home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[38][<<][>>]

Zwei rassistische Morde in Leipzig,
die kaum jemanden interessieren.

Nachfolgend dokumentieren wir drei Redebeiträge, die anläßlich einer Demonstration und einer Protestkundgebung verschiedener Leipziger antirassistischer und antifaschistischer Initiativen gehalten wurden.
Anlaß für die Aktionen am 29. September, an der rund hundert Leute teilnahmen, und der am 19. Oktober, an der sich rund fünfzig Menschen beteiligten, waren zwei Prozesse gegen deutsche Mörder. Während der Prozeß gegen die Mörder von Achmed Bachir, der am 23. Oktober 1996 aus rassistischen Motiven erstochen wurde, bei Redaktionsschluß noch nicht beendet war, fand der andere Prozeß wegen des Mordes an Bernd G., der auf Grund seiner Homosexualität am 8. Mai 1996 bestialisch gelyncht wurde, inzwischen seinen Abschluß. Die drei Täter und ihr Helfer wurden zu lebenslänglich, acht Jahren Jugendstrafe, zu viereinhalb Jahren bzw. zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. In der Urteilsbegründung sprach der Richter von „Lust am Morden“ und „grundlosem“ Töten.

Bei der Demonstration und der Kundgebung richtete sich der Protest gegen die systematische Ausblendung der rassistischen Tatmotive der Täter.

Redebeitrag zur Demonstration am 29. September 1997
Sie wissen, wem sie es anzutun haben

Wir stehen hier an der Stelle, an der Achmed Bachir vor 11 Monaten von deutschen Rassisten erstochen wurde.
Heute hat der Prozeß gegen die beiden Mörder vor dem Leipziger Landgericht begonnen. Es ist nicht das einzige, sondern eines von mehreren Gerichtsverfahren, in welchem zur Zeit deutsche Rassisten oder Neonazis angeklagt sind wegen ihrer mörderischen Angriffe auf Migrantlnnen und andere Menschen, die dem Bild des „anständigen Deutschen” nicht entsprechen.
Manche werden sich fragen, warum wir heute hier demonstrieren. Schließlich können wir damit weder den toten Opfern helfen noch die Täter bestrafen. Das stimmt – aber eben nur fast. Wir stehen hier, weil die Art und Weise, in der deutsche Justizbehörden diese Morde pflichtgemäß abwickeln, einmal mehr die Motive und die gesellschaftlichen Hintergründe solcher Verbrechen verleugnet. Und somit dafür sorgt, daß sie als unausweichliche Naturkatastrophen hingenommen und die Opfer schnell vergessen werden, während die Ursachen für die Morde an Achmed Bachir und anderen unangetastet bleiben und weiter bestehen.
Erinnern wir uns deshalb zunächst, was geschehen ist: Achmed Bachir arbeitete im Gemüseladen an der Karl-Liebknecht-Strasse, letztes Jahr am 23. Oktober. Unmittelbar vor Geschäftsschluß stürmten die beiden Täter, Daniel Z. und Norman E., damals 20 und 18 Jahre alt, in den Laden und randalierten. Sie schmissen Obst- und Gemüsekisten um, sie bedrohten die Verkäuferinnen und beschimpften mit rassistischen Sprüchen: „alte Schlampen, Türkenweiber”, brüllten sie. Achmed versuchte die Täter zu beschwichtigen. Er schaffte es noch, sie bis zur Tür zu begleiten. Dann zog einer der beiden Deutschen plötzlich ein Messer und stach zu. Einfach so, ohne Warnung und ohne Skrupel. Wie so oft in diesem Land.
demo vorm landgericht, 12.8k Achmed Bachir hatte keine Chance. Für ihn kam jede Hilfe zu spät: er starb kurze Zeit später am Tatort. Die Mörder wurden noch am selben Abend von der Polizei gefaßt.
