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Nachfolgend dokumentieren wir zwei Flugblätter des Leipziger Bündnisses gegen Rechts (BgR), die auf der Antifa-Demonstration am Samstag, den 27. Februar in Wurzen verteilt wurden.
Die Demo stand unter dem Motto: „Weg mit dem Nazispuk in Wurzen“, war mit ca. 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut besucht und wurde vom BgR als Erfolg gewertet, weil sie trotz übelster Hetze und Ablehnung stattfinden konnte.
, 0.0k [Nazis und Bevölkerung - eine deutsche Suppe...] [Antifa, worum geht's da eigentlich]

nazis und bevoelkerung - eine deutsche suppe, 4.3k

Wenn wir heute wieder einmal hier in Wurzen demonstrieren, dann tun wir dies nicht zuletzt deshalb, wie es auch dem Aufruf zu entnehmen ist, weil sich hier „wohl am besten neonazistische Strukturen mit dem Stadtklima verbinden konnten und können, ... eine Dominanz von Nazis auf der Straße und in den Clubs existiert und sich eine Nazi-Szene mit bundesweiter Bedeutung entwickelt hat.“
Denn wir finden gerade hier in Wurzen, daß es keine Thematisierung einer Nazi-Szene geben sollte, ohne daß nicht gleichzeitig auf das gesellschaftliche Klima hingewiesen wird, indem Nazistrukturen aufblühen können.
Dann erscheinen die Nazis nämlich auf einmal nicht mehr als eine Randgruppe, die so gut wie gar nichts mit dem Rest der deutschen Gesellschaft zu tun hat, wie ständig zu hören ist, sondern es zeigen sich verbindende Elemente, die weniger zufällig sind, als vielmehr konstitutiv für die gesamte deutsche Gesellschaft gelten. Für uns entsteht ein Bild von einer deutschen Suppe, in der Nazis, Bevölkerung und PolitikerInnen gemeinsam schwimmen. Und dieses Bild ist kaum nur noch bezeichnend für Wurzen, sondern zieht sich quer durch die deutsche Gesellschaft, die sich schon immer als deutsche Gemeinschaft verstanden hat.
Die Grundlage dieser deutschen Gemeinschaft sind gleiche Wertevorstellung und eine gemeinschaftlich konstruierte Identität, die sich auf das gemeinsame „Deutsch-Sein“ bezieht und durch eine völkische „Blut-und-Boden“-Ideologie bestimmt wird. Diese Ideologie, wie sie immer noch im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht definiert ist, bildet den Kern der völkischen Gemeinschaft. Sollte sie einmal abgelöst werden, können wir uns sicher sein, daß kulturalistische und andere Argumente zeigen sollen, daß eine Einbindung von MigrantInnen in gesellschaftliches Leben in Deutschland unmöglich ist. Dazu stützt sich die gemeinsame deutsche Identität auf typische deutsche „Sekundärtugenden“ von Ordnung, Fleiß, Sauberkeit und Disziplin, einen deutschen Arbeitsfetischismus sowie auf einen ebenso typisch deutschen Opfermythos.
Ergebnis dieser gemeinschaftlichen Identität ist ein gesellschaftlich rechter Konsens, auf dessen Grundlage Nazis morden können, rassistische Bürgerinitiativen aktiv werden, staatliche Veranstaltungen in Gedenken der Opfer des Bombenabwurfs auf Dresden genauso stattfinden und Martin Walser seine antisemitische Paulskirchenrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buches halten kann.
