Persönliche Schätzungen.
In Frankreich erschien das Schwarzbuch des Kommunismus. Vor lauter Zahlengewirr verlor
der Herausgeber sämtliche Hemmungen und gab seine wahre Absicht preis. Von Ralf
Welches Schweinerl hättens denn
gern fragte jahrelang dienstäglich Robert Lempke in seiner
ARD-Sendung Was bin ich? dem heiteren Beruferaten.
Genau wie jener Robert Lempke ist der Kommunismus eigentlich tot. Und trotzdem
leben beide irgendwie weiter. Steht der eine personifiziert für die heile
Welt des Arbeitsfetischismus, so steht der andere der Kommunismus
für das Schlechte auf der Welt, dessen Ideologie eine Sendung wie
Was bin ich? zwar durchaus auf einem guten Sendeplatz legitimieren
könnte, aber darüberhinaus der Welt ja nur Böses bringen will.
So zumindest die bürgerliche Lesart getreu der
Totalitarismustheorie.(1)
Das Gezerre um die Schlechtigkeit zweier Systeme, dem
Faschismus/Nationalsozialismus und dem Kommunismus, geht voraus, daß
beide zu erklärten Ausgeburten des Menschenfeindlichen konstruiert werden.
Vor diesem Hintergrund geht es um die Vergleichbarkeit beider
Systeme. Nichts bietet sich da besser an, als die Ausblendung des Historischen.
Zwar gab es in der Entwicklung der Menschheit auch vor dem Kapitalismus
Ideologien und Religionen, doch die festgeschriebene Linearität endet mit
der Herrschaft des Kapitalismus weltweit. Es gilt als ausgemacht,
daß das Motiv Bürgerliches Ideal den Faschismus und
Nationalsozialismus besiegen konnte. Ebenso wie den Kommunismus.
Reputation im bürgerlichen Lager |
Die Triebkraft der konvertierten Ex-Anhänger einer bürgerlich
verpönten System-Ideologie ist die unbedingte Beweisführung, sich auf
der Seite der Sieger der Geschichte als würdig zu erweisen.
Fast niemandem fällt dabei auf, wie unterschiedlich dabei die Gewichtung
ausfällt: ehemalige Faschisten und Nationalsozialisten gelten ohne
größere Umschweife als zum bürgerlichen Lager dazugehörig.
Dort, entspechend der bürgerlichen Implikationen der unbedingten
Kommunistenfeindlichkeit und Marktanbetung behaglich aufgehoben, reichen zahme
Lippenbekenntnisse, um als nachweislich konvertiert zu gelten.
Ehemalige Kommunisten haben da um einiges mehr zu kauen, bis ihnen Tür und
Tor ins bürgerliche Lager geöffnet werden. Viele einstmalige Linke
scheint aber genau das zu locken. Unter Vorgabe des kapitalistischen
Sachzwanges unterwirft man sich unreflektiert der Welt der Waren
affimiert diese gar mehr, als einigen Kapitalisten lieb sein kann.
Der abgetakelte Poltergeist (FAZ) Kommunismus pfeift auf dem
letzten Loch. Umso attraktiver wird das Nachtreten als Reputation im bürgerlichen Lager.
Es darf vermutet werden, daß Letzteres Hauptmotiv für den
Ex-Maoisten Stephan Courtois war, ein Schwarzbuch des Kommunismus
herauszugeben.(2) Einem bilanzierendem Zahlenfetischismus unterlegen,
subsumiert Courtois alle nur möglichen Toten dieser Welt, die sich auch
nur im entferntesten auf jeweilige historische Konstellationen mit Involvierung
von Kommunisten jeglicher Coleur bringen lassen, um festzustellen, daß
wie die FAZ frohlockt viermal mehr Tote
als der Nationalsozialismus auf das Konto des Komunismus
gingen.(3)
Wahrscheinlich, so schreibt Courtois im Vorwort des
Schwarzbuches, ist dies einer der ersten Versuche, sich mit
dem Kommunismus unter dem Gesichtspunkt der verbrecherischen Dimension als
einer zugleich zentralen und globalen Fragestellung zu beschäftigen.
Was er damit meint, leitet er weiter oben selbst ein: Was
Gewalttätigkeit angeht, scheint dieses Jahrhundert (das zwanzigste
R.) seine Vorgänger übertroffen zu haben.