An ihrer Täterschaft gibt es keinen Zweifel. Umso mehr wird hingegen versucht, die rassistische Motivation auszublenden. Von Anfang an hat die Staatsanwaltschaft Leipzig deutlich gemacht, daß Rassismus als Tatmotiv für sie nicht in Frage kommt. Die rassistische Beschimpfung der Verkäuferinnen, die selbst die Leipziger Lokalpresse nicht leugnen konnte, wurde als belangloses Gerede abgetan: Aus „irgendeinem ausländerfeindlichen Ausdruck”, könne man noch nicht auf eine entsprechende Gesinnung schließen, erklärte der Leipziger Staatsanwalt Moser am Tag nach dem Mord gegenüber der Tageszeitung „junge Welt”.
An dieser Sichtweise hat sich elf Monate später offensichtlich kaum etwas geändert. Nach „umfangreichen ergebnislosen Recherchen” kam Oberstaatsanwalt Röger, der die Anklage gegen Daniel Z. und Norman E. vertritt, zu dem gewünschten Ergebnis: „Die bisherigen Hinweise haben den Verdacht eines ausländerfeindlichen Angriffs nicht bestätigt.” behauptete er kurz vor Prozessbeginn (jungle world, 25.9.97).
Wir fragen uns: was für Hinweise hätten diese Staatsanwälte denn überhaupt durch ihre schwarz-rot-gold gefärbten Brille durchgehen lassen? Vielleicht hätten die Täter erst Mitglied im Bundesvorstand der NPD oder der DVU werden müssen, damit ihre ausländerfeindliche Motivation staatlich anerkannt wird?!
Doch wie der andere zur Zeit laufende Mordprozeß gegen die vier Neonazis aus Wahren zeigt, würde wohl selbst das noch nicht ausreichen: Obwohl dort die Täter offensichtlich zur Wahrener Nazi-Szene um den dort wohnenden NPD-Bundesvorsitzenden Jürgen Schön gehören, schweigt die Leipziger Staatsanwaltschaft sich auch hier beharrlich über die Gesinnung dieser Mörder aus.
Und damit steht sie alles andere als alleine da: Erinnern wir uns nur an „unseren” sensiblen Oberbürgermeister Lehmann-Grube, dem bis zum 1. Mai dieses Jahres angeblich nie ein rechtsradikales Potential in seiner Stadt begegnet sei. Oder seinen Ausländerbeauftragten, welcher den Mord an Achmed Bachir mit den Worten kommentierte: „Es hätte auch irgendeinen Deutschen treffen können”. Oder jenen Journalisten der Leipziger Volkszeitung, der damals die Frage: „Woher kommt nur soviel Gewalt?” für unbeantwortbar erklärte, dafür aber eines ganz genau wußte, nämlich „Haß sät nur neue Gewalt”. Gemeint waren damit nicht die Rassisten, sondern die antirassistischen Gruppen, die auf diese Weise mit den Tätern gleichgesetzt wurden.
Tun wir also nicht so, als handele es sich hier nur um einige reaktionäre deutsche Beamte, um ein paar Idioten mit Brett vorm Kopf. Die Linie der Staatsanwaltschaft entspricht im Grunde genau der Art und Weise, wie die deutsche Gesellschaft seit mehr als 50 Jahren mit ihren Verbrechen umgeht. Mit allen Mittel wird verleugnet, daß die Täter aus den eigenen Reihen, aus den eigenen Familien, aus dem eigenen rassistischen, antisemitischen Milieu kamen und kommen. Wenn überhaupt, dann waren es immer nur DIE NAZIS, also die anderen, und auch das waren nur ziemlich wenige verrückte Einzeltäter, angeblich nur unglücklich verführte Mitläufer.
So auch heute: Wenn Deutsche sogenannte Ausländer ermorden, soll das nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun haben, sondern eher z.B. mit Alkohol, Angst, Arbeitslosigkeit, Familienkrach, schlechter Laune, schlechtem Wetter. Dabei zeigt die ans Lächerliche grenzende Beliebigkeit, mit der all diese sogenannten Gründe immer wieder zur Entschuldigung der Täter herangezogen werden, vor allem eines: Es genügt offenbar tatsächlich ein nichtiger Anlaß, ein beliebiger Auslöser, damit ganz normale Deutsche zu Killern werden und sie ihre Vernichtungsphantasien in die Tat umsetzen. Manche von ihnen sind organisierte Nazis, andere sind es nicht. Manche sind betrunken, andere sind nüchtern. Wenige werden bestraft, unzählige laufen frei herum. Sie wissen, was sie tun, und vor allem wissen sie, wem sie es anzutun haben.
