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Hinweis:Am Sonntag, den 9. November 1997, dem 59. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938,
findet um 13.00 Uhr in Gollwitz eine Demonstration gegen Antisemitismus,
Rassismus und völkischen Terror statt. |
Wegreflext.
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Eine noch nicht dagewesene Flut antisemitischer
Äußerungen habe der geplante Neubau einer Synagoge in Dresden
hervorgerufen, betonte anläßlich des jüdischen Feiertages Jom
Kippur der Sprecher des Förderkreises zum Bau der Synagoge, Jan Post.
Damit manifestiert sich in einer Stadt, die den Deutschen wegen der Härte
des alliierten Bombenangriffes allerorts als Nachweis der bestialischen
Menschenverachtung durch die westlichen Siegermächte dienen soll,
was sie mittels abgestrittener Aufrechnung (Roman Herzog) seit
45 für Prämissen setzen. Vergleicht man im Gegenzug den
ungestörten Volkswillen zum Aufbau der Dresdener Fauenkirche als Aktion
wegen Auschwitz (Joseph Fischer), so wird klar, wem die Tränen
von Dresden nachgeweint werden. Nicht den ermordeten Juden, sondern der
Sammelstelle für genesende und verwundete Soldaten, die Dresden in
den letzten Kriegsjahren war.(1)
An Gollwitz ist nichts ungewöhnlich. Das weiß selbst Brandenburgs Ausländerbauftragte Almuth Berger. In jedem brandenburgischen Dorf, so meint sie, wäre ähnliches möglich. Und daher schlägt sie auch vor, die Öffentlichkeit in solchen Fällen lieber außen vor zu lassen.(7) Es liegt ihr merklich schwer im Magen, daß sogar in New York Gollwitz gebrandmarkt wird.(8) Und was sie da gerne gedeckelt hätte, liest sich so. Eine Gollwitzerin im typischen Zonenoutfit - im geblümten Kittel - wird von der taz befragt, wieso sie was gegen die Ausländer habe. Antwort: Weil jeder weiß, was die anstellen. Und ihr Mann raunt ergänzend: Das kann man doch jeden Tag im Fernsehen sehen. Diese Kriminellen, die Einbrecher aus dem Osten. Wir haben nichts gegen Juden, aber seit wir wissen, daß die herziehen sollen, hat jeder Angst. Ein anderer Gollwitzer hat schlimme Erfahrungen mit Juden, ganz schlimme. Eine Rentnerin, die 1945 aus Posen nach Gollwitz kam, kriegt sich gar nicht wieder ein: Die Juden, die immer nur Geschäfte machen, sollen doch nach Israel gehen, wo sie herkommen.(9) Helga Nutzmann, Mitglied im Gemeindekirchrat, hält ebenfalls nicht hinterm Berg: Alle Leute aus dem Ostblock haben einen überdimensionalen Hang zur Kriminalität. Wir haben Angst vor Einbrüchen. Der Kommunalabgeordnete Horst Wegerer pflichtet bei: Es ist doch allgemein bekannt, daß Ausländer nicht gerade Friedensbringer sind. Bürgermeister Heldt meint, vielleicht ausländerfeindlich zu sein, aber nicht braun. Und in Israel war er auch schon drei Wochen: Aber dort sind sie auch nicht gut auf die Deutschen zu sprechen.(10) Erich Schmidt, Rentner und Gollwitzer Urgestein, gibt den völkischen Hobbyhistoriker: Auf die jüdischen Emigranten angesprochen, meint er: Die sind doch vor zweihundertfünfzig Jahren ausgewandert, haben sich mit Kirgisen und Tartaren gemischt, Einheimische geheiratet. Sind das denn überhaupt noch Deutschstämmige?(11) Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe läßt das alles nicht gelten. Eine Judenfeindschaft, so Stolpe gegenüber dem Info-Radio Berlin, sei das nicht. Dafür lege er die Hand ins Feuer. Stolpes anfängliche Äußerung von einem Planungsfehler bei der Absicht, 50 Emigranten nach Gollwitz zu schicken, ergänzte er später mit dem Verweis, daß nach 40 Jahren Isolierung die Zonis kaum Erfahrung mit anderen Kulturen hätten. Gegenüber Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, äußerte sich Stolpe jedoch anders. Ganz schlimm sei das mit den Geschehnissen in Gollwitz, gab er Bubis am Telefon zu verstehen. Was soll ich von einem Menschen halten, der in verschiedenen Sprachen spricht? fragte der daraufhin. Nach Gollwitz stelle sich doch die Frage, wie viele Juden verträgt und erträgt der normale Bürger in Deutschland. Als neuen traurigen Höhepunkt der Judenfeindschaft hatte bereits ende September der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, die Entscheidung der Gollwitzer in einem Brief an Stolpe verurteilt. Kurz gefolgt von einem offenen Brief des Exil-PEN, der in der Gollwitz-Entscheidung ein Zeichen gefährlicher Intoleranz sieht.