Eine Differenzierung der Deutschen scheint häufig nur in der Art und Weise des Vorgehens der einzelnen Akteure möglich. Gerade deshalb werden sich zwar immer große Teile der Bevölkerung von den Gewalttaten der Nazis distanzieren, aber immer schon eine entschuldigende Erklärung in der Tasche parat haben, weil sie die Motive der Nazis teilen und deren Inhalten häufig in nichts nachstehen.
Immer dann, wenn eine allgemeine Bedrohung konstruiert wird, können die Grenzen sehr leicht verschwimmen und die deutsche Gemeinschaft rückt noch enger zusammen. Meist äußert sich dies nur auf lokaler Ebene. Wenn irgendwo in Deutschland Flüchtlinge untergebracht werden sollen, schmiedet sich eine Volksfront, die sich den Schutz der Gemeinschaft zum Ziel gemacht hat.
In der praktischen Aufgabenverteilung äußert sich das ganze folgendermaßen. Die lokalen PolitikerInnen signalisieren, daß die Ortschaft der Einbindung von so vielen Fremden nicht gewachsen ist, in der Bevölkerung werden entweder Bürgerinitiativen gegründet, Unterschriftenaktionen angeleiert oder anderweitige Pläne zur Abwehr geschmiedet und die lokalen Nazis tun durch rassistisch militante Aktionen auf der Straße ihr übriges. So funktionierte es in Dolgenbrodt, in Gollwitz und wird überall wieder passieren, wenn „Gefahr in Verzug“ scheint.
Auf bundesweiter Ebene ist dieses Szenario gerade an Hand der Diskussion um die doppelte Staatsbügerschaft zu verfolgen. Bei allen gesellschaftlichen Kräften herrscht ein ähnliches Problembewußtsein. Die Diskussion handelt lediglich darum, ob und wie dem deutschen Volk Fremde integriert werden können, gewissermaßen, ob und wieviel Fremde die deutsche Gemeinschaft „aushält“. Wieviel die Deutschen „aushalten“ wollen, machten die Nazis bei einer Hetzjagd auf einen algerischen Flüchtling, die tödlich endete, am 12. Februar in Guben deutlich.
Doch zurück zu Wurzen. Hier hat sich eine deutsche Front anderer Art gebildet und zwar eine Abwehrfront gegen unsere heutige Demonstration. Diese zieht sich quer durch das Parteienspektrum, erhält durch die lokale PDS ihre Stichworte und machte es sich zur Aufgabe, alles dafür zu tun, daß unsere Demonstration nicht stattfinden kann.
Unser Erscheinen wurde als Eindringen von außerhalb verstanden, daß dem Ruf der Stadt schaden und die städtische Ruhe und Ordnung gefährden könnte. Nicht die Dominanz der Nazis in Wurzen, sondern unsere Demonstration wird als Problem gesehen. Das ist hier Konsens.
Das Wissen über den rechten Konsens in der deutschen Gesellschaft bedeutet für uns als Antifas, sich inhaltlich nicht nur auf die Nazis konzentrieren zu können. Für uns gilt es, antifaschistische Politik als antideutsche Politik zu begreifen. Das heißt für uns, staatlichen Rassismus anzugreifen, den deutschen Mob an seinen rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Plänen zu hindern und uns selbst von deutschen Wertvorstellungen in unserem Engagement abzugrenzen. Wir wollen kein Teil irgendeiner Gemeinschaft und schon gar nicht dieser mörderischen deutschen sein, sondern lieber unsere eigene Kreativität und Spontanietät gegen sie verwenden.