Aber davon wollen Staatsanwalt und deutsche Öffentlichkeit nichts wissen. Sie wollen nicht aus irgendwelchen rassistischen Äußerungen auf eine entsprechende Gesinnung und schon gar nicht auf eine daraus motivierte Mordbereitschaft schließen. Wie sollten sie auch? Schließlich müßten sie dann auch ihre eigene Ausländerfeindlichkeit, ihre eigenen Vorstellungen von deutscher Ordnung, ihren eigenen Umgang mit den als fremd Stigmatisierten betrachten und daraus schließen, daß vielleicht auch sie potentielle Mörder sind.
Und gerade das wollen sie am allerwenigsten. Die anständigen guten Deutschen wollen sich in den mörderischen Taten, die aus ihrem gemeinsamen Ausgrenzungs- und Vernichtungswahn gegenüber Nichtdeutschen entstehen, nicht mehr wiedererkennen. Und so können sich die Täter auch weiterhin sicher sein, daß sie für ihr mörderisches Handeln zwar manchmal ins Gefängnis kommen, im Großen und Ganzen aber mit akzeptierender Sozialarbeit, Jugendkulturprojekten, neuen rassistischen Gesetzen, noch umfassenderer Kriminalisierung von MigrantInnen und noch schnelleren Abschiebungen jener sogenannten Kriminellen belohnt werden.
Leipziger Staatsanwälte und Richter sorgen dafür, daß die Ausblendung des rassistischen deutschen Alltags auch institutionell abgesichert und aktenkundig wird. So wie es aussieht, werden wir sie leider nicht daran hindern können. Aber zumindestens ein wenig stören wollen wir sie.

, 0.0k
Redebeiträge zur Kundgebung vom Leipziger Landgericht am 20. 10.
Freibrief zum Morden

Seit dem 16. September läuft hier am Landgericht der Mord-Prozeß gegen 3 Faschos, die einen Mann umgebracht haben, weil er schwul war. Im gleichen Verfahren ist der Fahrer des Autos, der die Leiche weggeschafft hat, wegen Strafvereitelung angeklagt. Heute fand hier der sechste Verhandlungstag statt.
Was war passiert? In der Nacht zum 8. Mai 1996 kamen die drei Angeklagten Michael Langbein, Rainer Schmidt und David Däbritz von einer Party aus der Stadt zurück und trafen am Wahrener Rathaus auf Bernd G., der gerade vor seiner Haustür stand.
Mit den Worten „Hau ab, du schwule Ratte“ gingen sie auf ihn los und mißhandelten ihn auf brutale Weise. So warfen sie ihm einen Stein auf den Kopf, schütteten Sand in seinen Mund und stachen seine Augen aus. Als Bernd nur noch röchelte, stach einer der drei mit einem Messer 36 mal zu. Danach gingen sie in die nahegelegene Wohnung in die Gottlaßstr. 5, wo sie sich immer trafen. Einer der drei greift kurz danach noch einen maleysischen Flüchtling an der Kaufhalle in Wahren an und verletzt ihn. Ein Verfahren wegen diesem Übergriff wurde schon eingestellt und das Opfer abgeschoben.
Dann wird der Mitangeklagte Markus Wendt angerufen, der die Leiche mit seinem Auto nach Ammelshain bringt. Dort wird sie in den Steinbruch geworfen.
Nach dem Leichenfund vermutete die Polizei die Täter - wenn verwunderts - erst in der Schwulenszene und ermittelte in diese Richtung. Als aber mehrmals mit der Geldkarte des Opfers Geld abgehoben wurde, ließ sich nicht mehr vertuschen, wer die Täter waren. Bei einer Razzia in der Wohnung in der Gottlaßstr. 5 fand die Polizei vielfältiges rechtsextremes Propagandamaterial. Die Wohnung gehört dem stadtbekannten Neonazi Rene Lehr, der schon 1992 in die später verbotene Nationalistische Front aufgenommen wurde und sich an verschiedenen organisierten rechtsradikalen Übergriffen beteiligte, so z.B. 1990 auf ein besetztes Haus in der Sternwartenstraße und auf das Eilenburger Flüchtlingsheim im Oktober 1992.
