für die Bevölkerung, als ein offenes
Sammellager. Nur ging diese Rechnung nicht ganz auf. Zum einen fühlt
sich Büren als ein Hort der Ausländerkriminalität (die angeblich
von den vielen ansäßigen Rußlanddeutschen ausgeht),
andererseits stören die regelmäßigen antirassistischen
Protestaktionen den Frieden der Stadt. Kein Wunder, daß parallel zur
Polizei, die extra in Büren ein Sondereinsatzkommando zur
Knastaufstandsbekämpfung und für Demoeinsätze stationierte, die
Bevölkerung eine Bürgerwehr und diverse Bürgerinitiativen gegen
Russenmafia, linke Chaoten und ausbrechende Abschiebehäftlinge
gründete. So folgten einer Einladung des Vorsitzenden der
Mittelstandsvereinigung zu einer Veranstaltung unter dem Motto Gewalt in
Büren im Januar 1996, bei der zur Gegenwehr aufgerufen wurde, mehr
als 200 BürgerInnen sowie die lokale Politprominenz. Für
Verunsicherung sorgte die Gründung des Vereins Hilfe für
Menschen in Abschiebehaft in Büren. Da gibt es tatsächlich
Menschen, die sich für Abschiebehäftlinge einsetzen. Die Verwirrung
hatte erst ein Ende, als sich rumsprach, daß die männlichen
Mitglieder schwul wären und die Frauen keine deutschen Männer
gefunden hätten und deshalb zu den Lockenköpfen in den Wald
rennen. |
Die Demo 1996 nahmen die Abschiebehäftlinge zum Anlaß, gleichzeitig
einen Hungerstreik zu beginnen und die Arbeit zu verweigern, erst nach drei
Tagen wurde dieser Protest abgebrochen, nachdem Möller ein Gespräch
mit der Presse zugesagt hat. Wie so oft schon vorher bei den Meutereien,
Brandlegungen, Hungerstreiks und Gehorsamsverweigerungen war die Forderung der
Bürener Gefangenen, die deutsche Öffentlichkeit auf ihr Schicksal
aufmerksam machen zu dürfen. Und auch wie schon vorher wurden auch diesmal
die Versprechungen der Knastleitung nicht eingehalten - das Gespräch mit
der Presse fand nie statt. Deswegen haben die Abschiebehäftlinge
während des Hungerstreiks auch Sprecher der Zellen- und Flurebene
gewählt, die dazu beitragen sollen, daß sie nicht länger
ungestraft wie die Tiere behandelt werden.
11 Am Tag der letzten Bürendemo (1996) starben zwei algerische Gefangene in
der JVA Kassel. Sie hatten aus Protest gegen die drohende Abschiebung
Materialien in ihrer Zelle in Brand gesetzt. Anstatt das Feuer zu löschen,
ließen die Schließer die zwei Algerier in ihrer Zelle verbrennen.
Tags darauf behaupteten sie, die zwei hätten sich in ihrer Zelle
verbarrikadiert, außerdem wäre die Gegensprechanlage ausgefallen.
Deshalb hätten sie erst zu spät den Brand bemerkt und kamen dann
nicht in die Zelle rein. Feuerwehr, ehrenamtliche Gefängnismitarbeiter,
Gefangene und antirassistische Initiativen widersprachen dieser Version. Nur
der grüne Justizminister nahm seine Schließer in Schutz und
verkündete noch am gleichen Tag, daß der
Doppelselbstmord nicht zu verhindern gewesen sei. Beim Prozeß
gegen die Schließer tauchte plötzlich ein deutscher Gefangener als
Zeuge auf, der diese in vielen Punkten zu entlasten wußte. Was diese
Zeugenaussage gekostet hatte, erfuhr die lokale Öffentlichkeit erst jetzt
aus der Kasseler Tageszeitung. Der deutsche Gefangene sagte nach seiner
Haftentlassung, daß ihm für die Falschaussage viele
Begünstigungen gewährt wurden: So durfte er sich frei innerhalb des
Gefängnisses bewegen, einkaufen, wann er wollte und wurde
schließlich vorzeitig entlassen. 12
Über die Vorzüge der Abschiebehaft zu berichten, so, daß die
Deutschen vor Neid erblassen und geschlossen sich in Büren
einschließen lassen würden, weiß die Tageszeitung Neue
Westfälische: Den Gefangenen steht es frei, andere Gefangene auf
ihren Stuben zu besuchen, sich auf eine Partie Billard zu verabreden, ein
Tischtennisturnier auszutragen oder im Fitnessraum Gewichte zu stemmen. Auch
Sonderwünsche wie Ölfarben und Staffelei sind keine Probleme - wozu
gibt es denn einen Freizeitkoordinator? (...) Der Kreativ-Workshop nimmt eine
zentrale Stellung in Köhlers (der FZK = Freizeitkoordinator)
Verantwortungsbereich ein. Nicht alle Gefangenen finden in Schraubensortieren
und Palettenpacken ihre Erfüllung. Sie haben die Möglichkeit,
kunsthandwerklich tätig zu werden. (...) In den letzten Wochen lief die
Osterproduktion auf Hochtouren (...) Vor 10 Tagen wurde der Kasache Eduard
Tobler nach Büren überstellt.