Das Lokalisieren von Gewalt gerät hier in den Mittelpunkt
einer Phobie, die zur Reinwaschung der Verbrechen des Kapitalismus dient. Dabei
stützt sich Courtois auf persönliche Schätzungen.
Seine Zahlenspielereien spiegeln die Realität wider, meint er,
die ihn dann folgerichtig zu dem Schluß kommen lassen, es gäbe
kaum Grenzen bei der Parallele von Ermordungen in Rußland und
denen während des Nationalsozialismus.(4) Der einzige
Unterschied, den Courtois zwischen den Massenexekutionen in Rußland und
der Shoa gelten läßt, besteht darin, daß in
Rußland eine Abtrennung nach Schichten (Klassen) erfolgt, statt
einer rassischen und territorialen Trennung wie bei den
Nazis.(5) Dafür führt er die Begriffe
Klassen-Totalitarismus und Rassen-Totalitarismus ein.
Bezeichnend für die unumgängliche Beschränktheit seiner Methode
ist das Verständnis von der Shoa: Der Tod eines ukrainischen
Kulakenkindes, das das stalinistische Regime gezielt der Hungersnot
auslieferte, wiegt genauso schwer wie der Tod eines jüdischen Kindes im
Warschauer Ghetto, das dem vom Naziregime herbeigeführten Hunger zum Opfer
fiel. Noch brisanter wird es, wenn man sich die durchaus antisemitisch
konnotierte Äußerung im Zeit-Interview zu Gemüte
führt. Dort erklärt Courtois kurzerhand: In beiden Fällen
wurde eine Bevölkerungsgruppe verfolgt für das, was sie ist, und
nicht für das, was sie getan hat.(6)
Folgt man dieser Logik, bedeutete das, die Juden wurden für ihre
tatsächlich vorhandene Eigenart, die ihnen der Antisemitismus
andichtet, vernichtet. Wer jedoch den Kern des rassischen Antisemitismus
erkennen will, muß verstehen, daß die Juden nicht dafür
verfolgt und ermordet wurden, was sie sind, sondern für das, was man auf
sie projiziert hat. Den wesentlichen Unterschied, daß es in Rußland
erstens tatsächlich jeden hätte treffen können und zweitens
jeder zumindest die Chance hatte, durch Abschwur einer ideologisch
festgeschriebenen Klassenzugehörigkeit seiner Inhaftierung zu entrinnen,
läßt Courtois schon deshalb nicht gelten, weil er Auschwitz
als nicht charakteristisch für den Judenmord erklärt und
daraus ableitet, daß es keine Spezifizität des
Völkermordes der Nazis an den Juden gibt.(7)
Unter der Voraussetzung der Leugnung der Singularität der Shoa geht
Courtois noch weiter. Die Nazis ließen sich, so behauptet er, in punkto
Ausmaß und Techniken der Massengewaltausübung von
den Komunisten inspirieren. Die damit durchaus geweckte Assoziation
der These Ernst Noltes vom Präventivkrieg der Deutschen gegen
die Sowjetunion schlägt Courtois damit aus, daß man keineswegs
(...) eine direkte kausale Beziehung zwischen der Machtergreifung der
Bolschewisten und dem Aufstieg der Nazis herstellen kann.(8)
Die ideologische Induktion des Schwarzbuches erklärt Courtois
mit seiner persönlichen Geschichte.(9) Ihn treibe
der Wille zu verstehen.(10)
Mißt man das Buch an der ethischen Lüge bürgerlicher
Historiker, völlig interesselos Geschichte darstellen zu
wollen, so fällt selbst dadurch auf, welche Diskrepanz zwischen dem
bürgerlich-historischen Anspruch der zahlreichen Mitautoren des Bandes und
der politischen Zielsetzung von Courtois als Vorwortschreiber und dem
herausgebenden Verlag besteht. Durchaus kann das, was Courtois im Vorwort
schreibt, inhaltlich nicht in Übereinstimmung mit dem Tenor des
Hauptteiles des Buches gebracht werden. Die Autoren der beiden längsten
und ausführlichsten Kapitel zum Thema Sowjetunion und China, Nicolas Werth
und Jean-Louis Margolin protestierten dann auch scharf noch vor Erscheinen des
Buches gegen Courtois Vorwort und distanzierten sich gleichzeitig.