demo im peterssteinweg, 12.4k Aber auch die Angeklagten sind keine unbeschriebenen Blätter: Rainer Schmidt, der mit seinem Bruder Roland seit Anfang der 90er Jahre im harten Kern der Leipziger Faschoszene um den ehemaligen FAP-Kader Dirk Zimmermann aktiv ist, kann ein langes Vorstrafenregister vorweisen. Obwohl seine schweren Straftaten immer im Zusammenhang mit seiner rechtsradikalen Gesinnung standen, was bisher sogar die Gerichte eingestehen mußten, und obwohl sich darunter mehrere militante Überfälle auf von Linken bewohnte Häuser befanden, (z.B. Sternwartenstraße und Berliner Straße) erhielt er immer lächerliche Haftstrafen auf Bewährung. Ihm wurde vom Gericht zugute gehalten, daß er sich inzwischen von seinen rechtsradikalen Freunden losgesagt habe und somit eine günstige Sozialprognose attestiert werden könne. Ähnlich erging es Langbein, der für seine Straftaten mit faschistischem Hintergrund lediglich Bewährungsstrafen erhielt. Langbein kann für sich in Anspruch nehmen, nach der Verurteilung erfolgreich an einem „Anti-Agressionstraining“ teilgenommen zu haben - so steht es zumindest auf der Urkunde, die ihm damals ausgestellt wurde. Wer über Jahre hinweg für eine Unmenge von schweren Körperverletzungen und Brandanschlägen auf vermeintlich linke Häuser immer wieder straffrei ausgeht und dann noch vom Gericht bescheinigt bekommt, daß er inzwischen ein guter Deutscher ist, muß glauben, einen Freibrief zum Ermorden der von ihm für undeutsch befundenen Menschen erhalten zu haben.
Obwohl der rechtsradikale und schwulenfeindliche Hintergrund der Tat auf der Hand liegt, wird dieser bei diesem Prozeß von keinem der Beteiligten angesprochen. Offiziell habe es lediglich eine Auseinandersetzung zwischen stark betrunkenen Menschen gegeben. Der Richter stellte schon eine Verurteilung wegen Vollrausch anstelle Mordes in Aussicht. Mit Belustigung nimmt das Publikum die Fragen der Anwälte, ob das Blut nicht auch rote Tinte hätte gewesen sein können, zur Kenntnis. Im Zuschauerraum sitzt der schlimmste Kreis militanter Faschisten aus Leipzig und Umgebung. Darunter ein Mitglied der Leipziger Faschoband Oiphorie, bekannte Wahrener Schläger wie Mark Hildebrandt und Kameradschaftführer aus dem Muldentalkreis wie Thomas Jurisch.
Nicht wegen dem unterträglichen Publikum, sondern weil es das Gericht und die Staatsanwaltschaft nicht interessiert, wird der Prozeß so schnell wie möglich durchgezogen. Über die Hälfte der Zeuginnen und Zeugen wird kurzerhand ausgeladen. Fragen werden kaum gestellt.
Denn das Ergebnis steht schon fest: drei arme, sich im Vollrausch befindliche, arbeitslose, orientierungslose und von einer schweren Kindheit gezeichnete Jugendliche erschlagen aus Versehen ein Mann. Die Gründe und näheren Einzelheiten sind nicht mehr aufzuklären.
Und das ist auch gut so. Immerhin bewahrt es die Prozeßbeteiligten vor der schwierigen Situation, zugeben zu müssen, daß einen Schwulen zu erschlagen, doch gar nicht so schlimm sein kann. Mit jährlich über 30 Todesopfern aufgrund schwulenfeindlicher Übergriffe, gehört diese Einstellung nämlich zur anerkannten deutschen Normalität.
Ein gerechte Strafe – die es so nicht gibt – erweckt den ermordeten Bernd nicht wieder zum Leben. Aber so lange bei einem solchen Prozeß die Ursachen nicht analysiert, sondern nur reproduziert werden, eröffnet dies die Möglichkeit für weitere Morde. Dagegen protestieren wir vor dem Landgericht.