Im Fitneßraum des Bürener Knastes: Letztes Training, damit es den BGSlern bei der Abschiebung auch richtig Spaß macht.
| Ein Maler und Bildhauer von internationalem Format. >>Es wäre eine Schande, diesen Mann
Ostereier malen zu lassen<<. Für Tobler beschafft Köhler gerade
taugliche Ölfarben und Leinwand. >>Dann machen wir hier eine
Ausstellung<< - und fügt fast bedauernd hinzu >>falls er lange
genug bleibt<<.
Das ist die Form von Multi-Kulti-Mentalität, die vom linksliberalen,
grünen Spektrum bis weit ins rechte Milieu hinein großen Anklang
findet. Köhler ist ein Humanist, der einem Kasachen zugesteht, ein
berühmter Künstler sein zu können, ihm von der Osterproduktion
befreit und Ölfarben besorgt. Und falls das Schicksal beschlossen habe
sollte, daß der Kasache wieder Kunst in der Steppe machen soll, dann tut
das zwar allen ein bißchen leid, die Ausstellung hätte wirklich
schön werden können, aber leider führen alle nur aus, was eben
so zu tun ist. Dann gibt es noch diese kleinen, dreckigen Neger, drogendealende
Araber und schlitzäugige asiatische Mafiosi, die ihre Erfüllung im
Schraubensortieren gefunden haben, was sie aber so schlecht tun, daß
denen keiner eine Träne hinterher weint. Und nicht zu vergessen: jene
folkloreerfahrenen Minderheitenvertreter, die die Ostereier so schön bunt
bemalen.13
Möller ist - und er hat es amtlich, nämlich vom Justizminister
Nordrhein-Westfalens - auch ein Menschenfreund. Nebenberuflich
arbeitet er als Knastchef von Büren. Als solcher verglich er das
Inhaftieren von Flüchtlingen mit dem Einsperren eines geliebten
Kanarienvogels. Antirassistische Menschenfeinde hatten dies in die falsche,
rote Kehle bekommen und kritisierten Möller für den Vergleich. Dieser
wußte sich zu rechtfertigen: Ich wollte (...) erklären,
daß die Inhaftierung an sich keinen Verstoß gegen die
Menschenwürde darstellt, wie das Einsperren eines Kanarienvogels nicht mit
Tiermißhandlung und Tierquälerei gleichzusetzen ist. Einen
Verstoß gegen die Menschenwürde konnte auch die Staatsanwaltschaft
nicht erkennen, als bekannt wurde, daß in Büren widerspenstige
Gefangene in der Schaukelstellung gefesselt wurden, die als Folter
geächtet ist. Das Verfahren gegen die Beamten wurde eingestellt.