Geklärt ist damit allerdings gar nichts. Nur, daß einmal mehr aufgeflogen ist, was unter vorgehaltener Hand ohne Bruch vor sich hin sumpft. Dagegen anzugehen, nennt die FAZ dann auch dumm mit der moralischen Keule hantieren. Schließlich, so das Blatt weiter, sei Deutschland kein Einwanderungsland und es ist auch nicht weltoffen.(12) Eigentlich ein Schlag ins Gesicht für alle, die Deutschland als zivilisatorisch konvertiert betrachten. So muß Charlotte Wiedemann in der Woche dann auch festellen: Die barsche Ablehnung in Gollwitz mag ein Einzelfall sein; mit offenen Armen werden jüdische Neubürger auch anderswo nicht empfangen.(13) Und die taz baut einmal mehr auf das Einrichten in den Verhältnissen: Es ist leicht, Rassisten raus! zu schreien, wie es manche antirassisitischen Initiativen gerne tun. Aber wohin mit ihnen? Ins Meer? Die Gollwitzer als deutscher Exportschlager in alle Welt versenden?(14) Die Geschehnisse um Gollwitz, so wundert sich die taz, erinnerten beängstigend an die große Volksgemeinschaft.(15)
Den Abwehrkampf der Gollwitzer gegen das ihnen Fremde als bloßen Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit abzutun, wird dem, was dort gerade deshalb ausgebrochen ist, weil es sich um jüdische Emigranten handelt, nicht gerecht. Die Projektion alles Schrecklichen auf den Juden, findet gerade in der argumentativen Melange aus jüdischer Besonderheit und allgemein-fremder Schlechtigkeit seinen spezifisch völkischen Ausdruck. Fürwahr ist dies der beondere antisemitische Gehalt deutscher Prägung nach Auschwitz. Er versteckt sich in der konkretisierten Halluzination von Bedrohtheit und läßt die Kontinuität des deutschen antisemitischen Denkens in der Verharmlosung zum Fremdenhass nur scheinbar verschwinden. |
An dieser Stelle dokumentieren wir den Aufruf verschiedener Gruppen zur Demonstration in Gollwitz: |
In der Nachgeburt der Schrecken Demonstration gegen Antisemitismus, |
In Gollwitz, einem Dorf mit 405 Deutschen hier
wohnt keine einzige Migrantin, kein einziger Flüchtling, keiner macht sich
Gedanken darüber will man unter sich bleiben. Der Gemeinderat
beschloß, die Unterbringung von jüdischen Flüchtlingen aus der
ehemaligen Sowjetunion nicht zuzulassen. Fünfzig von ihnen sollten im
alten Gollwitzer Herrenhaus untergebracht werden doch ein jüdischer
Bevölkerungsanteil von über 15% sei für die Gollwitzer
Bevölkerung nicht hinnehmbar, rechnete der Gollwitzer Gemeinderat schnell aus.
Der Gemeinderat hält sich bedeckt, aber die anderen Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes geben bereitwillig Auskunft: Sie finden, »die sollen doch nach Israel«, man habe »schlimme Erfahrungen mit den Juden gemacht«, sie würden »immer nur Geschäfte machen« (alle Zitate nach taz) diese Aufzählung ließe sich beliebig verlängern. Aber, so der Brandenburgische Ministerpräsident Stolpe (SPD), hier handele es sich mitnichten um »Judenfeindschaft«, sondern um einen »Planungsfehler«. Die Gollwitzerinnen und Gollwitzer seien nicht ausreichend informiert gewesen. Auch die Ausländerbeauftragte von Brandenburg mag nicht von Antisemitismus sprechen, sondern nur vom »Fremdenhaß«, den es auch auf der Alb gäbe. Antisemitismus darf es nicht geben, und »Fremdenhaß« ist Volkskultur. Das war 1992 in Brandenburg zwar auch schon so, aber die politischen Prioritäten waren andere: Als sich damals der Gemeinderat von Dolgenbrodt gegen die Unterbringung von Flüchtlingen aussprach, wurde ihm noch von höherer Stelle bedeutet, daß er kein Mitspracherecht hätte. Deswegen nahm das Volk von Dolgenbrodt sein Widerstandsrecht wahr und mietete sich Brandstifter. Das Haus, in dem die jüdischen Flüchtlinge untergebracht werden sollten, gehört dem Landkreis Potsdam-Mittelmark. Das bedeutet, daß der Gemeinderat, wie in Dolgenbrodt, kein Mitspracherecht hat. Der mit der Zustimmung der Gollwitzer Bevölkerung einstimmig gefaßte Beschluß hatte zwar keine Rechtsgrundlage, dafür aber Erfolg: Stolpe persönlich entschied, daß die Jüdinnen und Juden dort nicht untergebracht werden. Die Drohung des Gollwitzer Gemeinderats denn nichts anderes ist dieser Beschluß, gerade weil er keine Rechtskraft besitzt gemahnt an die mittlerweile lange Liste der Orte, in denen Deutsche ihr Recht durchsetzten, unter sich zu bleiben. Bisher waren dafür außerparlamentarische Anstrengungen von der Straßenblockade (Basdorf) bis hin zum Mordversuch (Rostock etc.) nötig, nun reicht die Drohung: »Wollt ihr ein zweites Dolgenbrodt?