Sie wissen, wem sie es anzutun haben |
Wir stehen hier an der Stelle, an der Achmed Bachir vor 11 Monaten von deutschen Rassisten erstochen wurde.
Heute hat der Prozeß gegen die beiden Mörder vor dem Leipziger
Landgericht begonnen. Es ist nicht das einzige, sondern eines von mehreren
Gerichtsverfahren, in welchem zur Zeit deutsche Rassisten oder Neonazis
angeklagt sind wegen ihrer mörderischen Angriffe auf Migrantlnnen und
andere Menschen, die dem Bild des anständigen Deutschen nicht entsprechen.
Manche werden sich fragen, warum wir heute hier demonstrieren.
Schließlich können wir damit weder den toten Opfern helfen noch die
Täter bestrafen. Das stimmt aber eben nur fast. Wir stehen hier,
weil die Art und Weise, in der deutsche Justizbehörden diese Morde
pflichtgemäß abwickeln, einmal mehr die Motive und die
gesellschaftlichen Hintergründe solcher Verbrechen verleugnet. Und somit
dafür sorgt, daß sie als unausweichliche Naturkatastrophen
hingenommen und die Opfer schnell vergessen werden, während die Ursachen
für die Morde an Achmed Bachir und anderen unangetastet bleiben und weiter bestehen.
Erinnern wir uns deshalb zunächst, was geschehen ist: Achmed Bachir
arbeitete im Gemüseladen an der Karl-Liebknecht-Strasse, letztes Jahr am
23. Oktober. Unmittelbar vor Geschäftsschluß stürmten die
beiden Täter, Daniel Z. und Norman E., damals 20 und 18 Jahre alt, in den
Laden und randalierten. Sie schmissen Obst- und Gemüsekisten um, sie
bedrohten die Verkäuferinnen und beschimpften mit rassistischen
Sprüchen: alte Schlampen, Türkenweiber, brüllten
sie. Achmed versuchte die Täter zu beschwichtigen. Er schaffte es noch,
sie bis zur Tür zu begleiten. Dann zog einer der beiden Deutschen
plötzlich ein Messer und stach zu. Einfach so, ohne Warnung und ohne Skrupel. Wie so oft in diesem Land.
Achmed Bachir hatte keine Chance. Für ihn kam jede Hilfe zu spät: er
starb kurze Zeit später am Tatort. Die Mörder wurden noch am selben Abend von der Polizei gefaßt.
An ihrer Täterschaft gibt es keinen Zweifel. Umso mehr wird hingegen
versucht, die rassistische Motivation auszublenden. Von Anfang an hat die
Staatsanwaltschaft Leipzig deutlich gemacht, daß Rassismus als Tatmotiv
für sie nicht in Frage kommt. Die rassistische Beschimpfung der
Verkäuferinnen, die selbst die Leipziger Lokalpresse nicht leugnen konnte,
wurde als belangloses Gerede abgetan: Aus irgendeinem
ausländerfeindlichen Ausdruck, könne man noch nicht auf eine
entsprechende Gesinnung schließen, erklärte der Leipziger
Staatsanwalt Moser am Tag nach dem Mord gegenüber der Tageszeitung junge Welt.
An dieser Sichtweise hat sich elf Monate später offensichtlich kaum etwas
geändert. Nach umfangreichen ergebnislosen Recherchen kam
Oberstaatsanwalt Röger, der die Anklage gegen Daniel Z. und Norman E.
vertritt, zu dem gewünschten Ergebnis: Die bisherigen Hinweise haben
den Verdacht eines ausländerfeindlichen Angriffs nicht
bestätigt. behauptete er kurz vor Prozessbeginn (jungle world, 25.9.97).
Wir fragen uns: was für Hinweise hätten diese Staatsanwälte denn
überhaupt durch ihre schwarz-rot-gold gefärbten Brille durchgehen
lassen? Vielleicht hätten die Täter erst Mitglied im Bundesvorstand
der NPD oder der DVU werden müssen, damit ihre ausländerfeindliche Motivation staatlich anerkannt wird?!
Doch wie der andere zur Zeit laufende Mordprozeß gegen die vier Neonazis
aus Wahren zeigt, würde wohl selbst das noch nicht ausreichen: Obwohl dort
die Täter offensichtlich zur Wahrener Nazi-Szene um den dort wohnenden
NPD-Bundesvorsitzenden Jürgen Schön gehören, schweigt die
Leipziger Staatsanwaltschaft sich auch hier beharrlich über die Gesinnung dieser Mörder aus.