In diesem Sinne – Nie wieder Deutschland

Bündnis gegen Rechts Leipzig, c/o VL, PF 54, 04251 Leipzig, eMail: BGR@LINK-L.cl.sub.de


[Nazis und Bevölkerung - eine deutsche Suppe...] [Antifa, worum geht's da eigentlich]

antifa, worum geht's da eigentlich, 3.9k

Sind wir die, die einzig und allein dazu „bestimmt“ sind, den Nazis hinterherzuhecheln, um ihre Aktionen zu verhindern und ihre Organisierungsformen zu zerschlagen? Oder steckt da noch mehr dahinter?
Natürlich ist es mehr – vielmehr sogar.

Seit geraumer Zeit zwingen uns die Nazis immer öfter, auf ihre Aktionen reagieren zu müssen. Das liegt letztlich daran, daß die Nazi-Szene in den letzten Jahren zusehends an Größe gewonnen hat. Es ist ihr gelungen, ein subkulturelles jugendliches Umfeld entstehen zu lassen, für das sie sich in unverfroren frecher Weise bei der Linken bedient: Sie bedient sich des Gegenkultur-Modells, versucht, die von „uns“ entwickelten Organisationsformen zu kopieren, klaut unsere Demosprüche und füllt sie mit ihrem Naziinhalt. Als besonders krasses Beispiel sei hier die Verwendung des Symbols der „Arbeiterfaust“ genannt, einem von seiner Geschichte her urlinkem Symbol. Die Nazis haben es zum Zeichen ihrer „White Power“-Rassenlehre gemacht und viele Kids, insbesondere in der Ostzone, assoziieren tatsächlich damit nur noch den Rassistendreck.
Nun ist es ein offenes Geheimnis, daß die Linke, insbesondere die radikale Linke, spätestens seit 1989 in eine tiefe Krise geraten ist, aus der sie wohl kaum so ohne weiteres herauskommen kann. Die kritische Aufarbeitung der linken Geschichte steckt immer noch in den Kinderschuhen. Nicht zuletzt deshalb ist auch die Verteidigung historisch linker Symboliken schwach ausgeprägt. Und mit ihr auch die Möglichkeit, durch öffentliche Transparenz der eigenen Symbolik für die eigene Sache zu werben, Interesse zu wecken und die eigenen Inhalte vermitteln zu können.
Die Antifa-Gruppen in nah und fern tun sich allesamt schwer damit. Und wenn sie es mal nicht tun, kommt aus einer gewissen vorausseilenden unkritischen Solidarisierung mit der Geschichte des antifaschistischen Widerstandes eine perspektivisch nicht weiterbringende Verkürzung heraus.
Doch damit nicht genug. Das Problem oder besser: das zunehmende Manko antifaschistischer Arbeit liegt in den inhaltlichen Defiziten und klaffenden Lücken. Die eigenen Akzente fallen immer öfter bei den gewählten Aktionsformen unter den Tisch. Die tendenzielle Beschränkung auf den Widerstand gegen die (leider) vielzähligen Naziaktionen vermittelt den öffentlichen Eindruck, Antifa-Gruppen lägen nur auf der Lauer, um gegen die Nazis vorzugehen.
Nun ist es so, daß die Aufgabenstellungen für Antifa-Gruppen immer mehr geworden sind. Wir alle können ein Liedchen davon singen, wieviele Anläufe unternommen werden müssen, bis die geneigte Öffentlichkeit bereit ist, überhaupt ein bestehendes Nazi-Problem zur Kenntnis zu nehmen. Haben wir das geschafft, sind letztlich nur wir es, die Aktionen und Kampagnen gegen die Nazis anschieben und durchführen. Wenn es gut läuft, werden wir von einer handvoll restliberal-linker Einzelpersonen unterstützt.
In dieser Situation müssen wir mit Weitblick agieren. Es bedarf einer intensiven Diskussion über unsere perspektivischen Ziele, einer Diskussion über unsere Inhalte und der Symboliken, die diese repräsentieren sollen.
So müssen wir uns fragen, ob die Antifa-Bewegung grundsätzlich in der radikalen (Rest-)Linken eingebettet sein soll, welchen Part Antifa-Gruppen für die radikale Linke übernehmen sollten, welche Position wir zu Kapitalismus und Lohnarbeit einnehmen, welche Politikfelder die unsrigen sein sollen, ob wir uns grundsätzlich als antistaatliche außerparlamentarische Bewegung begreifen, welchen Geschichtsbezug wir herstellen, wie – nicht ob – wir Jugendarbeit machen oder wie wir mit dem Schwerpunkt Anti-Nazi-Politik gegen den staatlichen Rassismus und die Politik von Law and Order vorgehen können.
Als Antifas müssen wir uns der geschichtlichen Verantwortung stellen, die aus der Tatsache erwächst, daß Antifaschismus in Deutschland keinerlei Lobby kennt. Dazu gehört in erster Linie organisierte und kontinuierliche Politik sowie die öffentliche Transparenz, die über Inhalte Identifikationsangebote geben muß.
In diesem Sinne: Organisiert Euch in Antifa-Gruppen, setzt eigene Akzente und beschränkt Euch nicht alleinig auf die Verhinderung von Naziaaktionen!
Und denkt daran: Antifa ist da, wo Action ist! Und nicht anders!

Bündnis gegen Rechts Leipzig, c/o VL, PF 54, 04251 Leipzig, eMail: BGR@LINK-L.cl.sub.de


[Nazis und Bevölkerung - eine deutsche Suppe...] [Antifa, worum geht's da eigentlich]

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last modified: 28.3.2007