« Mit der nun erfolgten »Rücknahme« des Beschlusses erfüllte der Gemeinderat seinen Teil des Deals mit der Landesregierung: Im Tausch gegen die Zusage, keine jüdischen Kontingentflüchtlinge in Gollwitz unterzubringen, machte man in Gollwitz den Beschluß offiziell ungeschehen. Die ostüblichen Flennargumente, mit denen der Antisemitismus als eine Form, »soziale Probleme« anzusprechen, hoffähig gemacht wird und die vom politischen und medialen Begleit- und Betreuungspersonal zur Entlastung vorgebracht werden, verfehlen jedoch ihre Wirkung: Selbst diese, auf Verständnis zielenden Ratschläge werden von den Gollwitzerinnen und Gollwitzern in den Wind geschlagen; sie nehmen ihre Chance wahr, ihre antisemitischen und rassistischen Sprüche auch weiterhin ohne jegliche Verpackung und Verzierung der deutschen und internationalen Presse kundzutun. Weil es diesmal um Jüdinnen und Juden geht, wird sofort feinsinnig differenziert, welcher Art denn die Ablehnung und der Haß sind: Antisemitismus jedenfalls kann es nicht sein, da sind sich alle einig. Niemandem fällt auf, wie weitgehend identisch die Vorurteile sind, die Fremden, Migrantinnen/Migranten und Jüdinnen/Juden (oder jenen, die dafür gehalten werden) in den sich ausweitenden braunen Zonen in Ost und West entgegenschlagen: Geschäftemacher, Mafiosi, Leute, die dunklen Geschäften nachgehen, die weltweit Verbindungen haben, Kosmopoliten. Der »Fremdenhaß« ist in Deutschland seinem historischen Ursprung nach antisemitisch. Die Landesregierung will den offenen Antisemitismus, wie er in Gollwitz zum Vorschein kam, im nationalen Interesse nicht tolerieren und das Übel beheben, wissend, daß diese Entscheidung für das judenfreie Gollwitz eine Welle ähnlicher Beschlüsse nach sich ziehen wird. Ministerpräsident Stolpe will stellvertretend für alle, die die Vorgänge in Gollwitz kritisierten, den »Herrschaften aus London« womit er den Exil-PEN und die in ihm organisierten Emigianten meint, die nach 1945 nicht nach Deutschland zurückkehrten den Mund verbieten. Er kenne seine Brandenburger besser. Dieses Bekenntnis ist nicht nur eine Solidaritätsadresse an die Gollwitzer »Alten, Arbeitslosen und Alkoholisierten, die ihren Haß in jedes Mikrophon erbrechen, das ihnen vor die Nase gehalten wird« (taz). Darin manifestiert sich neben der schon länger bekannten Bereitschaft, jede rassistische oder antisemitische Schandtat nachträglich zu rechtfertigen, vor allem die Absicht, den Volkswillen künftig vorauseilend durchzusetzen. Am 9. November 1938 leiteteten stinknormale Bürgerinnen und Bürger die Vernichtung des europäischen Judentums ein. In der sogenannten »Reichskristallnacht« wurden Synagogen unter Aufsicht der Feuerwehr abgebrannt, Geschäfte jüdischer Inhaber zerstört und über 20.000 Juden in Konzentrationslager eingesperrt und gefoltert. Der antisemitische Haß, der zu diesem Pogrom geführt hatte, wurde nach dem Krieg jahrzehntelang einigermaßen in Schach gehalten. Das nationale Verdienst der Gollwitzerinnen und Gollwitzer ist es, den Antisemitismus unzensiert und unverhüllt wieder politikfähig gemacht zu haben. Mit Erfolg: Ein Fall Gollwitz, der eben auch der Fall Deutschland ist, scheint nur noch im Ausland als solcher wahrgenommen zu werden. In Anbetracht der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland, Nach Rostock, Hoyerswerda, Basdorf, Lübeck, Babenhausen, Mölln, Dolgenbrodt gilt nun für Gollwitz: 1300 · Demonstration · Gollwitz · 9. November 1997Zur Demonstration rufen auf: (Bonn) Gruppe Grenzfall (Berlin) Antifaschistische Aktion Berlin, ASTA TU, Bahamas (Redaktion), Café Ex-Geschwulst, Contradiction, Gruppe sur leau, KÖXÜZ, Kulturreferat ASTA-FU, RefRat der Humboldt-Uni (Hamburg) 8. mai gruppe im antinationalen büro, 17deg. Celsius, Dirna, Gruppe Ratio Rausch Revolution, Landesverband der JungdemokratInnen/Jungen Linken (Oldenburg) Gruppe 42 (Detmold) Antinationales Plenum (Leipzig) Antinationale Gruppe, Bündnis gegen Rechts (Frankfurt/Main) Café Morgenland (Würzburg) Antirassistische Gruppe (Nürnberg) ¡sol lez ruw! (Freiburg) Devrimici Gençlik, Fere Kevir |