Und damit steht sie alles andere als alleine da: Erinnern wir uns nur an
unseren sensiblen Oberbürgermeister Lehmann-Grube, dem bis zum
1. Mai dieses Jahres angeblich nie ein rechtsradikales Potential in seiner
Stadt begegnet sei. Oder seinen Ausländerbeauftragten, welcher den Mord an
Achmed Bachir mit den Worten kommentierte: Es hätte auch irgendeinen
Deutschen treffen können. Oder jenen Journalisten der Leipziger
Volkszeitung, der damals die Frage: Woher kommt nur soviel Gewalt?
für unbeantwortbar erklärte, dafür aber eines ganz genau
wußte, nämlich Haß sät nur neue Gewalt.
Gemeint waren damit nicht die Rassisten, sondern die antirassistischen Gruppen,
die auf diese Weise mit den Tätern gleichgesetzt wurden.
Tun wir also nicht so, als handele es sich hier nur um einige reaktionäre
deutsche Beamte, um ein paar Idioten mit Brett vorm Kopf. Die Linie der
Staatsanwaltschaft entspricht im Grunde genau der Art und Weise, wie die
deutsche Gesellschaft seit mehr als 50 Jahren mit ihren Verbrechen umgeht. Mit
allen Mittel wird verleugnet, daß die Täter aus den eigenen Reihen,
aus den eigenen Familien, aus dem eigenen rassistischen, antisemitischen Milieu
kamen und kommen. Wenn überhaupt, dann waren es immer nur DIE NAZIS, also
die anderen, und auch das waren nur ziemlich wenige verrückte
Einzeltäter, angeblich nur unglücklich verführte Mitläufer.
So auch heute: Wenn Deutsche sogenannte Ausländer ermorden, soll das
nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun haben, sondern eher z.B. mit
Alkohol, Angst, Arbeitslosigkeit, Familienkrach, schlechter Laune, schlechtem
Wetter. Dabei zeigt die ans Lächerliche grenzende Beliebigkeit, mit der
all diese sogenannten Gründe immer wieder zur Entschuldigung der
Täter herangezogen werden, vor allem eines: Es genügt offenbar
tatsächlich ein nichtiger Anlaß, ein beliebiger Auslöser, damit
ganz normale Deutsche zu Killern werden und sie ihre Vernichtungsphantasien in
die Tat umsetzen. Manche von ihnen sind organisierte Nazis, andere sind es
nicht. Manche sind betrunken, andere sind nüchtern. Wenige werden
bestraft, unzählige laufen frei herum. Sie wissen, was sie tun, und vor allem wissen sie, wem sie es anzutun haben.
Aber davon wollen Staatsanwalt und deutsche Öffentlichkeit nichts wissen.
Sie wollen nicht aus irgendwelchen rassistischen Äußerungen auf eine
entsprechende Gesinnung und schon gar nicht auf eine daraus motivierte
Mordbereitschaft schließen. Wie sollten sie auch? Schließlich
müßten sie dann auch ihre eigene Ausländerfeindlichkeit, ihre
eigenen Vorstellungen von deutscher Ordnung, ihren eigenen Umgang mit den als
fremd Stigmatisierten betrachten und daraus schließen, daß
vielleicht auch sie potentielle Mörder sind.
Und gerade das wollen sie am allerwenigsten. Die anständigen guten
Deutschen wollen sich in den mörderischen Taten, die aus ihrem gemeinsamen
Ausgrenzungs- und Vernichtungswahn gegenüber Nichtdeutschen entstehen,
nicht mehr wiedererkennen. Und so können sich die Täter auch
weiterhin sicher sein, daß sie für ihr mörderisches Handeln
zwar manchmal ins Gefängnis kommen, im Großen und Ganzen aber mit
akzeptierender Sozialarbeit, Jugendkulturprojekten, neuen rassistischen
Gesetzen, noch umfassenderer Kriminalisierung von MigrantInnen und noch
schnelleren Abschiebungen jener sogenannten Kriminellen belohnt werden.
Leipziger Staatsanwälte und Richter sorgen dafür, daß die
Ausblendung des rassistischen deutschen Alltags auch institutionell abgesichert
und aktenkundig wird. So wie es aussieht, werden wir sie leider nicht daran
hindern können. Aber zumindestens ein wenig stören wollen wir sie. |