Verleger und Verlag wollten damit Politik machen, erklärt
Werth der Frankfurter Rundschau.(11) Und der taz sagt
er: Daß das Buch ins politische Spiel geraten ist, war nicht Ziel
der beteiligten Historiker. Das hat allenfalls der Vorwortschreiber gewollt.
Und ganz sicher auch der Verlag.(12) Werth beharrt im Gegensatz
zu Courtois darauf, daß der Vergleich von Kommunismus und
Nationalsozialismus nicht die zentrale Frage des Buches ist. Er wirft dem
Autor des Vorwortes eine sehr summarische Sicht des Problems, eine
Erledigung im Eilverfahren und eine ziemliche
Vereinfachung vor.(13) Den Kommunismus auf seine
kriminelle Dimension zu reduzieren, ist eine
Simplifizierung.(14)
Ursprünglich war vom Herausgeber des Schwarzbuches geplant,
Francois Furet das Vorwort des Buches schreiben zu lassen. Sein
plötzlicher Tod im Sommer vorigen Jahres verhinderte dies aber. Furet galt
Courtois als prädestiniert für eine Abrechnung mit dem Kommunismus,
zumal er bereits 1994 Nationalsozialismus und Kommunismus als
Blutsbrüder (taz) in seinem Buch Das Ende der
Illusion (Le Passè dune Illusion) brandmarkte.
Furet ging es um eine Abrechnung mit dem Revolutionsgebahren, dessen
Heilserwartung unwiderruflich Terror erzeuge. Noch stärker als
Courtois bezog sich Furet dabei auf Ernst Nolte. Und trotzdem sind sich alle
Kritiker einig, daß das Vorwort des Schwarzbuches die
Zuspitzung von Furets fragwürdigen Thesen (...) durcheinander (wirft)
(...) und (...) in einer Konfusion (endet), die sich um die Gleichsetzung von
Kommunismus und Nationalsozialismus dreht.(15)
Einen besonderen Paukenschlag in der Diskussion um das Schwarzbuch
fabrizierte die Sozialwissenschaftlerin am Institut für
Sozialforschung, Ulrike Ackermann, in der taz. Tatsächlich
anmaßend in der Tradition der Dialektik der Aufklärung
von Adorno/Horkheimer stehend, gibt Ackermann zu verstehen, wie sehr sie
bemüht ist, der Linken den Antifaschismus auszutreiben: Bis heute
ist die Ausblendung beziehungsweise Verharmlosung der Verbrechen, die im Namen
des Kommunismus begangen wurden, identitätsstiftende Klammer im linken
Diskurs. Und zwar in der Figur des Antifaschismus.(16) Dieser
Exorzismus fußt auf dem bedingungslosen Willen zur Abschwörung:
Für eine auf die Singularität nationalsozialistischer
Verbrechen mühsam aufgebaute negative deutsche Identität hat das
absolut Böse nur einen ausschließlichen Ort: Auschwitz.
Eine Identität, die ihre eigene Brüchigkeit ahnt und deshalb diese um
so vehementer verteidigt.(17)
Nachfolgend klagt sie dann einen generalisierten antitotalitären
Impuls ein, der auch den Umgang mit der zweiten deutschen Diktatur
von Denkverboten befreien könnte. Das hätte so zwar kein Roman
Herzog formulieren können, aber immerhin ein von Weizsäcker.
Die Aufrechnung verschiedentlicher historischer Verbrechen meinetwegen
die des Kolonialismus, der Christenheit oder die des Kapitalismus , um
den Kommunismus in seiner Schuldbeladenheit zu entlasten, steht einer Linken
schlecht zu Gesicht. Die historische Konsequenz kann nur sein, sich intensiv
mit der Rolle des Staatskapitalismus und all seinen Unterspielarten als reale
Sozialismen auseinanderzusetzen. Dabei hat die Linke den historisch heterogenen
Kontext grundsätzlich mitzudenken. Scheut sie jedoch diese
Auseinandersetzung aus mutmaßlicher Zwangssolidarität, nur weil der
Feind kein gutes Haar an der kommunistischen Geschichte lassen will, so
hört die Linke auf zu existieren. Dann gilt auch auf diesem Feld das, was
Elsässer erst jüngst als Reaktion auf linke Entlastungstheorien zum
Thema Gollwitz formulierte: Kommunismus müßte auch gegen die
überwältigende Mehrheit der Kommunisten durchgesetzt
werden.(18) Doch wer, bitteschön, hat auf solchen
Kommunismus schon Bock?
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