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Der Traum vom Lotto-Gewinn

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In Leipzig fanden ende April diesen Jahres „Weltfestspiele der HausbesetzerInnen“ statt – ein paar Worte zum Hintergrund

Das Bild und die dazugehörige Unterschrift, die den Aufruf des „Circus der Lebendigen“ für die „1. Weltfestpiele der HausbesetzerInnen in Leipzig“ zierten, konnten treffender nicht gewählt werden: Eine männliche, schwammig-dicke Figur – übermächtig in der Erscheinung – läuft trampelnd schnurstracks auf ein Häuflein Mikroorganismen zu, die die Menge an Besetzern darstellen soll. Damit auch ja kein Zweifel aufkommt, wie das abläuft, wenn „der Spekulant in den Betriebsausflug der HausbesetzerInnen“ hineinspaziert, wie es in der Bildunterschrift heißt, sind die Darstellungssdimensionen ausreichend dualisiert: Vernichtungswilliger Schmarotzer da oben und ach so schwache Menge da unten.
Um diese Lesart tatsächlich im Detail zu bestätigen, verteilten die Organisatoren der „Weltfestspiele“ darüberhinaus
bild vom aufruf, 8.6k
Appell an die niedersten Instinkte des Spießers – illustrierendes Bild des Aufrufes zu den „Weltfestspielen“
Flugblätter an die „lieben Anwohnerinnen und Anwohner“, in denen sie in guter alter Besetzertradition an die niedersten Instinkte der Spießer appellierten. Gegen die „Spekulanten“ gewendet wird dort gefragt: „Haben Sie sich nicht auch schon mal darüber gewundert, wie Menschen ohne einen Finger krumm zu machen, ihr Vermögen ins Unermeßliche vermehren können?“
Ja, man ahnt es, tatsächlich scheint der „Circus der Lebendigen“ ganz genau zu wissen, welches Ressentiment er abzurufen hat, um Sympathie bei den Volksgenossen zu erheischen. Denn der kleine Mann, der tagtäglich ehrlichen Herzens macht und schafft, hat sich mit Sicherheit genau diese Frage schon oft gestellt. Zwar ist ihm genauso unbewußt wie vermutlich dem „Circus der Lebendigen“, warum ihn das eigentlich so anhebt, aber was tut das schon zur Sache, wenn das personifizierte konkrete Feindbild geradezu danach schreit, die Geknechteten und Unterdrückten zur gemeinsamen Solidarität gegen „die Profiteure, die hier in Leipzig wie überall das Sagen haben“, zusammenzuschweißen. Dahinter steckt nicht weniger als die Projektion des eigenen, allzugern angestrebten Lebensentwurfes. Denn wer, bitteschön, möchte schon wirklich gern „einen Finger krumm“ machen, bloß um gut leben zu können? In Erahnung dessen, daß man wahrscheinlich ans Fundament dieser kapitalistischen Gesellschaft müßte aber genau davor lieber zurückschreckt, weil man sich sonst am Ende nur selbst überforderte, sucht man sich genau jene Gruppe heraus, die das System entsprechend der bestehenden Möglichkeiten für sich nutzt – die „Spekulanten“. Daß aber genau dieses Nutzen mit viel Arbeit verbunden ist, leuchtet ihnen nicht ein. Und so legt man viel Wert auf die saubere Trennung von ehrlicher, „schaffender“ Arbeit und parasitär-schmarotzender.
Da ich wie jeder vernunftbegabte Mensch desöfteren davon träume, „keinen Finger krumm zu machen und mein Vermögen ins Unermeßliche“ zu steigern, was zum Beispiel immer mal wieder den Traum vom Lotto-Gewinn einschließt, ist mir sehr bewußt, wieviel eigentlich die gesellschaftlich stigmatisierten „Sozialschmarotzer“ und die „Spekulanten“ gemein haben. Ich vermute jedoch, daß diese triviale Wahrheit den Horizont der meisten „HausbesetzerInnen“ schon übersteigen wird.
Ralf


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last modified: 28.3.2007