Zu klar für Justiz und Öffentlichkeit

Hier am Leipziger Landgericht findet seit drei Wochen der Prozeß gegen die beiden Mörder von Achmed Bachir statt. Was das für Typen sind und aus welchen Motiven sie Achmed ermordeten, konnten alle, die es wissen wollten, an bisher fünf Verhandlungstagen zur Genüge erfahren. Die beiden Täter, Norman Eisenschmidt und Daniel Zinsmeyer, sind so deutsch wie ihre Familiennamen.
Am 23. Oktober 1996 zogen sie als Skinheads mit Bomberjacke, Bierkiste und Butterflymesser stundenlang durch die Straßen von Leipzig. Sie riefen Naziparolen, pöbelten Leute an und verkündeten in der Straßenbahn, daß sie „heute noch“ einen „Ausländer aufmischen“ wollten.
Doch niemand kam auf die Idee, sie daran zu hindern.
Nicht nur einmal, sondern immer wieder, kündigten sie ihre Absichten mit Sprüchen wie „Den Moslem stechen wir ab!“ in aller Öffentlichkeit an. Und immer wieder zückte Norman Eisenschmidt sein Messer und richtete es auf alle, die ihm nicht gefielen. Mehrmals hielt ihn dabei sein etwas stärkerer und intelligenterer Kamerad Zinsmeyer dann zurück - offensichtlich, weil er mit dieser willkürlichen Auswahl der Opfer nicht ganz einverstanden war. Bis sie schließlich kurz nach 18 Uhr im Gemüseladen an der Liebknechtstraße doch noch ihre gewünschten „Ausländer“ fanden: Erst beschimpften sie die Verkäuferinnen als „Türkenschlampen“ und drückten sie mit der Theke gegen die Wand. Dann gingen sie auf den zu Hilfe kommenden Achmed Bachir los, wobei u.a. Worte fielen wie: „Du Türkenschwein, wir machen dich tot, weißt du wer wir sind, wir sind Skinheads.“ Achmed versuchte die beiden zu beschwichtigen und ging schließlich sogar freundschaftlich Arm in Arm mit Eisenschmidt nach draußen vor den Laden. Dort zog dann einer der beiden das Messer und stach es ihm gezielt mit voller Kraft ins Herz.
Der Fall ist also klar - zu klar für die deutsche Justitz, zu klar für die deutsche Öffentlichkeit. Sie haben stapelweise eindeutige Beweise für einen rassistischen Mord vorliegen, und schaffen es doch, so zu tun, als gäbe es die gar nicht. Vor Beginn des Prozesses hat die Leipziger Staatsanwaltschaft trotz all dieser genannten mörderisch-rassistischen Äußerungen keinen Anhaltspunkt für einen fremdenfeindlichen Hintergrund erkennen können.
Umso ausführlicher wird stattdessen alles besprochen, was irgendwie der Täterentlastung dienen könnte. Zunächst natürlich der Alkohol, der in Deutschland regelmäßig als Entschuldigung für rassistische Angriffe herangezogen wird.
Da ist der Gerichtsmediziner, der die Alkohol-Promillewerte der Mörder zur Tatzeit auf die zweite Nachkommastelle genau abschätzt, und dann nach umständlichen Überlegungen zu dem Schluß kommt, daß die Steuerfähigkeit der Angeklagten wohl nicht wesentlich eingeschränkt war. Auch die unerträgliche Psychologin, die die schwere Kindheit der beiden Täter betont und die Eisenschmidt wegen niedriger Intelligenz als nicht voll schuldfähig bezeichnet, darf bei diesem Prozeß nicht fehlen.
Und wenn die Staatsanwältin überhaupt einmal etwas sagt, führt sie sich dabei auf, als sei Achmed als Mitschuldiger angeklagt. Sie stellt Fragen wie: Hat Achmed gereizt auf die rassistischen Pöbeleien reagiert? Hat er sich wirklich nur verteidigt, hatte er wirklich kein Messer in der Hand? Gab es im Gemüseladen nicht noch ein zweites Messer?