14 FZK Köhler heißt in Leipzig FZB (Freizeitbeamter) Kuckelt. Die
Frage, ob er Ausstellungen mit berühmten Kasachen organisiert, würde
er sicher verneinen. Im Osten ist alles eine Dimension kleiner. Und doch nicht
ohne Stolz könne er auf 412 fremdsprachige Bücher in der
Gefangenenbibliothek (Stand: 1.2.1995) verweisen, darunter die Bibel in 17
verschiedenen Sprachen. Schaden kann es nie, den islamischen Fundamentalisten
noch einen bißchen von der Grundlage westlicher Zivilisiertheit zu
vermitteln. Fernsehen ist das beste nicht-gewalttätige Mittel zur Ruhigstellung der
Gefangenen - haben psychologische Knaststudien herausgefunden. Deshalb wurden
in Büren in allen Zellen Fernseher installiert. Weil in Leipzig das Geld
dafür fehlt, muß auf der anderen Seite, den
Sicherungsmaßnahmen, aufgestockt werden. Nach der Wende wurden ca. 20
Millionen DM in die sächsischen Gefängnisse gepumpt, um
Stacheldrahtzäune, neue Gitter, Mauern und Elektronik zu installieren. Als
ob die gefürchteten Stasi-Knäste offen wie Kindergärten gewesen
wären.
Möller in seiner Zentrale: Als Kind wollte er immer Ornitologe werden. Noch heute träumt er von Kanarienvögeln.
| Eigentlich könnten die Abschiebegefangenen in Leipzig die FZA
(Freizeitangebote) ähnlich den U-Gefangenen wahrnehmen. Pech nur für
sie, daß die Deutschen keine Ausländer im Kraft- und Sportraum
mögen.15
Zum vierten Mal rufen antirassistische und antifaschistische Gruppen zur
bundesweiten Demonstration gegen Abschiebehaft auf, die dieses Jahr wieder in
Büren, am Sonntag, den 1. Juni 1997, stattfindet.
Aus dem Aufruf: (...) Ausgrenzung und Vertreibung von Flüchtlingen
und anderen ImmigrantInnen lautet die Devise. Schritt für Schritt wurden
in den vergangenen Jahren die gesetzlichen Grundlagen und die Einrichtungen
geschaffen, daß dies möglichst reibungslos und effizient
durchgeführt werden kann.
Die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1993 durch den deutschen
Bundestag, Sondergesetze zur Sozialhilfe, massive Einschränkungen
bezüglich Arbeitsmöglichkeiten und Gesundheitsversorgung,
ständige Unsicherheit und drohende Abschiebung, die Unterbringung in
Sammellagern und Inhaftierung in Abschiebeknästen sind bittere
Realität für ImmigrantInnen und Flüchtlinge. (...) Wesentlicher
Bestandteil der rassistischen Flüchtlingsvertreibungspolitik sind die
Abschiebeknäste, Endstation für viele Flüchtlinge vor ihrer
Abschiebung. (...) Während ImmigrantInnen und Flüchtlinge sich gegen
den rassistischen Normalzustand zur Wehr setzen, angefangen damit, daß
sie trotz des massiven Vertreibungsdrucks - zur Not auch illegal - hier leben,
über politische Aktivitäten gegen Rassismus und Diskriminierung bis
hin zu Aufständen in den Abschiebeknästen, gibt es von deutscher
Seite kaum Widerstand. Mit der Demonstration am Abschiebeknast und in Büren wollen wir die
Flüchtlinge in ihrem Widerstand ermutigen und unterstützen und ein
Zeichen setzen gegen eine rassistische (Flüchtlings-)Politik, deren Kern
die systematische und effiziente Ausgrenzung und Einsperrung von Menschen ist.
(...) 16
Leipziger Gruppen, wie das Offene Antifaschistische Plenum, die kahina -
Informations- und Bildungszentrum Naher und Mittlerer Osten e.V. und die
Abschiebehaftgruppe des Flüchtlingsrates e.V. mobilisieren ebenfalls
für die Büren-Demo. Es soll versucht werden, mit möglichst
vielen zur Demo zu fahren. Ein Bus soll angemietet werden. Außerdem
werden ein oder zwei Info- und Mobilisierungsveranstaltungen an der Uni Leipzig
stattfinden. Beteiligt Euch, fahrt mit!
antirassistische gruppe
Busfahrkarten für die Büren-Demo
(erhältlich ab 1. Mai 1997, bitte möglichst frühzeitig kaufen):
- Infoladen Leipzig, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig, Tel.: 0341-3026504, Fax: 3026503
- Kahina, Peterssteinweg 13, 04107 Leipzig, Tel.: 0341-2119322
- Preis: ca 30 DM
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