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Nichts Neues vom deutschen Normalzustand.

In Magdeburg exekutierten Faschos Anfang Januar das deutsche Reinheitsgebot. Eine Nazi-Truppe setzte mit ihrem lebensbedrohlichen Angriff auf einen Punk nur martialisch durch, was im Volke Konsens ist: „Asoziale Elemente“ gehören nicht zur Gemeinschaft und sind mehr oder weniger vogelfrei. Die im Nachgang des Ereignisses einsetzenden Betroffenheitsrituale, die altbekannt-oberflächliche, am Thema meilenweit vorbeigehende Analysehysterie in den Medien und die Reaktion des „entsetzten Bürgers“ offenbaren dabei weniger die Rudimente einer zivilisierten politischen Kultur im Deutschen Haus, sondern vielmehr die Tatsache, daß sich der Mainstream noch geniert, wenn seine jugendlichen Schutzstaffeln das Marschtempo vorgeben.

Soviel vorneweg: Mit jedem Artikel über diesen Nazi-Überfall – egal welcher Intention er entspringt – wird eine falsche Wahrnehmung befördert, die den Alltag der deutschen Zustände in keinster Weise fassen kann. Die Konzentration auf den Einzelfall deckelt eine ganze Reihe anderer, nicht unbedingt minder schwerer Überfälle.
trauerkerzen in magdeburg, 14.2k
Magdeburg 1998: Der gute Punk ist der tote Punk.
Schon in der anhaltinischen Landeshauptsadt gibt es dafür Belege zu hauf. Ein Assistenzarzt im Magdeburger Altstadtkrankenhaus „verstehe die Aufregung um den Fall Gafert (Name des halb tot geprügelten Punks – d.A.) nicht.“ Derart zugerichtete Opfer würden „fünf- bis sechsmal im Jahr“ eingeliefert. Es hängt trotzdem viel mit der Menge des geflossenen Blutes, der Schwere der Verletzung, und „lebenslangen Folgeschäden“ zusammen, daß die Öffentlichkeit scheinheilig einem Punk(-Sympathisanten) einen Opferstatus zubilligt, um so vor allem von der eigenen Schuld abzulenken. Dazu braucht es jedoch auch, wie in Magdeburg, eine Vorgeschichte. Konkret: Zwei von Nazis ermordete Punks (T. Lamprecht - 1992, F. Böttcher - 1997) und die berühmt-berüchtigten „Herrentagskrawalle“ von 1994 (die euphemistische Umschreibung der Hatz auf Nichtdeutsche in der Magdeburger Innenstadt) ebneten dem besagten Übergriff den Weg auf die Titelseiten, ins Stadtparlament und in die Wohnzimmer.
Der Ort des Geschehens war bereits mit dem „schlechten Ruf, eine Hochburg rechter Gewalt zu sein“ (FR) behaftet und kam so auch dem Ansinnen entgegen, statt über die Dimension faschistischer und rassistischer Normalität lieber über den voyeuristisch aufgearbeiteten Einzelfall und – wenn überhaupt – seine eingrenzbare Vorgeschichte zu reden.
Nur ein paar verängstigte lokale Standort-Apologeten verfallen in solchen Situationen dem Rühe-Syndrom, indem sie darauf verweisen, daß es überall „rechtsextremistische“ Vorfälle gäbe und verraten so durch den Wunsch, den eigenen Stall sauber zu halten, manchmal mehr über die Wirklichkeit, als sie eigentlich zu wissen glauben.
Aber selbst wenn allen Attacken der Nazis die Aufmerksamkeit zuteil käme, die man im Fall Magdeburg nicht leugnen kann, wäre die Realität doch nur als beschönigendes Zerrbild beschrieben. Es bliebe eine Kette von „Phänomenen“, die entweder mit dem Fingerzeig auf einen bestimmten Ort (in diesem Fall Plattenbausiedlung Magdeburg-Olvenstedt), eine Region etc. erklärt werden. Wird dann je nach journalistischem und politischen Anspruch doch noch eine analytische Verallgemeinerung versucht, geschieht dies nach dem gängigen Schubladenprinzip, welches auch aus der brutalen Fascho-Aktion gegen die Punks in der Elbe-Stadt einen „Szenekrieg“ zwischen Links und Rechts gemacht hat (Ausnahmen bestätigen die Regel, z.B. Spiegel 3/98). Am Ende versichern sich die wehrhaften Demokraten ihrer Ablehnung des Extremismus und setzen dem ganzen mit neuerlichen Lichterketten-Hokuspokus (da müssen die Nazis aber wirklich dolle draufhaun, um solch ein Schauspiel heute noch zu provozieren) die Krone auf.
So ungeniert berechnend und schamlos wie jetzt in Magdeburg dürfte dies aber lange nicht mehr vorgekommen sein. Der Oberbürgermeister und ein Dompfaffe riefen ihre Schäfchen dazu auf, mit einer „Lichterkette ein Zeichen gegen Rechtradikalismus und Gewalt zu setzen.“ Und als wäre dieser Mummenschanz nicht schon genug der politischen Farce, verbanden die Initiatoren ihren Kerzenzauber gleichzeitig mit dem „traditionellen Gedenken an die 4.000 Toten des anglo-amerikanischen Bombenangriffs vom 16. Januar 1945.“