Wir können uns nur zu gut vorstellen, wie der Prozeß laufen würde, wenn es keine deutschen Zeuginnenaussagen gäbe, die Achmeds Verhalten als absolut friedfertig bezeichnen. Dann würde jetzt wahrscheinlich schon nicht mehr über Mord, sondern über Notwehr verhandelt.
Die beiden Angeklagten jedenfalls können zufrieden sein: Wer solche Anklägerinnen hat, braucht keine Verteidiger mehr. Entsprechend selbstbewußt trat dann am letzten Dienstag (am 14. Oktober) der Angeklagte Zinsmayer beim Verlesen seiner Erklärung auf, in der er behauptet, es nicht gewesen zu sein und sich nur gegen Achmeds Angriffe gewehrt habe.
Auch vor dem Vorsitzenden Richter brauchen die beiden keine allzu große Angst haben. Er führt die Verhandlung ohne jeden Nachdruck und wirkt meist desinteressiert. Sein einziges Interesse scheint darin zu liegen, den Prozeß in die Länge zu ziehen und nach und nach die anwesenden JournalistInnen zum Wegbleiben zu bewegen. Ihm ist es sichtlich unangenehm, daß dieser Mordfall überhaupt öffentlich mit Rassismus in Verbindung gebracht wird.
Dabei unterscheiden sich seine Ziele kaum von denen der anwesenden deutschen Presse. Denn auch ihr geht es um die Verniedlichung der Täter und um die erleichternde Vergewisserung, daß die Täter ja eh gewalttätige Jugendliche waren, die auch Deutsche angegriffen haben.
Und so wird über alle möglichen Prozeßdetails geschrieben und geredet, um über die entscheidende Ursache dieses Mordes nicht reden zu müssen.
Daß nämlich all den Zinsmeyers und Eisenschmidts in Deutschland allein die Identifizierung eines Menschen als ausländisch ein Grund ist, um ihn umzubrigen.
Wer es will, kann diese Wahrheit übrigens durchaus auch jenen Zeugenaussagen entnehmen, welche eigentlich der Entlastung der beiden Täter dienen sollten. So sagte der zuständige Sozialarbeiter aus, daß Eisenschmidt nicht rechtsradikal sei, sondern nur Stammtischparolen nachplappert. Und die Ex-Freundin von Zinsmayer antwortete auf die Frage nach seinem Charakter immer mit dem selben Satz: „Er war normal“.
Das stimmt. Genau, weil er so ein normaler deutscher Junge ist und sich die deutschen Stammtischparolen zu eigen gemacht hat, ist er ein rassistischer Mörder geworden. Um ihre Vernichtungsphantasien gegen MigrantInnen auszuleben, brauchen deutsche Täter keine besondere Schulung durch Nazi-Propaganda, weil sie in ihrem normalen Alltagsleben längst gelernt haben, wen man rausschmeißen, aufmischen, abstechen darf, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.
Davon aber wollen deutsche Richter und Staatsanwälte nichts wissen - nicht nur am Leipziger Landgericht. Weil sie sich mit den Tätern, den ganz normalen Zinsmeyers, die ihre Kinder sein könnten, identifizieren, greifen sie nach jeder Entlastungsmöglichkeit. Am liebsten würden sie sie freisprechen und statt dessen die Opfer zu Tätern machen, wie im Lübecker Prozeß gegen Safwan Eid.
Eines ist daher gewiß: Ein öffentlicher Prozeß wie dieser dient überhaupt nicht der Wahrheitsfindung, sondern einzig der Vernebelung und Relativierung der Wahrheit. Und so wird der Prozeß wohl noch ein paar Tage weitergehen, bis das Gericht am Schluß zwei bedauernswerte unnormale Einzeltäter verurteilen wird, damit der Mord an Achmed Bachir in keiner Statistik für rassistische Gewalt auftaucht.
Das ist ihre Pflicht, die sie im Namen ihres rassistischen deutschen Volkes zu erfüllen haben.
Wir sind hier, um bei dieser Drecksarbeit zu stören und werden sie auch weiterhin nicht in Ruhe lassen.
Antirassistische Gruppen


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[38][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007