Der solcherart zusammengematschte „Apell zur Gewaltlosigkeit“ kolportierte nicht nur die alte geschichtsrevisionistische Lüge von den unschuldigen Opfern unter der deutschen Zivilbevölkerung in Folge der alliierten Kriegshandlungen, sondern vertauschte auch ganz aktuell das Opfer-Täter-Verhältnis. Die Opfer der neuen Nazis werden mit den Tätern von damals auf eine Stufe gestellt und wenn die Kameraden aus Magdeburg-Olvenstedt nur ein wenig mehr politisches Gespür besäßen, dann hätten sie die Einladung – denn gegen Bomber-Harris sind sie ja auch – angenommen.
Vielleicht glauben die Nazis aber, ob des aufflackernden Distanzierungsspektakels, man wolle sie aus dem gemeinsamen Boot werfen? Sie können beruigt sein, gilt doch alle Aufregung nur ihrer Glatze und ihren Stiefeln und ein wenig der voreiligen Übertretung des staatlichen Gewaltmonopols. Ideologisch marschieren die Faschos mit der Masse im Gleichschritt. Eigentlich bräuchte es keine Beweise mehr dafür, blieben diese doch selbst in der Linken links liegen. Bestenfalls erzeugen sie den alten Vorwurf, daß sich die antinationalen Sektierer in ihrer Analyse gerne bestätigt sehen. Und trotzdem. Wenn es noch eines Exempels für die allgegenwärtige Manifestation des rechten Konsens bedürfte, so fände man dieses auch bei der näheren Untersuchung der Umstände der Magdeburger Nazi-Attacke.
„Eine ältere Hausbewohnerin hatte sich mehrfach über das ‘asoziale Verhalten’ der Punker und die ‘dreckige, stinkende Wohnung’ bei der Stadt, Polizei und Wohnungsgesellschaft beschwert, ohne daß aber die gewünschten Konsequenzen folgten.“ (Magd. Volksstimme) Da der Denunziation der gewünschte Erfolg nicht schnell genug beschieden war, hetzte die Veteranin über den Sohn den Enkel auf. Der war rein zufällig bekennender Fascho und beschloß zusammen mit seinen Kameraden, dem Gesockse in der Punker-WG die deutschen Sekundärtugenden „Sauberkeit und Ordnung“ in brutaler Art und Weise zu vermitteln.
Angesichts dieser Faktenlage äußerte der Leiter des Magdeburger Jugendamtes gegenüber dem Spiegel sein Unverständnis über die Aufregung der Bürger, vor allem der Eltern der Täter und bekannte, daß die Jugendlichen oft nur umsetzen, was die Erwachsenen sagen. Und die Spiegelredakteure stießen bei ihrer Vorort-Recherche (überraschenderweise) auf die breite Akzeptanz der Nazis, „‘die mit dem Gesocks aufräumen’“ und die viel weiter geht, „als die öffentlichen Lippenbekenntnisse deutlich machen. ‘Das müßte man den Glatzen sagen’, ist ein gängiger Spruch, wenn sich irgendwo Obdachlose niedergelassen haben oder Schwarze zum Nachmittagsschwatz vor einer Shopping-Zeile versammeln.“ Abrunden läßt sich dieses Bild noch von Tatsachen, wie, daß die Täter des Magdeburger Überfalls aus einem Stadtteil kommen, in dem seit Jahren Fördergelder in Millionenhöhe in die „Akzeptierende Jugendarbeit“ fließen und so den Nazis das Nazi-sein erleichtern, daß im selben Stadtteil die Mehrheit „links“ wählt (zwei von fünf Einwohnern übrigens PDS), daß die Magdeburger CDU schon seit Jahren eine Hetzkampagne gegen linke und alternative Häuser und den „Straßenterror von links“ führt, etc. pp.
Wo bleiben da – bei soviel offensichtlicher Gegenerschaft – die Autonomen, die Alternativen und Punks? Die bürgerliche Schweinepresse sieht es so: „Hilflos wie ein verlorener Haufen und mißtrauisch gegen alle, die nicht zu ihnen gehören, wirkten am Donnerstag (nach dem Überfall – d.A.) rund 100 Linke und Punks, die im Protestmarsch durch die Innenstadt zogen. Die Polizei hielt sich weit zurück. Einige suchten nach einem Objekt für ihre Wut – einem kurzgeschorenen Jugendlichen vielleicht, einer Scheibe. Ein paar Steine flogen, Feuerwerkskörper explodierten, dann löste sich der traurige Zug auf.“ (SZ) Und ein Journalist der FR stellt bei der Betrachtung einer Fassade eines alternativen Projektes, auf der „Widerstand dem Faschismus“ prangt, fest: „...aber man ist schon froh, wenn man in Ruhe gelassen wird.“
Der Schlag sitzt, trifft eine wunde Stelle, unabhängig von der Motivation, mit der hier geboxt wird. Es mag Fatalismus sein, hier nicht wütend zu protestieren. Es bleibt eine Torheit, das reale politische Kräfteverhältnis zu leugnen und weiterhin auf die Pferdeherde des gegnerischen Rennstalls zu setzen. Den Nazis passieren solche Dummheiten nicht. Wie sagte doch die Freundin des Magdeburger-Hauptverdächtigen: „Gut zu wissen, mengenmäßig steht es zwei zu eins für uns.“ Daß sie mit ihrer Mengenlehre nur auf die Bezug nimmt, die sie in ihrer Unbedarftheit als ihresgleichen oder eben nicht ansieht, muß als Glücksfall gelten. Ist der wechselseitige Prozeß, der die faschistische Avantgarde ins nationale Kollektiv integriert, endgültig abgeschlossen, wird es solche netten Untertreibungen nicht mehr geben. Und dann ist auch der tote Punk nicht mehr der gute Punk. ulle


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last modified: 28.3.2007